Der Sozialdemokratie zur Erinnerung

Screenshot Netzfund

Mitte März 2024 stellte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich im Bundestag die Frage: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“

Dieses mutige Statement forderte natürlich inner- und außerhalb der Partei heftige Kritik von den Freunden der Aufrüstung, Waffenlieferungen, Zeitenwende und Kriegstüchtigkeit heraus. Im Gegensatz zu ihnen, weiß Rolf Mützenich wovon er spricht, schließlich hat er Friedenpolitik zu einem Schwerpunkt in seinem Studium gewählt, war von 2004 bis 2009 abrüstungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und hat sich in seinem Parteileben ganz klar zu der Friedenspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr bekannt.

In einem „Brandbrief“ haben nun fünf Historiker um Heinrich August Winkler der SPD „Realitätsverweigerung” bezüglich Russland und der  Ukraine vorgeworfen. Die Autoren sind SPD-Mitglieder, was allerdings nicht bedeuten muss, dass sie sich auch für die Ideale der Partei einsetzen. In ihrem Schreiben wird „die Kommunikation des Kanzlers, der Partei und der Fraktionsspitzen in Fragen von Waffenlieferungen in der Öffentlichkeit zu Recht scharf kritisiert.“

Direkt an Rolf Mützenich gerichtet, sprechen die Historiker von einer „fatalen Äußerung“ und einem „kurzsichtigen Friedensbegriff einiger Genossen“. Auch fehle in der SPD eine ehrliche Aufarbeitung der Fehler ihrer Russland-Politik der vergangenen Jahrzehnte. „Vielmehr wird die Tradition der Außenpolitik Egon Bahrs nach wie vor unkritisch und romantisierend als Markenzeichen der SPD hochgehalten.“ Auf diese Weise mache sich die SPD unglaubwürdig und angreifbar. Weiter sorgen sie sich in ihrem Brief darum, „wenn Kanzler und Parteispitze rote Linien nicht etwa für Russland, sondern ausschließlich für die deutsche Politik ziehen, schwächen sie die deutsche Sicherheitspolitik nachhaltig und spielen Russland in die Hände.“

Der „Brandbrief“ der Historiker mit SPD-Parteibuch ist ein einziges Armutszeugnis, das allerdings zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt wurde. Ein Zeitpunkt zu dem das Murren vieler SPD-Mitglieder und Mandatsträger über die Aufrüstung, Waffenlieferungen, Kriegstüchtigkeit und Zeitenwende hörbar lauter wird.

Den Verfassern des Brandbriefes sei, wie den vielen SPD-Mitgliedern, der folgende Lesestoff empfohlen.

„Dem Karl Liebknecht haben wir’s geschworen…“

Bei vielen SPD-Mitgliedern schlug das wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein, als Bundeskanzler Scholz am Sonntag, dem 27.02.2022 im Bundestag eine Zeitenwende verkündete. Damit meinte er eher eine politische 180-Grad-Wende: Deutschland will Waffen an die Ukraine liefern und unterstützt weiterhin harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Vor allem aber kündigte Olaf Scholz an, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung zu bilden, das im Grundgesetz verankert werden soll und wie schon lange von den USA gefordert, dauerhafte Rüstungsausgaben von über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr bereitzustellen.

Besonders die älteren SPD-Mitglieder, das sind vielfach Menschen, die noch die Parteischulungen engagiert mitgemacht haben und die Parteigeschichte aus dem Effeff aufsagen können, wollten es nicht wahrhaben, was sie da hörten. Hatten sie doch sofort Kaiser Wilhelm vor Augen, der bei Kriegsbeginn 1914 keine Parteien mehr kannte, sondern nur noch Deutsche und erinnerten sich an den mutigen Karl Liebknecht, der als SPD-Reichstagsabgeordneter gegen die Kriegskredite stimmte und dafür in seinem weiteren kurzen Leben schlimm büßen musste.

Zeitenwende wird verkündet

Als russische Truppen am 24. Februar 2022 die Ukraine angriffen, warfen führende deutsche Sozialdemokraten praktisch über Nacht jahrzehntelang bewährte Grundsätze der Friedenssicherung über Bord. Bundeskanzler Scholz hatte am 27.02 2022 im Bundestag eine Zeitenwende verkündet und erklärt, dass die Welt danach nicht mehr dieselbe wie die Welt davor sei.

Der Zuschauer konnte die Ergriffenheit der meisten Fraktionsmitglieder der SPD, an einem so historisch einzigartigen Moment teilzuhaben, förmlich spüren. Dabei wurde die Fraktion von Scholz, wie so oft, völlig überrumpelt. Bevor der Kanzler seine Regierungserklärung im Bundestag abgab, tagte die SPD-Fraktion. Dort verlor er kein Wort über den Plan und nicht einmal die Spitze seiner eigenen Fraktion war, im Gegensatz zu Finanzminister Lindner von der FDP, eingeweiht und das bei einem solchen Hammerprojekt:

  1. Es sollen 100 Milliarden Euro als Sonderzahlung zusätzlich zu den ohnehin schon vom Verteidigungshaushalt veranschlagten 50,3 Milliarden in die Aufrüstung gesteckt werden. Dieses Geld ist das Vierfache des Gesundheitsetats und das Zwölffache des Etats für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die 100 Milliarden Euro sind auch das 100-Fache dessen, was die Ampelkoalition nach zwei Jahren Pandemie als Pflegebonus auszugeben bereit ist und knapp das Doppelte, was für Kredite für „Klimaschutz und Digitalisierung“ veranschlagt wurde.
  2. Bisher gehörte es für die SPD vorgeblich zur Staatsräson, Waffen nicht in Krisen- und schon gar nicht in Kriegsgebiete zu liefern. Auch dieses Tabu wurde mit der Lieferung von 500 „Stinger“-Raketen, 1.000 Panzerfäusten und 2.700 Luftabwehrraketen aus NVA-Beständen in das Kriegsgebiet Ukraine gebrochen.
  3. Der Verteidigungsetat wird künftig das Zwei-Prozent-Ziel der Nato übererfüllen und es sollen sogar „mehr als zwei Prozent“ des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung investiert werden. Bislang galten schon 1,5 Prozent als ambitioniert. Bei einer Wirtschaftsleistung von 3,57 Billionen Euro sind das über 71,4 Milliarden Euro, knapp 25 Milliarden mehr, als im vergangenen Jahr verausgabt wurden.

In der sonntäglichen Sondersitzung des Bundestags erinnerte Bundeskanzler Olaf Scholz an sein auf der einige Tage vorher stattgefundenen Münchner Sicherheitskonferenz abgegebenes Versprechen zur militärischen „Ertüchtigung“ und Aufrüstung der Bundeswehr. Seine Ausführungen wirkten wie eine Aufführung, einstudiert und effekthaschend, mit Pausen und vorgeblichen Emotionen. Dabei bekam er viel Beifall und sogar manche stehende Ovation, besonders von den Abgeordneten der Regierungsparteien.

Dann ging Olaf Scholz auf die fünf Handlungsaufträge ein, die seiner Meinung nach von der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Regierung gemeistert werden müssen:

Deutschland

  • müsse der Ukraine Waffen zur Verteidigung liefern,
  • müsse und werde das Sanktionspaket der EU und anderer Verbündeter gegen Russland aktiv mittragen,
  • werde seine Verteidigungsverpflichtungen gegenüber anderen NATO-Mitgliedsstaaten, insbesondere durch Stützpunkte in Litauen, Rumänien, der Slowakei sowie durch Aktivitäten in der Nord- und Ostsee, dem Mittelmeerraum und im Luftraum speziell in Osteuropa erfüllen,
  • werde zur Ertüchtigung der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auflegen und mehr als 2 Prozent seines BIP für Verteidigung festschreiben sowie seine Energieversorgung durch den Ausbau erneuerbarer Energieerzeugung im Hinblick auf C0-2-Neutralität bis 2045 und den Aufbau von Kohle- und Gasreserven sichern und auch seine Importabhängigkeit abbauen

und Deutschland werde sich für die weitere Stärkung von EU, NATO und weltweiter Demokratie einsetzen.

Nach diesem „Februarerlebnis“ im Bundestag reden nun fast alle Sozialdemokraten so, als sei ihnen die riesige Aufrüstung der Bundeswehr mit modernsten Kampfpanzern, Kampfflugzeugen, Kampfschiffen und Kampfdrohnen schon immer eine Herzensangelegenheit gewesen und niemand in der SPD hätte jemals die von der Nato verlangte Steigerung der Verteidigungsausgaben angezweifelt.

So konnte der Bundeskanzler auch der Grundgesetzänderung in Verbindung mit dem geplanten Bundeswehr-Sondervermögen, für die eine Mehrheit von zwei Drittel der Mitglieder des Bundestags erforderlich ist, Anfang Juni 2022 gelassen entgegensehen.

Grundgesetzänderung (Artikel 87a) am 3. Juni 2022

Die Grundgesetzänderung, die die wesentlichen Bestimmungen des Sondervermögens zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit in der Verfassung verankern soll, fand am Freitag, dem 3. Juni 2022 im Deutschen Bundestag statt. Konkret sollte dadurch festgelegt werden, dass die Kreditaufnahme des Sondervermögens mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro nicht auf die Schuldenregel des Artikels 115 des Grundgesetzes angerechnet wird. Dafür wurde im Grundgesetz ein neuer Absatz 87a eingefügt.

Das Gesetz wurde mit 568 Stimmen der SPD, der CDU/CSU, der Grünen, der FDP und Teilen der AfD angenommen. 96 Abgeordnete darunter von den Linken und der AfD und 8 von der SPD stimmten gegen die Grundgesetzänderung.

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Von den 205 SPD-Abgeordneten haben 191 dafür, 8 dagegen gestimmt, 0 sich enthalten und 6 waren nicht beteiligt.

Die 8 Nein-Stimmen der SPD kamen von

Jan Dieren / Krefeld II – Wesel II

Axel Echeverria / Ennepe-Ruhr-Kreis II

Jessica Rosenthal / Bonn

Tina Rudolph / Eisenach – Wartburgkreis – Unstrut-Hainich-Kreis

Nadja Sthamer / Leipzig II

Ruppert Stüwe / Berlin-Steglitz-Zehlendorf

Erik von Malottki / Mecklenburgische Seenplatte I – Vorpommern-Greifswald II

Carolin Wagner / Regensburg

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Art 87a – lautet nun:

„(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen“.

Seit Jahren steigen die Verteidigungsausgaben schon

In der SPD verliert niemand mehr ein Wort darüber, dass der Verteidigungshaushaltsposten schon seit 7 Jahren überproportional kontinuierlich steigt, von 33 Milliarden Euro 2015 auf 50,3 Milliarden im Jahr 2022 und dass Deutschland fast so viel Geld ins Militär pumpt, wie Russland. Kaum jemand in der SPD stellt derzeit die Frage, warum ein 100 Milliarden Sondervermögen benötigt wird, wenn doch nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI, die USA 39 Prozent der weltweiten Militärausgaben bestreiten, Russland nur 3,1 Prozent und die Ausgaben der europäischen Nato-Mitglieder die Ausgaben Russlands um das Sechsfache übersteigen. Weil keiner in der Partei die Antwort hören möchte, die da lauten könnte, dass die 100 Milliarden Euro für eine Änderung der weltpolitischen Strategie Deutschlands benötigt werden.

Hier wäre ein Blick in die Parteigeschichte angebracht.

Wilhelm II., Karl Liebknecht, Hugo Haase und der Burgfrieden

Die im Bundestag herrschende Stimmung am 27.02.2022 erinnerte den patriotischen Taumel, der Wilhelm II. in seiner ersten Kriegsrede im Ersten Weltkrieg am 4. August 1914 zu dem berühmten Ausspruch veranlasste, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche.

Grund der Rede war die deutsche Kriegserklärung an Russland, weil das Land der ultimativ gestellten deutschen Aufforderung zur Rücknahme seiner Generalmobilmachung nicht nachgekommen war. In seiner Rede dankte der Kaiser den Versammelten für ihre „Liebe und Treue“ in den Tagen der diplomatischen Krise und beschwor die nationale Einheit. Dann gewährte er seinen innenpolitischen Gegnern, namentlich der Sozialdemokratie, mit einer pathetisch rhetorischen Geste „Vergebung für ihre Angriffe in der Vergangenheit“. Er gelobte feierlich, er kenne „keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr“, stattdessen seien „wir […] heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder“.

In seiner folgenden Reichstagsansprache griff er diese Wortwahl auf, als er verkündete: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“. Dann folgten laut amtlichem Protokoll der Reichstagssitzung die Worte des Reichstagspräsidenten Dr. Kaempf: „Wir kommen nunmehr zur Gesamtabstimmung. Ich bitte die Herren, die in der Gesamtabstimmung in dritter Lesung den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Feststellung eines zweiten Nachtrags zum Reichshaushaltsetat für das Rechnungsjahr 1914 annehmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. (Geschieht. Rufe: ‚Einstimmig!‘ – Zuruf: ‚Gegen eine Stimme!‘) Es ist, soweit ich sehen kann, einstimmig – mit Ausnahme eines einzigen Abgeordneten. (Stürmische Bravorufe und Händeklatschen.)“
Die einsame Gegenstimme kam von Karl Liebknecht.

In seiner Erklärung, die in handschriftlichen Kopien in der Parteibasis kursierte, schrieb er. „Der Krieg ist kein deutscher Verteidigungskrieg“ und entlarvte die von der SPD-Mehrheit mitgetragene Rechtfertigungslüge der kaiserlichen Regierung. Es handele sich vielmehr um einen „von der deutschen und österreichischen Kriegspartei (…) hervorgerufenen Präventivkrieg“, „einen imperialistischen Krieg, einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des Weltmarktes“.

Das Pressebüro der SPD warnte die sozialdemokratischen Zeitungen vor strafrechtlichen Folgen bei Abdruck der Erklärung von Karl Liebknecht. Auch der SPD-Fraktionsvorstand reagierte umgehend und drückte im Parteiorgan Vorwärts in einer Erklärung sein tiefes Bedauern über Liebknechts „entgegen dem alten Brauch der Fraktion“ erfolgten Disziplinbruch aus.

Für Karl Liebknecht war es klar, dass sein Abstimmungsverhalten den völligen Bruch mit der Führung der SPD bedeutete, entstammte er doch einer Familie, in der die Gegnerschaft zu Militarismus und imperialen Kriegen zur Tradition gehörte. Sein Vater, Wilhelm Liebknecht, ein Mitbegründer der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, hatte 44 Jahre zuvor während des Deutsch-Französischen Krieges im Reichstag des Norddeutschen Bundes gegen die Kriegskredite gestimmt und wurde für diese internationalistische Haltung inhaftiert.

Nicht nur der Druck der Partei nahm für Karl Liebknecht zu, auch die staatlichen und polizeilichen Mühlen begannen zu mahlen. Neben den Bedrohungen seines Lebens wurde er aufgrund einer allerhöchsten Entscheidung als Bausoldat in ein Arbeiterbataillon „an der Grenze der Monarchie, aber nicht in eine größere Stadt“ per Gestellungsbefehl eingezogen. Damit unterlag er ab dem 7. Februar 1915 der Militärgesetzgebung und gleichzeitig war ihm jegliche politische Betätigung außerhalb des Parlaments verboten.

Aber noch einmal zurück zur Abstimmung über die Bewilligung der Kriegskredite.

Um bei der Abstimmung keine Überraschung zu erleben, führte die SPD-Fraktion am Vorabend der Sondersitzung des Reichstags zur Bewilligung der Kriegskredite eine Probeabstimmung durch. Dabei stimmten 78 Abgeordnete für die Kriegskredite und 14 dagegen. Zur überstimmten Minderheit zählte der Fraktionsvorsitzende Hugo Haase, der dem linken Flügel der Partei angehörte und ein überzeugter Pazifist war. Schon als junger Anwalt hatte er viele im Kaiserreich verfolgte Sozialdemokraten verteidigt, war gegen das Wettrüsten aufgetreten und sah sich deshalb außerstande, fünf Milliarden Reichsmark für den angeblichen „Verteidigungskrieg“ gegen Russland zu genehmigen.

Weil die Mehrheit der SPD-Abgeordneten für die Abstimmung am nächsten Tag aber Fraktionszwang beschlossen hatte, musste der Pazifist Hugo Haase im Reichstag nun als SPD-Fraktionsvorsitzender das Ja der SPD gegen seine innere Überzeugung verkünden. Er wusste noch nicht, dass der Fortgang des Krieges seine Partei, die SPD, bald zerreißen würde. Schon nach einigen Kriegsmonaten beschimpften ihn eigene Genossen im Parlament als „Drecksseele“, „Halunken“ und „Verräter“, weil er immer noch den Kriegskurs der Regierung kritisierte. Schließlich wurde er wegen seiner pazifistischen Haltung aus Fraktion und Partei ausgeschlossen und gründete 1917, mit anderen Kriegsgegnern, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD).

All diese Strafmaßnahmen konnten jedoch nicht verhindern, dass die Burgfriedenspolitik, mit der innenpolitische Konflikte und wirtschaftliche Auseinandersetzungen zurückgestellt werden sollten, zerbrach. Als der Krieg keine schnellen Erfolge hervorbrachte und die Bevölkerung unter der hohen Opferzahl und den Wirtschafts- und Versorgungsproblemen litt, kam es wieder zu Streiks und Protesten und schon 1916 war der Burgfrieden dann endgültig beendet.

Bis zum Ende des 1. Weltkrieges fanden neun Millionen Soldaten und sechs Millionen Zivilisten den Tod.

Hugo Haase wurde am 8. Oktober 1919 von Johann Voß, einem angeblich psychisch erkrankten Lederarbeiter durch Revolverschüsse verletzt. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert und war auf dem Weg der Besserung, als er am 7. November 1919 überraschend im Alter von 56 Jahren an einer Sepsis verstarb.

Karl Liebknecht wurde am 15. Januar 1919 zusammen mit Rosa Luxemburg von deutschen Militärs ermordet.

Letztlich führte die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten und somit zum ersten Weltkrieg zur Spaltung der SPD und der Arbeiterbewegung, die bis heute anhält.

Der neue Burgfrieden

Das aktuell geplante Rüstungspaket 2022 hat ohne Probleme den Bundestag passiert. Auch im Bundesrat war die Zwei-Drittel-Mehrheit sicher, da die vier Regierungsbeteiligungen der Linken für eine Sperrminorität nicht gereicht hätten.

Das Vorhaben der Ampelkoalition, die gigantische Aufrüstung sogar im Grundgesetz zu verankern, ist mit dem neuen Burgfrieden ohne Probleme möglich geworden, eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine Änderung des Grundgesetzes galt schon in der Sondersitzung des Bundestages im Februar als sicher.

Der neue Burgfrieden sieht so aus, dass

  • eine riesige Koalition aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP entstanden ist, die meint, länger als eine Legislaturperiode zusammenarbeiten zu können und eine kontinuierliche Aufrüstung in den Verfassungsrang gehoben hat. Dadurch möchte sie gewährleisten, dass zukünftige, anders zusammengesetzte Koalitionen das Megarüstungsprogramm weder stoppen, kürzen oder verändern können, weil es in Verfassungsstein gemeißelt ist.
  • alle Beteiligten den Trick der Regierung, die angekündigte Aufrüstung ausschließlich über neue Schulden zu finanzieren und das Ganze „Sondervermögen“ zu nennen, als besonders clever und als tollen Coup loben. Wenn nämlich das 100-Milliarden-Programm zur Förderung der Rüstungsindustrie durch Steuererhöhungen finanziert werden müsste, käme es voraussichtlich zu größeren Widerständen. Als „Paket Sondervermögen“ geschnürt, werden die Vermögen der Reichen und Superreichen verschont und die Kosten bei den Beschäftigten und Sozialleistungsbeziehern eingespart.
  • bei einer offiziellen Inflationsrate von über 10 Prozent im Sommer 2022 Bundeskanzler Scholz die „Sozialpartner“ zu einer „konzertierten Aktion“ eingeladen hatte, bei der man die Gewerkschaften eingehegt hat und davon abhielt, ihre zukünftigen Lohnforderungen in Höhe der Inflationsrate zu stellten

und

es in Wahrheit um autoritäres Durchregieren geht und die Bevölkerung, coronagestählt, möglichst kritiklos „unpopuläre“ Maßnahmen mitmacht und immer mehr bereit ist „neue Realitäten und radikale Kurswechsel“ hinzunehmen.

„Es geht auch nicht darum, die deutschen Soldaten, sondern die ganze Gesellschaft auf die neuen Aufgaben vorzubereiten“

Um die Bevölkerung auf die „neue Politik“ einzuschwören und auf „die neuen Aufgaben“ vorzubereiten, brauchte es einige Anstrengungen und einen langen Zeitraum von 30 Jahren.

In diesem Zusammenhang sei noch einmal an das Interview mit den „Blätter“ im Jahr 1992 erinnert, in dem der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe, gelernter Lehrer mit CDU-Parteibuch, sagte: „Niemand sollte erwarten, dass die Übernahme neuer Aufgaben in der Außenpolitik über Nacht geschieht. Die in vierzig Jahren gewachsenen Instinkte der Menschen lassen sich nicht einfach wegkommandieren. Deswegen müssen wir Schritt für Schritt vorgehen. Es geht auch nicht darum, die deutschen Soldaten, sondern die ganze Gesellschaft auf die neuen Aufgaben vorzubereiten“.

Vielleicht sollten sich die SPD-Mitglieder die Sätze von SPD-Mitglied Egon Bahr in Erinnerung rufen, die er am 3. Dezember 2013 im Gespräch mit Schülern im Rahmen der „Willy-Brandt-Lesewoche“ im Friedrich-Ebert-Haus Heidelberg sagte: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte, es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Vor allem aber sollten sich die Mitglieder der Sozialdemokratie an den mutigen und aufrichtigen Karl Liebknecht erinnern!

——————————

Der Beitrag erschien bereits am 12.05.2022 auf https://gewerkschaftsforum.de/ und wurde aktualisiert.

Quellen: VVN-BdA, taz-berlin, Süddeutsche Zeitung, der Freitag, Sebastian Haffner-Geschichte der SPD, Wilma Ruth Albrecht, Junge Welt  
Bild: SPD-Tobias Schwarz/AFP 

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Wärmstens empfohlen: Zeitschrift INTERNATIONAL

Heute erlaube ich mir, meine geschätzten Leserinnen und Lesern, auf ein interessantes unabhängiges Medium aufmerksam zu machen. Ich lege es Ihnen wärmstens ans Herz. Doch bevor ich dazu komme, möchte ich Ihnen einen Ausschnitt aus meinem früheren Beitrag „Eingenordeter Journalismus“ zur Kenntnis zu bringen:

«Der deutsche Journalismus ist – in meinen Augen jedenfalls – seit 2014 (Ukraine-Krise, Maidan-Putsch) gewaltig auf den Hund gekommen. Was Deutschland anbelangt arbeitet er längst nicht mehr im Sinne der vierten Gewalt. Wie immer und überall bestätigen Ausnahmen die Regel. Nun aber in zwei Jahren Corona-Krise ist anscheinend ein vorläufiger Tiefstand erreicht. Alle elektronischen Medien führen vom frühen Morgen bis tief in den Abend hinein Corona im Mund. Die Zeitungen stehen dem nicht nach. Da hilft nur Abschalten bzw. abbestellen. Alle Medien sind quasi als Regierungssprecher tätig. Das Corona-Regierungsnarrativ wird hoch und runter unkritisch nachgebetet. Doch damit nicht genug: Einzelne Medien stechen da noch übel heraus, indem sie die von der Regierung erlassenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung als zu lasch bezeichnen und eigene Vorschläge zur Verschlimmbesserung und ein härteres Kujonieren der Bevölkerung fordern und auf die Titelseiten knallen.

Ähnlich ging es bereits in der Ukraine-Berichterstattung vonstatten. Es zählte das Narrativ der Regierung. Das es oft an der Realität vorbeiging, interessierte den deutschen Journalismus nicht.

Damals brachte, konnte uns und erst recht heute kann uns das auf den Gedanken bringen, betreffs der Medien, des Journalismus finde eine Gleichschaltung statt. Oh, böses Wort! Negativ konnotiert. Weil an die Nazizeit erinnernd. Das darf man heute weder sagen, noch schreiben. Böse, böse!

Man muss es aber auch nicht benutzen. Denn da bin mir nämlich ziemlich sicher: eine solche Gleichschaltung findet auch gar nicht statt. Das funktioniert subtiler. Gerade die Printmedien sind in unseren Tagen aus vielerlei Gründen klamm. Anzeigen sind weniger geworden. Und auch die Zahl der Abonnenten geht zurück. Der Weltenretter Bill Gates, der erstaunlicherweise als „Philanthrop“ durchgeht, rückt ausgewählten Medien über die Bill & Melinda Gates Stiftung schon einmal ein bissel Kohle rüber. Der SPIEGEL etwa erhielt von der Stiftung zweimal (2018 und 2021) über zwei Millionen Euro. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Das bringt natürlich das einstige Nachrichtenmagazin, das mal versprochen hatte zu sagen, was ist und gerade seinen siebzigsten Geburtstag feiert, keineswegs dazu, in Gates Sinne zu publizieren.« (Quelle: clausstille.blog)

Inzwischen – im Ukrainekrieg – ist alles noch einmal viel schlimmer geworden. In den öffentlich-rechtlichen Medien springt einem fast nur noch Propaganda und Kriegshetze entgegen. Andere, dazu kritische, Meinungen werden niedergemacht und die Personen, die sie äußern diffamiert. Manche müssen mit Kontosperrungen rechnen oder verlieren gar ihre Anstellung.

Als ehemaliger DDR-Bürger betrachte ich diese negative Entwicklung des Journalismus noch einmal kritischer als dies vielleicht Menschen tun, welche im Westen sozialisiert wurden. Ich schaute ja über in der DDR zu empfangende Medien über die Mauer auf eine vielfältig, plurale Medienlandschaft in der BRD. Natürlich war auch da nie alles Gold was glänzte. Heute jedoch ist diese Medienpluralität kaum mehr vorhanden – sozusagen eingedampft.

Selbst war ich bereits ab der Schulzeit (Schulzeitung) journalistisch und später dann neben dem Brotberuf weiter ehrenamtlich tätig. Nun, nachdem ich auch für zwei Straßenmagazine (in Deutschland und der Schweiz) arbeitete, betreibe ich seit einiger Zeit diesen Blog hier. Zunehmend steigt meine Sorge nicht nur um den Zustand des Journalismus, sondern auch um den der Demokratie, beziehungsweise das, was davon noch übrig ist und immer mehr beschädigt wird. Ein alarmierender Zustand. Ich schließe mich dem an, was Fritz Edlinger (74) sagt: „Es ist genug!“ Wir, die wir noch Vernunft und Verstand besitzen, dürfen diese bedenkliche Entwicklung von Politik und Medien nicht länger hinnehmen. Im Interesse unserer Gesellschaft und des Weltfriedens, der gefährdeter als zu Zeiten des Kalten Krieges ist.

Ein journalistischer Lichtblick für mich war das Erscheinen der NachDenkSeiten. Daneben gibt es freilich noch andere Publikationen, die gemeinhin als Alternativmedien bezeichnet werden.

Wann ich genau auf die You Tube-Beiträge der Zeitschrift International stieß, kann ich nicht mehr genau sagen. Nur soviel: Ich kann und werde auf sie nicht mehr verzichten. Ein wahre journalistische Bereicherung. Dem Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift, Fritz Edlinger, ein jung gebliebener Jungsozialist, welcher sich auch jetzt, wo viele Genossen sich nur mehr als Sozialdemokraten bezeichnen, noch immer als Sozialist begreift, ist für sein Engagement sehr zu danken. Dass es durchaus interessant ist, jemand, der vor genau 45 Jahren eine außenpolitische/internationalistische Zeitschrift ins Leben gerufen hat, zu Wort kommen zu lassen, dachte sich der Begründer des höchst erfolgreichen YouTube Kanals „neutrality studies“, Pascal Lottaz, und führte mit dem befreundeten Fritz Edlinger ein Interview.

Pascal Lottaz interviewt Fritz Edlinger

Darin erfahren Sie alles über die Gründung und den Werdegang der österreichischen Zeitschrift INTERNATIONAL. Ich empfehle Ihnen, liebe Leserinnen und Leser dieses interessante Interview, verbunden mit der Hoffnung, dass sie es nicht nur weiterempfehlen, sondern womöglich diesen Kanal auch abonnieren. Und wenn sie mögen vielleicht sogar das Printmedium Zeitschrift INTERNATIONAL im Abonnement ordern.

Fritz Edlinger schreibt zum Interview:

«Mit diesem Newsletter möchte ich Sie/Dich auf ein Video hinweisen, das es in dieser Form seit Bestehen des YouTube Kanals von INTERNATIONAL noch nicht gegeben hat und es auch kaum in der weiteren Zukunft geben wird. In diesem Video gibt es einen absoluten Rollenwechsel: der Interviewer wird zum Interviewten. Das folgende Gespräch hat also unser Freund, Partner und Begründer des höchst erfolgreichen YouTube Kanals „neutrality studies“, Pascal Lottaz, mit mir geführt. Die Initiative dafür kam von Pascal, der meinte, dass es durchaus interessant ist, jemand, der vor genau 45 Jahren eine außenpolitische/internationalistische Zeitschrift ins Leben gerufen hat und der in einer völlig geänderten politischen Situation dieses Projekt nicht nur weiter führen sondern auch – gegen den aktuellen politischen und medialen Zeitgeist ankämpfend – weiter ausbauen möchte, näher kennen zu lernen. Ich habe diese Idee nach kurzem Zögern akzeptiert und hier ist also das Resultat: Ein alter Jungsozialist meint, dass es genug ist an Verhetzung, Verbreitung von Halbwahrheiten und Lügen bis hin zur menschenverachtenden Kriegshetze. Dagegen muss man  sich einfach engagieren und INTERNATIONAL bietet sich als Partner einer neuen Friedensbewegung an. Ich hoffe, dass es Pascal und mir gelungen ist, diese wichtige Message zu vermitteln und würde mich über Stellungnahmen sehr freuen.«

Unter dem Video kommentiert eine Zuseherin: „Vielen Dank, ich bin froh, dass auch ich geistiges Asyl bei euch gefunden habe.“

Dies kann ich so für mich auch unterschreiben. Der Satz dürfte sich auf eine Äußerung von Fritz Edlinger beziehen, der sagte, INTERNATIONAL bekomme in letzter Zeit immer öfters Anfragen von Autoren, welche ihre Texte in ihrem Land von den Redaktionen dortiger Medien nicht abgenommen bekommen, mit der Bitte, dass INTERNATIONAL sie veröffentlichen möge.“ So sei INTERNATIONAL sozusagen zum Asyl für anderswo abgelehnte Autoren und deren Artikel geworden.

Zur Zeitschrift INTERNATIONAL:

Beitragsbild: Fritz Edlinger via snapshot/You Tube

Vom Albtraum der Faeser-Demokratie

Götzendienst-Polizei überwacht den Diskurs: Es geht nicht mehr um Wahrheit, sondern nur noch um Gefolgschaftstreue oder Verrat

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Nancy Faeser. Ihr Vorname bedeutet „die Begnadete“. Dafür kann sie nichts. Für ihre anmaßende und engstirnige Herrschsucht aber schon. „Ich-kann-mich-nicht-erinnern“-Kanzler Scholz nahm sie trotzdem (deswegen?) in sein Ampel-Ensemble auf. Seither hütet Nancy unser Grundgesetz ein und erweist sich gnadenlos als Fehlbesetzung: als fleischgewordener Widerspruch zum Freiheitsideal unserer Ersatz-Verfassung. Scholz‘ und Faesers SPD liegt im verdienten Trend: Nur noch 15 Prozent erreicht sie im April gemäß „Deutschlandtrend“ des Instituts infratest dimap.

Faeser, die Verfassungsschutz-Ministerin: Wir reden hier nicht von Stilfragen und Petitessen. Sondern vom gänzlich fehlenden Demokratieverständnis einer Politikerin, die nicht einmal versucht, das Grundgesetz „unterm Arm und im Bewusstsein“ zu tragen. Die bürgerlichen Freiheitsrechte interpretiert sie nach Gutdünken. Politische Konkurrenten erklärt sie zu Demokratiefeinden. Widerspruch gegen die Regierungslinie hält sie für etwas, das vom Geheimdienst überwacht und eigentlich verboten gehört. All dies liegt im „Zeitgeist“ und im deutschen Genom: Unter Beifall der Massen mehr und mehr Überwachung, mehr Bevormundung, mehr herbeigepresster mentaler Gleichschritt. Die Historie der Mehrheits-SPD ist dafür beispielhaft.

Faesers manischer Kontrollzwang zeigte sich schon beim Regierungsantritt der Ampelkoalition. Die hatte eigentlich vertraglich vereinbart, „Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht“ abzulehnen. Doch die erste Frau an der Spitze des Innenministeriums wollte trotzdem und will den staatlichen Zugriff auf den privaten Gedankenaustausch.

Noch ist nach geltenden EU-Regeln die Online-Kommunikation vertraulich: Internet-Dienste

dürfen nicht mithören, abhören, speichern oder auf andere Arten abfangen oder überwachen“.

Damit soll bald Schluss sein. Die Chat-Kontrolle und Erniedrigung des Bürgers zum Objekt der Gedankenpolizei könnte auf demokratiefernem Umweg über Brüssel nach Deutschland kommen.

Beweislast-Umkehr

Apropos Demokratieferne: Im Nachgang zur sogenannten „Reichsbürger-Razzia“ stellte Faeser ihr autoritäres Denken in der Talksendung „Maischberger“ unter Beweis. Man wolle bei den „Feinden der Demokratie noch genauer hingucken“. Beispielsweise das Disziplinarrecht für Angestellte im Öffentlichen Dienst so umgestalten, dass es künftig viel einfacher sein werde, Dissidenten zu „entfernen“. Für eine Kündigung reiche dann der bloße Verdacht auf „Demokratiefeindlichkeit“. Faeser:

Da muss man die Möglichkeit haben, jemanden schnell rauszubekommen“.

Betroffenen stehe ja der Rechtsweg offen.

Das stellt eine rechtsstaatsfeindliche Beweislast-Umkehr dar: Nicht mehr muss der öffentliche Arbeitgeber die Schuld seines Bediensteten nachweisen, sondern der Beschuldigte seine Unschuld. Faeser fand das „eine gute Idee“.

Ihren „Chef“, den Kanzler, beeindruckt dieser herrschsüchtige Stil: Er findet seine Genossin

eine großartige Frau, die große Dinge kann“.

Zwei regierende Volljuristen im Umgang mit der Demokratie.

Wer ihrer politischen Agenda entgegentritt, dem wird flugs unterstellt, er mache den Staat verächtlich. Faesers stramme Behauptung:

Ziel der Rechtsextremisten ist es, die freiheitliche Demokratie abzuschaffen.“

Da wollen Welche Faesers weißen Schimmel („freiheitliche“ Demokratie) zum Abdecker bringen? Das geht gar nicht.

Der Regierungspopanz

Historische und aktuelle Fakten sprechen sowieso gegen Faesers maßlose Übertreibung. Die Bundesrepublik ist bis heute nie einer existenziellen Gefährdung seitens der Rechtsextremen ausgesetzt gewesen. Denen war und ist sie viel zu lieb. Sie bot in der unmittelbaren Nachkriegszeit Alt-Nazis und Rechtsextremisten lukrative Unterbringung, Arbeit und Versorgung und ließ sie bis in höchste Ämter aufsteigen.

Auch in späteren Jahren – nach dem Anschluss der DDR an die BRD – war der Rechtsextremismus trotz seiner medialen Präsenz und seiner Hervorhebung in ungezählten politischen Sonntagsreden keine „Gefahr für die Demokratie“. Ein paar nüchterne Zahlen:

Vor mehr als 30 Jahren (1993) hatte der Rechtsextremismus im Nachkriegs-Deutschland seinen personellen Höchststand: 64500. Seither ist er rückläufig, jüngste Zählung: 38800 Rechtsextreme. Das sind gerade mal 0,06 Prozent (!) der rund 67,5 Millionen Erwachsenen. 1992 wurde die bisher höchste Zahl rechtsextremistisch motivierter Morde gemeldet: 32 Fälle. Neuerdings bewegt sich auch die Anzahl solcher Verbrechen nur mehr im einstelligen Bereich.

Welche Konsequenzen zog die Justiz? Seit 1970 wurden 226 rechtsextreme Täter angeklagt. In letzter Instanz wurden sie fast durchweg nicht wegen Mord, sondern „nur“ wegen Körperverletzung mit Todesfolge oder wegen Totschlags verurteilt. Lediglich 15 Prozent der Angeklagten erhielten „lebenslänglich“.(ebd.)

Morde, gleich aus welchem Motiv, spielen in Deutschland eine absolut marginale Rolle: Jährlich werden 0,3 Morde pro 100 000 Einwohner verübt. Zum Vergleich: In den ach so bewunderten USA sind es 6,81 Morde. Fast 23-mal mehr.

Meinungsmache statt Aktion

Wer angesichts dieser Zahlen glaubt, die rechtsextremistische Szene in Deutschland gefährde unsere Fassaden-Demokratie, hat den Gürtel schon reichlich eng ums Gehirn geschnallt.

Über eine neuere Untersuchung (2023) der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zum Rechtsextremismus berichtete die Tagesschau:

Immer mehr Deutsche teilen laut einer Studie rechtsextreme Einstellungen. Demnach hat sich ihr Anteil im Vergleich zu den Vorjahren praktisch verdreifacht.”

Das ist wegen des willkürlich gewählten und nicht präzise begrenzten Vergleichszeitraums irreführend, es läuft auf propagandistische Panikmache hinaus. Die Studie weist anhand typisch rechtsextremer Denkmuster aus, dass sich derzeit lediglich 6 Prozent der Befragten „eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer für Deutschland“ wünschen. Der ganz ähnlichen Frage für eine Studie der Universität Leipzig („Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“) hatten anno 2002(!) noch 19 Prozent der Teilnehmer zugestimmt. Legt man diese Zahlen zugrunde, haben sich die rechtsextremistischen Neigungen seither nicht verdreifacht, sondern gedrittelt.

Die FES schreibt zwar 8 Prozent der deutschen Wahlberechtigten ein rechtsextremes Weltbild zu (2023), die parteiunabhängige und damit glaubwürdigere Leipziger „Autoritarismus-Studie“ dokumentiert (2022) dagegen nur 2,7 Prozent. Eine mögliche Erklärung für den krassen Unterschied: Die Friedrich-Ebert-Stiftung wird vom Staat mit mehr als 40 Millionen Euro bezuschusst (Stand 2021: 39,3 Millionen Euro). Wes Brot ich ess‘ … Die von der Tagesschau erwähnte Studie war von Faesers SPD in Auftrag gegeben worden.

und schon bist du Demokratiefeind

71 Prozent der AfD-Wähler haben durchaus kein „geschlossen rechtsextremes Weltbild“. Der mindere Rest wählt laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung dies oder das: 29 Prozent AFD, 6 Prozent CDU, 5 Prozent Die Linke, 5 Prozent FDP, 4 Prozent SPD und 2 Prozent Die Grünen.

Beachtenswert an der FES-Studie ist, dass sie die (begründete, berechtigte) Kritik der Bürger an Staat und Gesellschaft unter „demokratiegefährdend“ rubriziert:

Der Anteil potenziell demokratiegefährdender Positionen ist gestiegen. So denken beispielsweise inzwischen 32 Prozent, die Medien und die Politik würden unter einer Decke stecken (2020/21: 24 Prozent). Zudem stimmen in der aktuellen Mitte-Studie mit 30 Prozent fast doppelt so viele Befragte wie noch vor zwei Jahren der Aussage zu: ‚Die regierenden Parteien betrügen das Volk.‘“

Hoppla! Ein mit Millionen Euro Staatsknete gemästeter Sozi-Verein diffamiert hier freihändig die Kritik souveräner Bürger als „potenziell demokratiegefährdend“? Er unterfüttert damit die heuchlerischen Äußerungen der kritikempfindlichen Regierung. Die projiziert aus machtpolitischen Motiven das Gruselbild vom angeblich staatsgefährdenden Rechtsextremismus an alle erreichbaren Wände. Und stößt damit gleich sämtliche Kritiker der Ampel vor den Kopf.

Retourkutsche: Nähme man aggressive Kriegsgeilheit als Merkmal für rechtsextremistische Gesinnung (vor 40 Jahren gehörte das hüben und drüben zum politischen Anstand), so müsste man unzählige Sprüche aus Ministermäulern sofort auf den Index stellen. Übrigens: Im Vorfeld der EU-Wahlen wird ganz ungeniert auch über Bündnisse der „demokratischen“ Parteien mit rechtsextremen Gruppierungen spekuliert. Die Kampagnen gegen den Rechtsextremismus sind daher unaufrichtig bis hinters letzte Komma.

Die beträchtlichen Wahlerfolge der AfD sind ihren parlamentarischen Konkurrenten ein Dorn im Auge. Die AfD hat es trotz ihres unappetitlich „völkischen“ Anteils im Funktionärsapparat geschafft, erhebliche Teile aus den eher konservativen Wählerschichten aller Parteien für sich zu gewinnen. Protestwähler.

Der Platz an den Fleischtöpfen

Die Altparteien fürchten weitere Wählerverluste, gestehen sich jedoch nicht ein, dass sie selbst der AfD die Wähler in die Arme treiben: Die Regierung verpulverte schon mindestens 30 Milliarden Euro für hirnverbrannte Kriegsbeteiligung in der Ukraine, schiebt den dortigen Plutokraten und Neonazis heuer weitere 7 Milliarden in den Rachen, verursacht hierzulande Inflation von beängstigendem Ausmaß, unternimmt andererseits aber nichts Systematisches gegen die zunehmende Armut. Sie delegitimiert und kriminalisiert abweichende Meinungen und findet Appelle für Frieden und Abrüstung strafwürdig.

Aus Angst um ihren Platz an den Fleischtöpfen des Politikbetriebes, der ihnen von AfD und (neuerdings) BSW genommen werden könnte, betreiben sie Feindbildpflege und spalten die Gesellschaft. Wer ihrem Narrativ nicht folgt und eigenständige Ansichten vertritt, wird als „Extremist“, „Verschwörungstheoretiker“, „Putinversteher“, „Corona-Leugner“ oder gar „Antisemit“ etikettiert. Staatlich geschmierte Vorfeldorganisationen wie die olivgrüne „LibMod“ oder „Correctiv“ dienen dieser Art denunziatorischer Meinungsmache.

Staatlich betreutes Demonstrieren

Claas Relotius, Schutzpatron der journalistischen Schmierlappen, dürfte vor Neid erblasst sein, als er las, was sich seine „Correctiv“-Kollegen über das „Wannsee-Treffen“ einiger (nicht nur AfD)-Leute aus den Fingern gesogen hatten. Das Märchen einer gewollten „Zwangsremigration“ lieferte unserem politmedialen Komplex den Anlass, die Massen auf die Straße zu rufen. Die Tagesschau berichtet voller Sympathie:

CDU-Ministerpräsidenten sprechen vom ‚ermutigenden Zeichen‘, der Verfassungsschutz-Chef findet sie ‚erfreulich‘: Für die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus gibt es viel Lob.“ 

Wen wundert das? Im Einvernehmen mit den Herrschenden auf die Straße gehen entspricht dem deutschen Untertanengeist: Man nimmt, dankbar für obrigkeitliches Wohlwollen, ein Vollbad in Massenharmonie und ist sich gewiss, zu den Guten zu gehören. Wasserwerfer, Tränengaswolken und Polizeiprügel sind was für „Lumpenpazifisten“ (Sascha Lobo) beziehungsweise „Vulgärpazifisten“ (Habeck). Mögen sich beide rechtsdrehende Schwätzer geohrfeigt fühlen.

Bundesinnenministerin Faeser blieb vorbehalten, zum besagten Wannsee-Treffen einiger rechter Socken von AfD und CDU (ja, Unionschristen waren auch dabei) historische Parallelen zu ziehen: Es wecke

Erinnerungen an die Wannseekonferenz“.

Die unsägliche Relativierung, die in dieser Bezugnahme auf die Geheimkonferenz im Januar 1942 steckt, in der die Spitzen von SS und NSDAP die Massendeportation von Millionen Mitmenschen in osteuropäische Vernichtungslager vorbereiteten, spricht ein Urteil über Faesers Charakter.

Gequatsche vom „starken Staat“

Über den Erfolg ihrer Volksverdummung verkündete Faeser:

Es stimmt mich sehr positiv, dass so viele Menschen in den vergangenen Tagen für die Demokratie auf die Straße gegangen sind.“

Längst hat sie sich darangemacht, der Freiheit der Rede, einem Grundrecht unserer Republik, ein neo-sozialdemokratisches Würgeisen anzulegen (gegen zu viel „Desinformation“). Wer anders denkt und spricht als die Regierung, ist Staatsfeind, es soll ihm an den Kragen gehen. Sozis, Grüne und die oppositionelle Unionsfraktion überbieten sich gegenseitig mit Anregungen zu mehr staatlicher Repression. Sogar eine „Früherkennungseinheit“ soll im Innenministerium gebildet werden.

Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“

Dergleichen stockreaktionäre Sprüche gehen kritischen Zeitgenossen natürlich unter die Haut:

Das klingt gefährlich für Kabarettisten, Journalisten und jeden Bürger, der am Stammtisch seinem Unmut in Worten Ausdruck verleiht, die vom Amtsdeutsch abweichen.

Verfassungsschutzpräsident Haldenwang, Faesers Wachhund am Sperrzaun für erlaubtes Gedankengut, verzichtet gleich auf differenzierende Analyse: Es gehe gegen den „islamistischen Terrorismus“, gegen „Extremismus und Antisemitismus“, um den „Kampf der Systeme“, denn die Demokratie sei in Gefahr. Darin seien sich alle „Parteien der Mitte“ einig.

Attila, der Hunnenkönig, dachte sicher ähnlich demokratisch. Der schweizerische Berlin-Korrespondent der NZZ kommentiert treffend:

Der deutsche Verfassungsschutz passt nicht zu einer liberalen Demokratie – höchste Zeit, ihn abzuschaffen. Deutschland begreift seinen Inlandsgeheimdienst als demokratisches Frühwarnsystem, das weit vor jeder Straftat anschlägt. Damit geht die Bundesrepublik einen autoritären Sonderweg.“

Behördliche Tageslosung: Kusch!

Konkret ist vorgesehen, den Austausch zwischen Verfassungsschutz und kommunalen Behörden zu „verbessern“, um unerwünschte Veranstaltungen noch zügiger erfassen und untersagen zu können. Mit dieser Praxis haben Friedensfreunde, Gegner der NATO, „Coronaleugner“, Regierungskritiker, angeblich „antisemitische“ Intellektuelle oder „prorussische“ Künstler bereits reichlich Erfahrungen gesammelt.

Haldenwang, ganz ungeniert:

Wir dürfen nicht den Fehler machen, im Rechtsextremismus nur auf Gewaltbereitschaft zu achten, denn es geht auch um verbale und mentale Grenzverschiebungen.“

Der Mann bezog sich hier zwar auf den Rechtsextremismus. Aber kein Zweifel: Er und seine Dienstherrin Faeser suchen ein weiteres Einfallstor für staatliche Willkür. Die beschränkt sich nicht auf „Rechtsextremismus“, sie macht vor gar nichts halt. Haldenwang:

Nach den Gesetzen hängt die verfassungsschutzrechtliche Relevanz von Äußerungen als tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz eröffnen, nicht davon ab, ob diese strafbar oder illegal sind.“

Seit Anfang April ist für 190000 Bundesbeamte Realität, was Ministerin Faeser bei „Maischberger“ als robusten Umgang mit den Angestellten im öffentlichen Dienst für wünschenswert erklärte (s.o.): Sie können wegen „Extremismus“ gleich von ihrer Behördenleitung aus dem Dienst entfernt werden. Die bestimmt, was extremistisch ist. Das Urteil eines Verwaltungsgerichts muss sie nicht abwarten. Ab sofort können Schnüffelei, Blockwartdenken und Denunziation das Bundesbeamtentum vergiften. Der Deutsche Bundesbeamte sei gewarnt:

Die Götzendienst-Polizei ist auf dem Vormarsch und schnüffelt unter jedem Stein nach dem kleinsten Anzeichen von Dissens. Es geht nicht darum, ob es wahr ist oder nicht, es geht um Loyalität oder Verrat.“

Staatsknete für private Spitzeldienste

Wenn es nach SPD-Faeser und ihrer Grünen-Ministerkollegin Lisa Paus geht, soll schon bald ein Heer privater Spitzel in sogenannten Nicht-Regierungs-Organisationen helfen, die gar zu oppositionellen Geister aufzuspüren. Das zur Bereitstellung von Schmiermitteln in Form von zweihundert Millionen Euro nötige „Demokratie-Förderungsgesetz“ ist bereits in der Mache und wird nur noch von der FDP gebremst. Die Grünen-Familienministerin Paus:

„Wir wollen dem Umstand Rechnung tragen, dass Hass im Netz auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze vorkommt.“

Vor solchen Regierungsplänen warnen die „Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages“ nachdrücklich und zitieren das Bundesverfassungsgericht:

Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtestaats. … Die Schwelle zur Rechtsgutverletzung ist … erst dann überschritten, wenn … der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.“

Folgt man dem gedanklich, dann verortet man Verfassungsfeinde auch im Bundeskabinett. Neuester Hammer: Das Bundesinnenministerium verfügte gegen den linken vormaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis wegen dessen geplanter Rede über den Gaza-Krieg ein Einreise- und Äußerungsverbot in Deutschland. Der Bannstrahl traf nicht nur ihn. Das Vorgehen spricht Bände.

Anmerkung der Autoren:

Friedhelm Klinkhammer (li.) und Volker Bräutigam (re.) während einer Medienkonferenz der IALANA in Kassel. Foto: Claus Stille

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Beitragsbild: via Pixelio.de/Stefan Erdmann

Die verhinderte Rede von Yanis Varoufakis, welche er vor dem Palästina – Kongress in Berlin halten wollte

Freunde,

Herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank, dass ihr hier seid, trotz der Drohungen, trotz der gepanzerten Polizei vor dem Veranstaltungsort, trotz des Aufgebots der deutschen Presse, trotz des deutschen Staates, trotz des deutschen politischen Systems, das euch verteufelt, weil ihr hier seid.

„Warum ein palästinensischer Kongress, Herr Varoufakis?“, fragte mich kürzlich ein deutscher Journalist. Weil, wie Hanan Ashrawi einmal sagte: „Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die zum Schweigen gebrachten Menschen uns von ihrem Leid berichten.“

Heute ist Ashrawis Begründung deprimierenderweise noch stärker geworden: Weil wir uns nicht darauf verlassen können, dass die zum Schweigen gebrachten, die ebenfalls massakriert werden und hungern, uns von den Massakern und dem Hungertod berichten.

Aber es gibt noch einen anderen Grund: weil anständige Menschen, die Deutschen, dazu gebracht werden, einen gefährlichen Weg Richtung herzloser Gesellschaft zu beschreiten, indem ein weiterer Völkermord im Namen dieses Landes und in seiner Mitschuld verübt wird.

Ich bin weder Jude noch Palästinenser. Aber ich bin unglaublich stolz, hier unter Juden und Palästinensern zu sein – meine Stimme für Frieden und universelle Menschenrechte mit den jüdischen Stimmen für Frieden und universelle Menschenrechte zu vereinen – zusammen mit den palästinensischen Stimmen für Frieden und universelle Menschenrechte.

Dass wir heute hier zusammen sind, ist der Beweis dafür, dass Koexistenz nicht nur möglich ist, sondern dass sie bereits stattfindet. Schon jetzt.

„Warum kein jüdischer Kongress, Herr Varoufakis?“, fragte mich derselbe deutsche Journalist, der sich wohl einbildete, schlau zu sein. Mir machte seine Frage nichts aus.

Denn wenn auch nur eine einzige Jüdin oder ein einziger Jude bedroht wird, nur weil sie oder er Jude ist, werde ich den Davidstern an meinem Revers tragen und meine Solidarität anbieten – koste es, was es wolle.

Um es noch deutlicher zu sagen: Wenn Juden irgendwo auf der Welt angegriffen werden, wäre ich der Erste, der sich für einen jüdischen Kongress einsetzen würde, um unsere Solidarität zu bekunden.

Ebenso: wenn Palästinenserinnen und Palästinenser massakriert werden, weil sie Palästinenserinnen und Palästinenser sind – nach dem Dogma, dass sie Hamas gewesen sein müssen, wenn sie jetzt tot sind – werde ich meine Keffiyeh tragen und meine Solidarität bekunden, koste es, was es wolle.

Die universellen Menschenrechte sind entweder universell oder sie bedeuten nichts.

In diesem Sinne habe ich die Frage des deutschen Journalisten mit ein paar eigenen Fragen beantwortet:

Werden 2 Millionen israelische Juden, die vor 80 Jahren aus ihren Häusern in ein Freiluftgefängnis geworfen wurden, immer noch in diesem Freiluftgefängnis gehalten, ohne Zugang zur Außenwelt, mit minimaler Nahrung und Wasser, ohne Chance auf ein normales Leben, ohne Möglichkeit, irgendwohin zu reisen, und seit 80 Jahren regelmäßig bombardiert?

Nein.

Werden israelische Juden absichtlich von einer Besatzungsarmee ausgehungert, während sich ihre Kinder auf dem Boden winden und vor Hunger schreien?

Nein.

Gibt es Tausende von jüdischen verletzten Kindern ohne überlebende Eltern, die durch die Trümmer ihrer ehemaligen Häuser kriechen?

Nein.

Werden israelische Juden heute von den modernsten Flugzeugen und Bomben der Welt bombardiert?

Nein.

Erleben die israelischen Juden einen totalen Ökozid an dem bisschen Land, das sie noch ihr Eigen nennen können, keinen einzigen Baum mehr, unter dem sie Schatten suchen oder dessen Früchte sie kosten können?

Nein.

Werden heute israelische jüdische Kinder auf Befehl eines UN-Mitgliedsstaates von Scharfschützen getötet?

Nein.

Werden israelische Juden heute von bewaffneten Banden aus ihren Häusern vertrieben?

Nein.

Kämpft Israel heute um seine Existenz? Nein.

Wenn die Antwort auf eine dieser Fragen „Ja“ wäre, würde ich heute an einem jüdischen Solidaritätskongress teilnehmen.

Freunde,

Heute hätten wir gerne mit Menschen, die anders denken als wir, eine anständige, demokratische und von gegenseitigem Respekt geprägte Debatte darüber geführt, wie wir Frieden und universelle Menschenrechte für alle Menschen, Juden und Palästinenser, Beduinen und Christen, vom Jordan bis zum Mittelmeer erreichen können.

Leider hat das gesamte deutsche politische System beschlossen, dies nicht zuzulassen. In einer gemeinsamen Erklärung haben sich nicht nur die CDU-CSU oder die FDP, sondern auch die SPD, die Grünen und bemerkenswerterweise zwei Vorsitzende der Partei Die Linke zusammengetan, um sicherzustellen, dass eine solche zivilisierte Debatte, in der man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, in Deutschland niemals stattfinden wird.

Ich sage ihnen: Ihr wollt uns zum Schweigen bringen. Uns verbieten. Uns dämonisieren. Uns anklagen. Deshalb lasst ihr uns keine andere Wahl, als euren Anschuldigungen mit unseren Anschuldigungen zu begegnen. Ihr habt euch das ausgesucht. Nicht wir.

Ihr beschuldigt uns des antisemitischen Hasses.

Wir werfen euch vor, die besten Freunde der Antisemiten zu sein, indem ihr das Recht Israels, Kriegsverbrechen zu begehen, mit dem Verteidigungsrecht der israelischen Juden gleichsetzt.

Ihr beschuldigt uns, den Terrorismus zu unterstützen.

Wir werfen euch vor, legitimen Widerstand gegen einen Apartheidstaat mit Gräueltaten gegen Zivilisten gleichzusetzen. Gräueltaten, die ich immer verurteilt habe und verurteilen werde, egal wer sie begeht – Palästinenser, jüdische Siedler, meine eigene Familie, wer auch immer.

Wir werfen euch vor, dass ihr die Pflicht der Menschen in Gaza nicht anerkennt, die Mauer des offenen Gefängnisses einzureißen, in dem sie seit 80 Jahren eingeschlossen sind, und dass ihr diesen Akt des Einreißens der Schandmauer – die genauso wenig zu verteidigen ist wie die Berliner Mauer –mit Terrorakten gleichsetzt.

 Ihr werft uns vor, den Terror der Hamas am 7. Oktober zu bagatellisieren.

Wir werfen euch vor, die 80 Jahre andauernde ethnische Säuberung der Palästinenser durch Israel und die Errichtung eines gepanzerten Apartheidsystems in Israel-Palästina zu verharmlosen.

Wir werfen euch vor, zu verharmlosen, dass Netanjahu über Jahre die Hamas unterstützte, um die Zweistaatenlösung, die ihr angeblich befürwortet, zu zerstören.

Wir werfen euch vor, den beispiellosen Terror der israelischen Armee gegen die Menschen in Gaza, im Westjordanland und im Osten Jerusalems zu verharmlosen.

Ihr werft uns, den Organisatoren des heutigen Kongresses, vor, dass wir, ich zitiere, „nicht daran interessiert sind, vor dem Hintergrund des Krieges in Gaza über Möglichkeiten des friedlichen Zusammenlebens im Nahen Osten zu sprechen“. Ist das euer Ernst? Habt ihr den Verstand verloren?

Wir beschuldigen euch, einen deutschen Staat zu unterstützen, der nach den USA der größte Waffenlieferant der Netanjahu-Regierung ist, die damit Palästinenserinnen und Palästinenser massakrieren will, um eine Zweistaatenlösung und ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden und Palästinensern unmöglich zu machen.

Wir werfen euch vor, dass ihr nie die Frage beantwortet, die jeder Deutsche beantworten muss: Wie viel palästinensisches Blut muss noch fließen, bevor euer – berechtigtes – Schuldgefühl für den Holocaust weggewaschen ist?

Um es klar zu sagen: Wir sind hier in Berlin mit unserem palästinensischen Kongress, weil wir, im Gegensatz zum deutschen politischen System und den deutschen Medien, Völkermord und Kriegsverbrechen verurteilen unabhängig davon, wer sie verübt.

Weil wir die Apartheid im Land Israel-Palästina ablehnen, egal wer die Oberhand hat – genauso wie wir die Apartheid in den amerikanischen Südstaaten oder in Südafrika abgelehnt haben. Weil wir für universelle Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit unter Juden, Palästinensern, Beduinen und Christen im alten Land Palästina eintreten.

Und damit wir uns noch klarer über die berechtigten und bösartigen Fragen sind, die wir immer bereit sein müssen zu beantworten:

Verurteile ich die Gräueltaten der Hamas?

Ich verurteile jede einzelne Gräueltat, unabhängig davon, wer der Täter oder das Opfer ist. Was ich nicht verurteile, ist bewaffneter Widerstand gegen ein Apartheidsystem, das als Teil eines langsam brennenden, aber unaufhaltsamen Programms der ethnischen Säuberung konzipiert wurde. Anders ausgedrückt: Ich verurteile jeden Angriff auf Zivilisten, während ich gleichzeitig jeden feiere, der sein Leben riskiert, um die Mauer einzureißen.

Befindet sich Israel nicht in einem Krieg um seine Existenz?

Nein, ist es nicht. Israel ist ein nuklear bewaffneter Staat mit der vielleicht fortschrittlichsten Armee der Welt und dem ganzen Arsenal der US-Militärmaschine im Rücken. Es gibt keine Symmetrie mit der Hamas, einer Gruppe, die Israelis ernsthaften Schaden zufügen kann, die aber in keiner Weise in der Lage ist, Israels Militär zu besiegen oder Israel daran zu hindern, den langsamen Völkermord an den Palästinensern im Rahmen des Apartheidsystems, das mit langjähriger Unterstützung der USA und der EU errichtet wurde, fortzusetzen.

Haben die Israelis nicht zu Recht Angst, dass die Hamas sie ausrotten will?

Natürlich haben sie das! Juden haben einen Holocaust erlitten, dem Pogrome und ein tief verwurzelter Antisemitismus vorausgingen, der Europa und Amerika seit Jahrhunderten durchdringt. Es ist nur natürlich, dass Israelis in Angst vor einem neuen Pogrom leben, wenn die israelische Armee einknickt. Indem der israelische Staat seinen Nachbarn die Apartheid aufzwingt und sie wie Untermenschen behandelt, schürt er das Feuer des Antisemitismus, stärkt Fanatiker unter den Palästinensern und Israelis, die sich nur gegenseitig vernichten wollen, und trägt letztlich zu der schrecklichen Unsicherheit bei, die Juden in Israel und der Diaspora verzehrt. Die Apartheid gegen die Palästinenser ist eine äußerst schlechte Idee, wenn es um die Selbstverteidigung Israels geht.

Was ist mit Antisemitismus?

Der Antisemitismus ist immer eine klare und gegenwärtige Gefahr. Und er muss ausgerottet werden, vor allem in den Reihen der Globalen Linken und der Palästinenserinnen und Palästinenser, die für palästinensische Bürgerrechte kämpfen – überall auf der Welt.

Warum verfolgen die Palästinenser ihre Ziele nicht mit friedlichen Mitteln?

Das taten sie. Die PLO erkannte Israel an und verzichtete auf den bewaffneten Kampf. Und was haben sie dafür bekommen? Absolute Erniedrigung und systematische ethnische Säuberung. Das hat die Hamas hervorgebracht und sie in den Augen vieler Palästinenserinnen und Palästinenser als einzige Alternative zu einem langsamen Völkermord unter Israels Apartheid erscheinen lassen.

Was sollte jetzt getan werden? Was könnte Frieden in Israel-Palästina bringen?

Ein sofortiger Waffenstillstand.

Die Freilassung aller Geiseln: die der Hamas und die Tausende, die von Israel festgehalten werden.

Ein Friedensprozess unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, der durch die Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird, die Apartheid zu beenden und gleiche Bürgerrechte für alle zu gewährleisten.

Bei der Frage, was an die Stelle der Apartheid treten soll, müssen Israelis und Palästinenser zwischen der Zwei-Staaten-Lösung und der Lösung eines einzigen föderalen, säkularen Staates entscheiden.

Freunde,

Wir sind hier, weil es faul ist, Rache zu nehmen statt zu trauern.

Wir sind hier, um nicht für Rache, sondern für Frieden und Koexistenz in Israel und Palästina zu werben.

Wir sind hier, um den deutschen Demokratinnen und Demokraten, einschließlich unserer ehemaligen Genossinnen und Genossen von der LINKEN, zu sagen, dass sie sich lange genug mit Schande bedeckt haben –dass Unrecht plus Unrecht kein Recht ergeben –und dass es nicht zur deutschen Vergangenheitsbewältigung beiträgt, wenn wir zulassen, dass Israel mit Kriegsverbrechen davonkommt.

Über den heutigen Kongress hinaus haben wir in Deutschland die Pflicht, den Diskurs zu verändern. Wir haben die Pflicht, die große Mehrheit der anständigen Deutschen davon zu überzeugen, dass die universellen Menschenrechte das Wichtigste sind. Dass „Nie wieder“ wirklich „Nie wieder“ bedeutet. Für niemanden, egal ob Jude, Palästinenser, Ukrainer, Russe, Jemenit, Sudanese, Ruander –für alle, überall.

In diesem Zusammenhang freue ich mich, ankündigen zu können, dass die deutsche politische Partei MERA25 von DiEM25 bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Juni auf dem Stimmzettel stehen wird – um die Stimme der deutschen Humanisten zu bekommen, die sich nach jemandem im Europäischen Parlament sehnen, der/die Deutschland vertritt und die Komplizenschaft der EU beim Völkermord anprangert – eine Komplizenschaft, die Europas größtes Geschenk an die Antisemiten in Europa und darüber hinaus ist.

Ich grüße euch alle und schlage vor, dass wir nie vergessen, dass niemand von uns frei ist, solange auch nur eine(r) von uns in Ketten liegt

Yanis Varoufakis: Deutschland hat nicht nur den Rektor der Universität Glasgow, Dr. @GhassanAbuSitt1, an der Einreise nach Deutschland gehindert, um an unserem Palästina-Kongress teilzunehmen, sondern ihm auch mit rechtlichen Schritten gedroht, falls er es wagen sollte, seine geplante Rede per Video zu senden. Frage an die deutschen Freunde: In Ihrem Namen?

Quelle: Twitter/X

Beitragsfoto: Archiv

Der Schauspieler und Theaterintendant Peter Sodann ist von uns gegangen. Eine Erinnerung und eine Anekdote

Kürzlich hatte ich noch an Peter Sodann gedacht. Gestern lief die Nachricht ein, dass der Schauspieler, Darsteller des MDR-Tatort-Kommissars namens Ehrlicher (so benannt nach einer Idee des Schauspielers Sodann: Nomen est omen), Gründer von neues theater in Halle und dessen langjährigen Intendanten, Peter Sodann am 5. April 2024 in Halle an der Saale im Alter von 87 Jahren verstorben sei.

Ich musste sofort an meine damaligen Begegnungen mit ihm denken. Sodann wurde zu meiner Zeit als Beleuchter am Landestheater Halle Anfang der 1980er Jahre Schauspieldirektor am Haus. Ein gewisser Ruf ging ihm voraus. Von seiner körperlichen Statur machte er erst einmal nicht viel her. Er wirkte eher unscheinbar. Ein Mensch, wie man ihn zuhauf im Alltag traf. Man konnte ihn für einen Arbeiter halten. Was – wie sich schon bald herausstellen sollte – sogar im höchsten Maße der Wirklichkeit sehr nahe kam. Als ich Sodann das erste Mal auf dem Gang zur Kantine traf, fragte er mich ziemlich aufgebracht, wie es denn sein könne, dass es auf der Probebühne hereinregnet. Ich zuckte unüberlegt – wie automatisch – mit den Schultern: Das sei schon eine geraume Zeit so, entgegnete ich ziemlich leichtfertig – dem Hausmeister sei diese Misere bekannt. Sodann wurde daraufhin fast zu einem HB-Männchen: „Da muss doch was gemacht werden!“ Ich spürte wie mein Gesicht augenblicklich puterrot anlief. Mir war auf die Sekunde klar: Ich hatte einen Fehler gemacht. Er habe erst mal Eimer unter die Lecks, so Sodann weiter, durch welche das Regenwasser eindrang, gestellt. Für meine leichtfertige Antwort schämte ich mich ziemlich. Aber was sollte man denn als Einzelner schon machen? Eine auch heute noch gängige Ausrede. Durch den knurrigen Peter Sodann wurde ich eines Besseren belehrt. Er machte etwas! Entpuppte sich als ein Macher. Und was für einer! Er stampfte sozusagen schon wenige Zeit später ein Theater – sein Theater! – aus dem Boden. Aus dem einstigen „Kino der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ entstand nach und nach das „neues theater“. Zunächst wurde im Parkett eine Art Boxring aufgebaut. An die Decke kamen vier alte, wieder fitgemachte Scheinwerfer über das Karree. Die zunächst von Schauspielerinnen und Schauspielern an- und ausgeschaltet wurden. Stück für Stück wuchs das Theater und das Equipent.

Das Schauspielensemble des Landestheater Halle bekam damit eine neue, mit den Jahren immer attraktiver werdende Spielstätte. Mit einem angeschlossenen Café, einer zünftigen Bierkneipe namens „Strieses Biertunnel“ (der Name ist entlehnt aus dem Theaterstück „Der Raub der Sabinerinnen“) und vielem anderem mehr.

Sodann veranstaltete auf dem Theaterarreal regelmäßig unabhängige Feiern zum 1. und 8. Mai. Auch ein Hotel war angedacht, welches das neue theater sozusagen querfinanzieren sollte. Zur Realisierung dieses Projektes indes kam es nicht mehr. Per Stadtratsbeschluss im Jahre 2005 musste Sodann als Intendant gehen. Was ihn sehr geschmerzt haben dürfte.

Nichtsdestotrotz  ist die von Sodann konzipierte Theaterinsel inmitten des Stadtzentrums von Halle, ein wichtiger Kulturort, welcher über die Grenzen der Saalemetropole hinaus Ausstrahlung ausübt.

Foto: C. Stille

Für Peter Sodann galt das Theater als eine Art weltliche Kirche. Und die Theaterbesucher waren ihm die „Gläubigen“, die diese weltliche Kirche besuchen.

In einem Planet-Interview sagte Sodann:

„Ja, ich habe unser Theater immer als eine weltliche Kirche angesehen, eine Einrichtung, die versucht, der Ungerechtigkeiten des menschlichen Zusammenlebens ein wenig Herr zu werden. Mehr muss ich dazu nicht sagen, Theater zum Selbstzweck hat mir nie gereicht. Und man sollte die Dichter achten, ich sehe heute viele Theater, die sich nicht wundern sollten, wenn in so einer modernistischen Inszenierung irgendwann mal ein Zuschauer aufsteht und den Text so rezitiert, wie er bei Goethe oder Schiller wirklich steht.
Es ging mir auch immer darum, dass ein Theater offen für alle ist, man muss eine Theatereinrichtung so basteln, dass sowohl der gebildete wie auch der etwas weniger gebildete verstehen, was auf der Bühne passiert. Da haben alle ihre Freude dran. Ein elitäres Theater kam für mich nie infrage, wo die Leute dann rauskommen und sagen „das war ja wieder sehr interessant“ – weil du dann genau weißt , dass es nicht gefallen hat.. „

Höchstwahrscheinlich das neue theater in Halle das einzige weltweit ist, das – wie eine Kirche – einen Glockenturm besitzt.

Sodann seinerzeit gegenüber Planet: Ja, die Glocke läutet am Tag zwei Mal, einmal wenn vormittags die Probe beginnt und abends, wenn die Gläubiger und Gläubigen ins Theater gehen. Zur Wende war das auch alles möglich, da musste man niemand fragen, ob man so einen Glockenturm bauen darf, sondern da hat man das eben gemacht. Heute müsste man wahrscheinlich sogar jeden Pfarrer und jeden Abgeordneten fragen.

In einem kalten Winter noch zu DDR-Zeiten wurde das neue theater einfach nicht warmbekommen. Zwischenzeitlich saßen die Zuschauer wacker in Mäntel und Anoraks im Theater. Auch dafür fand der „Zupacker“ eine Lösung und schuf Abhilfe. Kurzerhand stellte er sich auf die Straße und „lenkte“ schon mal ein LKW vom VEB Kohlehandel zum neuen theater um. Da und in anderen Fällen setzte er schon mal erspielte Filmgagen ein. Theater musste schließlich sein. Der Lappen musste schließlich am Abend hochgehen!

Noch eine Anekdote: Während einer Probe saß ich auf Z-Brücke des Opernhauses über dem Zuschauerraum, um einen Spot zu bedienen. Ich war erkältet, musste immer husten und mir hörbar die Nase schnäuzen. In der Pause begegnete ich Sodann dann auf der Bühne. Er sprach mich an: „Sitzt du da oben auf der Z-Brücke?“ Ich bejahte. „Hast wohl Schnuppen?“ Ich krächzte: „Und Husten.“ Sodann nickte, griff „in die Hosentasche und holte ein frisches Stofftaschentuch heraus, das er mir mit den Worten reichte: „Gute Besserung!“ Damit verschwand er in Richtung Kantine …

Nun ist er nicht mehr. Aber vergessen wird er nicht werden. Ich bin dankbar ihm begegnet zu sein. Er ruhe in Frieden.

Beitragsbild: snapshot via Menschen Biographie You Tube

Anbei ein Video von:

Menschen Biographie

Peter Sodann ist ein deutscher Schauspieler, Regisseur und Theaterintendant. Er wurde unter anderem für seine Rolle als Tatort-Kommissar Bruno Ehrlicher, den er zwischen 1992 und 2007 spielte, bekannt. Leben Herkunft und Ausbildung Peter Sodann stammt aus einer Arbeiterfamilie und wuchs in Weinböhla in der Nähe von Meißen auf. Sein Vater wurde, 44-jährig, 1944 in die Wehrmacht eingezogen und fiel noch im gleichen Jahr an der Ostfront. Sodann war Mitglied der Freien Deutschen Jugend . Nach einer Lehre als Werkzeugmacher holte er mit dem Besuch der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät 1954 bis 1957 das Abitur nach. Sodann studierte Jura an der Universität Leipzig, bevor er 1959 an die Theaterhochschule Leipzig wechselte.

Via Mittenmang

Der hallesche Opernsänger Olaf Schöder zum Tode von Peter Sodann auf Facebook.

MANIFEST für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland

Wir, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio, sowie alle weiteren Unterzeichnenden, schätzen einen starken unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland als wesentliche Säule unserer Demokratie, der gesellschaftlichen Kommunikation und Kultur. Wir sind von seinen im Medienstaatsvertrag festgelegten Grundsätzen und dem Programmauftrag überzeugt. Beides aber sehen wir in Gefahr. Das Vertrauen der Menschen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nimmt immer stärker ab. Zweifel an der Ausgewogenheit des Programms wachsen. Die zunehmende Diskrepanz zwischen Programmauftrag und Umsetzung nehmen wir seit vielen Jahren wahr. Wir haben dieses Manifest verfasst, damit unsere Stimme und Expertise zur Zukunft des öffentlich- rechtlichen Rundfunks im gesellschaftlichen Diskurs gehört werden.

Für eine bessere Lesbarkeit verwenden wir überwiegend das generische Maskulinum, wir sprechen explizit alle an.

UNSERE GRUNDSÄTZE

  • Meinungs- und Informationsvielfalt
  • Ausgewogenheit und Fairness
  • Transparenz und Unabhängigkeit
  • Förderung von Kultur und Bildung
  • Bürgerbeteiligung
  • beitragsfinanziert

WO SEHEN WIR GEGENWÄRTIG PROBLEME?

Seit geraumer Zeit verzeichnen wir eine Eingrenzung des Debattenraums anstelle einer Erweiterung der Perspektive. Wir vermissen den Fokus auf unsere Kernaufgabe: Bürgern multiperspektivische Informationen anzubieten. Stattdessen verschwimmen Meinungsmache und Berichterstattung zusehends auf eine Art und Weise, die den Prinzipien eines seriösen Journalismus widerspricht. Nur sehr selten finden relevante inhaltliche Auseinandersetzungen mit konträren Meinungen statt. Stimmen, die einen – medial behaupteten – gesellschaftlichen Konsens hinterfragen, werden wahlweise ignoriert, lächerlich gemacht oder gar ausgegrenzt. Inflationär bedient man sich zu diesem Zwecke verschiedener „Kampfbegriffe“ wie „Querdenker“, „Schwurbler“, „Klima-Leugner“, „Putin-Versteher“, „Gesinnungspazifist“ und anderen, mit denen versucht wird, Minderheiten mit abweichender Meinung zu diffamieren und mundtot zu machen.

Das sorgfältige Überprüfen zweifelhafter Meldungen ist wichtig. Allerdings suggerieren sogenannte Faktenchecks oft durch ihre Machart, Überschrift und Formulierungen eine vermeintlich absolute Wahrheit, die selten existiert. Der freie gesellschaftliche Diskurs wird dadurch schmerzhaft beschnitten.

Innere und äußere Bedingungen führen dazu, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ihren journalistisch-ethischen Standards nicht mehr genügen können. Dazu zählen innerbetriebliche Praktiken wie die schon vor Dreh- bzw. Reportage-Beginn feststehende Kernaussage von Beiträgen, die Zentralisierung der Berichterstattung über sogenannte Newsrooms oder Newsdesks, zu großer Zeitdruck bei der Recherche, eine überwiegend an Einschaltquoten orientierte Programmgestaltung, Sparmaßnahmen der Sender am Programm und nicht zuletzt die Tatsache, dass zwei Drittel des redaktionellen Personals nur Zeitverträge haben oder gar komplett ohne Angestelltenverhältnis als sogenannte Freie arbeiten müssen. Letzteres führt zu Existenzängsten, die wiederum entsprechend „angepassten“ Journalismus begünstigen. Aufgrund der hohen personellen Fluktuation bleibt zudem oft keine Zeit für fachlichen Wissenstransfer.

Innere Pressefreiheit existiert derzeit nicht in den Redaktionen. Die Redakteure in den öffentlich-rechtlichen Medien sind zwar formal unabhängig, meist gibt es auch Redaktionsausschüsse, die über die journalistische Unabhängigkeit wachen sollten. In der Praxis aber orientieren sich die öffentlich-rechtlichen Medien am Meinungsspektrum der politisch-parlamentarischen Mehrheit. Anderslautende Stimmen aus der Zivilgesellschaft schaffen es nur selten in den Debattenraum.

Dazu erschwert äußere Einflussnahme durch Politik, Wirtschaft und Lobbygruppen einen unabhängigen Qualitätsjournalismus. Interessensverflechtungen von Politik und Wirtschaft werden zu selten in tagesaktuellen Beiträgen aufgezeigt und erörtert. Alltägliche Recherchen bleiben im Kern oft oberflächlich.

Bei der Programmgestaltung dürfen Faktoren wie Einschaltquoten, die derzeit als allgegenwärtiges Argument für die dramatische Ausdünnung und populistische Ausrichtung der Kultur- und Bildungsangebote sorgen, keine Rolle spielen. Der öffentlich- rechtliche Rundfunk muss auch vermeintliche „Nischenbereiche“ abbilden und zu vermitteln versuchen – was seinem Bildungsauftrag entspräche, jedoch immer weniger stattfindet. Zudem darf sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht die strikt und gleichförmig durchformatierten Programme privater Sender zum (schlechten) Vorbild nehmen, wie dies aktuell weitestgehend der Fall ist. Dies gilt auch und vor allem in musikalischer Hinsicht für die ARD-Radioprogramme.

An der Auswahl der Mitglieder der Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte, der höchsten Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, sind die Beitragszahler nicht direkt beteiligt. Die Verwaltungsräte kontrollieren die Geschäftsführung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, doch wer kontrolliert die Verwaltungsräte?

Das heißt: es gibt keine Partizipation der Beitragszahler bei medienpolitischen, finanziellen und personellen Entscheidungen.

Auch die Programme werden größtenteils ohne Publikumsbeteiligung erstellt. Die meisten Programmbeschwerden von Beitragszahlern finden kaum Gehör und haben entsprechend wenig Einfluss auf die Berichterstattung und generelle Programmgestaltung. Sowohl das Publikum als auch die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden in der Regel nicht über die Reaktionen und Beschwerden zum Programm informiert.

Nur ein Teil der Inhalte der öffentlich-rechtlichen Medien ist im Internet abrufbar und meist nur für eine begrenzte Dauer. Diese Praxis widerspricht der Idee eines öffentlich- rechtlichen Rundfunks und dem Gedanken eines universellen Wissenszuwachses im Internet.

DER NEUE ÖFFENTLICH-RECHTLICHE RUNDFUNK VON MORGEN

Das Prinzip der Rundfunkbeitragszahlung wird beibehalten. Es sichert die Unabhängigkeit des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das heißt: öffentlich-rechtliche Anstalten werden von der Bevölkerung finanziert, aber auch kontrolliert.

Finanzflüsse sind transparent und öffentlich einsehbar. Dies gilt insbesondere für die Budgetverteilung zwischen einzelnen Ressorts, Redaktionen und der Verwaltung. Die Bezahlung aller Mitarbeiter, einschließlich Führungsposten bis hin zur Intendanz, ist transparent und einheitlich nach einem für alle geltenden Tarifvertrag geregelt. Die Berichte der Landesrechnungshöfe sind auf den Plattformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks leicht auffindbar.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk verzichtet auf Werbeeinnahmen aller Art, sodass Werbeverträge nicht zu Befangenheit in der Berichterstattung führen können.

Den Beitragszahlern gehört der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk. Ihre mehrheitliche Einbindung in den Kontrollgremien ist daher selbstverständlich. Diese Arbeit wird angemessen honoriert. Sie schließt die Wahrnehmung eines weiteren Amts, welches Interessenkonflikte birgt, aus. Die repräsentative Zusammensetzung der Kontrollgremien könnte beispielsweise nach dem Vorbild der Besetzung von Bürgerräten erfolgen. Direkte Wahl, Rotationsprinzip oder Losverfahren sind Möglichkeiten, um die Gesellschaft repräsentativ abzubilden.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk fungiert als Vierte Säule der Demokratie. Im Auftrag der Bevölkerung übernimmt er wichtige Kontrollaufgaben gegenüber den Gewalten Exekutive, Legislative und Judikative. Damit er diesen Auftrag erfüllen kann, ist seine Unabhängigkeit von Staat, Wirtschaft und Lobbygruppen garantiert.

Drehtür-Effekte zwischen Politik und dem neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind dank mehrjähriger Sperrfristen ausgeschlossen; professionelle Distanz ist jederzeit gewährleistet. Jegliche Art von Interessenskonflikt wird angegeben, wie es auch in wissenschaftlichen Arbeiten üblich ist. Das Führungspersonal ist verpflichtet, jährlich einen öffentlichen Transparenzbericht vorzulegen. Führungspositionen müssen öffentlich ausgeschrieben sowie nach einem transparenten Auswahlverfahren besetzt werden und sind zeitlich limitiert. Eine Vertragsverlängerung ist nur nach Abstimmung durch die direkt unterstellten Mitarbeiter möglich.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk kontrolliert die Politik und nicht umgekehrt. Die Politik hat keinen Einfluss auf Inhalte. Es wird neutral, multiperspektivisch und zensurfrei im Rahmen des Grundgesetzes berichtet.

Dazu gehört die Verpflichtung, vermeintliche Wahrheiten immer wieder zu überprüfen. Für die Berichterstattung bedeutet dies ergebnisoffene und unvoreingenommene Recherche sowie die Präsentation unterschiedlicher Sichtweisen und möglicher Interpretationen.

Das Publikum hat einen Anspruch darauf, sich mit einem Sachverhalt auseinandersetzen und selbstständig eine Meinung bilden zu können, anstatt eine „eingeordnete“ Sicht präsentiert zu bekommen.

Meldungen von Nachrichtenagenturen werden soweit möglich nicht ungeprüft übernommen. Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk nimmt seine Verantwortung wahr, Ereignisse jenseits von Agenturmeldungen zu recherchieren und darüber zu berichten.

Fairness und respektvoller Umgang im Miteinander stehen im Fokus unseres Handelns, sowohl innerhalb der Funkhäuser als auch mit unserem Publikum. Die Journalisten des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks benutzen kein Framing und verwenden keine abwertenden Formulierungen.

Petitionen und Programmbeschwerden seitens der Gebührenzahler werden vom neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ernst genommen. Eine Ombudsstelle entscheidet über deren Einordung, Umsetzung und Veröffentlichung. Inhaltliche Korrekturen der Berichterstattung werden an derselben Stelle kommuniziert wie die fehlerhafte Nachricht im Programm.

Zur Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Vielfalt gehört Lokaljournalismus als wesentliches Fundament des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch Themen aus dünn besiedelten Regionen, die vermeintlich nur von lokaler Relevanz sind oder Minderheiten betreffen, müssen sich im Programm spiegeln. Die Entscheidung, auch aus Gegenden fernab von Ballungsgebieten oder Metropolen zu berichten, muss von journalistischem Anspruch geleitet sein und darf sich nicht dem Kostendruck beugen.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk kommt seinem Auftrag in gleichem Maße auch in Sachen Bildung und Kultur nach. Bildung und Kultur haben substanziellen Anteil am Programmangebot und werden angemessen budgetiert und personell ausgestattet.

Kultur in ihrer breiten Vielfalt ist ein wichtiger Baustein und Ausdruck der demokratischen Gesellschaft. Diese Vielfalt gilt es umfangreich zu präsentieren und dokumentieren. Das betrifft alle Disziplinen wie Musik, Literatur, Theater, Bildende Künste und andere. Besonderes Augenmerk wird dabei auf den aktiven Förderaspekt gelegt, beispielsweise durch eigene Produktionen sowie die Unterstützung von regionalen Künstlern.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk setzt mit eigenen Klangkörpern wie Orchestern, Big Bands und Chören Akzente im kulturellen Leben und engagiert sich im Bereich der Radiokunst Hörspiel.

Die Archive des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind frei zugänglich. Sie sind wesentliche Wissens- und Identitätsspeicher unserer Gesellschaft und somit von großer kultureller und historischer Bedeutung mit immenser Strahlkraft. Aus den Archiven, die er kontinuierlich in breitem Umfange erweitern sollte, kann der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk anhaltend schöpfen und sich und die Gesellschaft damit der Relevanz von Kultur und Bildung versichern.

Die Inhalte der Archive und Mediatheken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind dauerhaft abrufbar. Die bereits gesendeten Beiträge und Produktionen stehen zeitlich unbegrenzt zur Verfügung. So kann jederzeit auf das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft zurückgegriffen werden. Dies ist für die öffentliche Meinungsbildung unverzichtbar.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk verfügt über eine von Rundfunkbeiträgen finanzierte, nicht kommerzielle Internetplattform für Kommunikation und Austausch. Diese verwendet offene Algorithmen und handelt nicht mit Nutzerdaten. Er setzt in diesem Raum ein Gegengewicht zu den kommerziellen Anbietern, weil ein zensurfreier, gewaltfreier Austausch zu den Kernaufgaben des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört.

Qualitätsjournalismus braucht eine solide Basis. Im neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten überwiegend fest angestellte Journalisten, damit sie weitestgehend frei von ökonomischen und strukturellen Zwängen sind. Dadurch sind sie unabhängig und ausschließlich dem Pressekodex verpflichtet. Für Recherche steht ausreichend Zeit zur Verfügung. Die individuelle Verantwortung des Redakteurs bzw. Reporters muss gewährleistet sein und nicht zentralistisch von einem Newsroom oder Newsdesk übernommen werden.

Journalistische Autonomie ist ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung journalistischer Qualität und Meinungsvielfalt. Deshalb wird die Weisungs-Ungebundenheit redaktioneller Tätigkeit im Hinblick auf Themenauswahl, Themengestaltung und Mitteleinsatz nicht nur in Redaktionsstatuten, sondern auch in den Landespressegesetzen und Rundfunk-Staatsverträgen festgeschrieben.

Outsourcing ist kontraproduktiv. Es verhindert öffentliche Kontrolle und fördert Lohndumping. Die Produktion von Programminhalten, die Bereitstellung von Produktionstechnik und -personal sowie die Bearbeitung von Publikumsrückmeldungen erfolgen deshalb durch die Sender.

Der neue (wie auch der jetzige!) öffentlich-rechtliche Rundfunk steht nicht in Konkurrenz zu den privaten Medien. Daher wird die vorrangige Bewertung nach Einschaltquoten bzw. Zugriffszahlen abgeschafft.

Die Stabilität unserer Demokratie erfordert einen transparent geführten neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk als offenen Debattenraum. Zu dessen Eckpfeilern gehört die Unabhängigkeit der Berichterstattung, die Abbildung von Meinungsvielfalt sowie die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern.

ERST­UNTER­ZEICHNER DES MANIFESTS

  • Christoph Abée | Designer, Dozent, Komponist, Musiker
  • Dr. Michael Andrick | Philosoph und Autor
  • Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes | Mathematiker und Methodenwissenschaftler
  • Patrik Baab | Publizist, ehem. Redakteur beim NDR
  • Isabelle Barth | Schauspielerin, Sprecherin und Künstlerin
  • Bastian Barucker | Autor & Wildnispädagoge
  • Prof. Kerstin Behnke | Dirigentin
  • Frederic Belli | Soloposaunist SWR Symphonieorchester
  • Volker Birk | Software-Architekt und Aktivist für Bürgerrechte
  • Georg Blank | Kameramann, WDR
  • Tom Bohn | Autor, Regisseur, Veranstalter
  • Julia Braun | ehemalige feste Freie – ARD-Redakteurin / Kinderfernsehen
  • Volker Bräutigam | Journalist und langjähriger Mitarbeiter des NDR (ARD-Tagesschau und NDR-Hauptabteilung Kultur)
  • Philine Conrad | Schauspielerin
  • Michael Denhoff | Komponist & Cellist
  • Dorian Dragoi | Bildgestalter, BR
  • Sabine Erbler | Cutterin beim WDR
  • Franz Esser | München, Musik-Kabarettist
  • Dr. Petra Fischer | bis 2022 rbb
  • Silvia Fischer | Szenenbildnerin und ehemalige Radiomoderatorin
  • Jens Fischer Rodrian | Musiker, Lyriker, freier Publizist
  • Lisa Fitz | Kabarettistin, Schauspielerin
  • Jürgen Fliege | ARD Talkshow Moderator i.R.
  • Anja Franke | Schauspielerin u. a. im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
  • Romanus Fuhrmann | Schauspieler und Sprecher
  • Prof. Dr. Ulrike Guérot | Politikwissenschaftlerin und Publizistin
  • Gabriele Gysi | Schauspielerin und Regisseurin
  • Andreas Halbach | Freier Mitarbeiter ZDF
  • Reinhart Hammerschmidt | Freischaffender Musiker im Bereich Neue Musik und Improvisation
  • Anny Hartmann | Diplom-Vokswirtin und politische Kabarettistin
  • Silke Hasselmann | Deutschlandradio, Landeskorrespondentin für MV
  • Andrea Haubold | Orchestermusikerin Berlin
  • Carlo Himmel | Schauspieler
  • Beate Himmelstoß | ehem. Sprecherin beim BR
  • Bianca Höltje | Pädagogin, Beraterin von Schulgründungsinitiativen
  • Henry Hübchen | Schauspieler
  • Claudia Jakobshagen | Schauspielerin, Sprecherin, RBB
  • Luc Jochimsen | ehemalige Chefredakteurin hr-Fernsehen
  • Käthe Jowanowitsch | freie Journalistin, Deutschlandfunk und WDR
  • Kristof Kannegießer | Kameramann und Autor, RBB
  • Corinna Kirchhoff | Schauspielerin
  • Carlo Kitzlinger | Schauspieler, Lufthansa Captain AD
  • Friedhelm Klinkhammer | ehem. GPR-Vorsitzender im NDR
  • Astrid Kohrs | Schauspielerin
  • Dieter Korbely | Beirat „Wir sind Medien“ und Medienkritiker
  • PD Dr. Axel Bernd Kunze | Erziehungswissenschaftler
  • Dr. Norbert Lamm | Virologe & Molekulargenetiker
  • Barbara Leitner | über 25 Jahre freie Hörfunkautorin u. a. im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, jetzt Coach und Kommunikationstrainiern (GFK in KiTa und Schule)
  • Ulrich Lipka | Radiosprecher DLF Kultur
  • Thorolf Lipp | Vorstand Deutsche Akademie für Fernsehen e.V.
  • Prof. Dr. Johannes Ludwig | Professor u.a. für Investigativen Journalismus
  • Prof. Dr. Christoph Lütge | TU München, ehem. Mitglied des Bayerischen Ethikrats
  • Doreen Luther | Technikerin im Hörfunkbetrieb, rbb
  • Henrike Madest | ehemalige freie Mitarbeiterin WDR
  • Almut Masuth | Musikerin und Agentin
  • Uli Masuth | Kabarettist, Komponist, Klavierist
  • Prof. Dr. rer. nat. Jörg Matysik | Chemiker, Universität Leipzig
  • Prof. Dr. Michael Meyen | Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der LMU
  • Bettina Minutillo | ehemalige Redakteurin bei Printmedien
  • Prof. Dr. Klaus Morawetz | Dresden
  • Renée Morloc | Opernsängerin
  • Annekatrin Mücke | Freie Journalistin beim rbb
  • Jürgen Müller | Rechtsanwalt, Kinderrechte Jetzt e. V., Wir-Gemeinsam-Bündnis
  • Maren Müller | Vorsitzende Ständige Publikumskonferenz
  • Alessandro Nania Pacino | Schauspieler
  • Dr. Cornelia Nenz | ehemalige Vorsitzende des NDR-Rundfunkrates
  • Franz Neumeyer | Coach, Initiative Bildungswandel
  • Jeana Paraschiva | Schauspielerin und Regisseurin
  • Harring Petersen | ehemaliger Produktions-Ingenieur im LFH SH, NDR
  • Richard Petersen | Ingenieur im LFH SH, NDR, seit 2022 Rentner
  • Christoph Poppen | Dirigent, ehem. Chefdirigent Deutsche Radiophilharmonie, ehem. Leiter ARD-Musikwettbewerb
  • Christine Prayon | Kabarettistin (lange Zeit heute-show, ZDF)
  • Manuel Rabbe | Creative Director
  • Michy Reincke | Musiker
  • Martina Reitmann | stellv. Solo-Hornistin der Deutschen Radio Philharmonie, SR
  • Alexa Rodrian | Lyrikerin, Musikerin und freie Autorin
  • Martin Ruthenberg | ehemaliger Sprecher und Moderator des SWR
  • Michael Sailer | Blogger
  • Arnd Schimkat | Schauspieler
  • Bettina Schmidt | ehemalige Redakteurin DLF-Kultur
  • Eva Schmidt | Radio München
  • Kathrin Schmidt | Schriftstellerin, Deutscher Buchpreis 2009
  • Michael Schmidt | ehem. Redakteur des NDR MV, Mitglied des NDR-Rundfunkrates
  • Andrea Schömmel | Aufnahmeleiterin, SWR Baden-Baden
  • Prof. DDr. Christian Schubert | Psychoneuroimmunologe, Universitätsprofessor an der Medizinischen Universität Innsbruck
  • Christina Schütz | Musikerin
  • Dr. Harald Schwaetzer | Philosophisches Seminar, Stuttgart
  • Dr. Thomas A. Seidel | Vorstandsvorsitzender des Bonhoeffer-Haus e.V.
  • Ole Skambraks | ehemaliger freier Mitarbeiter und Redakteur des MDR, WDR und SWR
  • Markus Stockhausen | Musiker, Seminarleiter
  • Tim Strecker | Kameramann & Oberbeleuchter
  • Dr.-Ing. Beate Strehlitz | Beirat Wir sind Medien und Medienkritiker
  • Alina Teodorescu | freischaffende Filmemacherin u. a. im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
  • Walter van Rossum | ehemaliger WDR-Autor, Medienkritiker und Investigativjournalist
  • Harald von Herget | Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
  • Prof. Dr. Dr. phil. Harald Walach | CHS-Institute
  • Raphaël Walter | Cellist
  • Andrea Walz | Tontechnikerin, SWR Stuttgart
  • Peter Welchering | Wissenschaftsjournalist
  • Hans-Eckardt Wenzel | Sänger, Musiker, Autor, Komponist
  • Tina Zimmermann | Bildende Künstlerin

sowie 33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, deren Unterschriften bei Rechtsanwalt Dr. Harald von Herget (vonherget.ch) hinterlegt sind.

MITZEICHNEN!

Fühlen Sie sich angesprochen und wünschen auch Sie sich einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Dann unterzeichnen Sie die Petition „Erneuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ bei openpetition.de

AUSZÜGE UND ECK­PUNKTE DES MANIFESTS

für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland
 

AUSGEWOGENHEIT UND FAIRNESS

Die Medien prägen das Menschenbild und das Miteinander in einer Gesellschaft. Fairness und Respekt stehen deshalb im Fokus unseres Handelns, sowohl innerhalb der Funkhäuser als auch im Umgang mit unserem Publikum. Die Mitarbeitenden des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks benutzen kein Framing und verwenden keine abwertenden Formulierungen.

MEINUNGS- UND INFORMATIONSVIELFALT

  • Alle Ansichten und Perspektiven, die vom Grundgesetz gedeckt sind und die Menschenwürde achten, dürfen frei und ohne Vorbehalte geäußert werden. Minderheitenmeinungen und unbequeme Äußerungen werden gehört, diskutiert und dem Publikum zur freien Meinungsbildung angeboten.
  • Bildung und Kultur haben substanziellen Anteil am Programmangebot und werden angemessen budgetiert und personell ausgestattet.
  • Lokaljournalismus ist ein wesentliches Fundament des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

GRÖSSTMÖGLICHE BETEILIGUNG DER BÜRGERINNEN UND BÜRGER

  • Das Publikum ist der Souverän des neuen öffentlich- rechtlichen Rundfunks.
  • Bürgerinnen und Bürger sind maßgeblich an der Kontrolle von Programm und Finanzen beteiligt.
  • Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk bietet eine Plattform für Austausch und Dialog – ein eigenes soziales Netzwerk, das offene Algorithmen verwendet und nicht mit Nutzerdaten handelt.

UNABHÄNGIGKEIT

  • Programmgestaltung erfolgt unabhängig von Einschaltquoten.
  • Auf Werbeeinnahmen wird verzichtet.
  • Kein Outsourcing von Produktionen und Abteilungen.
  • Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk kontrolliert die Politik und nicht umgekehrt.
  • Drehtür-Effekte zwischen Politik und neuem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind dank mehrjähriger Karenzzeiten ausgeschlossen.
  • Festanstellungen für alle Mitarbeitenden, die es wünschen, insbesondere für Journalistinnen und Journalisten.
  • Weisungs-Ungebundenheit im Hinblick auf Themenauswahl, Themengestaltung und Mitteleinsatz.

TRANSPARENZ

  • Die Bezahlung aller Mitarbeitenden einschließlich Führungsposten bis hin zur Intendanz erfolgt strikt nach Tarifvertrag.
  • Finanzflüsse jeglicher Art sind transparent und öffentlich einsehbar.
  • Interessenkonflikte werden sichtbar und hörbar kommuniziert.
  • Kontrollgremien des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks tagen öffentlich. Programm- und Auftragsentscheidungen werden dokumentiert und sind einsehbar.

DAS MANIFEST ALS DOWNLOAD

Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland – meinungsvielfalt.jetzt.pdf (189,5 KiB)

meinungsvielfalt.jetzt

meinungsvielfalt.jetzt

Beitragsbild: C. Stille

Quelle: meinungsvielfalt.jetzt

Hinzugefügt am 9.04.2024: Die Herren Klinkhammer und Bräutigam sind da anderer Meinung: Buchempfehlung.

Am 27. März 2024 wird zum 62. Mal der Welttheatertag gefeiert, und die Botschaft kommt in diesem Jahr von Literaturnobelpreisträger Jon Fosse: „Kunst ist Frieden“

Alljährlich am 27. März ist Welttheatertag. Ein Tag, an welchen ich stets denke. Auch heute noch, wo ich als ehemaliger, langjähriger Beleuchter längst in Pension bin. Das hat vorwiegend auch damit zu tun, dass ich aus der DDR komme. Da wurde der Welttheatertag stets engagiert und auf vielfältige Weise begangen. Die Kulturinstitute warteten in diesem Zusammenhang mit vielen Veranstaltungen auf. Nicht zuletzt in meinem Heimatbezirk Halle, der der theaterreichste der DDR war.

Erinnerung an eine Begegnung mit Peter Sodann

Auch musste ich sofort an den Schauspieler und Regisseur Peter Sodann denken. Der wurde zu meiner Zeit als Beleuchter am Landestheater Halle Anfang der 1980er Jahre Schauspieldirektor am Hause. Von seiner körperlichen Statur machte er nicht viel her. Er wirkte eher unscheinbar. Eine Täuschung!

Garderobenmarke

Als ich ihn das erste Mal auf dem Gang zur Kantine traf, fragte er mich ziemlich aufgebracht, wie es denn sein könne, dass es auf der Probebühne hereinregnet. Ich zuckte aus Gewohn- und Abgestumpftheit mit den Schultern: Das sei schon eine geraume Zeit so, entgegnete ich ziemlich leichtfertig – dem Hausmeister sei diese Misere bekannt.

Sodann wurde daraufhin fast zu einem HB-Männchen: „Da muss doch was gemacht werden!“, brach es aus ihm hervor. Er habe erst mal Eimer unter die Lecks, durch welche Regenwasser eindrang, gestellt. Für meine leichtfertige Antwort schämte ich mich. Aber was sollte man als Einzelner schon machen? Eine auch heute noch gängige Ausrede. Durch den knurrigen Peter Sodann wurde ich eines Besseren belehrt. Er machte etwas! Und wie! Packte an und zu. Bald stampfte er mit tätiger Hilfe des Schauspielensembles sozusagen ein Theater – sein Theater! – aus dem Boden. Aus dem einstigen „Kino der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ entstand nach und nach das „neue theater“. Das Schauspielensemble des Landestheater Halle hatte eine neue, mit den Jahren immer attraktiver werdende Spielstätte. Mit einem angeschlossenen Café, einer zünftigen Bierkneipe namens „Strieses Biertunnel“ und vielem anderen mehr …

In einem Planet-Interview sagte Sodann:

„Ja, ich habe unser Theater immer als eine weltliche Kirche angesehen, eine Einrichtung, die versucht, der Ungerechtigkeiten des menschlichen Zusammenlebens ein wenig Herr zu werden. Mehr muss ich dazu nicht sagen, Theater zum Selbstzweck hat mir nie gereicht. Und man sollte die Dichter achten, ich sehe heute viele Theater, die sich nicht wundern sollten, wenn in so einer modernistischen Inszenierung irgendwann mal ein Zuschauer aufsteht und den Text so rezitiert, wie er bei Goethe oder Schiller wirklich steht.
Es ging mir auch immer darum, dass ein Theater offen für alle ist, man muss eine Theatereinrichtung so basteln, dass sowohl der gebildete wie auch der etwas weniger gebildete verstehen, was auf der Bühne passiert. Da haben alle ihre Freude dran. Ein elitäres Theater kam für mich nie infrage, wo die Leute dann rauskommen und sagen „das war ja wieder sehr interessant“ – weil du dann genau weißt , dass es nicht gefallen hat.. „

Höchstwahrscheinlich das neue theater in Halle das einzige weltweit ist, das – wie eine Kirche – einen Glockenturm besitzt.

Sodann seinerzeit gegenüber Planet: Ja, die Glocke läutet am Tag zwei Mal, einmal wenn vormittags die Probe beginnt und abends, wenn die Gläubiger und Gläubigen ins Theater gehen. Zur Wende war das auch alles möglich, da musste man niemand fragen, ob man so einen Glockenturm bauen darf, sondern da hat man das eben gemacht. Heute müsste man wahrscheinlich sogar jeden Pfarrer und jeden Abgeordneten fragen..

Zum Welttheatertag

Der Welttheatertag (World Theatre Day) ist ein vom Internationalen Theaterinstitut (ITI) ins Leben gerufener jährlicher Aktionstag und findet seit 1961 am 27. März statt.

Der Welttag würdigt mit öffentlichen Veranstaltungen die Bedeutung der Theaterkünste. Jährlich setzt sich ein internationaler Theaterkünstler (in einer „Botschaft zum Welttheatertag“) mit Bedeutung und Wirkung der Bühnenkunst im gesellschaftlichen Kontext auseinander. Der Text wird übersetzt und verbreitet. Am Sitz der UNESCO in Paris wird der Welttheatertag seit vielen Jahren zusammen mit Vertretern des ITI und den Verfassern der Botschaft mit einer öffentlichen Veranstaltung begangen.[1]

Geschichte

Der Welttag des Theaters wurde vom 9. Weltkongress des ITI 1961 in Wien beschlossen[2]. Die Datierung geht zurück auf den traditionellen alljährlichen Eröffnungstag des ITI-Festivals „Theater der Nationen“ in Paris am 27. März.[3] Schon in den ersten Jahren wurde der Welttheatertag in über 80 Ländern mit Sonderveranstaltungen und öffentlichen Aktionen begangen. Zu den Verfassern der Botschaft zum Welttheatertag gehörten u.a. Jean Cocteau, Arthur Miller, Laurence Olivier, Helene Weigel, Peter Brook, Dmitrij Schostakowitsch, Pablo Neruda, Maurice Béjart, Ellen Stewart, Wole Soyinka, Tankred Dorst, Václav Havel, Augusto Boal.[4] (Quelle: Wikipedia)

Weltweit zelebrieren über 80 Länder diesen Tag seit seiner Gründung 1961, die aus der Initiative des finnischen International Theatre Institute (ITI) hervorgegangen ist. Heute setzt sich das internationale Theaternetzwerk aus 86 teilnehmenden Nationen zusammen. Zum Welttheatertag gehören Sonderveranstaltungen und öffentliche Aktionen. Dieses Jahr findet die Veranstaltung online statt. Renommierte Künstler aus dem Film- und Theaterbereich verbreiten jeweils eine Botschaft anlässlich des Welttheatertages. Die Botschaft richtet sich an die Bedeutung und gesellschaftliche Relevanz der Bühnenkunst und wird jedes Jahr in zahlreiche Sprachen übersetzt.

War denn das Theater für Sie eine Protest-Institution?“, wurde seinerzeit Sodann im Planet-Interview gefragt


Sodann:

„Ich habe versucht, immer die Wahrheit, die ich in einem Stück erkannt habe, auch auf der Bühne darzustellen. Ich fand, dass ein Theater auch immer ein aufklärerisches Institut sein muss. Denn die Dummheit, die in der Welt herrscht, musste ja irgendwann mal verschwinden. Und mein Theater war immer voll, vor der Wende und auch danach. Wobei ich meinen Spielplan nicht geändert habe, sondern stur so weitergemacht habe wie bisher, im Gegensatz zu vielen anderen Theatern, die nach der Wende umgeschwenkt haben und ganz andere Sachen gespielt haben.“

Theater muss sein!

Immer wieder einmal sind Theater in ihrer Existenz bedroht. Schon einmal in den 1990er Jahren war das so. Der Deutsche Bühnenverein startete – ich glaube mich zu erinnern – nicht zuletzt auf Initiative des großen Theatermannes August Everding die Aktion „Theater muss sein!“. Das muss ordentlich gefettet werden: Theater muss sein!

Und vergessen wir nicht (vor allen den dafür Verantwortlichen niemals): Auch in der Corona-Zeit hatten u.a. Theater und Theaterkünstler mit großen Einschränkungen zu kämpfen oder konnten gar nicht spielen.

Die BOTSCHAFT ZUM WELTTHEATERTAG 2024 verfasste Jon Fosse

Kunst ist Frieden. Jeder Mensch für sich ist einzigartig, und doch ist er allen anderen Menschen gleich. Das Einzigartige ist äußerlich und man kann es sehen, so weit, so gut, doch gibt es in jedem einzelnen Menschen auch etwas, das nur diesem Menschen zugehört, das dieser Mensch ist. Wir könnten es Seele nennen, oder Geist – oder wir brauchen dem nicht unbedingt einen Namen zugeben, lassen wir es einfach, wo es ist. Wir sind zwar verschieden, dabei einander aber auch gleich. Menschen aus allen Teilen der Welt sind einander im Wesentlichen gleich, ohne Ansehen unserer Sprache, unserer Hautfarbe, unserer Haarfarbe. Es ist vielleicht ein Paradox, dass wir sowohl gleich als auch verschieden sind. Und vielleicht ist der Mensch paradox in seiner Spannung zwischen Körper und Seele, zwischen dem, was ganz und gar im Materiellen, Immanenten verwurzelt ist, und dem, was die materiellen Bindungen und Begrenzungen transzendiert. Der Kunst aber, guter Kunst, gelingt es auf ihre wundersame Weise, das ganz und gar Einzigartige und das Universelle miteinander zu vereinen, ja, sie kann bewirken, dass das Einzigartige, man kann auch sagen, das Fremde, universell verstanden wird. Sie sprengt auf ihre Weise die Grenzen zwischen Sprachen, Ländern, Erdteilen. So gesehen führt sie nicht nur das zusammen, was einzelne Menschen prägt und ausmacht, sondern auch, in einer anderen Bedeutung, das jenige, was Gruppen von Menschen prägt und ausmacht, zum Beispiel Nationen.Und dies bewerkstelligen die Künste eben nicht dadurch, dass sie alles gleich machen, sondern im Gegenteil die Ungleichheiten herausstellen, ja, das Fremde, das, was man nicht ganz begreift und dennoch auf gewisse Weise begreift, das Enigmatische könnte man es vielleicht nennen, etwas, das fasziniert, ja, das die Transzendenz erschafft, die Überschreitung, die aller Kunst innewohnen muss, als Essenz, aber auch als Ziel.

Eine bessere Weise, Gegensätze zu vereinen, kann ich mir nicht vorstellen. Das ist das genaue

Gegenstück zum gewaltsamen Konflikt, wie wir ihn so allzu oft sich entfalten sehen dank der

destruktiven Versuchung, das Fremde zu zerstören, das einzigartig Andere, oft unter Einsatz

bestialischer technologischer Neuerungen. Das ist Terror. Das ist Krieg. Denn der Mensch hat

auch eine animalische Seite, eine instinktgetriebene, die das Andere, das Fremde, nicht als etwas

faszinierend Enigmatisches erlebt, sondern als Bedrohung der eigenen Existenz. Und dann

verschwindet das Einzigartige, das Verschiedenartige, das universell verständlich ist, und wird

zu einer kollektiven Gleichheit, in der alles Andersartige eine Bedrohung ist und zunichte

gemacht werden soll. Was äußerlich gesehen Verschiedenheiten sind, beispielsweise zwischen

Religionen oder politischen Ideologien, wird bekämpft und vernichtet.

Krieg ist Kampf gegen das Innerste des Menschen, gegen das Einzigartige. Und er ist Kampf

gegen alle Kunst, gegen das Innerste jeglicher Kunst.

Ich habe mich dafür entschieden, hier allgemein von den Künsten zu sprechen, nicht speziell von

der Theaterkunst, da alle gute Kunst, wiederum in ihrem Innersten, um dasselbe kreist: darum,

das ganz und gar Einzigartige, das ganz Eigene, universell werden zu lassen. Sie vereint in ihrem

künstlerischen Ausdruck das Einzigartige und das Universelle. Nicht, indem sie Eigenarten

entfernt, sondern indem sie sie hervorhebt, indem sie das Fremde deutlich sichtbar macht.

Es ist ganz einfach so: Krieg und Kunst sind Gegensätze, sowie Krieg und Frieden Gegensätze

sind. Kunst ist Frieden.

Jon Fosse

Aus dem Norwegischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel

Beitragsbild: „Probenpause“; Foto: T.W.

Andreas Zumach hielt Vortrag in Dortmund zum Thema „Krieg zwischen Israel und Hamas“

Andreas Zumach ist Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988 bis 2020 war er Schweiz– und UN-Korrespondent für die taz mit Sitz am europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf. Der Journalist arbeitet als freier Korrespondent für deutsch- und englischsprachige Print- und Rundfunkmedien.

Er hat mehrere Bücher veröffentlicht. 2009 wurde ihm für sein friedens- und menschenrechtspolitisches Engagement der Göttinger Friedenspreis verliehen.

Vergangenen Donnerstag war Andreas Zumach Gast einer Sonderveranstaltung in Dortmund, welche in der Werkhalle im Union-Gewerbehof stattfand. Der Titel seines Referats: „Der Krieg zwischen Hamas und Israel“.

Zuletzt war Andreas Zumach 2019 zu einem Vortrag in Dortmund

Zuletzt war Andreas Zumach 2019 mit seinem Vortrag „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“ in der Dortmunder Pauluskirche zu Gast. Die Ankündigung des Vortrages hatte seinerzeit im Vorfeld unbegreifliche Kritik ausgelöst. Die Jüdische Gemeinde hatte die Veranstaltung sogar verhindern wollen. Leider kein Einzelfall in Deutschland, wenn Kritik an israelischer Politik im Spiel ist. Indes die Veranstaltung fand statt. Andreas Zumach konnte seine Sicht auf die Dinge darstellen, Missverständnisse ausräumen und auf falsche Tatsachenbehauptungen hinweisen. (Meinen damaligen Bericht können Sie hier lesen.)

Bericht zu Andreas Zumachs Referat am 14. März 2024 in Dortmund

Zumach sprach die Äußerungen von UNO-Generalsekretär António Guterres an, die er nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 getätigt hatte. Diesen Überfall, so Zumach, habe Guterres „ohne Einschränkung vollständig als Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschheit“ verurteilt und die Hamas aufgefordert sofort sämtliche israelische Geiseln freizulassen und den weiteren Raketenbeschuss auf Israel einzustellen. Dann aber habe er den verhängnisvollen Satz „Aber dieser Krieg passiert nicht in einem Vakuum, nicht im luftleeren Raum. Sondern er habe eine Vorgeschichte. Dies erinnere auch an den Ukraine-Krieg. Schließlich habe auch dieser eine Vorgeschichte. Die oft von Medien und Politik ausgeblendet werde.

Dann sei vorallem Israel heftig über Guterres hergefallen. Nie zuvor in der Geschichte der UNO sei so mit einem UN-Generalsekretär so respektlos umgegangen worden.

Ohne die Vorgeschichte, merkte Andreas Zumach an, sei eben auch der Nahostkonflikt nicht zu verstehen.

Zu dieser Vorgeschichte führte Zumach dann aus. Er ging bis 1921 zurück und führte das Publikum weiter bis zur Situation, in welcher es zur Staatsgründung Israels im Jahr 1948 und der Vertreibung der Palästinenser, Nakba (Katastrophe), wie diese es nennen, gekommen sei. Im Jahre 1947 habe die UNO-Generalversammlung den Teilungsplan beschlossen. Wonach auf dem in Frage stehendem Territorium der jüdische Staat Israel mit 56,5 Prozent und ein Staat Palästina mit 43,5 Prozent entstehen sollte. So allerdings kam es bekanntlich nicht.

An dieser Stelle möchte ich einen Hinweis einflechten: Andreas Zumachs Referat fand hybrid statt – also sowohl in Präsenz als auch via Livestream. Aus Zeitgründen konnte ich nicht persönlich vor Ort dabei sein, weshalb ich den Livestream nutzte. Leider war der Vortrag besonders anfangs akustisch äußerst schwer verständlich. Aus diesem Grund empfehle ich meine Rezension zur kürzlich im pad-Verlag erschienenen Broschüre „Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“ zu lesen, beziehungsweise diese Broschüre im pad-Verlag zu bestellen. Es lohnt sich sie zu lesen. In ihr wird genau auf die Historie des Nahostkonfliktes eingegangen. Allerdings gehe ich einmal davon aus, dass Andreas Zumach sich den Inhalt dieser Broschüre möglicherweise nicht zu eigen macht. Also bitte ich meine Leser, Andreas Zumach nicht für Inhalte dieser Broschüre in Verantwortung zu nehmen.

Für die USA ist es ein Einfaches auf Israels Tun Einfluss zu nehmen

In Verlaufe von Zumachs Schilderungen der Geschichte erinnerte er daran, dass es für die USA ein Einfaches wäre und immer schon war, auf Israels Tun Einfluss zu nehmen. Der seinerzeitige US-Außenminister James Baker habe, nachdem die USA Israel gegen die Raketen aus dem Irak beschützt hatte, Tel Aviv aufgefordert, mit den Palästinensern über eine Lösung des Konfliktes zu verhandeln. Premier Yitzchak Schamir habe das brüsk abgelehnt. Im Juni 1991 sei Baker dann wieder gekommen und habe gesagt, wenn Israel nicht zu Konfliktlösungen bereit sei, dann werde ein schon vom Kongress abgenickter zinsloser Kredit von 13 Milliarden US-Dollar eingefroren. Unter diesen Druck signalisierte Tel Aviv Bereitschaft mit den Palästinensern zu reden. Zumach erinnerte an diese Episode, weil sie zeige, dass eine amerikanische Regierung Druck auf Israel auszuüben vermag; dann hätten sie die Instrumente: „Das gilt heute genauso wie damals.“

Lichtblicke in Richtung Frieden

Die PLO erkannte Israel an. Das Oslo-Abkommen wurde abgeschlossen. Ein kurzer Lichtblick Richtung Frieden sei das gewesen. Während der Regierung von Yitzchak Rabin sei Oppositionsführer der heutige Premier Benjamin Netanjahu gewesen. Und der arbeitete dagegen. Plakate hinter Netanjahu auf der Bühne beiseinen Reden waren zu sehen, die Rabin in SS-Uniform mit einer Schlinge um den Hals am Galgen hängend mit der Aufschrift „Verräter“ zeigten. In dieser Stimmung wurde Rabin am 4. November 1994 von einen, wie es bis heute heiße, „Einzeltäter“ ermordet. Das Friedens- und Versöhnungslager und das Lager, was für eine Zweistaatenlösung standen waren geschwächt. Netanjahus Likud-Partei war damals und ist bis heute gegen eine Zweitstaatenlösung.

Netanjahu finanzierte die Hamas, um die Fatah zu schwächen

Netanjahu habe immer wieder dafür gesorgt, die Hamas mit Millionen von Dollar finanziell zu stärken und zu pampern, um die PLO, die säkulare Fatah, zu schwächen. Um die Zweistaatenlösung zu torpedieren.

Mit Camp-David II im Jahre 2000 sollte später das Oslo-Abkommen gerettet werden. Für den Staat Palästina seien dann nur noch 6 Prozent des Territoriums vorgesehen gewesen. Mahmud Abbas habe dem nicht zustimmen können. Ansonsten wäre er wohl physisch tot gewesen.

US-Präsident Trump erklärte  der Zweistaatenlösung eine Absage

Noch später habe US-Präsident Trump der Zweistaatenlösung eine Absage erteilt. In einem völkerrechtswidrigen Akt hatte er die US-Botschaft nach Jerusalem, die er als Hauptstadt Israels anerkannte, verlegen lassen.

Der Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023

Schließlich kam der Referent auf das Heute und die Frage zu sprechen warum wohl die Hamas diesen Angriff auf Israel durchgeführt hat. Zumach meinte, ihn habe das nicht überrascht und bat darum dies nicht falsch zu verstehen. Zumach: „Angesichts der zunehmenden Frustration und der immer schwierigeren humanitären Lage auch im Gaza-Streifen – schon lange vor dem siebten Oktober – und die UNO-Berichte über die Lage dort sind ja deutlich. Die sagen es gibt kein anderes Gebiet auf der Welt wo auf so engem Raum so viele Menschen unter völlig unzureichenden Lebensverhältnissen leben … plus die Repression durch die Hamas, deren Islamisierung … dass es wieder zu einer Gewalteskalation kommen würde, war nur eine Frage der Zeit.“

Andreas Zumach zur Zukunft

Die Zukunft unterteilte Zumach in kurzfristig, mittelfristig und langfristig.Kurzfristig sei erst einmal die Frage zu klären, wie die bedrohliche humanitäre Situation im Gaza-Streifen, wo bis zu 2,3 Millionen Menschen vor allem vom Verhungern und Verdursten, sowie fehlender medizinischer Versorgung bedroht sind. Zumach ist nicht erinnerlich, in seinen 35 Jahren als UNO-Korrespondent jemals eine vergleichbare Situation erlebt zu haben, in der nun alle, die etwas zu tun haben mit humanitären Programmen im UNO-Bereich so dringend warnen, jetzt etwas zu tun. Niemals zuvor seien in so kurzer Zeit in einem militärischem Konflikt so viele Zivilisten und ein so hoher Anteil von Kindern zu Tode gekommen.

Zumach war klar: Netanjahu würde sich nie auf einen Waffenstillstand einlassen

Zumach sei von Anfang an klar gewesen, dass sich Netanjahu keines Falls auf einen Waffenstillstand einlassen würde. Gewiss allein schon deshalb, weil auf ihn diverse Prozesse u.a. wegen Korruption warten, die ihn wohl hinter Gitter bringen würden.

Andreas Zumach ist nicht der einzige, der der Meinung ist, dass, möglicherweise Israel die Evakuierung des Gaza-Streifens weiter durchzieht und somit sozusagen die Nakba (Vertreibung der Palästinenser) von 1948 fortsetzt oder gar vollendet. Und Israel zynisch darauf setzt, dass die Vertriebenen nicht zurückkommen. (Ich empfehle anbei das Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Ilan Pappe.)

Ein Protektorat, um die Menschen im Gaza-Streifen zu schützen?

Andreas Zumach und Mitstreiter empfehlen eine durch ein robustes UNO-Truppenkontigent UN-geschützte Zone (Andreas fand dafür den Begriff Protektorat) für die Menschen im Gaza-Streifen. Zumach erinnerte an Folgendes: „Die Palästinenser sind die einzige Flüchtlingspopulation in dieser Welt, die bis heute keinen Staat haben, in den sie bitteschön zurückkehren können.“

Zwar, merkte Zumach an, wächst weltweit und auch in den USA, wo Chuck Schumer, der dienstälteste der beiden US-Senatoren des Bundesstaates New York nun Israel aufforderte, baldmöglichst Wahlen abzuhalten, die Kritik am Vorgehen Israels; doch gleichzeitig würden weiter Waffen an Tel Aviv geliefert.

Eine Einstaatenlösung?

Auch eine Einstaatenlösung, ein säkularer Staat, wo alle Bewohner jeglicher Konfession mit völlig gleichen Rechten friedlich, mit dem Recht ihre jeweilige Religion auszuleben, zusammenleben könnten, hat wohl keine Chance Realität zu werden. Allerdings, so Zumach, habe in 1950er bis in die frühen 1960er Jahre gerade auch auf der palästinensischen Seite Leute, Prominente, die dieses für das richtige Modell hielten. Der bekannteste von ihnen sei der berühmte Orientalist des letzten Jahrhunderts, Eward Said ,gewesen.

Ein binationaler Staat?

Auch ein Modell eines binationalen Staates gebe es. Zwei Staaten, aber nur ein Territorium. Entwickelt an der schwedischen Lund-Universität. Der eine Staat ist für die palästinensischen Bürger zuständig, der andere für die israelischen. Nur Sicherheitsfragen nach außen die sollte man gemeinsam machen.

Außenministerien Baerbock spricht von der Zweistaatenlösung. Sie sagt aber nicht, was passieren müsste, um sie ins Werk zu setzen

Andreas Zumach gibt zu bedenken: Wenn Leute, wie etwa Frau Baerbock heute von einer Zweistaatenlösung sprächen, müssten sie auch sagen, was passieren müsste, um das umzusetzen. Da müsse gesagt werden, was mit den 700.000 jüdischen Siedlern geschehen solle, die auf palästinensischem Gebieten leben.

Dazu führte Zumach dazu aus, dass er im Mai 2009 mit Medico International und mit dem Kabarettisten Georg Schramm in Palästina und Israel gewesen sei. Abschließend sei man zusammen bei Moshe Zuckermann – damals noch Professor an der Uni in Tel Aviv – gewesen. Zumach damals zu Zuckermann: „Erklär uns doch mal wie eine Zweitstaatenlösung zustande kommt.“ Zuckermann entgegnete genervt: „Lass mich damit doch in Ruh’! Guck dir das doch an.“

Archivfoto: ©Claus Stille

Damals habe es sich um nur 330.000 Siedler gehandelt. Zumach zitierte Zuckermann: „Wenn man eine Zweistaatenlösung will, dann muss eine israelische Regierung den Siedlern sagen, ihr müsst die Koffer packen und umziehen. Und dann muss bereits Ersatzwohnraum bereitgestellt sein in Israel. Und dann werden 80 Prozent der Siedler zwar murren, aber sie werden die Koffer packen und umziehen. Und zwanzig Prozent werden zur Knarre greifen. Und dann muss eine israelische Regierung bereit sein, die Armee in das Westjordanland zu schicken. Und dann werden wir bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen mit hunderten von Toten auf beiden Seiten haben. Das ist der Preis, wenn man eine Zweistaatenlösung will.“

Was heißt denn Staatsräson?

Dann: Der Vorhang zu und alle Fragen offen. Noch geht das Morden Israels im Gaza-Streifen weiter – es sterben immer weiter Menschen. Über 300.00 Menschen sind tot. Wohl schon 12.000 Kinder sind um ihr Leben gebracht. Werden wir eine Lösung des Nahostkonflikts erleben? Wohl vorerst leider nicht. Aber klar: Die Hoffnung darauf stirbt zu allerletzt …

Eines immerhin sei klar, sagte Zumach noch gegen Ende, „die Illusion, die spätestens seit 1967 geherrscht hat, die Illusion, man könne diesen Zustand mit sicherheitspolitischen, militärischen und anderen unterdrückerischen Maßnahmen unter Kontrolle halten und managen und man müsse sich nicht um eine politische Lösung des Grundkonflikts kümmern – diese Illusion ist, glaube ich, innenpolitisch in Israel endgültig zerbrochen. Und warum ist sie zerbrochen? Weil Netanjahus Hauptslogan in all den 16 Jahren, in denen er in der Regierung war immer war: Ich garantiere eure Sicherheit. Das ist das zentrale Versprechen von ihm gewesen. Und dieses Versprechen ist nun durch die Taten der Hamas am 7. Oktober in einer Weise unglaubwürdig geworden – das lässt sich nicht mehr reparieren.“ Im Übrigen, informierte Zumach, würden in den jüdisch-israelischen Medien alle Fragen um den Anschlag der Hamas in einer ziemliches Offenheit und aller Schärfe diskutiert. Zumach die Zeitung Haaretz, die hier auch online auf Englisch gelesen werden kann. Des Weiteren gebe es ein ausgezeichnete Internetplattform mit dem Plus972Magazin, gemacht von jüdischen und palstinensischen Journalisten. Da würden Informationen diskutiert, die man in den meisten deutschen Medien nicht findet.

Andreas Zumach ging auch auf den Begriff Staatsräson ein, den einst Angela Merkel bei einer Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament, in die Welt gesetzt habe. Auch Gregor Gysi, so Zumach habe sich diesen Begriff damals zu eigen gemacht. Darauf von Zumach einmal angesprochen wusste er angeblich nichts mehr davon und konnte den Begriff auch nicht erklären. Zumach erklärte es ihm. Im Grunde komme das aus dem preußischen Obrigkeitsstaat. Und bedeute gehorchen, sozusagen: ein Basta! Erkläre man das in künftigen Jahren etwa Jugendlichen, bewirke man damit das Gegenteil des Gewünschten.

Welche Verantwortung wir haben

Zumach: Klar, wir haben Israel gegenüber eine Verantwortung, sogar ein doppelte Verantwortung: Eintreten für eine dauerhafte, gesicherte Existenz Israels. Und zweitens eine besondere dazu. Jeder Form von Judenhass (Zumach zieht diesen Begriff dem Begriff Antisemitismus vor) wo immer wir ihn begegnen müsse entschieden lautstark entgegen getreten werden. Zur Verantwortung gehöre auch zu erkennen, dass die völkerrechtswidrige und menschenrechtsfeindliche Besatzungs- und Siedlungspolitik der israelischen Regierung die größte Gefährdung für eine auf Dauer unbedrohte Existenz des Staates Israel ist. Dann haben wir als Deutsche nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht die israelischen Freunde, die Regierung zu kritisieren in ihrer Politik. Allerdings geschehe bei uns genau das Gegenteil. „Bei uns wird in einer Art und Weise jede noch so präzise Kritik an israelischer Regierungspolitik als Antisemitismus diffamiert. Auch um Auftritte zu verhindern, wie auch in Dortmund schon geschehen.“ Auch Worte wir Israelkritik solle man aus dem Wortschatz streichen, weil sie falsch seien.

Kritisch sieht Andreas Zumach den Zentralrat der Juden in Deutschland. Der Zentralrat spiele oft den Lautsprecher der israelischen Regierungspolitik. Dies sei natürlich ein Problem. Das sei eigentlich auch nicht seine Aufgabe. Er ist zuständig für die bei uns in Deutschland lebenden Juden. Er vertritt nicht einmal 50 Prozent von ihnen. Dabei gebe es bei uns auch Menschen – deutsche wie israelische Juden – die eine völlig andere Meinung vertreten als der Zentralrat der Juden. Dies sei vorellem die „Die jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Das seien etwa etwa 170 hierzulande lebende deutsche und israelische Juden.

Deutschlands Verantwortung: Dazu beitragen, diesen Krieg zu beenden

Die Verantwortung Deutschlands liege jetzt darin mit beizutragen, diesen Krieg zu beenden. Und möglichst vielen Menschen im Gaza-Streifen das Leben auch ohne Verletzung zu ermöglichen. Und uns dann ehrlich für eine politische Lösung einzusetzen. Und zwar nicht nur verbal, sondern auch mit der Bereitschaft mitzumachen. Käme es zu einer Zweistaatenlösung unter dem Schutz einer Blauhelmtruppe unter amerikanischer Führung, dann hätte Andreas Zumach überhaupt keine Probleme damit, dass da auch deutsche Bundeswehrsoldaten dabei sind – wenn niemand da in der Region Bedenken hätte.

Ein interessanter Vortrag. Mit anschließenden, ebenso interessanten Fragen aus dem Publikum.

Beitragsbild: Andreas Zumach (Archivfoto: © Claus Stille)

Zum Thema Palästina passender Beitrag aus meinem Archiv.

„Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“ – Eine Broschüre von Peter Hänseler und René Zittlau. Rezension

Der Krieg Israels in Gaza nach dem Überfall der Hamas auf das Land am 7. Oktober 2023 mit inzwischen ca. 30.000 getöteten palästinensischen Menschen (davon ca. 12.000 Kindern!), einem nahezu komplett zerstörten Gazastreifen, 1,7 Millionen Vertriebenen, nach Jahrzehnten der Apartheid , hinterlässt eine von Hungersnot bedrohte Bevölkerung. Die seitens israelischer Politiker offen geäußerte genozidalen Absichten der rechtsextremen Regierung in Tel Aviv sind ein erbärmliches Schreckenszeugnis.

Seit über 128 Tagen wird Gaza zerbombt. 50% aller Häuser sind zerstört, darunter Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Bäckereien usw. Der Zugang zu Wasser, Nahrungsmittel und Strom ist unterbrochen. Hunderte Ärzte, Medizinpersonal, Krankenwagen und Apotheken können ihre Arbeit
nicht mehr fortsetzen.

Fast 70.000 Menschen sind verwundet, mehrere tausend Körper liegen unter Trümmern und können nicht bestattet werden. Menschen die schon mehrmals in den letzten 75 Jahren aus ihren Dörfern oder Flüchtlingslagern vertrieben wurden, sind wieder auf der Flucht. Es wurde viel Leid, Zerstörung, Angst und Hass gesät. Bis jetzt sind mehr als 17.000 Kinder zu Waisenkindern geworden.

Massenmord in Gaza

Wie anders soll man das bezeichnen, was da in Gaza stattfindet – als Massenmord? Zudem kommt noch ein rigoroses Plattmachen der dortigen Infrastruktur. Auch vor Moscheen und Kirchen wird kein Halt gemacht. Die noch am Leben gebliebenen Palästinenser werden Richtung Rafah vertrieben. Aber auch dort sind sie keinesfalls sicher. Es fehlt allenthalben am Nötigsten zum Leben. Eine zweite Vertreibung der Palästinenser. Ist es da falsch von einer weiteren Nakba (Katastrophe) sprechen, die im Gange ist?

Israel will sich offenbar der Palästinenser endgültig entledigen. Will man sie in die Wüste, nach Ägypten treiben? Dies wird Kairo aus verständlichen Gründen nicht hinnehmen. Auch würde ja Israel diese Vertriebenen nie wieder in deren Heimat zurücklassen.

Die ethnische Säuberung Palästinas“

Von Ilan Pappe stammt das Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“, welches zu lesen ich unbedingt empfehle. Ilan Pappe ist der Sohn deutscher Juden, die als Folge der Machtergreifung Adolf Hitlers nach Palästina gekommen waren.

„Ihre Lebensgeschichte“ schreibt er im Vorwort zur aktuellen deutschen Ausgabe seines Buches, seine Eltern betreffend, „und das, was mit ihren Familienangehörigen geschah, ist einer der Hauptgründe für die tiefgehende Verpflichtung, die ich empfinde, die Geschichte der Nakba auch deutschen Lesern zu vermitteln.“

Und weiter «Aber auch jenseits meiner persönlichen Geschichte fühle ich, dass die Geschichte der Nakba auf Deutsch eine besondere Bedeutung hat. Wie schon der palästinensische Intellektuelle Edward Said sagte, sind die Palästinenser „die Opfer der Opfer“. Deshalb gibt es eine besondere deutsche Verantwortung für das, was die zionistische Bewegung und später der Staat Israel den Palästinensern angetan haben.«

Es sei seine Absicht gewesen, so Pappe, „zu verdeutlichen, dass die ethnischen Säuberungen von 1948 und vergleichbare israelische Aktionen bis heute das Ergebnis der siedlerkolonialistischen Ideologie ist, die in der indigenen Bevölkerung keine gleichwertigen Menschen sieht“. Und: „Die Dehumanisierung der Palästinenser ist ein wichtiger Bestandteil der zionistischen Ideologie (nicht von Anfang an, sondern erst ab dem Augenblick, an dem die zionistischen Führer Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts beschlossen, dass der einzige Weg sich des europäischen Antisemitismus zu erwehren, die Kolonisation Palästinas sei). Der einzige Weg, die Kolonialisierung zu vollenden, so wie es in Nordamerika geschah, in Australien und Süd-Afrika, war, sich der ursprünglichen Bevölkerung zu entledigen.“

Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“

Ähnlich sehen es auch die Autoren Peter Hänseler und René Zittlau – fußend auf ihren akribischen Recherchen – in der soeben im pad-Verlag erschienen Broschüre „Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“.

Zu dieser Broschüre lesen wir:

«Die Menschen in Palästina sind im übertragenen Sinn Opfer der jüdischen Opfer des verbrecherischen NS-Regimes. Das Versprechen einer Zwei-Staaten-Lösung wird von Israel und seinen Verbündeten sabotiert. Der Krieg in Gaza ist nicht ein Krieg zwischen zwei Staaten, sondern zwischen Besatzern und Besetzten. Die Blockade jeglicher Zufuhr von Energie, Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Gaza, die Zerstörung humanitärer und lebensnotwendiger Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen nimmt bewusst die Zivilbevölkerung ins Visier und verantwortet deren totale Ausrottung. Der Krieg gegen Gaza ist ein Genozid. Die Gleichsetzung von Jüdinnen und Juden mit Israel, die Enthistorisierung eines langen schwelenden Konfliktes wird durch das undemokratische Konstrukt von „Staatsraison“ und „bedingungsloser Solidarität“ zur Teilhabe an Kriegsverbrechen.

Deutschland macht sich in doppelter Weise mitschuldig am Verbrechen des Völkermordes: durch den geschichtlichen Holocaust an den Jüdinnen und Juden, sowie beim gegenwärtigen Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern und deren Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat.«

Und weil sich Deutschland in doppelter Weise mitschuldig am Völkermord in Gaza macht, stellte Jürgen Todenhöfer kürzlich Strafanzeige gegen die Bundesregierung:

„Ich habe heute Strafanzeige gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen nach §8 und §11 Völkerstrafgesetzbuch erstattet. Die Regierung Netanyahu begeht in Gaza schwerste Kriegsverbrechen. Die Ampel leistet hierzu politisch und militärisch Beihilfe. Unter anderem durch eine Verzehnfachung ihrer Rüstungsexporte an Israel seit Kriegsbeginn. Diese Beihilfe zu Kriegsverbrechen ist strafbar. An der Strafanzeige beteiligt sich ein aus Gaza stammender Deutscher, der bei einem der Angriffe Israels auf Gaza einen Großteil seiner Familie verloren hat. Vertreten werden wir bei unserer Strafanzeige durch die Berliner Strafrechtskanzlei Buse, Herz und Grunst. Als langjähriger Bundestagsabgeordneter, als ehemaliger, kurzzeitiger Strafrichter in einem Terrorismus-Prozess und als deutscher Staatsbürger erwarte ich eine Grundsatz-Entscheidung der deutschen Gerichte zu dieser zentralen juristischen und moralischen Frage der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Das Grundgesetz verlangt von allen Deutschen, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Und nicht den Kriegen westlicher oder pro-westlicher Staaten, die erkennbar mit Selbstverteidigung nichts zu tun haben. Der Generalbundesanwalt steht vor einer schwierigen juristischen und auch politischen Aufgabe. Er darf dem zu erwartenden Druck der Bundesregierung nicht nachgeben. Auch er hat „dem Frieden der Welt zu dienen.“ Zusammen mit dem Bundesverfassungsgericht ist er unsere wichtigste Hoffnung bei der Verteidigung unseres ausdrücklich friedliebenden Grundgesetzes und unserer rechtsstaatlichen Demokratie. Die einschlägigen Bestimmungen des Völkerstrafgesetzbuchs haben folgenden Wortlaut. Ihre Klarheit lässt keine Zweifel an der Rechtswidrigkeit der israelischen Kriegsführung aufkommen: „§ 11: Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung (1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt 1. mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen richtet, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen, 2. mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen zivile Objekte richtet, solange sie durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind, namentlich Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude oder entmilitarisierte Zonen sowie Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten, 3. mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht, [Grundsatz der Verhältnismäßigkeit]… wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.“ Soweit der Wortlaut des Völkerstrafgesetzbuches. Klarer kann man nicht formulieren. Und klarer als die Regierung Israels und Deutschlands kann man nicht gegen das Völkerstrafgesetzbuch verstoßen.“ Quelle: Jürgen Todenhöfer auf X

Was unbedingt zu bedenken ist, wenn wer auch immer sich zum Nahostkonflikt äußert, lesen wir in der Einleitung der Autoren zu ihrer Broschüre

«Es ist erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit sich Medien und Exponenten, welche sich gerne als Experten sehen, in ein unsägliches moralisch-emotionales Bad begaben, nur um in Kürze von Fakten überholt zu werden, welche dieselben Exponenten dann zu einer Kehrtwende zwingen. Teilweise ist dies bereits geschehen.

Wir nahmen uns die Zeit, umfassend zu recherchieren und nachzudenken, bevor wir zur Feder griffen; ein Privileg, das News-Medien nicht haben.

Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, Partei zu ergreifen und Exponenten zu verurteilen, sondern Fakten zu ordnen, zu analysieren und so eine Basis für eine Diskussion zu erarbeiten, welche einen Ausweg aufzeigen könnte, auch wenn er nicht – wie so oft – beschritten wird.

Analysen, welche die historischen Fakten, die zur gegenwärtigen Situation führten, ausser Acht lassen, greifen zu kurz.

Die Uniformität der in den westlichen Medien und auf den Bühnen der westlichen Politik vertretenen Standpunkte findet ihren Ursprung nicht nur in politischem Kalkül oder verkrusteten Wertvorstelllungen, sie sind vielmehr ein klarer Hinweis auf das fehlende Verständnis für die Komplexität der Materie.

Dessen sind wir uns bewusst und daher haben sich René Zittlau und ich dafür entschieden, den in dieser Broschüre veröffentlichten Text als gemeinsame Artikel gemeinsam zu schreiben – zu viele Fakten mussten untersucht werden, um innert nützlicher Frist unseren Lesern einen Überblick zu verschaffen. Die einzelnen Teile eröffnen wir regelmässig mit der geschichtlichen Aufarbeitung. Und so beginnen unsere Betrachtungen mit dem Ersten Weltkrieg, da bis 1917 zwischen den Arabern und Juden Frieden herrschte. Es wird keinen unserer Leser verwundern, dass es des Auftauchens des damaligen Imperiums bedurfte, um Zwietracht zwischen Völkern zu säen.«

Welche Absichten hatte der israelische Staat bereits von Anfang an?

Im Kapitel „Grossisrael – keine Verschwörungstheorie“ (S.32)“ lesen wir: «Grossisrael reicht vom Euphrat bis zum Mittelmeer und umfasst aus heutiger Sicht folgende Staaten: Israel inklusive sämtliche Palästinensergebiete, der südliche Teil Libanons, Syrien, Jordanien und Teile Ägyptens, inklusive Alexandria und Port Said.

Laut Wikipedia ist der Wunsch und die Absicht Israels, Grossisrael zu schaffen, eine Forderung von wenigen Extremisten und wird als Verschwörungstheorie abgetan.

«Die Eretz-Israel-HaSchlema-Ideologie hat zu verschiedenen Verschwörungstheorien geführt, die besagen, ein Streben nach einem Grossisrael vom Euphrat bis zum Nil sei das Ziel des Zionismus und israelische Staatsdoktrin.« (Quelle: Wikipedia)

Aussagen des Staatsgründers David Ben Gurion

Interessant sind die Aussagen des Staatsgründers Ben Gurion. Etwa diese in deutscher Übersetzung (Originalquelle: Quelle: David Ben-Gurion, 21. Mai 1948, an den Generalstab. Aus Ben-

Gurion, A Biography, von Michael Ben-Zohar, Delacorte, New York 1978, S. 130.)

«Verschwörungstheorien werden nicht von Staatsoberhäuptern verkündet.»

«Die Archillesferse der arabischen Koalition ist der Libanon. Die muslimische Vorherrschaft in diesem Land ist künstlich und kann leicht gestürzt werden. Ein christlicher Staat sollte dort errichtet werden, mit seiner südlichen Grenze am Fluss Litani. Wir würden einen Bündnisvertrag mit diesem Staat unterzeichnen. Dann, wenn wir die Stärke der Arabischen Liga gebrochen und Amman bombardiert haben, könnten wir Transjordanien auslöschen; danach würde Syrien fallen. Und wenn Ägypten es immer noch wagen sollte, gegen uns Krieg zu führen, würden wir Port Said, Alexandria und Kairo bombardieren. Damit würden wir den Krieg beenden und die Rechnung mit Ägypten, Assyrien und Chaldäa im Namen unserer Vorfahren begleichen.»

Auch dieses Zitat ist über die Maßen unmissverständlich in seiner Aussage.

Die Autoren der Broschüre schreiben (S.34): „Ein weiterer interessanter Hinweis auf die wahren Absichten Israels findet sich in einem Tagebucheintrag Ben Gurions vom 18. Juli 1948 wie folgt:

«Wir müssen alles tun, um sicher zu gehen, dass sie [die Palästinenser] niemals zurückkommen. … Die Alten werden sterben, die Jungen werden vergessen»

QUELLE: DAVID BEN-GURION, IN SEINEM TAGEBUCH, 18 JULI 1948, ZITIERT IN

NAKBA – DIE OFFENE WUNDE. DIE VERTREIBUNG DER PALÄSTINENSER 1948

UND IHR FOLGEN. VON MARLÈNE SCHNIEPER, ISBN 978-3-85869-444-7

„Die als Verschwörungstheorie abgetane Aussage, es sei die Absicht Israels, ein Grossisrael zu schaffen, ist somit widerlegt. Verschwörungstheorien werden nicht von Staatsoberhäuptern verkündet.“

Es folgt im weiteren Verlauf der Broschüre ein wichtiger, unverzichtbarer geschichtlicher Abriss von Ereignissen und Taten, der gekannt werden muss, will man sich zum heutigen Konflikt äußern.

Zunächst gilt es zu wissen: „Palästina, das die heutigen Staaten Israel und Jordanien sowie den Gaza-Streifen und das Westjordanland umfasste, kam durch den Zerfall des Osmanischen Reiches 1920 unter britische Verwaltung, so wie im Geheimabkommen Sykes-Picot von 1916 geplant.

Ab 1917 kam es in der Zeit des britischen Mandats zu einer starken jüdischen Zuwanderung nach Palästina, die durch die Judenverfolgung ab 1933 beschleunigt wurde.

Das Siedlungsverhalten der Juden war nicht selten von Rücksichtslosigkeit und Gewalt gegenüber der palästinensischen Bevölkerung gekennzeichnet, was von der britischen Verwaltung geduldet wurde.

Auf Grund dessen und der schieren Masse an jüdischen Zuwanderern kam es wiederholt zu bewaffneten Unruhen und Aufständen. Nach dem 2. Weltkrieg wurde durch die UNO eine Zweistaatenlösung herbeigeführt, da die entstandenen Probleme anders nicht mehr beherrschbar erschienen. Im Ergebnis erhielt die jüdische Minderheit 56,47% des Mandatsgebiets (ohne Transjordanien) zugesprochen.

Dieses Gebiet entsprach im Wesentlichen den Territorien, die sich die jüdischen Siedler im Laufe der Zuwanderung angeeignet hatten. Bis zur Teilung gab es dort jedoch keine jüdische Bevölkerungsmehrheit.

David Ben Gurion scherte sich jedoch nicht um UNO-Resolution 181 und nahm das Ende des britischen Mandats am 14. Mai 1948 zum Anlass, am darauffolgenden Tag Israel als Staat auszurufen. Dies im Widerspruch zur von der UNO auferlegten Zweistaatenlösung. Der Staat Israel betrat die Weltbühne und gleichzeitig hörte das historische Palästina auf zu existieren.“ (S.20)

Die Autoren schätzen ein:

„Die Gründung des Staates Israel widersprach dem Ansinnen der Weltbevölkerung, welche sich in der UNO Resolution 181 widerspiegelte und unmissverständlich eine Zweistaatenlösung forderte.

Damit legte der neue Staat den Grundstein für das heute seit bald 80 Jahren dauernde Chaos mit der palästinensischen Bevölkerung, die mit allem Recht für einen eigenen Staat kämpft.

Die Suez-Krise zeigte, dass sich Israel zuerst von Grossbritannien – später von den USA – durchaus einspannen lässt, falls es einen geopolitischen Vorteil für sich erkennt.“ (S.30)

Liest man diese interessante Broschüre, wird von Seite zu Seite immer deutlicher, was der israelische Historiker Moshe Zuckermann einmal in einem Gespräch auf dem You Tube-Kanal International ausführte: «Zuckermann bezeichnet die Besatzung der den Palästinensern zustehenden Gebiete durch Israel als die eigentliche Ursache für den Konflikt. Er kritisiert, dass diese Frage sowohl in Israel aber auch in der internationalen Debatte weitgehend tabuisiert ist: „Israel wollte nie Frieden, die israelischen Eliten bevorzugten seit vielen Jahrzehnten eine Politik der Besatzung und der Apartheid.“«

Die Aufzeichnungen der Autoren „beruhen ausschliesslich auf Fakten, nicht auf Thesen und Theorien“

Die Autoren der vorliegenden Broschüre bekräftigen: «Unsere Aufzeichnungen beruhen ausschliesslich auf Fakten, nicht auf

Thesen und Theorien. Wir analysierten die Ereignisse, lasen und

hörten, was die Mächtigen Israels tatsächlich sagten oder ihrem Tagebuch anvertrauten. Diese Quellen erachten wir als zuverlässig. Es gibt keine faktenbasierten Argumente, welche das Ziel Israels widerlegen, ein Grossisrael zu schaffen und sich dabei der indigenen Bevölkerung dieses Landes zu entledigen und Nachbarn zu berauben. Dies tat und tut Israel ohne jede Rechtsgrundlage. Religiöse Schriften sind keine Rechtsgrundlage und auch keine Basis für seriöse geopolitische Analysen. Darüber hinaus zeigt die Geschichte: Religiös fundiertes politisches Handeln führt zwangsläufig zu Unrecht.« (…) „Ein Krieg folgt dem Drehbuch Ben Gurions.“

Ein menschenwürdiges Leben für die nichtjüdische Bevölkerung ist in den besetzten Gebieten nicht möglich

Mit der nichtjüdischen Bevölkerung geht Israel nicht selten schlimmer als nach Gutsherrenart um: „Israel sperrt den Zugang zu den besetzten Gebieten nach Belieben, von Freizügigkeit kann keine Rede sein. Israel bestimmt, was dort erlaubt ist oder nicht, egal ob es sich um medizinische Versorgung, um Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, oder um Wasserrechte handelt. Ein menschenwürdiges Leben für die nichtjüdische Bevölkerung ist in den besetzten Gebieten nicht möglich. Die UNO beschreibt laut einem

Bericht der FAZ bereits am 12. Juli 2017 den Gazastreifen als unbewohnbar.“

„In israelischen Gefängnissen sitzen Tausende nichtjüdische Einwohner der besetzten Gebiete, darunter viele Kinder. Ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil“, erfahren wir aus der Broschüre.

Es genügt die sogenannte Administrativhaft über sie zu verhängen: „Das israelische Militär kann Administrativhaftbefehle von bis zu sechs Monaten ausstellen, um Palästinenser*innen in Gewahrsam zu nehmen, wenn es «vernünftige Gründe» dafür gäbe, dass eine Person eine Gefahr für die «Sicherheit des Gebiets» oder die «öffentliche Sicherheit» darstelle.“ (Quelle:Amnesty International )

Bezüglich der Alleinverantwortlichkeit Israels“ (S.66) informieren die beiden Autoren: „Ein Staat, der über staatsfremdes Gebiet die absolute Kontrolle ausübt, ist infolge dieser Macht für alles verantwortlich, was in diesen staatsfremden und besetzten Gebieten geschieht. Der Besatzer kann sich nicht freisprechen von irgendeiner Gewalt, die er gegen andere ausübt oder die gegen ihn ausgeübt wird. Es spielt dabei auch keine Rolle, welcher Nation oder Religion die unterdrückte Bevölkerung angehört. Denn der Besatzer herrscht per se illegal auf fremdem Gebiet. Somit sind sämtliche seiner erlassenen Regeln ebenfalls illegal, da ohne Rechtsgrund.

Es ist weltweit ein natürliches Recht der Besetzten, sich als Unterdrückte gegen fremde Gewalt auf eigenem Grund und Boden zu wehren.

Eine Besatzungsmacht hingegen hat kein Recht auf Selbstverteidigung gegen die Besetzten, wie das Israel aktuell massiv für sich in Anspruch nimmt und vom politischen Westen und den Mainstreammedien unhinterfragt und uneingeschränkt unterstützt wird und zwar mit höchst unappetitlichen Mitteln, wie wir in «ARD – Glossar rechtfertigt Genozid – Dr. Goebbels wäre stolz»* ausgeführt haben.“ *Verweis in Broschüre auf einen Beitrag auf Voice from Russia.

Wobei hier – um Missverständnisse auszuschließen – allerdings angemerkt sei, dass die Autoren an keiner Stelle und in keinem Fall den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 rechtfertigen.

Wenn die Broschüre ab dem Kapitel Der 7. Oktober 2023 – ein Land versinkt in den Abgründen seiner Geschichte

Israel – ein Land politisch gefangen zwischen dem Gründungsmythos seiner Unabhängigkeitserklärung, der zionistischen Agenda und Realitäten, die nicht auszuräumen sind“ (ab S.66) auf deren Ende zuläuft, ist beim Leser noch einmal höchste Konzentration erforderlich.

Ich pflichte den beiden Autoren unbedingt bei: „Ohne Kenntnis der Geschichte sind die Ereignisse um Gaza und das Westjordanland nicht zu verstehen.“ Sie beleuchten und erörtern die Ursachen des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren. Sie machen noch einmal unmissverständlich deutlich: „Nur Fakten können unseres Erachtens die Grundlage dafür sein, der Wahrheit näher zu kommen.“

Was die Berichterstattung der Medien angeht, sind sie zu folgender Ansicht und Meinung gekommen, die aufmerksame Zeitgenossen durchaus teilen werden:

„Die öffentlich-rechtlichen Medien und die grossen privaten Medienunternehmen im Westen sind einer Meinungsoligarchie verpflichtet. Eine neutrale Berichterstattung zum Thema Israel wird dadurch unmöglich. Auf diese Problematik verwiesen wir im Artikel „ARD–Glossar rechtfertigt Genozid – Dr. Goebbels wäre stolz“, der anhand eines ARD-internen Glossars speziell zur Nahost-Berichterstattung die Mechanismen offenlegt, mit Hilfe derer eine ausgewogene Information – wie laut Rundfunkstaatsvertrag verpflichtend vorgegeben – gezielt verunmöglicht wird.

Das interne Glossar enthält eine Liste von Experten, die von den Exponenten der betroffenen Fernsehstationen heranzuziehen sind – das sind keine Vorschläge. Die Adressaten des Glossars sind verpflichtet ausschliesslich diese Experten heranzuziehen.“

Nebenbei bemerkt haben sich auch die NachDenkSeiten mit dem Glossar beschäftigt: Hier.

Zum Ablauf des 7. Oktober 2023

Besondere Aufmerksamkeit ist in der Broschüre dem Ablauf des 7. Oktober 2023 gewidmet. Zum Einen wird die israelisch-westliche Darstellung in den Fokus genommen. (S.70):

«Bevor der Sachverhalt von unabhängigen Quellen erörtert werden konnte, gaben die Israelis der Welt vor, was sich abspielte und wie diese „Fakten“ zu bewerten seien. Dem folgten die westlichen Medien in pflichtwidriger Vernachlässigung ihrer Sorgfaltspflicht und die westlichen Regierungen in Verfolgung ihrer politischen Agenden.

Bis heute hat sich folgende Geschichte im Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit eingebrannt:

Am 7. Oktober 2023 überfielen ein paar tausend Hamas-Terroristen das friedliche Israel, ermordeten Zivilisten, vergewaltigten Frauen und köpften zahllose Babys, zerstörten brandschatzend israelische Siedlungen und nahmen Geiseln – und dies an einem hohen jüdischen Feiertag, dem Simchat Tora.

Diese Darstellung hält einer faktenbasierten Prüfung nicht stand. «

In ihrer Analyse verwendeten die Autoren „soweit möglich israelische und amerikanische Quellen.«

Unabhängige amerikanische Medien und die israelische Zeitung Haaretz hätten jedoch ein anderes Bild gezeichnet. Als einer der ersten habe der amerikanische Journalist Max Blumenthal auf seinem Blog „The Grayzone“ über die Abläufe und Aktionen berichtet.

Westliche Horrorgeschichten seien letztlich widerlegt worden.

Unfassbarer Höhepunkt dessen sei „die Mär von den 40 enthaupteten israelischen Babys“ gewesen. Wir lesen: „Selbst Präsident Biden hielt es für nötig zu behaupten, Fotodokumente dazu gesehen zu haben. Eine Geschichte, die inzwischen unter dem Faktendruck des tatsächlichen Geschehens stillschweigend kassiert wurde. Fehlen durften auch nicht die inzwischen zum westlichen journalistischen Standard-Repertoire gehörenden „Informationen“ über Massenvergewaltigungen.“

Dieser Nahostkonflikt könnte sich im schlimmsten Falle zu einer Katastrophe entwickeln, die die ganz Region erfasst. Israels Reputation in der Welt hat aufgrund dieses in Gaza verübten Massenmords schon jetzt beträchtlich gelitten. Man kann durchaus einschätzen, dass sich Israel längst mehr schadet, als seine es Feinde tun. Leider erkennt Israel diese Gefahr offenbar selbst nicht.

Es wäre an der Zeit, dass die Weltgemeinschaft dem Leid ein Ende setzt. Dafür trägt die EU eine besondere Verantwortung. Wie Deutschland sich verhält ist eine Schande. Berlin muss seine Stimme erheben und Israel in den Arm fallen, wenn es sich nicht ein weiteres Mal schuldig machen will. Erst recht, wenn es ein Freund Israels sein will. Deutschland muss sich unmissverständlich für die Rechte der Palästinenser einsetzen.

Die Menschen in Palästina und Israel, vor allem Kinder und Neugeborenen haben ein besseres Leben verdient. Leben in Frieden und Gerechtigkeit muss möglich
sein.

Ich finde diese Broschüre ist für all die Menschen, die sich ernsthaft für die behandelte Thematik interessieren, unverzichtbar. Meine Hoffnung: Wer die mit großer Sorgfalt aufgrund von tief gehenden Recherchen verfassten Texte gelesen und verstanden hat, wird sich künftig nicht mehr in unbedachter Weise über diesen Konflikt äußern. Die Broschüre ist auch insofern höchst empfehlenswert, weil sie auf 80 Seiten über alle wichtigen Geschehnisse innerhalb eines geschichtlichen Zeitraums von 100 Jahren informiert. Noch dazu ist zu einem Preis zu erwerben, der für viele Menschen erschwinglich sein dürfte.

Der Philosoph Slavoj Žižek hat auf Freitag.de einen eindringlichen Videokommentar veröffentlicht.

In Gaza zeige sich gerade die zerstörerische Kraft des Fortschritts, und die Kehrseite der europäischen Aufklärung. Der slowenische Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker Slavoj Žižek kommt zum Schluss: Europa muss stärkeren Druck auf Israel ausüben sich auf humanitäre Werte zurückzubesinnen. Im Interesse der Palästinenser, Europas und zuletzt der Sicherheit jüdischen Lebens selbst. Er sagt: „Ich bin ein Pessimist. Ich denke Europa ist zu Ende.“ Seine Hoffnung sei ein Wunder.

Zu den Autoren

Peter Hänseler

betreibt den dreisprachigen (deutsch, englisch, russisch) geopolitischen und geo-ökonomischen Blog voicefromRussia.com.

Er ist Schweizer und lebt in Moskau. Er studierte Jura in Zürich (lic. Iur. 1989), (Dr. iur. 1991) und Washington, D.C. (LL.M., Georgetown University 1994) und arbeitete als Rechtsanwalt (Patent 1993) in Zürich

(Bär & Karrer 1994-1997) und New York (Townley & Updike 1994) bevor er in die Geschäftsleitung der Marc Rich Gruppe eintrat, wo er unter anderem für Russland verantwortlich war (1997-2001). Danach leitete er Immobilienfonds in Russland (PHI Group 2001-2012).

Schon seit Jahren beschäftigt sich Peter Hänseler mit Geopolitik und Geoökonomie und publizierte ab 2008 vor allem in der Weltwoche. 2022 gründete er VoicefromRussia.com. Peter Hänseler publiziert weiter in der Weltwoche, auf ZeroHedge.com, im BloomDoom&Gloom Report des

Schweizer Investment-Guru Dr. Marc Faber und in weiteren geopolitischen Blogs. Er hat sich aus allen geschäftlichen Aktivitäten zurückgezogen, um sich auf seine Arbeit als Publizist zu konzentrieren.

René-Burkhard Zittlau

lebt in Deutschland. Er studierte in den 1980-er Jahren Sprachen

(Russisch und Tschechisch) an der Universität Leipzig mit dem

Abschluss Diplom-Sprachmittler.

Anfang der 1990-er Jahre wechselte er vom Staatsdienst in die private Wirtschaft. Für deutsche mittelständische Unternehmen sehr verschiedener Branchen baute er Tochterunternehmungen in Mittel- und Osteuropa auf und leitete sie teilweise.

Mit Geschichte und Geopolitik beschäftigt er sich bereits seit seinen Studienzeiten. Schreibt u.a. in GlobalBridge und infosperber und vor allem in voicefromRussia.com.

Was ist die Stimme aus Russland?

In diesem dreisprachigen Blog berichtet Peter Hänseler, ein Schweizer der in Moskau lebt, über geopolitische und geoökonomische Themen. Peter Hänseler unterscheidet sich von Mainstream-Journalisten dadurch, dass er Themen aus westlicher und östlicher Sicht betrachtet und bewertet – und somit auch über Themen schreibt, über welche im Westen schwerpunktmässig nicht berichtet wird. Da er in diesem Blog Journalist, Redaktor undHerausgeber in einer Person ist, sieht er sich zudem keinem Einfluss einer Redaktion oder eines Verlags ausgesetzt.

Peter Hänseler ist politisch und journalistisch unabhängig, geht in Russland keiner kommerziellen Tätigkeit nach und bezieht keinerlei Mittel vom Staat oder anderen Organisationen. Der Blog ist für die Leser kostenlos. Spenden sind willkommen.

Seit drei Jahren wohnt er aus privaten und kulturellen Gründen wieder in Moskau. Zuvor lebte er in der Schweiz, den USA, Spanien und Thailand.

Was möchte ich mit diesem Blog?

Die derzeitige Gesprächskultur lässt Gegenmeinungen immer weniger zu – seien sie noch so rational und begründet. Dies betrifft nicht nur politische,

sondern immer mehr auch wirtschaftliche Themen.

Die veröffentlichte Meinung gilt heute oftmals als einzige Wahrheit. Andere Meinungen werden zunehmend angefeindet oder ausgeschlossen. Diese Entwicklung hemmt meines Erachtens die freie Meinungsäusserung und den Diskurs in Gesellschaft, Medien und Politik. Darunter leidet die im Westen von Politik und Medien zu Recht hochgehaltene individuelle Freiheit und eine liberale Weiterentwicklung der Gesellschaft. Derzeit verbannen selbst die privaten weltumspannenden sozialen Medien durch Einsetzung von Zensoren mit woken Begründungen und ohne gesetzliche Grundlage User und Quellen; als ob das Publikum nicht fähig wäre, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Anbei empfohlen:

Homepage: https://voicefromrussia.ch/

Via International/YouTube

Zur Broschüre

INHALT: Die Nahost-Problematik versteht man nur, wenn man

die Geschichte und die gegenwärtige geopolitische Lage kennt –

Emotionen helfen nicht / In Feuer geboren – von der Ausrufung

des Staates Israel bis zur Suez-Krise. Die Basis zum Verständnis

der heutigen Situation / Die westliche Beurteilung der

Politik Israels sind Ansichten, welche mit der Realität nichts gemein haben – wir präsentieren die Fakten / Von Camp David bis

Libanon 1982 – Apartheid und Kolonialismus in Israel / Wie der

Vertrag von Oslo zu Hamas und Hisbollah führen musste / Der

7. Oktober 2023 – ein Land versinkt in den Abgründen seiner

Geschichte

Israel – Vom Opfer zum Täter

zum Opfer – ein Hin und Her

seit 80 Jahren

Peter Hänseler / René Zittlau

80 Seiten, mit zahlreichen farbigen Karten,
8.-€*

* Staffelpreis bei Direktbestellung ab 5 Expl.: 7 .– €/St.

pad-verlag – Am Schlehdorn 6 – 59192 Bergkamen – E-Mail: pad-verlag@gmx.net

Schriftenreihe des Forum Gesellschaft & Politik e.V.

Redaktion: Peter Rath-Sangkhakorn

unsere Seite im Netz: http://www.pad-verlag.de

E-Mail: pad-verlag@gmx.net

Die in dieser Broschüre zusammengefassten Beiträge wurden in

einer Israel-Reihe über mehrere Monate auf

https://voicefromrussia.ch

erstveröffentlicht. In den einzelnen Artikeln wurden alle externen

Dokumente, auf die in der Broschüre verwiesen wird, verlinkt.

Es lohnt schon aus diesem Grund ein Besuch. Ebenso finden die

Leser dort alle Artikel, die in der Broschüre an verschiedenen

Stellen als eigene Quellen benannt werden.

Hinweis: Wenn Sie, lieber Leserinnen und Leser, in Wörtern in der von den Autoren der von mir zitierten Sätzen statt eines „ß“ die Schreibweise „ss“ finden, so ist das Schreibweise in der Schweiz geschuldet.

Anbei empfohlen:

Thomas Stimmel spricht mit Iris Hefets.
Thomas Stimmel spricht mit Abed Hassan.

Update am 13.4.2024: İnteressantes neues Video von Dr. Michael Lüders:

Dr. Michael Lüders

Fall Assange: Wertewestliche Klassenjustiz und der Niedergang der freien Presse

Seit Jahren verfolgt, entrechtet, malträtiert und foltert der Westen den australischen Journalisten Julian Assange, weil er US-Kriegsverbrechen aufdeckte. Eine klare Ansage an alle westlichen Medienschaffenden: Wer sich nicht zum Propagandisten der Mächtigen macht, lebt gefährlich.

Von Susan Bonath

Stets trägt der Westen das Label „Pressefreiheit“ hochnäsig vor sich her. Dies ist einer dieser vermeintlichen „Werte“, mit denen er sich selbst ermächtigt, dem „Globalen Süden“ und jedem seiner Konkurrenten die politische, wirtschaftliche und kulturelle Eigenständigkeit abzusprechen. Doch die angebliche Pressefreiheit ist wie das Gerede von Menschenwürde eine Lüge und ihr Symbol ist der Journalist Julian Assange.

Jahrelanges Martyrium

Mit einem schikanösen, noch ergebnislosen Berufungsverfahren, das Assange gegen seine Auslieferung an die USA beantragt hatte, täuschte London am Dienstag und Mittwoch hilflos und kleinlich so etwas wie einen Rest von Rechtsstaat vor. Doch mehr als 13 Jahre der Jagd auf den Wikileaks-Gründer, der Folter und Freiheitsberaubung bis zu Tötungsabsichten, haben den pressefreiheitlichen Rechtsstaat längst gekillt.

Die westliche Wertegemeinschaft hat sich gegen Assange verschworen, weil er Kriegsverbrechen der US-Streitkräfte in Afghanistan und im Irak aufgedeckt, also getan hatte, was freie Journalisten tun sollen – vorneweg Schweden, Großbritannien und die führende Militärmacht USA. Assanges Martyrium begann 2010 mit manipulierten Vergewaltigungsvorwürfen und soll nun mit einer Auslieferung des Australiers an die USA, die ihn wohl bestenfalls im Knast verrotten lassen würde, noch lange nicht enden.

Der Hass der CIA auf den Journalisten wuchs, als Wikileaks seine Mission, die Schweinereien der Mächtigen aufzudecken, nicht aufgab und 2017 unter dem Codewort Vault 7 Dokumente zu Machenschaften des US-Geheimdienstes veröffentlichte. Der von Präsident Donald Trump neu eingesetzte CIA-Direktor, wenig später zum US-Außenminister beförderte Republikaner Michael Pompeo plante mit weiteren Spitzenbeamten sogar Assanges außergerichtliche Ermordung. Die USA wollten fortan seiner habhaft werden.

Die Verschwörer ließen ihn rund um die Uhr bespitzeln, setzten auf seine psychische und physische Zermürbung – die westliche Wertegemeinschaft griff im Einvernehmen zu immer neuen Foltermethoden. Den Rest erledigte der britische Justizapparat: Es folgten fünf Jahre Haft unter menschenverachtenden Bedingungen und eine beispiellose Klassenjustiz bis hin zur aktuellen Show.

Maulkorb für alle Journalisten

Die größte Schande an diesem Skandal aber ist die Untätigkeit der wertewestlichen Presselandschaft und ihrer Verbände. Wenn ein öffentlich-rechtlicher deutscher Sender in Gestalt des WDR beflissen Objektivität vortäuschend fragt, ob Assange „Verbrecher oder Held“ sei, ist das vor allem eins: ein Eingeständnis, dass auch deutsche Journalisten ihren Job längst gegen den von Propagandisten eingetauscht haben. Offensichtlich nehmen sie es hin, nur im politisch erlaubten Rahmen frei von staatlicher Verfolgung zu bleiben.

Dass dieser Rahmen enger geworden ist, dass die Show unter dem Label Pressefreiheit eine deftige diktatorische Schlagseite bekommen hat, zeigt sich nicht zuletzt im EU-weiten verhängten Verbot gegen russische Medien. Der Wertewesten fürchtet um die Wirkung seiner eigenen Propaganda. Diese Schlagseite zeigt sich im Schweigen der Journalistengewerkschaften und -verbände, etwa zu der massenhaften offenbar gezielten Tötung von Journalisten im Gazastreifen durch Israels Armee. Sie zeigt sich in einer politisch konform moralisierenden „Berichterstattung“ bis zu obszöner Kriegspropaganda und vielem mehr.

Die derart eifrige, langjährige Verfolgung eines einzelnen Journalisten ist eine neue Stufe der Eskalation einer pressefeindlichen Klassenjustiz. Die Absicht dahinter liegt auf der Hand: alle Medienschaffenden in eine Art Schockstarre des vorauseilenden politischen Gehorsams zu versetzen, ihnen einen Maulkorb der Angst zu verpassen. Die Propagandamaschine des Westens muss ihren Zweck erfüllen, sei es mit Gewalt.

Der „Globale Süden“ beobachtet freilich diese Heuchelei der NATO-„Gemeinschaft“ seiner ehemaligen Sklaventreiber, Kolonialherren und weiterhin aktiven Unterdrücker, die nach außen mit Menschenrechten wedeln und innen derselbe Morast aus imperialistischer Verlogenheit geblieben sind, der sie in Wahrheit immer waren – auch wenn der Schein zuweilen trog. Der „Süden“ wird es sich merken.

Feige Propagandisten

Die Doppelmoralisierer in diversen Medienhäusern fragen ja so gerne, ob ein Assange überhaupt als Journalist gelten dürfe oder ob er schon „Verbrecher“ sei. Doch wer immer von ihnen auch nur auf die Idee kommt, solche „Fragen“ zu stellen, hat seinen Beruf gemeinsam mit der Pressefreiheit so tief begraben, dass er sich selbst nicht mehr Journalist, statt dessen eher einen Propagandisten nennen sollte.

Wer immer als Medienschaffender nicht für die Freiheit von Julian Assange kämpft, völlig unabhängig, welche Kritik er an einzelnen Aspekten seiner Arbeit bei Wikileaks haben mag, hat sich längst mit der wertewestlichen Diktatur des Kapitals arrangiert und seine feige Unterwerfung unter die imperialistischen Machthaber besiegelt – vielleicht sogar ohne es selbst zu merken.

Quelle: RT DE

Beitragsbild: Kilez More vorm High Court in London; Screenshot via Youtube

Bild unten: Kilez More interviewt den Chefredakteur von WikiLeaks Kristinn Hrafnsson; Screenshot via You Tube

Unser Dank gilt Kilez More, der zwei Tage bei Wind und Wetter in London vor dem Gericht stand und LIVE von dort berichtete. Er führte u.a. Interviews mit Andrej Hunko, Gabriele Gysi, Kayvan Soufi-Siavash, Kristinn Hrafnsson, Flavio von Witzleben, Hardy Groeneveld, Juan Passarelli und Andrew Wilkie. Er begleitete auch die Abschlussdemonstration vom High Court bis zur Downing Street, dem Sitz des britischen Premierministers.

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Am Dienstag und Mittwoch findet in Großbritannien die womöglich letzte Anhörung im Auslieferungsverfahren gegen den Journalisten Julian Assange statt. Sevim Dagdelen (MdB) ist in London

An diesem Dienstag und Mittwoch findet in Großbritannien die womöglich letzte Anhörung im Auslieferungsverfahren gegen den Journalisten Julian Assange statt. Der bislang wichtigste Fall von Pressefreiheit im 21 Jahrhundert. Ich werde nach London reisen und als parlamentarische Prozessbeobachterin teilnehmen. Entschieden wird, ob Julian Assange Berufung gegen die Auslieferung einlegen darf. Falls die Richter des High Court dies ablehnen, wäre der Rechtsweg in Großbritannien ausgeschöpft. Schlimmstenfalls könnte Julian Assange umgehend in ein Flugzeug gesetzt und an die USA überstellt werden. Und zwar, noch bevor er und seine Anwälte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Berufung einlegen könnten. Ob sich die britische Regierung an eine völkerrechtlich verbindliche einstweilige Verfügung des EGMR gegen eine Auslieferung halten würde, ist unklar.

Mit Julian Assange auf der Anklagebank sitzt der investigative Journalismus. Assange drohen in den USA bis zu 175 Jahre Haft, weil er seiner Arbeit als Journalist nachgegangen ist und u.a. Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan und im Irak öffentlich gemacht hat. Weltweit für Entsetzen sorgte das von Wikileaks publik gemachte Video „Collateral Murder“, das die Ermordung von zwölf irakischen Zivilisten, darunter zwei Reuters-Journalisten, durch einen Kampfhubschrauber der US-Armee dokumentiert.

Um Julian Assange habhaft zu werden, wendet die US-Regierung gegen einen Journalisten und Verleger erstmals den Espionage Act aus dem Jahr 1917 an, ein Gesetz, das einst der Verfolgung von Spionage im Ersten Weltkrieg dienen sollte. Sollten die USA mit ihrem Auslieferungsgesuch Erfolg haben, wäre es ihnen gelungen, investigativen Journalismus in Spionage umzudefinieren und zu kriminalisieren. Die Auslieferung von Assange wäre ein fataler Schlag gegen die Presse- und Meinungsfreiheit. Ein solcher Präzedenzfall wäre dramatisch, insbesondere auch für Journalisten außerhalb der Vereinigten Staaten. Wohlgemerkt: Julian Assange ist australischer Staatsbürger, der für Veröffentlichungen in einem europäischen Land in den USA juristisch belangt werden soll. Teil der US-Anklageschrift sind politische Ausführungen auf öffentlichen Konferenzen in Deutschland über den notwendigen Schutz von Whistleblowern sowie die Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit, darunter auf der re:publica und beim Chaos Computer Club.

Im Fall Julian Assange geht es auch um den Schutz von Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten. Assange, bislang keines Verbrechens schuldig gesprochen, sitzt seit fast fünf Jahren unter folterähnlichen Bedingungen in einem Hochsicherheitsgefängnis für Terroristen und Schwerverbrecher. Die Anhörungen in dieser Woche sind der vorläufige Höhepunkt eines politischen Schauprozesses, der seinesgleichen sucht.

Wie in der Vergangenheit soll auch diesmal die Öffentlichkeit mit hohen Hürden und einem kafkaesk-intransparenten Verfahren von der Prozessbeobachtung abgehalten werden. Ich werde daher an dieser Stelle aus London berichten. Eine Auslieferung von Assange muss unbedingt verhindert werden zum Schutz der Pressefreit und der Demokratie. Die Freiheit von Assange ist die Freiheit von uns allen.

Die anhaltende Tatenlosigkeit der Bundesregierung im bisher wichtigsten Fall von Pressefreiheit im 21. Jahrhundert ist skandalös. Die Ampel ist aufgerufen, sich bei der US-Regierung und in Großbritannien mit Nachdruck für ein Ende der Verfolgung des Journalisten und Wikileaks-Gründers Julian Assange einzusetzen, wie dies der Bundestag mit Beschluss vom Juli 2022 fordert. Die Bundesregierung muss sich von den Angriffen der USA und Großbritanniens auf die Pressefreiheit im Fall Julian Assange deutlich distanzieren und sollte dem verfolgten Journalisten als konkrete Geste der Solidarität politisches Asyl anbieten.

Donnerstagabend berichte ich in der Mai-Galerie (Torstraße 1, Berlin-Mitte) im Rahmen der Veranstaltung „Free Assange“ (ab 19 Uhr) über den Prozess.

Quelle: Sevim Dagdelen via Facebook

LIVE streamt Kilez More aus London.

Kilez More live aus London.

„Sie sind hier! Was jetzt?“ von Robert Fleischer. Rezension

Zusammen mit Schulkameraden habe ich mich seinerzeit schon früh immer wieder mit der Thematik „Außerirdische“ beschäftigt. Angeregt wurden wir auch durch diverse spannende Bücher. Beispielsweise durch die Scince-Fiction-Romane von Stanisław Lem.

Anregende Literatur: „Ein Stern fiel vom Himmel“

Im Buchregal meiner Eltern fiel mir als Schüler das Buch „Ein Stern fiel vom Himmel“ (erschienen 1934) von Hans Dominik, den man den Ingenieurschriftsteller nannte, in die Hände. Ich musste mir damals angewöhnten Süterlinschrift zu lesen.

Der Inhalt: Ein Bolide von rund einem Kilometer Durchmesser, der neben Millionen Tonnen Silber und Platin auch Goldadern im Wert von sagenhaften 20 Milliarden Reichsmark enthält, stürzt in den Weiten der Antarktis nieder. Deutsche Wissenschaftler und Politiker narren mithilfe der Stratosphärenschiffe der Eggerth-Werke ihre Kollegen in den restlichen Ländern ebenso gekonnt wie den amerikanischen Schatzsucher James Garrison. Ich lese dieses Werk gerade wieder als E-Book.

Anregende TV-Serie: „Time Tunnel“

Auch „Time Tunnel“, eine US-amerikanische Science-Fiction-Serie, die in der ARD von 1971 bis 1972 in 13 Folgen gesendet wurde, brachte unsere Synapsen auf Trab.

Der Inhalt: In einer geheimen Forschungsanlage unter der Wüste arbeiten die Amerikaner an der Entwicklung einer Zeitmaschine, die es ihnen erlauben soll, sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft zu reisen.

Der Sputnik-Schock

Unsere Phantasie wurde dadurch beflügelt. Wir bauten Raumschiffmodelle, und machten Versuche mit selbstgebastelten Raketen und sogen zu diesem Behufe jede verfügbar werdende

Information zum Thema Raumfahrt begierig auf. Sputnik 1, der erste sowjetische künstliche Erdsatellit, war am 4. Oktober 1957 – gut ein Jahr nach meiner Geburt – gestartet. Der Sputnik war lange in aller Munde. Für den Westen, die US-Amerikaner, war das damals ein ziemlicher Schock (hier). Am 21. Juli 1969 um 02:56:20 Uhr UTC (03:56:20 Uhr MEZ – In den USA war es noch der 20. Juli) betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond und sprach die berühmten Worte: “That’s one small step for ‹a› man, one giant leap for mankind!” (Quelle: Wikipedia)

Gibt es Außerirdische?

Obschon in der Polytechnischen Oberschule nach Stand der damaligen wissenschaftlich-technischen Grundlagen und Erkenntnisse unterrichtet, hielten wir Schulfreunde es dennoch für möglich, dass auf weit entfernten Gestirnen andere Wesen (Außerirdische) existierten und unserer Erde womöglich irgendwann einen Besuch abstatten könnten. Doch wie sahen sie aus? Waren sie uns Menschen ähnlich? Es war immer mal wieder von grünen Marsmännchen mit großen Augen die Rede bzw. wurden diese in Filmen so dargestellt. Wären diese Außerirdischen in der Lage mit uns zu kommunizieren – und wir mit ihnen? Und kämen sie in friedlicher Absicht? Wie würden es ihnen überhaupt gelingen von wo auch immer hier zu uns kommen? Mit uns bekannter Technik und den bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen würde das doch über die langen Strecken gänzlich unmöglich sein. Also müssten sie uns Menschen in jeder Hinsicht überlegen sein.

All dieses Denken ist menschliches Denken. Wie sollte es auch anders sein – sind wir doch Menschen. Wir Menschen denken halt aufgrund unseres bekannten Wissens sowie unseres allgemeinen Vermögens.

Darüber hinaus können wir uns vieles vorstellen. Was allerdings nicht viel nützt, wenn wir nichts dergleichen in der Hand haben oder vor unserem Auge sehen.

Robert Fleischer, Journalist, Filmemacher und Diplom-Dolmetscher hat aufrüttelndes, informatives Buch geschrieben

So sieht das auch Robert Fleischer. Er ist Journalist, Filmemacher und Diplom-Dolmetscher. Schon seit seiner Kindheit interessiert er sich für UFOs. Jetzt hat sich ein Traum für ihn erfüllt. Er hat ein ziemlich umfangreiches (512 Seiten) und informatives Buch mit vielen überprüfbaren seriösen Quellenangaben im Anhang über die Thematik geschrieben zu welcher er über eine lange Periode hinweg geforscht und recherchiert hat.

Es trägt den aufrüttelnden – oder wenn man so will – aufschreckenden Titel „Sie sind hier! Was jetzt?“ In der Tat?

Fleischer vertritt – beruhend auf seinen erworbenen umfangreichen Kenntnissen und vielen Informationen, auf welche er sich mittlerweile stützen kann, aus durchaus seriösen Quellen die Meinung, dass es nicht mehr allzu weit hin sein dürfte, bis der Weltöffentlichkeit Wahrheiten mitgeteilt, resp. reiner Wein, bezüglich des Themas, eingeschenkt werden müsse. Allerdings, so gibt er zu bedenken, dürfte das vermutlich zu einer ziemlichen Verunsicherung unter den Menschen führen.

Robert Fleischer: „Das Wissen um UFOs bringt die Grundpfeiler unserer Wirklichkeit ins Wanken“

„Das Wissen um UFOs“ schreibt Fleischer im Vorwort zum Buch, „bringt die Grundpfeiler unserer Wirklichkeit ins Wanken. Wer sie gesehen hat, für den ist die Welt nie mehr so wie zuvor. Aber fast alle schweigen aus Angst, ausgegrenzt zu werden. Aber wenn sie doch reden, stellen sie oft fest, dass viele Menschen Ähnliches erfahren haben. Und schließlich finden sie zusammen und beginnen, die Gesellschaft, die Religionen und die Wirklichkeit zu hinterfragen – und zu verändern. Vielleicht ist genau das die Absicht der UFOs – vielleicht auch nicht.“

Robert Fleischer: „Ich habe lange darüber nachgedacht, warum es bisher nicht möglich war, eine befriedigende Antwort auf UFOs zu finden, wie auf jeden anderen Untersuchungsgegenstand auch. Mittlerweile glaube ich, dass es an der Art liegt, wie wir uns selbst begreifen. Wir denken, dass wir schlau sind, dass wir dieses Phänomen in seine Bestandteile zerpflücken können, um es zu verstehen. So wie ein Bakterium, das wir unter dem Mikroskop platzieren, um die Einzelheiten genauer zu erkennen. Oder wie einen Fisch, den wir aus dem Aquarium holen, um ihn zu sezieren. Doch inzwischen glaube ich, dass es genau umgekehrt ist. Nicht wir beobachten ein Bakterium, sondern wir sind selbst die Mikrobe auf der Trägerplatte.“

Die Begegnung mit Erich von Däniken war für Robert Fleischer ein Anstoß

Bereits mit 16 Jahren begann Robert Fleischer mit ersten journalistischen Praktika, später arbeitete er unter anderem für den MDR. Dass er Journalist wurde und sich speziell mit dem Thema, von welchem im Buch die Rede ist befasste, hat ganz sicher auch mit der Begegnung des sechzehnjährigen Robert Fleischer mit Erich von Däniken zu tun (hier ein Video zusammen mit Erich von Däniken). Seit Juni 2007 berichtet Fleischer hauptberuflich über das Phänomen UFOs.

Statt von UFOs spricht die US-Regierung inzwischen von UAPs

Interessant: Statt von UFOs spricht die US-Regierung inzwischen nur noch von UAP. Das ist die Abkürzung von „Unidentified Aerial Phenomena“ (unbekannte Luft-Phänomene) .

Robert Fleischer gründete Exopolitik Deutschland

Robert Fleischer ist Gründer von Exopolitik Deutschland (www.exopolitik.org) und Gründungsmitglied der International Coalition for Extraterrestrial Research (icer.network) der 30 Experten weltweit angehören. Seit 2019 moderiert er gemeinsam mit Dirk Pohlmann die Sendung Erstkontaktakt auf ExoMagazin.tv und spricht regelmäßig bei Kongressen im In- und Ausland.

Fleischer widmete sein Buch Illobrand von Ludwiger

Gewidmet hat Robert Fleischer sein Buch Illobrand von Ludwiger. Illobrand von Ludwiger war (er verstarb 2023) ein deutscher Astrophysiker und Buchautor, bekannt durch seine Veröffentlichungen zum UFO-Phänomen. Von Ludwiger studierte in Hamburg, Erlangen und Göttingen Physik. Neben dem Studium war er zwei Jahre an der Universitätssternwarte in Bamberg tätig und erwarb 1964 an der Universität Erlangen sein Diplom als Physiker. Hier das letzte Interview, das Robert Fleischer mit Illobrand von Ludwiger führte. Dazu: «Anfang 2020 veröffentlichte das Pentagon ganz offiziell drei UFO-Videos und räumte damit erstmals offiziell die Existenz von unidentifizierten Flugobjekten ein, für die das Militär keine Erklärung hat. Aus diesem Anlass interviewte Robert Fleischer den langjährigen UFO-Forscher Illobrand von Ludwiger und bat ihm um seine Einschätzung. Von Ludwiger nutzte die Gelegenheit, um seine Erkenntnisse aus jahrzehntelanger Forschung Revue passieren zu lassen. Waren er und seine Kollegen noch 30 Jahre zuvor skeptisch gewesen, ob es überhaupt Insassen der UFOs gebe, ging von Ludwiger gegen Ende seines Lebens davon aus, dass es sich um eine „Intelligenz handelt, die uns entweder bedroht oder beglückt“, die Menschen entführt, um Keimmaterial zu sammeln und die aktiv in das Geschehen auf der Erde eingreift.« (Quelle: ExoMagazinTV, You Tube)

Verständlich geschriebenes Buch, das gut lesbar ist

Robert Fleischers Buch liest sich sehr gut. Es ist verständlich geschrieben und gibt einen breitgefächerten Einblick über nahezu alle Informationen, welche zum Thema bekannt sind. Es ist so spannend, dass es einen schwerfällt das Buch aus der Hand zu legen. Das darin behandelte Thema als bloße Spinnerei abzutun dürfte nach Lektüre dieses Buches schwer fallen. Fleischer gibt uns eine Übersicht über UFO-Beobachtungen, Archive und
Richtlinien weltweit, nach Länder geordnet.

29 Länder haben sich mit UFOs beschäftigt – Deutschland ist nicht dabei

Interessant: „Mindestens 29 Länder haben sich mit UFOs beschäftigt und manche davon haben Akten dazu freigegeben, informiert uns der Autor. In neun Ländern – Argentinien, Chile, China, Frankreich, Kanada, Peru,Russland, Uruguay und den USA – existieren sogar eigens gegründete staatliche Stellen zur Untersuchung des UFO-Phänomens. Hinzu kommen die geheimen militärischen UFO-Forschungsprojekte in den USA, Großbritannien und der Sowjetunion, deren Existenz erst im Nachhinein bekannt wurde.“ […]

Was jedoch verwundern muss: Obgleich es auch in Deutschland Beobachtungen bestimmter Phänomene gegeben hat, gibt es angeblich keine staatliche Stelle, die dergleichen registriert und auswertet. Robert Fleischer hat einmal in der Bundespressekonferenz eigens diesbezüglich Fragen gestellt. Aber abschlägige Antworten erhalten. Selbst als Fleischer nach Ende der Bundespressekonferenz einem Vertreter der Regierung darauf hingewiesen hat, dass sich die USA sehr wohl damit befassen und zum Beweis einen Bericht der Washington Post vorlegte, wiegelte der Vertreter ab. Während hierzulande UFO-Forschung belächelt wird, nehmen andere Länder wie die USA das Thema sehr ernst. Dort wurde sogar eine eigene UFO-Behörde installiert. Und der US-Kongress, weiß Robert Fleischer, hat sogar ein UFO-Whistleblower-Gesetz erlassen, um an geheime Akten zu kommen.

Militär- und Verkehrspiloten berichten von UFO-Begegnungen – Menschen hatten gesundheitlichen Beeinträchtigungen

Natürlich erweisen sich auch jede Menge Sichtungen oder gar Fotografien auf der Welt, die suggerieren, es handele sich bei den gesehenen oder fotografisch festgehaltenen Objekten um UFOs bzw. UAPs, als Irrtum oder auch als Fälschung. Aber wurden eben auch Phänomene gesichtet – von Militärs, Militär- und auch Verkehrspiloten, Polizisten und Privatleuten – von denen angenommen werden kann, dass es sich bei ihnen um unbekannte Flugobjekte gehandelt hat. Die wiesen jedoch nicht selten Flugeigenschaften auf, die physikalisch mit unserem Wissen absolut nicht zu erklären sind. Was deren Fluggeschwindigkeiten und die von ihnen vollzogenen Flugmanöver anbetrifft. Es sei sogar beobachtet worden, dass die Objekte ins Meer abtauchten oder von da aufstiegen. Überdies ist von abgestürzten und geborgenen Fluggeräten berichtet worden. In Italien habe es einen Fall gegeben, wo Leichen aus so einem Objekt geborgen worden und dann in die USA verbracht worden seien.

Auch ist von direkten Begegnungen von Menschen mit derartigen Flugkörpern Bericht gegeben worden. Hernach hatten die Menschen u.a. gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Geheimes UFO-Forschungsprogramm der USA

Wir Leser bekommen auch einen Einblick in das geheime UFO-Forschungsprogramm der USA vermittelt, welches offenbar wesentlich umfangreicher war als geplant. „AAWSAP“ hatte nicht nur UFOs im Blick, sondern auch all die seltsamen paranormalen Phänomene, unter anderem auf der Skinwalker Ranch. Dort anwesende Personen hatten etwa u.a. von plötzlichen rapiden, zeitlich begrenzten Temperaturabfällen berichtet. Darüber gibt es jetzt brisante neue Informationen aus einem Buch, das der frühere AAWSAP-Leiter James T. Lacatski gemeinsam mit dem Investigativjournalisten George Knapp und dem Wissenschaftler und früheren leitenden AAWSAP-Mitarbeiter Dr. Colm Kelleher verfasst hat. „Wir sprachen mit George Knapp über das Ausmaß von AAWSAP sowie mit Colm Kelleher über nachgewiesene biologische Schäden nach UFO-Kontakten. Außerdem reden wir mit Ralph Blumenthal von der New York Times über seinen historischen Artikel von 2017, der die ganzen Enthüllungen überhaupt erst möglich machte. Über all das und mehr berichten Robert Fleischer und Dirk Pohlmann in ERSTKONTAKT #22“, heißt es im Text zu einem You Tube-Video.

Bei im Buch aufgeführten Berichten fällt auf, dass es immer wieder Sichtungen von UAPs in der Nähe von und über Atomanlagen bzw. militärischer Atomtechnik gibt. Und zwar sei dergleichen in den USA wie auch in der Sowjetunion registriert worden.

Zum Inhalt des Buches

Vorwort 9
Teil eins
UFOs und was wir darüber wissen 13
Teil zwei
Unidentifizierte Anomale Phänomene
Teil drei
Geheime Forschung 185
Teil vier
Das streng geheime UFO-Bergungsprogramm 255
Teil fünf
UFOs und das Universum jenseits der Wirklichkeit
Danksagung 427
AnhangI431
Anhang2
440

Fazit

Ein großartiges Buch, geschrieben auf der Grundlage von akribischen Recherchen! Man dürfte sich in unseren Breiten schwertun, ein weiteres, derart umfangreiches und sachlich wie seriös verfasstes Buch in deutscher Sprache zu finden. Mit einem 50-seitigen Anhang mit Quellen und Hinweisen. Als Leser hat man die Möglichkeit dieses Buch nach der Lektüre jederzeit als Nachschlagewerk zu benutzen. Robert Fleischer kann man wirklich nicht genug danken für seine jahrelange Ausdauer, unbeirrt und mutig bei der Stange geblieben zu sein, um sein Buchprojekt ins Werk zu setzen. Schade, dass Illobrand von Ludwiger das Buch nicht mehr in die Hand bekommen konnte. Er hätte sich gewiss darüber gefreut.

Ich bin mir sicher, dass dieses Buch dauerhaft einen wichtigen Platz bezüglich der darin beschriebene Thematik einnehmen wird. Wenngleich vielleicht schon bald Ergänzungen aufgrund von aufkommenden neuen Informationen und Erkenntnissen nötig werden dürften. Darüber, ob Robert Fleischer selbst UAP-Sichtungen tätigen konnte, habe ich im Buch nichts gelesen – oder habe ich es überlesen? Sei’s drum. Was noch nicht war kann ja noch passieren. Fleischers Verdienst besteht darin, dass er uns Lesern so unfassbar viele Informationen zugänglich gemacht hat und uns sicherlich in der nahen Zukunft und darüber hinaus noch machen wird.

Am Rande

Ein Freund von mir – er hat das Buch noch nicht gelesen – bleibt hingegen weiter skeptisch. Für ihn gibt es keine UFOs. Er vermutet, dass es sich bei den Erscheinungen um neue US-Militärtechnik gehandelt hat und handelt, die getestet werde. Um dies zu verdecken, meint er, befeuere man diese UFO-Geschichten. Allerdings kann er mir nicht erklären, wie diese „neue US-Militärtechnik“ derartige Flugmanöver – wie zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten auf der Welt beobachtet wurde – vollbringen kann. Der Vorhang zu und manche Fragen offen.

Robert Fleischer

SIE SIND HIER! WAS JETZT?

HARDCOVER

25,00 €*

Der Journalist Robert Fleischer präsentiert in diesem Buch die Ergebnisse seiner 16-jährigen Recherchen: UFOs sind nicht nur real, sondern stellen weltweit eine Herausforderung für Militärs und Geheimdienste dar. Vieles deutet darauf hin, dass eine nicht-menschliche Intelligenz dahintersteckt, die sich offenbar gezielt für ganz bestimmte Standorte auf der Erde interessiert und ein spezielles Motiv verfolgt. Dabei ist völlig unbekannt, ob es sich um Außerirdische handelt. Die Wahrheit könnte weitaus komplexer sein und unsere Vorstellung von Realität auf den Kopf stellen. Die Frage ist nicht mehr, ob es UFOs gibt – sondern wie wir als Menschheit damit umgehen.

ÜBER DIE AUTOREN

Robert Fleischer ist Journalist, Filmemacher und Diplom-Dolmetscher. Er interessiert sich seit seiner Kindheit für UFOs und begann mit 16 Jahren mit ersten journalistischen Praktika, arbeitete später unter anderem für den MDR. Seit Juni 2007 berichtet er hauptberuflich über das Phänomen. Er ist Gründungsmitglied der International Coalition for Extraterrestrial Research (icer.network) mit 30 Experten weltweit. Seit 2019 moderiert er gemeinsam mit Dirk Pohlmann die Sendung „Erstkontakt“ auf ExoMagazin.tv und spricht regelmäßig bei Kongressen im In- und Ausland.

Milena Preradovic spricht mit Robert Fleischer.

„Hybris und Nemesis“ von Rainer Mausfeld. Rezension

Wir leben in einer Zeit der Krisen. Nicht zuletzt in einer Krise der Demokratie. Haben wir überhaupt eine Demokratie? Hatten wir je eine?

Oskar Lafontaine etwa urteilte in einem Interview mit Tilo Jung einmal: „“Deutschland ist keine Demokratie, sondern eine Oligarchie“. Beispielsweise sind 73 Prozent der Deutschen gegen einen Militäreinsatz der Bundeswehr in Syrien (Welt-Trend). Dennoch findet er statt. Wie eine damalige Umfrage zeigte, befürworteten 94 Prozent der Deutschen gute Beziehungen zu Russland, fast 90 Prozent wünschten sich eine von den USA eigenständige Außenpolitik. Wird diesen Meinungen der Deutschen entsprochen? Eher ist doch das Gegenteil der Fall. Das Problem: wir haben eine repräsentative Demokratie. Wir wählen also Parteien und deren (zuvor von den Parteien bestimmte, oft in Hinterzimmern ausgekungelten) Kandidaten, welche uns Bürger dann im Deutschen Bundestag und den Parlamenten der Bundesländer vertreten (sollen). In der Regel geben wir Wähler alle vier Jahre unsere Stimme ab (sic!). Sie landet, was der inzwischen emeritierte Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Prof. Dr. Rainer Mausfeld als treffend bezeichnet, in der Urne.

Colin Crouch befand schon vor einiger Zeit, wir lebten in einer Postdemokratie. Andere wiederum sehen uns in einer Fassadendemokratie (anbei ein Text) gelandet.

Der Neoliberalismus ist m.E. die Krankheit unserer Zeit. Fast alle Bereiche unserer Gesellschaft – und es werden ständig neue davon erfasst – sind von dessen Geist, besser: Un-Geist, befallen. Das Perfide daran: Die mit dem Neoliberalismus in Verbindung stehenden Mechanismen, präziser: dessen Ideologie, wird den Menschen geradezu als Medizin verkauft, gepredigt, die uns vorgeblich voranbringt. Paradox: Eine Krankheit wird uns als Allheilmittel verordnet. Die zu Apologeten dieses „Allheilmittels“ gemachten oder gar – entsprechenden, wie auch immer gearteten Einflüssen erlegen – aus eigenem Antrieb dazu gekommenen Politiker sowie die ihnen kritiklos, liebedienernd zur Seite stehenden, ihnen nachplappernden Papageienjournalisten – statt als Vierte Macht in der Demokratie zu handeln! – in unseren Mainstream- und „Leit“-Medien verkaufen diesen Neoliberalismus.

Wobei dieser Begriff eigentlich nicht so recht treffend ist. Denn was daran ist liberal? Simon Wren-Lewis schrieb am 2. Mai 2016 einen Kommentar auf MAKRONOM, worin es heißt: «Der Neoliberalismus ist eine politische Bewegung oder Ideologie, die einen „starken Staat“ hasst und jede Form vom Markteingriffen durch den Staat ablehnt, die Unternehmensinteressen favorisiert und gegen eine organisierte Arbeitnehmerschaft opponiert.« Er weißt allerdings daraufhin: «In den USA hat das Wort „liberal“ eine komplett andere Bedeutung.« (Hier ist der Kommentar nachzulesen.)

Warum schweigen die Lämmer – ein Vortragsrenner

Rainer Mausfeld erreichte einen exorbitanten Bekanntheitsgrad, nachdem er 2015 einen Vortrag mit dem Titel „Warum schweigen die Lämmer? Psychologie, Demokratie und Empörungsmanagement“ gehalten hatte. Dieser Vortrag war aufgezeichnet und veröffentlicht worden. Auf You Tube ist Mausfelds Vortrag mehrere hunderttausend Mal angeschaut und von Zuhörern auf diversen öffentlichen Veranstaltungen live erlebt worden. Mausfeld selbst hatte damals keinesfalls mit dieser enormen Resonanz auf den nämlichen Vortrag gerechnet. Der Titel (mit dem Untertitel „Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören“) ist dann dankenswerterweise auch – vom Westend Verlag angeregt – in Buchform herausgekommen.

Ich habe mich das auch schon oft gefragt: Warum schweigen die Lämmer? Also: Warum verhalten wir Menschen uns wie Lämmer und laufen in der Herde mit und lassen es uns gefallen, dass unsere Gesellschaft durch den Neoliberalismus immer weiter ruiniert wird. Dass es von Jahr zu Jahr immer mehr Reichtum in den Händen weniger Leute gibt. Diese Reichen haben mehr Geld als ganze Länder zur Verfügung. Und können dadurch bestimmen, dass Staaten sozusagen nach ihrer Pfeife tanzen.

Oskar Lafontaine: Nie hat der Satz „Geld regiert die Welt“ so gestimmt wie gegenwärtig

Die Regierungen, die darin sitzenden Politiker, haben im Grunde kaum noch etwas zu sagen. Oskar Lafontaine bemerkte dessen eingedenk vor einiger Zeit: Nie habe der Satz „Geld regiert die Welt“ so gestimmt wie gegenwärtig. Aber nicht nur mit dem Mammon wird regiert, sondern auch mit der Angst. In seinem Buch „Angst und Macht“ schrieb Mausfeld über „Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“. Hier meine damalige Rezension. Darin schrieb ich: „Die Mächtigen – ich meine hier nicht die uns Regierenden, sondern die wahrhaft Mächtigen, welche ja die Ideologie des Neoliberalismus immer weiter vorantreiben, sind ja weitgehend unsichtbar. Sie haben keine Adresse. In früheren Zeiten hatten etwa die Ausgebeuteten, wenn der Guts- oder Fabrikherr den Bogen in Sachen Ausbeutung überspannt hatte, dessen Adresse. Und dann zogen sie schon mal mit Mistforken vor die Villa des Ausbeuters.“

Demokratie?

Demokratie bedeutet also, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Ist das bei uns so? War das jemals so? Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Professor Rainer Mausfeld hat sich u.a. ausführlich mit der Demokratie wie wir sie kennengelernt haben beschäftigt. Und festgestellt: Schon im Mutterland der Demokratie, den Vereinigten Staaten von Amerika, war sie von vornherein so angelegt, dass sich durch sie nichts an den Machtverhältnissen ändern konnte. Die Mehrheit des Volkes mochte wählen wie es wollte, die Interessen der (Minderheit) der Reichen, der Oligarchen, konnten nicht angetastet werden. Auch heute, bei uns, ist das im Grunde genommen so. Wenngleich noch nicht in den Dimensionen wie in den USA. Allein wer dort für das Präsidentenamt kandidiert, braucht ja ohne entsprechende finanzielle Ausstattung gar nicht erst antreten.

Die repräsentative Demokratie – wie wir sie hierzulande haben – hat gravierende Mängel. Das fängt ja schon bei der Auswahl und Aufstellung der Kandidaten der einzelnen Parteien an. Auf die wir Wähler – und nicht einmal alle Mitglieder einer Partei – keinerlei Einfluss haben.

Endlich! Der neue Mausfeld

Nun ist ein weiteres wichtiges Buch von Rainer Mausfeld im Westend Verlag herausgekommen, dass u.a. auch auf seinen vorherigen Büchern fußt. Es trägt den Titel „Hybris und Nemesis“. Was man mit Hochmut kommt vor dem Fall übersetzen könnte. Hybris und Nemesis sind zwei griechische Gottheiten.

Das Buch ist nicht nur wichtig sondern auch gewichtig. Mit seinen 510 Seiten ist es fast schwerer als ein Ziegelstein.

Es trägt den Untertitel „Wie uns die Entzivilisierung der Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren“

Das Werk ist gleichsam ein wahres historisches und philosophisches Kompendium von Zeit- und Weltgeschichte verschiedener Epochen in mehreren geografischen Breiten.

Und somit auch ein Nachschlagewerk, das man stets in Reichweite griffbereit zu stehen haben sollte.

In die Tiefe der Historie lotend und die einzelnen Epochen gründlich ausleuchtend, lässt uns Rainer Mausfeld deutlich werden, wie der Begriff der Demokratie seiner ursprünglichen Bedeutung mehr und mehr entkleidet worden ist. So weit, dass er zwar gerne – meist in Sonntagsreden – im Munde geführt wird, aber mit der ursprünglichen Bedeutung Volksherrschaft doch kaum noch etwas gemein hat. Vielmehr werde der Begriff Demokratie als Herrschaftsinstrument missbraucht. Mausfeld spricht von einer Demokratierhetorik. Es geht darum, die sogenannten Eliten und deren herrschenden Positionen zu sichern.

Es ist ja so, wie es zum Buch heißt:

„Macht drängt nach mehr Macht und Reichtum nach mehr Reichtum, eine Dynamik, die den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährdet und sie zu zerstören droht: Dies ist eine der frühesten Einsichten der Zivilisationsgeschichte. Macht bedarf daher stets einer robusten Einhegung. Das bedeutendste Schutzinstrument für eine Zivilisierung von Macht stellt die egalitäre Leitidee der Demokratie dar.“

Indem Mausfeld 5000 Jahre zurückgeht, kann er uns aufzeigen, dass schon zu jener Zeit die Menschen erkannt hatten, was heute zum Grundproblem liberaler Demokratien geworden ist und immer erschreckender zutage tritt – wenn man denn ein Sensorium entwickelt hat, das erkennen zu können: Macht und Reichtum streben danach, sich ungezügelt zu potenzieren. Wenn beides nicht immer wieder eingehegt wird.

Indem uns Lesern Mausfeld den Prozess von Elitenbildung und -kontrolle an den Beispielen Mesopotamiens, des alten Chinas oder des antiken Athens sowie Ägyptens zur Kenntnis gibt, erfahren wir, dass die jeweiligen Eliten immer Mittel und Weg fanden, sich der Kontrolle und Einhegung ihrer Macht trickreich zu entziehen. Sie passten gewissermaßen auf wie die Schießhunde, um sich selbst neuen Organisationsformen anzupassen, respektive diese fürs eigene Interesse zu übernehmen.

Die Eliten hätten schon immer Wege gesucht und Mittel gefunden, um Einfluss und Macht nicht zu verlieren bzw. wiederzugewinnen. Selbst neue Formen der gesellschaftlichen Organisation waren ihnen da auf Dauer kein Hindernis. Mausfeld: „Diese eröffneten den jeweiligen Machteliten wirksamere Wege der Ausbeutung und neue Möglichkeiten für eine stabilere Organisation ihrer Macht. Gegenüber diesen neuen Organisationsformen von Ausbeutung und Macht erwiesen sich die zuvor gewonnenen Instrumente einer Aufsteiger- und Elitenkontrolle als weitgehend unwirksam.“

Mausfeld hat bereits in seinen früheren Veröffentlichungen darauf hingewiesen, dass sich die Mächtigen auch der Erkenntnisse aus der Soziologie und Psychologie bedienen, um die Meinung der „Untertanen“ in eine bestimmte Richtung zu lenken. Dazu kommt m.E., dass sich ihnen auch die elektronischen Medien beigesellt haben und ein im meinen Augen auf den Hund gekommener Journalismus, welcher nicht mehr im Sinne der Vierten Macht arbeitet.

Und es wird mehr oder weniger geschickt mit Manipulationen gearbeitet, gibt Mausfeld zu bedenken: „Hierfür genügen bereits sehr elementare sprachliche Mittel, um ein und denselben Sachverhalt so zu kontextualisieren, dass er einmal als moralisch gut und ein anderes Mal als moralisch verwerflich oder böse erscheint.“

In früheren Zivilisationen griffen die Mächten noch zur Nutzung von Übernatürlichen und Göttlichen zurück. Man denke nur an die Priester im alten Ägypten, die aufgrund ihrer Kenntnisse erreichten, die ungebildete Herde im Zaum zu halten, damit sie den Herrschern gehorsame Untertanen blieben. Im Kapitalismus und der „Enttheologisierung von Herrschaft“ seien dann andere ideologische Mittel entwickelt worden, um das Selbige zu erreichen und die Identifikation mit den Herrschern sicherzustellen, welche durch die Massen nicht hinterfragt würde.

Mausfeld: „Während die ursprüngliche Leitidee der Demokratie die Macht von Eliten rigoros beschränkt, haben diese <Neufassungen< des Demokratiebegriffs, die auch als «empirische Demokratiekonzeptionen« die Eigenschaft gemeinsam, dass sie empirisch stets zu einem Anwachsen der Macht politischer und ökonomischer Eliten – und damit auch zu einem Anwachsen sozialer Ungleichheit – geführt haben. Liberale oder kapitalistische Demokratien, wie auch immer sie theoretisch konzipiert wurden, haben stets eine Entgrenzung von Macht begünstigt und damit Entwicklungen begünstigt, die für die Stabilität und den Zusammenhalt einer Gesellschaft zerstörerisch sind. Die verschiedenartigen <Neufassungen< des Demokratiebegriffs dienen alle ein und demselben Ziel: der Verhinderung von Demokratie und der Erzeugung einer Illusion von Demokratie. Für den Kapitalismus bietet die Erzeugung einer solchen Illusion den Vorteil, dass sie die kostengünstigste und wirksamste Form einer Revolutionsprophylaxe darstellt.“ (S.55)

Und da ist der Kapitalismus so flexibel wie erfinderisch. Man denke nur an jüngere Abkommen wie TTIP und CETA. (Anbei zur Kenntnis; C.S.)

Mausfeld schreibt: „Die Entwicklungen, kapitalistisches Recht zu schaffen, um Kapitalmacht zu vergrößern und demokratisches Recht zu verhindern begannen in den USA bereits sehr früh“, erinnert Rainer Mausfeld. „Mit der neoliberalen Globalisierung schließlich wurde eine Entwicklungsstufe erreicht, in der die Schaffung von Recht selbst, eine Ressource für eine Schaffung von Kapital darstellt. Von besonderer Bedeutung ist dabei das sich gegenüber demokratischen Rechtsstaaten verselbstständigende System internationalen Privatrechts und Etablierung einer Paralleljustiz in Form von Schiedsgerichten. Diese Entwicklungen stellen eine Form der Refeudalisierung dar, bei der das Recht vom demokratischen Prozess entkoppelt und reprivatisiert wird, sodass sich ökonomisch starke Akteure vom demokratischen Recht befreien und ihre Interessen über ein von ihnen selbst ausgehandeltes transnationales Recht durchsetzen können.“ (S.56/57)

Mit gesellschaftlichen Anstrengungen erkämpfte zivilisatorisch-demokratische Einhegungen der Auswüchse von Kapitalismus werden entschärft. Auch in seinen früheren Arbeiten hat Mausfeld das mit Widersprüchen erklärt, welchen der liberalen bzw. kapitalistischen Demokratie innewohnen. Ein postuliertes Gleichheitsversprechen gehe schon deshalb fehl, weil Kapitalismus und Demokratie grundsätzlich unvereinbar seien. Rainer Mausfeld hat sich in seinem Buch im Kapitel 7.4 „Die Zerstörung des Politischen. Wollins Kritik am Liberalismus und der repräsentativen Demokratie“ mit den wichtigen Hervorbringungen des US-amerikanischen Philosophen Sheldon Wolin und dessen Konzept des „umgekehrten Totalitarismus“ beschäftigt (S.426)

Mausfeld über Wolin: „Er beklagte schon 1981, dass bereits in den Anfängen der amerikanischen Demokratie die demokratische Jefferson-Tradition gegen die Hamilton-Tradition wirtschaftsfreundlicher, zentralisierender und letztlich antipartizipatorischer Kräfte verloren habe:

«Die gegenwärtige Verfassung der Macht, und der Gesellschaftsvertrag, der sie legitimiert, hat die gegenwärtige, sich vertiefende Krise produziert. Die Krise besteht aus zwei zusammenhängenden Teilen: dem beispiellosen Ausmaß der Macht, die dem amerikanischen Staat zur Verfügung steht, und die eigentümlich abstrakte Qualität dieser Macht.« (S.427)

Im Buch finden sich zahlreiche interessante Zitate von Ingeborg Maus und Wolfgang Reinhard, Karl Marx, John Stuart Mill und Adam Smith, Machiavelli, Hannah Arendt und Noam Chomsky, aber auch von Dichtern der Antike.

Dem Prolog ist folgendes Zitat von Kurt Tucholsky vorangesetzt:

«Denn dies eben heißt Verkommenheit:

nicht mehr fühlen,

wie tief man gesunken ist.«

Der Prolog selbst hebt so an:

„Vor unendlicher Zeit, in längst vergangenen Zeiten, die später als goldene empfunden wurden, lebten die Menschen in Eintracht und Zufriedenheit. Zwietracht, Vereinzelung oder gar ein Mehrhabenwollen auf die Kosten anderer waren ihnen fremd. Als jedoch einige wenige anfingen, sich Vorteile auf Kosten der Gemeinschaft zu verschaffen, nahm die Geschichte ihren Lauf. Eine Zivilisationsgeschichte begann, die durchzogen ist von Bürgerkrieg und Krieg. Aidös und Nemesis, die in der griechischen Mythologie die Göttinnen der Scham und des gerechten Zorns über moralische Verfehlungen verkörperten, waren die letzten der Gottheiten, die bei dem verderbten Menschengeschlecht geblieben waren. Wenn auch sie die Menschen verlassen, bleibt nur noch das Recht des Stärkeren, und menschliche Begierden nach Macht und Reichtum werden endgültig die menschliche Gesellschaft zerstören. Nicht wird bleiben außer Zwist und Leid.“

Auch in seinem neuen Buch entlässt uns Rainer Mausfeld nicht ohne Hoffnung:

„Uns bleibt wohl nicht mehr viel Zeit. Entweder beginnen wir angesichts des zivilisatorischen Abgrunds, in den uns die Entzivilisierung von Macht zu führen droht, entschlossen nach Höhlenausgängen aus dem ideologischen Gewölbe zu suchen und geeignete demokratische Schutzbalken gegen entfesselte Macht zu errichten. Oder wir finden uns mit dem Status quo gegebener Machtverhältnisse ab, schweigen weiter wie bisher und überlassen es nachfolgenden Generationen, über die Gründe unseres Nicht-Handelns und über die Gründe unseres Schweigens nachzudenken. Die Entscheidung liegt bei uns.

„Hybris und Nemesis“ ist wahrlich keine leichte Kost, die man mal eben so weg liest. Dafür sollte sich Zeit genommen werden. Denn es ist ein wichtiges Buch, das uns nicht nur ein gerüttelt Maß an Wissen vermittelt. Es ist auch inspirierend, nicht länger beiseite zu stehen und zu schweigen, sondern sich Gedanken zu machen, wie wir den Abgrund, in welchen wir mit Friedrich Nietzsche gesprochen schon viel zu lange hineingeschaut haben. Denn dieser schaut inzwischen schon bedrohlich zurück. Ich habe das Buch mit hohem Gewinn gelesen. Wie bereits angemerkt: Es bietet sich an, es nach der Lektüre nicht einfach wegzulegen, sondern griffbereit in der Nähe stehen zu haben, um bei Bedarf darin nachzuschlagen.

Rainer Mausfeld

Erscheinungstermin:20.11.2023
Seitenzahl:512
Ausstattung:HCmSU mit zahlreichen Abbildungen
Artikelnummer:9783864894077

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Informationen zum Autor

Rainer Mausfeld ist Professor an der Universität Kiel und hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung inne. In seinen gesellschaftspolitischen Beiträgen beschäftigt er sich mit der neoliberalen Ideologie, der Umwandlung der Demokratie in einen autoritären Sicherheitsstaat und psychologischen Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements. Mit seinen Vorträgen (u.a. Wie werden Meinung und Demokratie gesteuert? und Die Angst der Machteliten vor dem Volk) erreicht er Hunderttausende von Zuhörern. Im Westend Verlag erschienen zuletzt seine Bestseller Warum schweigen die Lämmer? (2018), Angst und Macht (2019) und TamTam und Tabu (gemeinsam mit Daniela Dahn, 2020).

Markus J. Karsten spricht mit Rainer Mausfeld.

Dortmund: Lesung mit dem legendären Wissenschaftsjournalisten Jean Pütz im Meilenstein. Künstlerin Bettina Brökelschen stellt ihre Werke zum Thema „Mensch“ aus

Die Künstlerin Bettina Brökelschen stellt ihre Werke zum Thema „Mensch“ in der Nachbarschaftswerkstatt Meilenstein in Marten aus. Im Rahmen dieser Ausstellung soll das Thema „Mensch“ in Form verschiedener Begegnungen mit Künstlern, Autoren und Menschen mit besonderen Lebensläufen aufgegriffen werden.

Der bekannte Wissenschaftsjournalist Jean Pütz kommt am Sonntag, 25. Februar um 16.00 Uhr gerne in den Meilenstein, In der Meile in Marten, um persönlich das Anliegen zu unterstützen. In dem Austausch mit Bettina Brökelschen erzählte Jean Pütz auch von seinen Erlebnissen während der Kriegszeit im durch Bomben zerstörten Köln. Diese Erfahrungen, meint Bettina Brökelschen, dürfen nicht vergessen werden. „Sie müssen wachgehalten werden, damit sich das niemals wiederholt und besonders junge Menschen daraus lernen können. Zeitzeugen, wie Jean Pütz, sind dabei ungeheuer wichtig.“

Jean Pütz ist als Wissenschaftsjournalist bei vielen Menschen bekannt und geschätzt. Viele kennen ihn noch als Moderator zahlreicher wissenschaftlicher Sendungen, wie zum Beispiel der Hobbythek, aber auch durch seine zahlreichen wissenschaftlichen Bücher.

Für seine journalistische Tätigkeit hat Jean Pütz viele Preise erhalten. Er ist Gründungsmitglied der Wissenschafts-Pressekonferenz (WPK). In den letzten 30 Jahren hat Jean Pütz rund 80 Bücher veröffentlicht. Nach Erreichen seines Rentenalters mit 65 Jahren betreute er drei weitere Jahre seine Sendungen als freier Mitarbeiter.

Sein aktuelles Buch „Wohlstand und Wachstum ohne Reue“ hat großes Interesse geweckt bei seiner Vorstellung auf der Weltklimakonferenz im letzten Jahr in Dubai.

Wer das Buch erwerben möchte, kann es zu der Veranstaltung zum Signieren durch Jean Pütz mitbringen.

Stadtteilarbeit besteht aus Beziehungen und Begegnungen. Innerhalb dieser Reihe zum Thema „Mensch“ der Künstlerin Bettina Brökelschen werden ganz unterschiedliche Sichtweisen zum Thema Mensch ausgetauscht. Diesen Prozess zu fördern, ist das gemeinsame Anliegen der Künstler*innen, Autor*innen und auch der Nachbarschaftswerkstatt Meilenstein, meint Maria Lara vom Förderverein Dortmund-Marten und Germania e.V.

Musikalisch stimmungsvoll begleitet wird diese Veranstaltung durch Voerstmusic, das Duo mit Uwe Thielker & Sigrid Ristow mit Jazz-, Blues- und Swing.

Für das leibliche Wohl ist gesorgt.

Der Förderverein Dortmund-Marten und Germania e.V. freut sich über eine großzügige Spende als Eintritt zur Veranstaltung.

Quelle: Förderverein Dortmund-Marten und Germania e.V./Bettina Brökelschen.

Beitragsfoto: via Bettina Brökelschen

„Umstritten. Ein journalistisches Gütesiegel“ von Marcus Klöckner (Hg.) – Rezension

Offenbar ist eine Verwünschung ausgesprochen worden. «„Mögest du in interessanten Zeiten leben.” ist ein mittlerweile recht bekanntes chinesisches Sprichwort, um genau zu sein, eine Verwünschung; denn „interessant” wird eine Zeit meist erst im Rückblick: Kriege, Krisen, Umstürze, Veränderungen beispielsweise machen Zeiten „interessant.” Der US-Politiker Robert F. Kennedysagte 1966 bei einer Ansprache in Kapstadt:

Es gibt einen chinesischen Fluch, der da lautet: ‘Möge er in interessanten Zeiten leben!’ Ob wir es wollen oder nicht – wir leben in interessanten Zeiten…“
(„There is a Chinese curse which says, ‘May he live in interesting times.’ Like it or not, we live in interesting times…“)« Quelle: Ostasieninstitut.

Umstritten“ – Ein Stempel für diejenigen, die es sich herausnehmen, eine eigene Meinung zu vertreten

Interessant an dieser Verwünschung ist, dass sie nur ganz bestimmte Leute trifft. Nämlich diejenigen, welche es sich hierzulande herausnehmen, eine eigene Meinung zu vertreten. In dem Maße,wie man ihnen das übelnimmt – weil diese Meinung bestimmten Narrativen zuwiderläuft – verpasst man ihnen den Stempel «umstritten«.

Dann nützt den zu «Umstrittenen« erklärten Menschen auch kein schnelles Pferd mehr. Der Stempel pappt ihnen an. Und dafür, dass er sichtbar ist, wird gesorgt. Wagen diese Menschen dann doch einmal aus irgendeinem Fenster zu schauen, um etwas in einer bestimmten Angelegenheit oder Sache anzumerken, bekommen sie sogleich aufs Dach. Sie werden möglichst mittels einer zur schlimmen Mode gewordenen Cancel Culture aus dem öffentlichen Diskurs diffamiert und ausgegliedert. Kommt man einmal doch nicht umhin sie zu nennen oder ist es ihnen doch gelungen, irgendwo öffentlich zu erscheinen oder aufzutreten, dann heißt es in den Medien, „die umstrittene“, „der umstrittene Soundso“ …

Dann wissen die Medienkonsumenten (wenn sie es nicht eh schon wissen), was sie von der betreffenden Person zu halten haben. Vielleicht haben die Leute auch schon vorher im Nicht-Lexikon Wikipedia (der vielleicht bei manch wissenschaftlichen Einträgen vertraut werden kann) nachgeschaut und über jemanden gelesen: Herr X gilt betreffs seiner Äußerungen und seiner auf Portalen, die für die Verbreitung von «Verschwörungsideologien« bekannt sind, veröffentlichten Texte, als «umstritten«.

Wem das so ergeht, kann als Person ziemlich rasch „erledigt“ sein. Hatte so jemand eine gewisse Reputation, so dürfte diese schnell perdu sein oder dessen Stellung womöglich zusätzlich noch einer Kündigung seitens des Arbeitgebers anheimfallen. Wer noch mehr Pech hat, dem kündigt die Hausbank eventuell gar das Bankkonto. Ja, die betroffenen Menschen leben wahrlich in „interessanten Zeiten“. Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig.

Unterschiedliche Zeitgenossen „die sich in politisch schwierigen Zeiten ein demokratisches Ur-Recht herausgenommen und verteidigt haben: das Recht auf eine eigene Position.“

Der Journalist und Bestsellerautor Marcus Klöckner hat nun beim Verlag FiftyFifty einen Band herausgegeben, welcher jenen gewidmet ist, „die sich in politisch schwierigen Zeiten ein demokratisches Ur-Recht herausgenommen und verteidigt haben: das Recht auf eine eigene Position.“ Weiter heißt es zum Buch:

„So unterschiedliche Personen wie Patrik Baab, Daniele Ganser, Ulrike Guérot, Stefan Homburg, Michael Meyen, Albrecht Müller, Friedrich Pürner stehen beispielhaft dafür.“

Für die Herausgabe des m.E. sehr wichtigen Buches, zumal es dafür sorgt, dass den „Umstrittenen“ ein Stück weit Gerechtigkeit widerfährt und die ihnen angetane Unbill nicht vergessen wird, gebührt dem Verlag und Marcus Klöckner Lob und Anerkennung.

Der Begriff «umstritten« verkommt zur Waffe, die gegen unliebsame Meinungsabweichler eingesetzt wird“

«“Umstritten“ – so bezeichnen „Qualitätsmedien“ heutzutage kritische Denker, die auf die Realitäts- und Sinnbrüche in Politik und Berichterstattung hinweisen. Mit dieser Formulierung sollen Kritiker an den vorherrschenden „Wahrheiten“ mundtot gemacht werden. Längst aber haben viele Bürger die Masche durchschaut. „Umstritten“ zu sein, ist als ein Prädikatssiegel für Demokraten zu verstehen. Wer heutzutage vom Polit- und Medienmainstream niedergemacht wird, muss sehr viel richtig gemacht haben. Gut, dass es „die Umstrittenen“ gibt«, so der schreibt der Verlags.

Marcus Klöckner in seiner Einleitung: „Ob Mediennutzer eine Person, um die es in der Berichterstattung geht, als «umstritten« betrachten oder nicht, soll ihnen selbst überlassen bleiben. Doch innerhalb einer weltanschaulich kontaminierten «Berichterstattung« verkommt der Begriff «umstritten« zur Waffe, die gegen unliebsame Meinungsabweichler eingesetzt wird.“

Er führt als ein Beispiel an: „Wie oft ist etwa in Medien von umstrittenen Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht zu lesen? Wohl die meisten Bürger in Deutschland wissen, wer Wagenknecht ist. Dass sie von einigen heftig kritisiert und von anderen bewundert wird, ist kein Geheimnis. Wenn ihr zum X. Mal der Begriff «umstritten« angeklebt wird, dann hat das einen Grund: Einige Journalisten wollen Stimmung machen. Sie wollen Wagenknecht negativ rahmen. Ist etwa Olaf Scholz nicht umstritten? Allein schon, wenn man an Cum-Ex denkt. Müsste nicht konsequenterweise in jedem Medienbericht stehen: der «umstrittene« Kanzler? Ist Baerbock nicht umstritten? Müsste nicht in jedem Beitrag stehen: die umstrittene Außenministerin? Welcher Politiker ist schon nicht umstritten?“

Auf darauf folgenden Seite gibt Klöckner zu bedenken: „Gelebter Pluralismus, der für jede gesunde Demokratie konstitutiv ist, wird zum Störfaktor bei der Festzementierung von angeblichen unumstößlichen Wahrheiten. Demokratieverständnis? Sechs. Setzen.

Außenministerin Annalena Baerbock sagte im September dieses Jahres die folgenden Worte:

«Deutschland ist eine Demokratie. Punkt. Es gibt bei uns Meinungsfreiheit, alle können immer und überall sagen, was sie wollen. Wer das wie Chrupalla verkennt, hat den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie nicht verstanden – oder will es einfach nicht.«

Die Aussage korrespondiert auf erwartbare Weise mit einer Politik, der die Entdifferenzierung der Realität alles andere als fremd ist: Alle können alles sagen. Aber ansonsten hält die Aussage einer Realitätsprüfung nicht stand. Zu einer Demokratie gehört, dass jeder alles sagen kann. Nicht zu einer Demokratie gehört, dass Persönlichkeiten, die vom Mainstream abweichende Ansichten vertreten, öffentlich niedergemacht, mit Hass und Hetze überzogen werden und dass deren berufliche Existenz in Gefahr gerät. Den Realitätscheck besteht auch nicht die Aussage, dass alle überall alles sagen können. Richtig ist; Ein Bürger kann sich auf eine Parkbank oder an den Stammtisch setzen und sagen, was er denkt (wobei das mit dem Sitzen auf einer Parkbank während der Corona-Zeit …).“

Professor Dr. Stefan Homburg lässt sich von angeblichen Experten nicht diktieren, was er zu denken hat

Der Journalist Patrick Reiter hat mit Professor Dr. Stefan Homburg gesprochen. Dem waren etliche Ungereimtheiten im Rahmen der Coronapolitik aufgestoßen. Und er hielt mit seiner Kritik nicht hinter dem Berge. Dadurch wurde der frühere akademische Überflieger zu einer «umstrittenen« Person. Sie veränderte dessen Leben. Einstige Verdienste – er beriet u.a. auch Regierende – wurden in den Hintergrund verdrängt. Als vielgefragter,, weil wirklicher Experte galt er etwas in Talkrunden und in der Presse. Plötzlich wehte ihm ein eisiger Wind entgegen. Unterkriegen aber ließ sich Stefan Homburg nicht: „Als aufgeklärter Bürger lasse ich mir nicht von angeblichen Experten diktieren, wie ich zu denken habe, sondern bilde mir eine eigene Ansicht und verbreite sie.«

Und das tat der Finanzwissenschaftler fortan und tut es bis heute. Sehr oft auf Twitter (jetzt X). Inzwischen hat Homburg dort 132.992 Follower. Er hat das Buch Corona-Getwitter. Chronik einer Wissenschafts-, Medien- und Politikkrise“ veröffentlicht.

Der Beitrag von Patrick Reitler ist sehr aufschlussreich.

Der „Fall“ Dr. Daniele Ganser

Der NachDenkSeiten-Redakteur Tobias Riegel hat sich mit dem „Fall“ Dr. Daniele Ganser beschäftigt. Medien bezeichnen den Historiker und Friedensforscher unaufhörlich als als «umstritten«. Riegel schreibt: „Er hat sich diesen Titel bereits Anfang der 2000er Jahre durch kritische Veröffentlichungen etwa zu «Gladio«-Gruppen der NATO und durch die entsprechenden Reaktionen auf seine Texte vonseiten transatlantischer Meinungsmacher «verdient«. Zu Gladio hat Ganser im Westend Verlag das Buch „Nato-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“ veröffentlicht.

Im Vorfeld von Gansers Auftritten im März 2023 wurde in zahlreichen Orten eine Hetzkampagne gegen ihn betrieben.

In Dortmund und Nürnberg waren seine Auftritte zunächst verwehrt worden, wurden jedoch dann per Gerichtsurteil schließlich genehmigt. Dortmunds Oberbürgermeister entblödete sich nicht, nachdem die Stadt bereits vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eine Klatsche erhalten hatte, Einspruch zusätzlich noch vorm Oberverwaltungsgericht zu erheben. Und prompt kassierte er die zweite Klatsche. Ich bekam das hier in Dortmund quasi aus nächster Nähe mit. Die Medien hetzten fleißig. Hier beispielsweise ein Artikel des Dortmunder Mediums „Nordstadtblogger“. Dort heißt es: „Der geplante Auftritt von Dr. Daniele Ganser in der Westfalenhalle 2 – dort, wo auch der Stadtrat während des Rathausumbaus tagt – schlägt in der Politik hohe Wellen. Denn der Historiker ist hoch umstritten und gilt als Verschwörungsideologe.“ Beiträge von mir dazu finden Sie hier, hier und hier.

Das Diffamieren von Dr. Daniele Ganser zeitigt glücklicherweise einen Bumerangeffekt. Riegel resümiert: Soweit man es als Außenstehender beurteilen kann, konnten die Kampagnen Ganser bisher nicht kleinkriegen – im Gegenteil: Vielleicht haben sie ihn einfach nur noch bekannter gemacht, was ein Zeichen dafür wäre, dass sich bestimmte Mechanismen der Diffamierung und der Meinungsmache abgenutzt haben. Das Beispiel des Prominenten Ganser ist allerdings nicht einfach übertragbar. Außerdem sollte die Wirkung auch abgenutzter Meinungsmache auf weniger informierte Zeitgenossen nach wie vor nicht unterschätzt werden.“

Die Causa Patrik Baab

Overton-Redakteur Roberto J. De Lapuente nahm sich die Causa Patrik Baab vor. (S.42)

Der Journalist hatte zu Recherchezwecken für ein Buch eine Reise in die Ostukraine unternommen. Ein Jahr zuvor war er in der Westukraine gewesen. Zu Zeit von Baabs zweiter Reise fanden in den Oblasten Donezk und Lugansk Wahlen statt – was Baab allerdings erst kurz vorher in Moskau erfahren hatte. „De Lapuente verdeutlicht“, schreibt Marcus Klöckner: „Baab sah sich in der Ukraine nicht nur den Gefahren von zwei Fronten ausgesetzt. Plötzlich musste er sich gegen Angriffe von der »Heimatfront« wehren.“ Das m.E. journalistisch fragwürdige Portal t-online.de (es gehört der Firma Ströer, einem Unternehmen für Außen- und Onlinewerbung) veröffentlichte aus der Feder des bereits mit anderen Diffamierungen aufgefallenen Lars Wienand einen Bericht, der den Eindruck entstehen ließ, Baab könnte Wahlbeobachter in den der Ukraine abtrünnig gewordenen Oblasten gewesen sein. Was nicht der Fall war. Wienand, so Baab hätte das leicht recherchieren können. Der Westen bezeichnete diese Urnengänge als „Scheinwahlen“. Lars Wienand ist offenbar ein „Sitzjournalist“, wie Patrik Baab, der schon an vielen Orten mit Konflikten und Kriegen in der Welt vor Ort war, um zu berichten, „Kollegen“ bezeichnet, die lediglich vorm Computer sitzen und „recherchieren“. Dem Journalisten Baab gingen aufgrund der t-online-Diffamierungen zunächst zwei Lehraufträge verloren. Baab ist nicht naiv. Und weiß wie leicht man in etwas hineingeraten kann. De Lapuente: „Es ist ein bisschen so, wie der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal es einst ausdrückte: «Das ganze Unglück der Menschen kommt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.« Der Journalist weiß, wenn er nicht auf seinem Zimmer bleibt, kann er unglücklich enden.“ Lars Wienand, nehme ich mal an, kann so etwas wohl nicht passieren. Es sei denn sein Stuhl kippt um.

De Lapuente: „Die Causa Baab zeigt, dass Journalismus ein Delikt darstellt in diesen postfaktischen Tagen. Aber nur dann, wenn er mit allen Sorgfaltspflichten ausgeführt wird. (Hinweis auf Patrik Baabs Buch „Auf beiden Seiten der Front“)

Interview mit dem «umstrittenen« Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen

Der einstige SWR-Mitarbeiter Ole Skambraks (nach seinem kritischen offenen Brief «Ich kann nicht mehr« (dazu u.a. hier) zur Corona-Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gekündigt) interviewte für das Buch den Kommunikationswissenschaftler Professor Michael Meyen. Meyen, geboren auf der Insel Rügen 1967, studierte noch zu DDR-Zeiten am „Roten Kloster“ in Leipzig, arbeitete dann als Journalist und erhielt 2002 eine Anstellung als Professor für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.

Herausgeber Marcus Klöcker: „Gegen Meyen läuft ein Disziplinarverfahren, er wurde zur Befragungen vor den Verfassungsschutz eingeladen. Skamraks Auseinandersetzung mit dem Fall Meyen macht transparent, was in unserem Land mittlerweile passiert. Meyens «Vergehen« besteht darin, dass er sich mit den Mitteln seiner Wissenschaftsdisziplin einer fundierten, herrschaftskonzentrierten Medienkritik bedient. Das schmeckt einigen nicht. Deshalb soll er – zu diesem Schluss ist zu kommen – fertiggemacht werden.“ (S. 53)

Die gleich «doppelt umstrittene« Ulrike Guérot

Vom österreichischen Schriftsteller und Journalisten Jan David Zimmermann stammt der Beitrag über die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Marcus Klöckern: „Sie hinterfragte die Maßnahmenpolitik und kritisierte dann auch noch das vorherrschende Narrativ zum Krieg in der Ukraine. Der Medienmainstream sah rot und plötzlich erhob der Trierer Politikwissenschaftler Markus Lind Plagiatsvorwürfe in der FAZ. Darauf kündigte der Arbeitgeber Guérots, die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ihre Stelle als Professorin. Jan David Zimmermann zeigt auf, warum Guérot gleich als «doppelt umstritten« gilt. (S.70)

Jan David Zimmermann schreibt abschließend: „Nicht nur in rechtsextremistischen Foren, sondern auch im ansonsten so aufgeklärten bürgerlichen Mainstream zeigt sich deutlich, dass man auch im Jahr 2023 gerne noch Jagd auf rothaarige Frauen macht, die man der Hexerei bezichtigt und die sich mit dem Satan verbündet haben. Auch wenn es sich um Positionen der Mitte handeln.“ (S.78)

Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete Friedrich Pürner, den einstigen Leiter eines Gesundheitsamtes als «höchst umstritten«

Die Journalistin und einstige Kolumnistin für das Satiremagazin «Eulenspiegel» Anke Behrend trug einen Text zum Fall Dr. Friedrich Pürner, ehemaliger Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg im Bayrischen Regierungsbezirk Schwaben, bei.

Die Süddeutsche Zeitung hatte Pürner als «höchst umstritten« bezeichnet. Pürner äußerte Kritik an der Corona-Politik und wurde versetzt, weil er nicht daran dachte sich verbiegen zu lassen. Obwohl er massive berufliche Konsequenzen befürchten musste.

Zuletzt war von Pürner zu hören, dass er bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für die kürzlich gegründete Partei von Sahra Wagenknecht, BSW, kandidieren wird.

Der scharfsinnige Denker Albrecht Müller

Ein interessantes Interview hat Marcus Klöckner mit dem Gründer und Herausgeber der NachDenkSeiten Albrecht Müller geführt. Klöckner kennzeichnet Albrecht Müller (85) so: Er sei ein „noch ein scharfsinniger Denker.“.

„Zu seinem Tagesgeschäft gehört es, Politik und Medien grundlegend kritisch zu hinterfragen.“

Klöckner weiter: „Die Bezeichnung «umstritten«, so Müller im Interview, «kommt von jenen, die sich an einen Wust von Denkfehlern, Vorurteilen und falschen Beobachtungen« angepasst haben.“

Analyse der skandalösen Lanz-Sendung, wo selbst vom Moderator gegen Ulrike Guérot geschossen wurde

Zum Ausgang des Buches, liebe Leserinnen und Leser, finden sie eine Analyse jener skandalösen Lanz-Sendung, zu der Ulrike Guérot eingeladen war. Marcus Klöckner: „An ihr lässt sich exemplarisch ablesen, was passiert, wenn eine Person, die als «umstritten« gilt, doch einmal Zugang zu einer Debattenplattform des Mainstreams bekommt.

Guérot sah sich Angriffen nicht nur durch die Gäste Marie-Agnes Strack-Zimmern und Fritz Pleitgen (das ist ein Fehler im Buch, es muss Frederik Pleitgen heißen; C.S.) ausgesetzt, sie musste sich auch gegen den Moderator wehren. Wer die «Wahrheiten« des Mainstreams anzweifelt, soll sich eben nicht durchsetzen dürfen.“

Die Lanz-Sendung ist vom Verlag für das hier besprochene Buch transkribiert worden.

Zwar kann man diese Sendung vom 2.6.2022 noch auf You Tube nachschauen – ich empfehle meinen Lesern aber dennoch die Transkription zu lesen, weil hier m.E. deutlicher hervorsticht, wie widerlich die Angriffe gegen Ulrike Guérot – die sich allerdings, soweit man sie überhaupt zu Worte kommen ließ, nach Kräften zur Wehr gesetzt hat – gewesen sind.

Dank an alle, die dieses wichtige Buch realisiert haben! Es zeigt auf «Umstritten« ist: Ein journalistisches Gütesiegel.

Lesen, unbedingt!

Zum Buch

MARCUS KLÖCKNER

Marcus Klöckner studierte Soziologie, Medienwissenschaften und Amerikanistik an der Philipps-Universität in Marburg. Herrschafts- und Medienkritik kennzeichnen seine Arbeit als Journalist und Bestsellerautor. Mit seinem Buch „‚Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen‘ – Das Corona-Unrecht und seine Täter“ setzt sich Klöckner für die Aufarbeitung der Coronapolitik ein. Bei Westend veröffentlichte Klöckner unter anderem als Autor „Sabotierte Wirklichkeit: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“ sowie als Mitherausgeber den Klassiker der Soziologie, „Die Machtelite“, von Charles W. Mills.


ISBN/GTIN978-3-946778-47-9

Produktart. Taschenbuch

Einbandart Kartoniert, Paperback

Verlag

fifty-fifty Verlag

ErscheinungsortFrankfurt

Erscheinungsjahr2024

Erscheinungsdatum15.01.2024

Seiten192 Seiten

SpracheDeutsch

MasseBreite 131 mm, Höhe 211 mm, Dicke 19 mm

Artikel-Nr.54635120

Erschienen am 15.01.2024

20,00 Euro

Egon Krenz: Gestaltung und Veränderung. Erinnerungen. Rezension

Egon Krenz, einstiger Staatschef der DDR legt seine Memoiren vor. Meine Rezension zum ersten Teil seiner Memoiren unter dem Titel „Egon Krenz. Aufbruch und Aufstieg“ (»dass ein gutes Deutschland blühe«) leitete ich folgendermaßen ein:

„Menschen müssen immer auch im Kontext der Zeit verstanden werden, in welche sie hineingeboren und fortan aufgewachsen sind. Und auf welche Weise sie sozialisiert und politisiert wurden.“

Biografien wie die seine waren durchaus so selten nicht. Sie sind freilich nicht ohne den Hintergrund des zu Ende gegangenen verheerenden Zweiten Weltkrieges zu verstehen. Krenz` Schwester lebte in Westerland in der britischen Zone, als der zehnjährige Egon mit seiner Mutter illegal zu Besuch dorthin hinreiste. Wie selbstverständlich kehrte die Mutter mit ihrem Sohn wieder nach Ostdeutschland zurück. Ihre Begründung laut Egon Krenz: „Bei euch regieren ja immer noch die Nazis.“ Der Westen war für Egon Krenz keine Alternative.

Egon Krenz, Kriegskind aus Kolberg (heute Kołobrzeg, Republik Polen) , fand in Damgarten eine neue Heimat und nahm die Chance wahr, die ihm die neue Ordnung in Ostdeutschland bot. Fördern und fordern, lautete deren Losung für den Umgang mit der jungen Generation. Die DDR schickte die Kinder armer Leute an hohe Schulen und vertraute ihnen Funktionen an, die sie unter anderen gesellschaftlichen Umständen nie hätten ausüben dürfen. Die Biografien, die daraus wurden, waren einzigartig. Typisch DDR.“

Der erste Teil seiner Biografie hat mich als einstigen DDR-Bürger gefesselt. Wir waren ja jeden Tag mit ideologisch überladenen Sätzen und dementsprechend ausgewalzten Wortungetümen in unseren Zeitungen konfrontiert. Der darin mit der Zeit in Form immer langweiliger werdenden Bleiwüsten daherkommenden, Propaganda waren wir überdrüssig. Weder aber war ich persönlich ein Gegner der DDR noch unbedingt ein „Fan von Egon Krenz“.

Wir lesen im zweiten Teil seiner Biografie, dass Krenz gar nicht amüsiert darüber war, dass er bei einem Besuch von DDR-Brigaden, welche am Bau der Erdgastrasse in der Sowjetunion beteiligt waren, mit dem Ausspruch: „Wir sind die Fans von Egon Krenz“ empfangen worden war. Hier ein Video vom Offenen Kanal Magdeburg über die „Trasse“.

Egon Krenz fühlte sich halt als einer von vielen SED-Funktionären (er stand ja zunächst der FDJ vor). Und wollte nicht hervorgehoben werden. Aber er nahm das ehrliche Bekenntnis der Trassenleute nicht übel.

Seine Biografie erster Teil bringt uns neben dem einstigen FDJ-Chef und SED-Funktionär den Menschen Egon Krenz und dessen Ansichten in sachlicher und ehrlicher Form nahe. Auch spart er nicht daran, eigene Fehler, Irrtümer und diejenigen der Partei- und Staatsführung offen zu benennen.

»Wir hatten es in der Hand!«

Dessen bleibt sich Egon Krenz nun auch im inzwischen herausgekommenen zweiten Teil seiner Biografie, welche unter dem Titel „Gestaltung und Veränderung“ steht nichts schuldig. Das Buch befasst sich mit den Jahren 1973-1989: »Wir hatten es in der Hand!« Egon Krenz
— Teil II der Memoiren des einstigen Staatschefs der DDR —

Egon Krenz berichtet über seinen Weg, der nicht untypisch für die DDR und dennoch ein besonderer war und ihn nach Schlosserlehre, Lehrerstudium und Arbeit als Jugendfunktionär zum »Nachwuchskader« der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) machte. Und, wie alsbald in den Westmedien gemunkelt wurde, zu »Honeckers Kronprinzen«.

„Die Memoiren sind auf drei Bände angelegt“, informiert der Verlag, „setzen je einen zeitlichen Rahmen, sind jedoch nicht chronologisch und linear erzählt. Durch Vor- und Rückgriffe ordnet Krenz seine biografischen Stationen in die Zeitgeschichte ein und wertet aus der Fülle und Differenziertheit der Erkenntnisse seiner langen politischen Laufbahn und natürlich auch jener Erkenntnisse, die er nach dem Untergang seines Staates machen musste.“

Zum jüngsten, zweiten Band der auf drei Bände angelegten Memoiren von Krenz schreibt edition ost:

„Der zweite Band der Memoiren des einstigen Staatschefs der DDR führt direkt in den Inner Circle der Staatsführung und in jene Phase, die mittels Wandel durch Annäherung die friedliche Koexistenz sichern soll. Krenz richtet sein Augenmerk auf die Zeit nach der diplomatischen Anerkennung der DDR, auf die neue Ostpolitik der SPD-Regierung in der BRD und das ständigen Schwankungen unterliegende Verhältnis zu Moskau. Er berichtet über offizielle Ereignisse und gibt den Blick frei auf so manchen noch immer nicht erhellten Hintergrund. Inzwischen vom Westen als »Honeckers Kronprinz« aufmerksam beäugt, ist er involviert in politische Entscheidungsprozesse und zugleich ein sensibler Beobachter der Akteure in Ost und West, schließlich auch der ambivalenten Entwicklungen, die Gorbatschows Perestroika in der Sowjetunion und den Bruderstaaten auslöst. Was angesichts der 89er Ereignisse hinter den Kulissen zwischen Berlin, Bonn und Moskau ablief, berichtet der Staatschef, der eine Wende einzuleiten sein Amt antrat und nach 50 Tagen demissionieren musste. Krenz berichtet faktenreich und selbstkritisch und reflektiert von heutigem Erkenntnisstand aus differenziert die Ereignisse, ohne seine Vorstellungen von einer besseren Gesellschaft zu relativieren.“

Für uns Leser ist all das aus erster Hand berichtete abermals sehr interessant. Die DDR-Bürger erfuhren nicht was hinter den Kulissen sich in der Regierung, in Partei- und Staatsführung abspielte. Freilich machten sie sich ihre Gedanken. Und nebenan in der BRD wurde versucht alles Mögliche aus dem Tun und Lassen der DDR herauszulesen. Man betrieb im Prinzip Kaffeesatzleserei. Besonders die Springer-Medien, vornweg die Bild waren darin besonders engagiert. Zuweilen lag man sogar richtig bzw. fast richtig. Man hatte wohl auch Zuträger, die aus dem Nähkästchen plauderten. Und über Westradio und Westfernsehen drangen die Halbwahrheiten, Vermutungen sowie auch manches, was einen wahren Kern hatte, auch in die Wohnstuben der DDR-Bürger. Und dort versuchte man sich einen Reim darauf zu machen. Hoffnungen gab es ohnehin, neue wurden geweckt. Was freilich auch die Partei- und Staatsspitze beschäftigte. Und man sich dort wiederum Gedanken machte wie darauf zu reagieren sei. Was sollte in den DDR-Medien veröffentlicht oder lieber verschwiegen werden. Und dennoch drang manche Information – vor allem später als Gorbatschow in Moskau am Ruder war – an die DDR-Öffentlichkeit. Egon Krenz stellt dar, wie dazu auch innerhalb des Politbüros unterschiedlich gespielt wurde. Wie er selbst gezwungen war mit dergleichen umzugehen. Vor allem als er selbst ins Politbüro berufen worden war – wovon er selbst ziemlich überrascht gewesen sei.

Wem konnte man voll vertrauen, bei wem war in mancher Beziehung Vorsicht geboten. Gegenüber Honecker, schreibt Krenz, sei er stets loyal gewesen. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und und sich beschreibt er als vertrauensvoll und auch kollegial. Wenn auch Krenz schon mal einen Rüffel vom Chef wegstecken musste. Öfters musste er seinen Chef bei Terminen vertreten. Krenz erlebte Honecker zunächst als durchaus geistig wie körperlich fit und immer gut vorbereitet. Auch bei Begegnungen mit Westpolitikern, die Honecker durchaus schätzten. Was ebenso für wichtige Industrielle in Westdeutschland, wie beispielsweise etwa Berthold Beitz, aber auch andere galt. Wovon allerdings so mancher dieser BRD-Politiker nach dem Ende der DDR nichts mehr wissen wollten.

Durchaus anders zeichnet Krenz Honecker als die DDR-Normalbürger ihn für gewöhnlich erlebten bzw. sich selbst ein Bild machten. Beim Lesen von Krenz` Zeilen ist man als einstiger DDR-Bürger durchaus versucht manch eigenes damaliges Gemecker oder irgendeine gemachte Witzelei, die Person Honecker betreffend, im Nachhinein eher als unpassend zu empfinden. Nur was die spätere Zeit anbetrifft konstatiert Egon Krenz einen gewissen Altersstarrsinn bei Honecker. Er dachte ja bis zum bitteren Ende nicht daran seinen Sessel für einen Jüngeren freizumachen. Was auch nicht unwichtig ist: Erich Honeckers strikter Antifaschismus und sein Eintreten für den Sozialismus beruhte gewiss auch auf dessen Verfolgung durch das Naziregime. Honecker wurde damals für zehn Jahre ins Gefängnis geworfen. All das prägt schließlich.

Michail Gorbatschow

Was das Agierens von Michail Gorbatschow betraf war Honecker mit der Zeit immer skeptischer geworden, war mit Vielem was dessen Politik und Handeln betraf, so nicht einverstanden.

Krenz selber bekennt, von Anfang an Gorbatschows Politik eher positiv bewertet und von Herzen unterstützt zu haben. Da spricht er allerdings über die Zeit „vor dem Verrat Gorbatschows“, wie er im Vorwort „Wo ist denn Ihre Klingel, Herr Krenz?“ (S.9) schreibt.

Krenz kritisiert nicht nur Gorbatschows Alkoholverbot als mehr als fragwürdig, was den Nutzen anging. Sondern auch dessen Wirtschaftspolitik. Was dazu führte, dass in manchem sowjetischen Geschäft die Regale leer blieben. Und schließlich war auch der DDR-Führung nicht verborgen geblieben, wie die sowjetische Wirtschaft im Großen und Ganzen unter Gorbatschow quasi den Bach herunterging. Die UdSSR sah sich deshalb veranlasst den Ölpreis für den Bruderstaat DDR immer weiter zu erhöhen. Was in der DDR wiederum zu Schwierigkeiten führte.

Später – und erst recht nach dem Ende der DDR – hat Egon Krenz erleben müssen, dass Michail Sergejewitsch Gorbatschow auch nicht immer ganz ehrlich spielte. Sogar manches gar nicht so gesagt haben wollte. Was Egon Krenz bei einem Zusammentreffen in einem Berliner Hotel die Stirne runzeln ließ. Sogar Raissa Gorbatschowa bestätigt Egon Krenz damals. Ihr Mann bestritt das Gesagte auch seiner Frau gegenüber.

Mehrmals hält Krenz Gorbatschow im Buch vor, dass er den sozialistischen Bruderstaaten versprochen hatte, sie könnten von völlig souverän handeln. Davon habe er, so Krenz, jedoch nichts bemerkt.

Wobei wir bei einer Tatsache sind, die beide deutsche Staaten betraf (und die BRD aktuell wohl noch immer betrifft): Letztlich konnten sie wichtige Entscheidungen nicht selbst treffen ohne grünes Licht aus Washington oder Moskau dafür erhalten zu haben.

Rückmeldungen

In seinem Vorwort zum zweiten Teil seiner Biografie schreibt Egon Krenz, dass er viel Zuspruch für seinen ersten Band erhalte. Aus Ost wie aus West. Ein 90-jähriger Leser aus Gransee ließ ihn wissen: «Alles, was Sie beschreiben, habe ich so ähnlich erlebt.«

„Ein 22-Jähriger aus einem kleinen Dorf in Norden Baden-Württembergs bekundete sein Interesse für die DDR-Geschichte, die nach seiner Wahrnehmung im Westen entstellt werde. Und ein ehemaliger Schüler der Erweiterten Oberschule (EOS) äußerte, man habe in der DDR im Fach Staatsbürgerkunde gehört, «was Kapitalismus ist«. Damals hielt er es für übertrieben und wollte es nicht glauben. Seit 1990 wisse er, dass es eher untertrieben war.“ (S.10) Meine Wenigkeit sieht das nebenbei bemerkt übrigens ebenso.

Weiter notierte Krenz: „Professor Kurt Starke, ein international bekannter Soziologe, Sexualwissenschaftler und Jugendforscher, mit dem ich seit Jahrzehnten befreundet bin, schrieb mir vor einiger Zeit: «Je mehr ich über unser gewesenes Land nachdenke und je öfter ich in den vergangenen Jahren mit Ost-West-Unterschieden in meinen Untersuchungen zu tun hatte, desto mehr sehe ich mich in der Erkenntnis bestätigt, dass die DDR ein Unikat von bleibender historischer Bedeutung ist.«

Egon Krenz: „Die DDR hat nie einen Krieg geführt und ist damit eine Ausnahme in der deutschen Geschichte“

Egon Krenz merkt weiter an: „Angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt und es militärischen Engagements der Bundesrepublik sollte ebenfalls daran erinnert werden: Die DDR hat nie einen Krieg geführt und ist damit eine Ausnahme in der deutschen Geschichte. Kein NVA-Soldat setzte je seinen Fuß auf fremdes Territorium, um an Kampfeinsetzen teilzunehmen. Allein das rechtfertigt, sich der DDR mit Achtung und Respekt zu erinnern. Ein Drittel Deutschlands war hier dem Zugriff des deutschen Kapitals entzogen, und das mehr als vierzig Jahre lang. Das ist aus dessen Sicht die eigentliche Sünde der DDR, die ihr – und damit uns, die wir sie aufbauten und verteidigten – niemals vergeben werden wird. Nach 1933 wechselten die Nazis elf Prozent der Eliten der Weimarer Republik aus. Nach 1945 wurden in Westdeutschland dreizehn Prozent der Nazikader entfernt. Nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik schickte die neue Herrschaft 85 Prozent der DDR-Eliten in die Wüste. Sie verloren ihre Arbeit, ihr Einkommen, ihre Zukunft. Nicht zu reden von den vielen Werktätigen aus den über achttausend volkseigenen Betrieben, die die Treuhandanstalt übernahm und asozial abwickelte.“ (S.12)

Für Deutschland ist von Russland noch nie eine Gefahr ausgegangen, aber zweimal hat Deutschland im 20. Jahrhundert Krieg gegen Russland bzw. die Sowjetunion geführt“, macht Krenz unumstößlich klar

Zusammenhänge von Politik, Kapital und wirtschaftlichen Interessen würden verschleiert. Sie und die Geschichte müsse man aber kennen, meint Egon Krenz. Um zu verstehen, „warum so viel Menschen im Osten beispielsweise gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind“.

Und einen wahren, unumstößlichen Satz schreibt Krenz da: „Für Deutschland ist von Russland noch nie eine Gefahr ausgegangen, aber zweimal hat Deutschland im 20. Jahrhundert Krieg gegen Russland bzw. die Sowjetunion geführt. Die Berliner Mauer sei „von Osten verschoben (worden) – sie steht nicht mehr zwischen NATO und Warschauer Vertrag, sondern zwischen der NATO und Russland“

„Sie ist dort, wo die Frontlinie im Prinzip an jedem 22. Juni 1941 verlief, als die Sowjetunion überfallen wurde. Diese «Grenzziehung« ist das Gegenteil von dem, was 1989 auf den Straßen der DDR gefordert wurde.“

In Briefen äußern die Menschen Angst vor einem Dritten Weltkrieg

In Briefen an Krenz äußerten Menschen: „Angst. Angst vor einem Dritten Weltkrieg, in den uns die deutsche Regierung durch ihre pro-amerikanische Politik führen könnte. Dass die Bundesregierung das Streben der USA, einzige Weltmacht zu bleiben höher stellt als deutsche Interessen, hat ebenfalls zum sinkenden Ansehen der gegenwärtigen Ampel-Koalition beigetragen.“

Verantwortungslos und folgenlos habe die deutsche Außenministerin davon gesprochen, dass der Westen einen Krieg gegen Russland führe, dessen Ziel darin bestünde, «Russland zu ruinieren«. Krenz ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Sprache ist bekanntlich Ausdruck des Denkens.“

Die Tatsache, dass in Deutschland Nazijargon öffentlich verbreitet wird, mache ihm Angst.

Er bezieht sich dabei auf die von einer Boulevardzeitung gewählte Schlagzeile: «Deutsche Panzer stoßen gegen russischen Stellungen vor«

Und Krenz beklagt die hierzulande herrschende Russophobie. Sie erinnere ihn an seine Kindheit, „als die Nazis kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs große Plakate klebten, auf denen Russen als Untermenschen dargestellt wurden“.

Die Russophobie und Hetze gegen Russland mit Sorge zur Kenntnis nehmend fragt sich Krenz: „Ob die Russen uns ein zweites Mal die Hand reichen, ist angesichts des Russenhasses, den führenden Politiker und Medien verbreiten, nur schwer vorstellbar.“

Wenn Westdeutsche einstigen DDR-Bürgern erklären, wie sie gelebt haben oder hätten leben sollen

Aus dem Herzen spricht mir Egon Krenz, wenn man von altbundesrepublikanischer Seite einstigen DDR-Bürgern erkläre wie man in der DDR gelebt habe. Ich selbst kann ab September 1989 ein Lied davon singen. Denn diese Erklärungen kamen in der Regel aus den Mündern von Westdeutschen, die die DDR nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus der Westpresse kannten. Mir selbst platzte irgendwann 2019 der Kragen als mir ein Kollege wieder einmal sagte, wie ich in der DDR gelebt haben sollte: „Bei euch war das doch so …“ Ich wurde kurz laut. Seither hat mich dieser Kollege nie wieder dazu angesprochen.

Krenz betrachtet sich selbst als eine Biografie von 17 Millionen Biografien in der DDR besteht darauf: „Wir müssen uns wegen unseres Lebens nicht entschuldigen.“

Dass es in Politik und Medien noch immer Versuche gibt, DDR-Bürgern erklären zu wollen, wie sie gelebt haben oder hätten leben sollen, beweist, dass die deutsche Einheit mental noch lange nicht vollzogen ist.“ (S.15)

Egon Krenz: „Wir neigten in der Folgezeit dazu, das Leben im Lande aus Sicht von Tribünen und Präsidiumstischen zu beurteilen und gaben uns mancher Selbsttäuschung hin“

Egon Krenz malt nicht rosarot, sondern gesteht so manchen Fehler der DDR ein. „Wir neigten in der Folgezeit dazu, das Leben im Lande aus Sicht von Tribünen und Präsidiumstischen zu beurteilen und gaben uns mancher Selbsttäuschung hin. Allzu oft ließen wir uns etwa bei der Auswahl von Kadern blenden von Worten der Ergebenheit. Das förderte Heuchelei, die nicht zu einer Partei wie der unseren passte. Die Quittung dafür erhielten wir 1989.“ (S.38/39)

Mit der Biermann-Sache legte sich die DDR ein Ei

Auch die Biermann-Geschichte bringt Krenz zur Sprache. Der Dichter Wolf Biermann war nach einem Auftritt in der BRD, die in der DDR Kritik hervorgerufen hatte, die Wiedereinreise in die DDR versagt worden. Der Westen tönte, er sei aus ausgebürgert worden. Als der Fall im Politbüro erörtert und abgehakt wurde, habe sich nur Kurt Hager kritisch geäußert, der gegenüber Erich Honecker eingewendet hatte: „Erich, war denn das notwendig?“ Krenz erinnert sich: Es habe geknistert. Niemand habe geantwortet, so sprach Hager weiter: „Biermann ist es nicht wert, dass wir uns deshalb mit den Künstlern anlegen und unsere Kulturpolitik ändern. Wir machen in erst groß, wenn wir ihm solche Aufmerksamkeit widmen. Wir sollten ihn ignorieren. Das trifft diesen Gernegroß mehr als alles andere.“

Werner Lamberz, der als Politikerpersönlichkeit eine große Hoffnung nicht nur für die SED gewesen war (der tragischerweise später und viel zu früh bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen sterben sollte) habe zustimmend genickt. Hager muss Recht gegeben werden. Mit diesem Schritt, Biermann nicht wieder in die DDR einreisen zu lassen, hatte sich das Land sozusagen ein Ei gelegt. Zumal Wolf Biermann den meisten DDR-Bürgern bis dato unbekannt war. Zuweilen sah man ihn vielleicht mal in der Tagesschau, wie der einstige Jungkommunist mit einem Korrespondenten des westdeutschen Fernsehens in seiner Berliner Wohnung am Kachelofen saß und auf Opposition machte. Diesen Herrn, dem eine enge Beziehung zu Margot Honecker nachgesagt wird, hätte die DDR aushalten können – und auch müssen. Der Filmregisseur Konrad Wolf habe einmal zu Egon Krenz gesagt: «Egon, Dir mag der Begriff des Ausbürgerns weniger sagen als mir. Du hast den Faschismus nicht mehr erlebt. Aber die Menschen, die von Nazis aus Deutschland vertrieben wurden wie wir -, hätten nicht zulassen dürfen, dass jemand aus der DDR «ausgebürgert« wird. Sag Erich, er möge sich seiner eigenen Vergangenheit erinnern.“

Weiter erinnert sich Egon Krenz: „Der Vizepräsident des DDR-Schriftstellerverbandes, Hermann Kant (1926-2014), übte Kritik, zurückhaltend zwar, aber öffentlich im Neuen Deutschland: «Ich will nicht verhehlen, dass ich Herrn Biermann ganz gut ausgehalten habe und auch weiterhin ausgehalten hätte; mich braucht niemand vor ihm zu schützen.«

Honecker habe wohl dann nachgedacht (jedoch viel zu lange) wie man wieder aus der unangenehmen Biermann-Sache herauskäme. Aber der Schaden war gemacht. Dann erfuhr Honecker von der Protestresolution von 12 DDR-Schriftstellern und -Künstlern die sich gegen das Einreiseverbot von Biermann richtete. Der Schriftsteller Stephan Hermlin hatte sie entworfen und auch westlichen Agenturen übergeben. Krenz: „Dass er sie zuvor der Zeitung Neues Deutschland angeboten hatte, wo sie lediglich der Pförtner entgegennehmen wollte, erfuhr Honecker erst viel später.“ Ja, auch hier trifft der Satz »Wir hatten es in der Hand!« zu. Manches jedoch entglitt leider dieser Hand.

*Staatssicherheitsminister Erich Mielke berichtete, „dass der Rostocker Pfarrer Joachim Gauck ganz ausgezeichnet mit seinen Leuten zusammengearbeitet habe“

Eines Tages hatte Honecker Krenz einen Packen Briefe von Bürgern aus Rostock übergeben, in denen Bürger sich vom dort stattfindenden Kirchentag belästigt fühlten. Seinetwegen war ein Fußballspiel der DDR-Oberliga verlegt worden. Und auf öffentlichen Plätzen wehten anstelle die Staatsflaggge oder rote Fahnen wehten Kirchentagsfahnen. Man sei, wurde beklagt vom Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat abgewichen. Krenz schickte Mitarbeiter nach Rostock, die Gespräche mit den Briefeschreibern führten. Sie teilten Krenz mit, alles sei durch zentrale Entscheidungen geregelt gewesen. Zentrale Entscheidungen seien in der Regel Festlegungen des Ministers für Staatssicherheit gewesen. Krenz rief Mielke an. Der berichtete ihm unter anderem, „dass Rostocker Pfarrer Joachim Gauck ganz ausgezeichnet mit seinen Leuten zusammengearbeitet habe“. „Man solle ihn in Ruhe lassen.“

*Bärbel Bohley lag mit ihrer damaligen Befürchtung nicht falsch

In einem andereren, an Erich Honecker gerichteten, Brief ging es um die Wiedereinreise von Bärbel Bohley und des Bürgerrechtlers Werner Fischer. Beiden war im Februar 1988 „bei Vermeidung von Strafverfahren ein befristeter Auslandsaufenthalt vermittelt worden war.“ Geschrieben worden war er von Bischof Dr. Gottfried Forck. Postbote sei Manfred Stolpe gewesen. Krenz informierte den im Urlaub befindlichen Honecker. Der stimmte der Wiedereinreise zu. Bohley und Fischer hätten versprochen, die Gesetze der DDR nicht zu verletzen. Krenz: „Eine Ausbürgerung wäre nicht nur juristisch, sondern auch politisch ein großer Fehler gewesen. Es ist schon interessant, dass die – um es freundlich zu sagen – von der DDR nicht gerade freundlich behandelte Bärbel Bohley schon 1991 kurz nach der staatlichen Vereinigung über die Zeit sagte: <<Die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständigen Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“<< Ein Zitat nebenbei bemerkt, dass man dieser Tage öfters in sozialen Medien lesen kann. Und wenn man den derzeitigen Zustand unserer Gesellschaft in Augenschein nimmt, beschleicht einem das Gefühl, dass Bärbel Bohley mit ihrer Befürchtung nicht falsch lag.

Wichtige Themen wurden beackert

Alle wichtigen Themen hat Egon Krenz beackert. Und das dürfte wohl nicht nur für gewesene DDR-Bürger sondern auch Bundesbürger als den alten Bundesländern von Interesse und spannend sein. Ob das nun die Zeiten der Entspannungspolitik der Brandt- und Schmidt-Regierungen betreffs der Sowjetunion und Polen sind, oder die Bemühungen zwischen BRD und DDR gute Beziehungen in der Sache und auch für die jeweilige Bürger zu erzielen. Da gab es einige Kontakte und Besuche von Westpolitikern in der DDR, die wir in der DDR mit hohem Interesse verfolgten. Auch die damaligen Gespräche von SPD und SED bargen Hoffnungsschimmer.

Natürlich ging es uns in der DDR auch darum Reisen in die BRD oder das andere westlichen Ausland machen zu können. Es tat sich was. Aber doch viel zu wenig. Was nicht nur mit politischen sondern auch mit Fragen von Devisen zu tun hatte, die die Menschen ja dann im kapitalistischen Ausland benötigten. Nachdem BRD-Politiker zu Besuch gewesen waren war Erich Honecker auch zum Gegenbesuch eingeladen worden. Der Einladung wäre Erich Honecker gern nachgekomme. Er empfand das nach Anerkennung der DDR in vielen anderen Ländern auch als eine Ehre für die DDR. Es war ja ein offizieller Empfang ins Auge gefasst. Es brauchte letztlich mehrere Anläufe dahin, bis Erich Honecker in die BRD reisen und auch seine alte Heimat im Saarland besuchen konnte. Immer wieder war Moskau dagegen. Honecker ließ sich allerdings immer weniger hereinreden. Und es kristallisierte sich heraus, dass Honecker eben auch Deutschland als Heimat in seinem Herzen trug.

Krenz schreibt, in der DDR träumte man damals dazu beitragen zu können, in Ost und West auf neue atomare Raketen zu verzichten

Erich Honecker sei immer wieder auch am Weltfrieden und dem Frieden auf deutschem Bode interessiert gewesen, so Krenz. Im Buch macht das Egon Krenz auch an der Frage der Raketenstationierung auf BRD-Boden deutlich. Die Pershing II -Raketen sollten nach dem Willen des Westens gegen die SS-20-Raketen der Sowjetunion abschrecken. Stichwort Nato-Doppelbeschluss. Helmut Schmidt hatte für die Stationierung in Westdeutschland votiert. Der sowjetischen Seite war nichts weiter übrig geblieben als nachzuziehen. In der DDR wurden dann neue sowjetische Raketensysteme aufgestellt. (S.215: „Atomraketen in der DDR)

Krenz schreibt, in der DDR träumten man damals dazu beitragen zu können, in Ost und West auf neue atomare Raketen zu verzichten. „Honecker hat dafür mit hohem Einsatz gespielt. […] Wir wollten unsere Maxime, von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen, ohne dieses Teufelszeug erfüllen. Spätestens 1983/84 hatten wir die politische Schlacht um die Aufstellung der Raketen verloren.“

»Dai bog«, sagte Saizew, gebe Gott, dass es niemals dazu kommt

Egon Krenz sagt in einem Interview, am 16.12.2023 von junge Welt veröffentlicht: „Es war eine lebensbedrohliche Phase. In dieser Zeit lud mich der Oberkommandierende der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland in sein Hauptquartier nach Wünsdorf ein. Im Arbeitszimmer von Armeegeneral Michail Saizew hing eine Karte, die durch einen grünen Vorhang verdeckt war. Er zog ihn zurück. Ich war erschrocken. Nichts würde von Deutschland übrigbleiben, wenn es zu einem Krieg käme. »Dai bog«, sagte Saizew, gebe Gott, dass es niemals dazu kommt. Er bat mich, Honecker zu bewegen, die Raketentruppen zu besuchen.“ Und Honecker tat das. Honecker forderte, dass alle Raketen, diese Teufelszeug, von deutschem Boden verschwinden. Und dabei hatte er bewusst nicht unterschieden zwischen US-amerikanischen und sowjetischen Atomwaffen. Alles zu diesem Thema finde Sie ausführlich im Teil 2 der Biografie von Egon Krenz veröffentlicht.

Gegen Ende der DDR häuften sich Fehler

Gegen Ende der DDR häuften sich Fehler und Entscheidungen, die zu Unmut führten. Ich erinnere mit noch gut daran, als es in der DDR hieß, die sowjetische Zeitschrift Sputnik sei verboten worden. Sie war kurzerhand von der Postzeitungsliste gestrichen worden. Nach Rücksprache mit dem Postminister erfuhr Egon Krenz, dass Honecker diese Verfügung diktiert hatte. „Die Zeitschrift, so hieß es, bringe keinen Beitrag zur Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Stattdessen würden darin verzerrende Beiträge zur Geschichte veröffentlicht. Konkreter Anlass waren Beiträge zum sogenannten «Hitler-Stalin-Pakt«. Krenz’ Ehefrau, in der Lehrerbildung tätig, fragte sich mit ihren Kollegen, „kopfschüttelnd, ob die alten Herrschaften im Politbüro überhaupt noch wüssten, was im Lande los sei. Wie könne man noch Öl ins Feuer gießen.“ Selbst die „FDJ-Führung hatte auf acht Seiten aufgeschrieben wie empört junge Leute über die Bevormundung durch die Partei- und Staatsführung waren.“

Honecker zeigte sich ungerührt.

An der Basis brodelte es

Auf der letzten Seite berichtet Egon Krenz von der sich vergrößernden Misere im ersten Arbeiter- und Bauernstaat. Viel Vertrauen war in diesem Jahr verloren gegangen. An der Basis brodelte es. Das Politbüro aber tat, als sei alles in bester Ordnung.“

Und Krenz schließt so: „Es brodelte an der Basis. Die Zeichen standen auf Sturm.“

Ich weiß: Vergleiche hinken. Ich will auch nichts vergleichen. Dennoch: Die derzeitige von der Politik der Ampel – aber auch von Vorgängerregierungen – herbeigeführte in vielen Hinsichten prekäre Lage unseres Landes lässt auch hier und da – wir haben gerade die Bauernproteste – ein Wind in meine Nase wehen, der etwas nach 1989 riecht. Erste Rufe „Wir sind das Volk“ und Forderungen nach Veränderung sind zu vernehmen …

Lest dieses Buch in Ost und West

Ich empfehle, dass möglichst viele Menschen in West und Ost dieses Buch zu lesen. Es ist wichtig. Egon Krenz gebührt das Lob, aufgeschrieben zu haben, was ansonsten wohl der Vergessenheit anheim fallen könnte. Die Leser werden vieles nicht wissen, von dem Krenz hier geschrieben hat. Die Leser mögen sich ein eigenes Bild machen. Ich fürchte, die üblichen Verdächtigen in den Mainstream-Medien werden, auch diesen zweiten Band von Krenz’ Biografie wieder als Selbstbeweihräucherung oder Lobhudelei auf Honecker und die DDR missverstehen (wollen). Das bleibt ihnen unbenommen. Ich sehe das anders. Auch dieser Band ist wieder sachlich verfasst und es fehlt auch nicht an der Aufführung von gemachten Fehlern. Ein Verdammen des Staates DDR in Grund und Boden wird man jedoch darin nicht finden. Was aus der Biografie des Autors heraus verständlich ist und dem Ganzen absolut kein Abbruch tun. Auch ich als gewesener DDR-Bürger werde das nie tun. Manche versteinerten Ewiggestrigen oder Woke mit Gutmensch-Ideologie werden das nicht verknusen können. Andere wiederum, die mit objektiverer Brille auf die Sache blicken, werden – wenn sie vielleicht auch nicht alles teilen können – einiges verstehen. Lassen wir die von mir hochverehrte Gabriele Krone-Schmalz betreffs zu Worte kommen: „Muss man nicht erst einmal etwas verstehen, bevor man es beurteilen kann“.

Ich freue mich jedenfalls bereits auf den dritten Band der Erinnerungen von Egon Krenz, der bis in die Gegenwart führt.

*Eingefügt am 19.01.2024

Egon Krenz

Gestaltung und Veränderung

Erinnerungen

472 Seiten, 14,5 x 21 cm, gebunden
mit 32 Seiten Bildteil, Lesebändchen

sofort lieferbar

Buch 26,– €

ISBN 978-3-360-02811-2

Egon Krenz (Autor, Hrsg.)

Egon Krenz (links). Foto: C. Stille

Egon Krenz, geboren 1937 in Kolberg (Pommern), kam 1944 nach Ribnitz-Damgarten, wo er 1953 die Schule abschloss. Von einer Schlosserlehre wechselte er an das Institut für Lehrbildung in Putbus und schloss mit dem Unterstufenlehrerdiplom ab. Seit 1953 FDJ-Mitglied, wurde er 1961 Sekretär des Zentralrates der FDJ, verantwortlich für die Arbeit des Jugendverbandes an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen. Nach dem Besuch der Parteihochschule in Moskau war er von 1964 bis 1967 Vorsitzender der Pionierorganisation und von 1974 bis 1983 der FDJ, ab 1971 Abgeordneter der Volkskammer, ab 1983 Politbüromitglied. Im Herbst 1989 wurde er in der Nachfolge Erich Honeckers Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender. Im sogenannten »Politbüroprozess« wurde Krenz 1997 zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt und 2003 aus der Haft entlassen, der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Krenz ist Autor zahlreicher Bücher, zuletzt »Wir und die Russen« (2019) und »Komm mir nicht mit Rechtsstaat« (mit Friedrich Wolff, 2021).

„Der Fall Ulrike Guérot“. Von Gabriele Gysi (Hg). Buchbesprechung

Oft taten einem die Hände weh. Wie oft mussten wir dennoch in den vergangenen Jahren immer wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und die Angst vor einem bleibenden Schleudertrauma ging nicht weg: Wie viele Male haben wir in letzter Zeit und auch gegenwärtig wieder weiter besorgt und wütend und mit Unverständnis mit dem Kopfe geschüttelt!

Wie geriet unsere Gesellschaft nur dahin wo sie sich inzwischen befindet? Was verdammt noch mal ist mit uns los? Wo soll das noch hinführen? Bekommen wir das nicht nur angehalten sondern auch endlich aus der Welt geschafft? Fragen über Fragen.

Artikel 5 GG

In einer Demokratie müssen wir erwarten unsere Meinung frei sagen zu können. Doch damit nicht genug.

Im Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes (GG) werden wir fündig, er schützt in Abs. 1 fünf eigenständige Grundrechte, nämlich die die Meinungs-Informations-Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit (sogenannte Kommunikationsgrundrechte).[1] Beschränkt werden diese Rechte gem. Art. 5 Abs. 2 durch die allgemeinen Gesetze sowie den Jugendschutz und das Recht der persönlichen Ehre (Ehrenschutz).

Art. 5 Abs. 3 schützt außerdem die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie die Kunstfreiheit. Hierbei handelt es sich um weitere Formen der Kommunikation, die das Grundgesetz als besonders schutzwürdig erachtet. Daher können diese Grundrechte lediglich durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden. (Quelle: Wikipedia)

Artikel 5 GG (1) sagt klar und deutlich: «Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. «

Das hört sich gut an. Papier ist geduldig. Heutzutage allerdings muss man hinzudenken: Du darfst dich freilich nach diesen Grundsätzen. Aber du musst halt auch mit den entsprechenden Konsequenzen rechnen und leben.

Das hat vor allen Dingen die Zeit der Corona-Pandemie gezeigt. Und es zeigt sich nun wieder im Ukraine-Krieg. Wer sich kritisch jenseits staatlicher oder andere Narrative äußert, kriegt rasch einen auf den Deckel. Grundgesetz hin oder her.

Wer es dennoch tut gilt nämlich rasch als „umstritten“ oder bekommt es obendrein mit der unseligen Cancel Culture zu tun. Das kann einem sogar den Job oder das eigene Bankkonto kosten. Oder sogar den gesellschaftlichen Tod für die betroffene Person bedeuten.

Eingeschränkter Meinungskorridor

Der Meinungskorridor wurde immer mehr eingeschränkt. Wie passt das zur Demokratie – zum Artikel 5 des Grundgesetzes? Immer mehr Menschen – hauptsächlich solchen, welche bereits in der DDR gelebt hatten – kommt das nicht geheuer vor. Manches erinnert sie nicht von ungefähr an Erscheinungen in der DDR. Dergleichen hatten sie in der BRD mit ihrer freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) nicht für möglich gehalten.

Heute gelten Personen die nicht auf Linie sind als „umstritten“ bzw. als Schwurbler oder Verschwörungstheoretiker. Menschen die in der DDR von der ideologischen Linie abwichen, gegen die wurde mit mit unterschiedlichen Mitteln vorgegangen. Im schlimmsten Falle juristisch. Sie konnten ihre Arbeitsstelle verlieren, wenn sie nach Ansicht von Partei und Staat ideologisch dort nicht tragbar waren. Rasch galten sie als Staatsfeinde, die dem Klassenfeind im Westen zuarbeiteten. Künstler etwa drohte der Verlust ihrer Engagements. In Rundfunk, Fernsehen oder in der Presse kamen sie dann halt nicht mehr vor. Oder es wurde zumindest versucht sie klein zu halten. Dann konnten sie vielleicht noch in irgendwelchen Nischen in kirchlichen Räumlichkeiten auftreten. Oder es blieb ihnen nur noch übrig einen Ausreiseantrag ins westlichen Ausland zu stellen.

Was trifft, trifft zu“

Zu DDR-Zeiten schrieb ich ab und an als ehrenamtlicher Journalist (Volkskorrespondent) für eine Bezirksparteizeitung der SED, die ironischerweise den Titel „Freiheit“ (gegründet 1946, da war der Titel gewiss treffend) trug.

Oft suchte ich mir die Themen über die ich schreiben wollte selber aus. Und das wurde von der Redaktion zumeist goutiert, gern genommen und gedruckt. Doch einmal, als ich über einen Auftritt des bekannten Journalisten, Dichters, Satirikers und Kabarettisten Hansgeorg Stengel schreiben wollte, redete mir der von mir angesprochene Redakteur das aus. Beziehungsweise riet mir: „Einen kurzen Bericht kannste machen.“ Aber ich sollte bloß nicht zu sehr ins Detail gehen. Wenn ich verstünde was er meine. Höchstes ein Bonmot zitieren. Eines freilich, das nicht allzu kritisch mit negativen Erscheinungen im Arbeiter- und Bauernstaat ins Gericht ging. Ich verstand. Was der Redakteur meinte war mir klar. In der Regel waren Stengels Texte nämlich äußerst ausgefeilt, treffend und scharfzüngig. Was freilich nicht allen gefiel. Vor allem manchem SED-Funktionär nicht. Denn er griff Defizite im sozialistischen Staat auf und nahm sie auf sie aufs Korn. Wie sagte doch Karl Kraus: „Was trifft, trifft zu.“ Was ja gerade das Großartige an seinen Texten war. Dafür liebten die Leute ihn. Ich verzichtete.

Meinungsvielfalt? Fehlanzeige. DDR 2.0?

So manch kritisch denkender Mensch, der mit offenen Augen und Ohren am Leben beteiligt ist, spricht oder schreibt, wir hätten es heute in mancher Beziehung mit so etwas wie einer DDR 2.0 zu tun. So ganz abwegig finde ich diese Ansicht nicht. Obwohl man nicht alles 1:1 vergleichen kann.

Aber in der alten BRD stand es um die Meinungsfreiheit schon einmal wesentlich besser als das dies heute der Fall ist. Es gab ganz linke und linke Blätter, aber als Gegenstücke auch stramm konservative. Man hatte eine große Auswahl, fand ein Meinungspluralismus vor. Auch im Rundfunk und beim Fernsehen gab es ein breites Spektrum. Das ist heute längst nicht mehr so. In vielerlei Beziehung haben wir es mit einer Selbstgleichschaltung zu tun. Und sogenannte Haltungsjournalisten bevölkern die Redaktionsstuben. Dafür gibt es einige Gründe, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Meinungsvielfalt? Fehlanzeige. Der Meinungskorridor wird immer mehr verengt.

Das auch im damaligen Westdeutschland nicht alles Gold war was glänzte, war mir schon als noch in der DDR lebender Bürger klar. So naiv bin ich nicht. Wir empfingen ja Westfernsehen und rezipierten mit großem Interesse kritische Politmagazine wie beispielsweise Monitor oder Panorama. Tempi passati – leider.

Fälle wo Menschen diffamiert, gebasht und gecancelt wurden haben sich in der Corona-Zeit gehäuft. Und diese fürchterlich Unart, die einer wirklichen Demokratie unwürdig seid, wird weiter verfolgt und trifft nunmehr Menschen, welche sich in Zeiten des Ukraine-Kriegs für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einsetzen.

Kennen Sie den „Fall“ Ulrike Guérot?

Im Westend Verlag ist jetzt ein Buch erschienen, welches den Titel „Der Fall Ulrike Guérot. Versuche einer Hinrichtung“ trägt. Herausgegeben von Gabriele Gysi. Vom Verlag heißt es dazu:

«Der Artikel 5 des Grundgesetzes sagt: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Das gilt auch für Forschung und Lehre: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Wie ist es in der Realität? Wer die zum Teil mit großem, exzessivem Eifer vorgebrachten Anwürfe an Ulrike Guérot einordnen will, sollte deren politischen Hintergrund kennen: In einer prominenten Talkshow sprach sich Ulrike Guérot dafür aus, dass Diplomatie und Politik vor allem darauf abzielen sollten, die Möglichkeit nach Friedensverhandlungen im aktuellen Krieg in und um die Ukraine auszuloten. Am Tag nach der Ausstrahlung der Sendung wurden mit zunehmendem Verfolgungseifer Plagiatsvorwürfe laut, obwohl ihr Buch „Wer schweigt, stimmt zu“ [anbei meine Rezension; C.S] seit dem frühen Frühjahr auf dem Markt und allgemein erhältlich war, wochenlang die Spiegelbestellerliste in oberen Rängen besuchte und in etlichen Medien besprochen wurde. Angebote von Frau Guérot an Kritiker, sich zu einem Austausch, öffentlich oder nichtöffentlich, zu treffen, wurden ausgeschlagen, die Universität Bonn ist mit Ulrike Guérot derzeit in einem Rechtsstreit, die weitere Verhandlung ist für den 10.1.2024 in Bonn angesetzt.

Der Band „Der Fall Ulrike Guérot. Versuche einer öffentlichen Hinrichtung“, herausgegeben von Gabriele Gysi, zeichnet diese Geschehnisse nach und zeigt: Wer stört, wird mundtot gemacht. Oder wie Paul Valéry es ausdrückt: „Wer den Gedanken nicht angreifen kann, greift den Denkenden an.“ Wehren wir diesen Anfängen.«

Pressestimmen zum Buch:

„Die Wissenschaftsfreiheit ist nicht die geringste der Freiheiten. Im Gegenteil: Mit ihr beginnt die Geschichte der Demokratie in Deutschland.“
Prof. Dr. Heribert Prantl

„Die Bezeichnung „umstritten“ dient heutzutage dazu, Andersdenkende zur moralischen Diskreditierung, sozialen Ausgrenzung und institutionellen Bestrafung freizugeben. Wer erfahren will, warum und wie Ulrike Guérot zur „umstrittenen“ Wissenschaftlerin erklärt und abgestraft wurde, der lese dieses Buch.“
Sandra Kostner

Zum Vorwort der Herausgeberin

Gabriele Gysi setzt sich in ihrem Vorwort mit dem Stempel „Umstritten“ auseinander. Sie fragt: „Wer ist umstritten und in wessen Augen? Worüber wird überhaupt gestritten? Und warum sind immer nur Personen umstritten und nicht Sachverhalte oder empirische Beobachtungen? Warum gelten umstrittene Aussagen an Universitäten nicht als Neugier, dem Denken und Nachdenken förderlich? Wie kann ein Begriff auf solch merkwürdige Weise zur Diskreditierung von Menschen genutzt und akzeptiert werden?

Und sie stellt fest: „Das Nichtwissen ist die Voraussetzung unseres Denkens.“

Und Gysi fragt: „Wie kann eine Gesellschaft das Nachdenken auf Faktenchecker abwälzen? Wann ist dieser Irrsinn ausgebrochen? Wer erklärt hier wem den Krieg?

Für jeden Schauspieler ist der Versuch, etwas zu verstehen, die Grundlage der lebendigen Simulation von Leben. Vielleicht waren gerade die Schauspieler mit ihren Szenen im Rahmen der #allesdichtmachen-Aktion zum Lockdown so erfolgreich, witzig und genau, weil sie die Erfahrung und nicht die «umstrittene Ansicht« schildern.“

Sei meint: „Eine einzige Wahrheit wird postuliert und bis in die Unkenntlichkeit wiederholt. Das wäre das Ende der Aufklärung und tragische Vorgang für die westliche Welt. Aber es gibt Menschen, die sich diesem Verlauf in den Weg stellen, die Umstrittenen. Und es gibt Räume, die den Widerspruch fordern sollten. Es gibt einen Ort, der explizit zum Verstehen, nicht zum Rechthaben, als eine zivilisierte Leistung entwickel wurde, die Universität.“

Gabriel Gysi dankt dem Westend Verlag für das Verlegen dieses Buches. Und: „Aber vor allem bedanke ich mich bei den #Umstrittenen für ihre Klugheit und ihren Mut.“

Heike Egner und Anke Uhlenwinkel befassen sich den Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit

In einer Studie über die Entlassung und Degradierung von Professorinnen und Professoren haben die beiden Damen 50 Fälle erfasst. Diese Erscheinung hat ja in letzten Jahren, etwa ab 2018 zugenommen und hatte ihren Höhepunkt im Jahre 2019 und setzt sich seitdem im mittleren Bereich fort.

Es wird klar wie wenig frei die Lehre an den Universitäten inzwischen ist. Ob es Förderungen und Drittmittel für bestimmte Forschungen gibt hängt immer öfters von Zielen ab, die von den Geldgebern gewünscht werden.

Man sehe sich oft mit einer Wissenschaft konfrontiert, die von der Politik gestaltet wird.

Im Fall Ulrike Guérot argumentieren Egner und Uhlenwinkel man müsse ja nicht unbedingt die inhaltlichen Standpunkte der Professorin teilen, um über den Umgang mit ihr empört zu sein.

Es handele sich um einen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Wissenschaftsfreiheit. „Höchst erstaunlich ist daher das sehr laute Schweigen aus den Reihen der Wissenschaft selbst.“ Haben die Kollegen womöglich selbst Besorgnis in die Kritik und „in den vernichtenden Fokus der Medien zu geraten? Man hat ja einiges zu verlieren.“

Die durchaus unterschiedlichen Gründe für erfolgte Entlassungen von Professoren sind im Beitrag aufgeführt. Sicher gibt es auch Fälle, wo dies eine entsprechende Grundlage hatte.

Dem Außenstehenden drängst sich die Frage auf, ob es den Betreibern dieser Entwicklung darum geht, eine möglichst in deren Interessen stromlinienförmige Professorenschaft zu schaffen. Ganze 73 Prozent der befragten Professoren gaben an, dass ihnen in ihren Verfahren die gebotene Vertraulichkeit nicht zugestanden worden sei.

Die beiden Autorinnen warnen bei einem weiteren fortschreiten von Cancel Culture und ideologischer Beeinflussung, um etwa eine „Legitimation aktueller Politik“ zu befördern. „Dann würde Wissenschaft nicht nur in der Mittelmäßigkeit versinken, wie Max Weber dies konstatierte, sondern sie schaffte sich selbst vollständig ab.“

Christoph Lövenich hat den Beitrag „Das «Plagiat« – eine (wissenschaftliche) Betrachtung“ eingebracht

Und Lövenich fragte sich was dran sei an den Plagiatsvorwürfen gegen Ulrike Guérot. Weswegen die Universität Bonn die Professorin kündigte.

„Al Capone wurde auch wegen Steuerhinterziehung weggesperrt und nicht wegen seiner Morde“ habe ein Twitterer am 24. Februar 2023 geschrieben nachdem die Kündigung bekannt geworden war.

Neben anderen hatte sich auch Redakteur Lars Wienand von t-online (das zu Stroer gehört), „ein Medium, das häufig <umstrittene< Persönlichkeiten ins Zielfernrohr seiner gefärbten Berichterstattung nimmt“ nicht entblödet ebenfalls diese Analogie zu benutzen. Der Redakteur des oft zur Diffamierung benutzten Portals schmierte: «Guérot dürfte wegen unwissenschaftlichen Unfugs nicht beizukommen gewesen sein, da hat man ihre Plagiate genutzt.«

Christoph Lövenich: „Es kaum anzunehmen, dass sich Wienand – schon gar nicht zu diesem Zeitpunkt – mit irgendwelchen Details der Vorwürfe auseinandergesetzt hatte. Das hinderte ihn allerdings nicht an Verdachts- und Framings-Journalismus.“

Die in der Kritik stehenden Bücher von Guérot geht es nicht um wissenschaftliche Veröffentlichungen.

Das focht die Uni Bonn jedoch nicht an.

Gleichwohl gibt es einige Schnitzer in den Veröffentlichungen.

Im Wesentlichen Bagatellen.

Der Westend Verlag teilte mit, aus seiner Sicht genügten für künftige Auflagen: „Vier Anführungszeichen an zwei Sätzen im Text wurden ergänzt und die Quellen benannt.“

Fazit von Lövenich: „Bei den betroffenen Büchern Ulrike Guérots handelt sich nicht um Plagiate als solche.“

Lediglich ihr Buch Wer schweigt, stimmt zu“, das von ihr während ihrer Angestelltentätigkeit an der Uni Bonn geschrieben habe, als für das Arbeitsverhältnis „kontrafaktisch relevant gewertet werden würde, hätte dies, wenn überhaupt, eine Abmahnung nach sich ziehen können, aber keineswegs gleich eine Kündigung“.

Lövenich liegt wohl richtig, wenn er abschließend feststellt: „Tatsächlich soll eine Unbequeme bestraft werden – wohl auch in der Absicht, andere abzuschrecken.“

Da fällt mir das Mao Zedong zugeschriebene Zitat ein: „Bestrafe einen, erziehe hunderte.“

Roberto De Lapuente beleuchtet den „Fall «Ulrike Guérot« noch einmal genauer und blickt dazu auch in die Vergangenheit

Roberto De Lapuente beleuchtet den „Fall «Ulrike Guérot«: Versuche einer Hinrichtung“ noch einmal genauer. Auch vom Ablauf der einzelnen Diffamierungen und deren Abkunft her. Er richtet dazu seinen Blick zurück auf den «Radikalenerlass« aus den 1970er Jahren, der damals zum Berufsverbot und Verbannung Andersdenkender aus dem öffentlichen Dienst führte.

Und sein Blick kehrt wieder zurück ins Heute. Zu Zuständen, die zum Himmel schreien. Wir verstehen, es geht immer gegen Menschen von denen der Staat bzw. die Herrschenden glauben, das von ihnen eine Gefahr für sie und den Bestand der herrschenden Meinung ausgeht. Sie werden zumalen gar zu Staatsfeinden gestempelt. Die es gilt mundtot zu machen. Die unrühmlichste und deshalb zutiefst zu verdammende Rolle spielen dabei heute die Medien (die Mainstream-Medien, die sich selbst gleichgerichtet haben und zu Lautsprechern bzw. Propagandisten der Herrschenden geworden sind). Welche ja im Sinne der Vierten Macht die Regierenden eigentlich kontrollieren und im Interesse der Demokratie mit ihren Mittel zur Ordnung rufen sollen.

Dokumentation der öffentlichen Hetze und eine Chronologische Auswahl der Hetzartikel

Im Anhang zum Buch schließt sich eine „Dokumentation der öffentlichen Hetze“ (S.76) an sowie eine „Chronologische Auswahl der Hetzartikel und sonstige Berichte über Ulrike Guérot“ an. (S.77)

Lesen wir dieses Buch, vergessen wir niemals was nicht nur Ulrike Guérot an übler Diffamierung angetan wurde, wie aus vielen publizistischen Rohren auf verabscheuungswürdigste Weise auf sie geschossen wurde. Ihr Beispiel steht für viele Einzelfälle, kritische Personen, die sich in der Corona-Zeit und nun wieder im Ukraine-Krieg mutig hervorgewagt haben, weil sie spürten, dass da einiges nicht stimmt und mit ihrer Meinung nicht hintan gehalten haben. Ihnen gebührt Dank und Hochachtung. Und ja: Wer nicht mit allem, was diese Menschen geäußert haben d`accord meint sein zu können, sollte sich unbedingt dafür einsetzen, dass es gesagt oder geschrieben und veröffentlicht werden kann. Wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass ein für alle mal Schluss ist mit üblen Diffamierungen und der fürchterlichen Cancel Culture. Wir müssen uns für einen demokratischen Diskurs starkmachen. Für eine Wiederöffnung des Meinungskorridors. Im Sinne von Johannes Raus Postulat: „Versöhnen statt Spalten“.

Anmerkung: Der Gerichtstermin des Bonner Arbeitsgerichts für die Verhandlung über die Kündigung der Politikprofessorin Ulrike Guérot ist vom 10. Januar auf den 24. April 2024 verschoben worden.

Gabriele Gysi

Der Fall Ulrike Guérot

Versuche einer öffentlichen Hinrichtung

Heike Egner, Anke Uhlenwinkel, Christoph Lövenich, Roberto J. De Lapuente, Herausgegeben von Gabriele Gysi

Erscheinungstermin:08.01.2024
Seitenzahl:96
Ausstattung:Klappenbroschur
Artikelnummer:9783864894503
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Anbei:

Der Künstler Rolf Dennemann ist tot. Eine Erinnerung: „Kunsthuren im Stundenhotel“. Kabinett-Stückchen, die tief berührten

Der Dortmunder Verein artscenico e.V. is a non-profit organization, founded in 1991, to realize performance art gibt bekannt:

Wir trauern um Rolf Dennemann.

Quelle: artscenico

Mein Bericht über eine von Rolf Dennemann realisierten Performances

Ich erinnere anlässlich der traurigen Nachricht an eine einer Idee Rolf Dennemanns entsprungenen Performance: „Kunsthuren im Stundenhotel“. Eine von vielen Arbeiten des verstorbenen Künstlers.

Die Gäste, die Presseleute, warteten mit gezückten Kameras oder wahlweise mit offenen Staunemündern und voll innerer Spannung. Neben dem roten Teppich wurde ein Spalier gebildet. Die Damen – die Haare verschleiert, elegant-verführerisch in Mäntel gewandet, die Augen sonnenbebrillt, wurden, wie der Regisseur der Inszenierung, Rolf Dennemann (artscenico performing arts e.V.), in Schwarz mit Hut auf dem Charakterkopf und Zigarette im Mund, zuvor angekündigt hatte, „angeliefert“. Angereist waren die Mädels aus dem „Orient“, dem „Ostblock“ und dem „Alten Europa“. Zuvor waren die „Kunsthuren“ an der Abendkasse ver- bzw. gekauft worden.

Das werte Publikum mit Lust auf Kunst hatte die Qual der Wahl. Wie sonst die Freier im Bordellnormalbetrieb. Selbiger ruhte freilich an diesem Tage im „Club Escort“ auf der Dortmunder Juliusstrasse. Per kurzem Steckbrief („Setcard“) – Blätter Papier an eine Tafel gepinnt – stellten sich die Damen kurz vor. Nicht unerwähnt blieben ihre jeweiligen Dienstleistungen. Die kunstlüsternen Gäste konnten Einzelzimmer samt „Kunsthure“ und eine jeweils ca. 15 Minuten umfassende Leistung – von dieser ausgeführt – kaufen, oder sich gleich für ein Gesamtpaket, neudeutsch „Flatrate“ genannt, entscheiden. Gekauft werden konnte freilich „Alles ausser Sex“. 

Und es hieß für die Gäste: „Anfassen verboten!“ Die Dennemannsche Idee für diese Performance entstand nicht aus Jux und Dollerei. Sie hatte vielmehr einen ernsten Hintergrund. Wir leben (noch) in einem System, wo Geld alles ist. Die Kommerzialisierung von allem und jedem macht längst auch vor den Künsten und den Künstlern keinen Halt mehr. Auch Künstler müssen sich und ihre Kunst anpreisen. Und in gewisser Hinsicht prostituieren sie sich auf diese Weise auch mehr oder weniger.

Diesen Gedanken aufnehmend, muss Rolf Dennemanns Idee genial genannt werden, sein neuestes, sich mit dieser Thematik befassende Projekt gleich in einem Bordell spielen zu lassen.

Premiere war am 29. Oktober 2011 in Dortmund: Gegen 20 Uhr rauschten, dem milden Abendwetter durchaus angemessen, die „Kunsthuren“ im offenen Coupé durch das von zwei Security-Leuten bewachte Eingangstor auf den Parkplatz des Dortmunder Hotel Escort. Der rote Teppich war ausgerollt. Nicht weniger genial der Titel: „Kunsthuren im Stundenhotel“. 

Venus – wie in tausend und einer Nacht

Als Gast musste man sich ganz schön ranhalten. Schließlich sollten auf die jeweiligen Zimmer zu den jeweiligen „Kunsthuren“ immer nur jeweils acht Gäste kommen. Viel mehr Menschen hätten ehrlich gesagt auch gar nicht in die Zimmer hinein gepasst. Selbst zu acht wurde es schon verdammt eng.

Rolf Dennemann kündigte unten am Aufgang zu den Zimmern an, welche Dame wo zu finden sein würde. Dann ging es – einer hinter dem anderen her tappend – die engen Treppen hinauf in die noch engeren Zimmer. Mich zog es zu Venus. Venus, die Dennemann als „aus dem Iran“ vorstellte, die sich selbst jedoch als Perserin bezeichnete. Herzlich begrüßt fanden die Gäste auf dem wichtigsten Möbelstück eines jeden, so also auch diesen Zimmers, dem Bett, Platz. Anderen blieb nur, sich an die Wand zu drücken.

Es erwartete einen Zimmertheater vom Feinsten. Die Situation verschaffte eine ungewohnte Nähe zur Künstlerin. Wo – wann – erleben wir schon so etwas? Venus Hosseini, die ihren vielleicht für manchen der Anwesenden nicht mit dem Iran in Verbindung zu bringenden Vornamen mit einer rührenden, geradezu märchenhaften, Geschichte erklärte: Ihre Mutter habe, als sie mit ihr schwanger ging, in einem Teheraner Park damals eine Frau – offenbar ihr Kind – „Venus, Venus, wo bist du denn?“ rufen hören. Doch als ihre Mutter dann nach dieser Venus Ausschau hielt, fand sie niemand. Sie entschied sich, ihre, damals noch im Mutterleib befindliche, Tochter Venus zu nennen. Und wir erfuhren: Damals sei es im Iran durchaus noch üblich gewesen, Kindern auch westliche Namen zu geben. Dann berührte Venus ihre Gäste mit Zarathustras Versen tief. Dazu durften sich unsere Nasen an einer hingehaltenen Schale Rosenwassers gütlich tun. Ach, das hatte etwas von tausend und einer Nacht. Ein paar Bibelverse noch und himmlisch zu nennende Gesänge, vorgetragen von Venus, und schon war’s vorbei. Wir mussten (leider) von dannen. Unsere Zeit war abgelaufen! So ist das eben. Auch eine „Kunsthure“ hat, wie die richtigen Huren nicht ewig Zeit. Zeit ist Geld.

Unten an der Bar drängten sich schon die nächsten Gäste. Man geht und fühlt sich fast wie ein Freier: Nach der Befriedigung setzt erst einmal Leere ein. Ein wenig traurig stolpert man die Stufen wieder herab. Doch Trost: spätestens nach dem zweiten Zimmer kommt man damit zurecht, dass der künstlerische Funke zwischen den Kunststückchen erst einmal abreisst. Was ohnehin ja auch zu dieser Performance passt. In der Bar wirkt womöglich ein (geistiges?) Getränk gegen den Funkenabriss. Des Weiteren treibt dort – ich will ihn mal „Kunsthurerich“ (der einzige Mann unter den angereisten Damen) nennen -, Matthias Hecht, sein schauspielerisches Wesen. Später im gastronomischen „Zwischendeck“ des zum Lust-Spiel-Haus umgewidmeten Bordell-Hotels ist er dann wechselweise Beuys, Malerfürst Markus Lüpertz und ein fahrig-verrückter Kinski.

Denitsa. Eine traurig-schöne Zeit

Nächster Aufruf, andere Dame: Diesmal rücken wir zu acht „Kunsthure“ Denitsa Christo (Bulgarien) förmlich auf den Leib. Es knarzt das Bett, der Rücken schmerzt. Brennende Kerzen reihen sich am Boden des Zimmers an der Wand entlang. Und heizen ein! Doch man will und hängt der Künstlerin deshalb mit schierer Lust an den sich beim Vortrag öffnenden und schließenden Lippen. Lieder von und über Herz und Liebesschmerz stechen einen, klangvoll von Denitsa ausgebracht wie Nadeln in die eigne „Pumpe“. Darein – ich denke an eignes Liebesleid und anderes Weh und Ach – das Pling: Der Kochzeitmesser. Vorbei die traurig-schöne Zeit! Ich wische mir den Schweiß, verursacht von der unbarmherzigen Kerzenwärme, vom Gesicht. Absteigen war nun abermals angesagt. Ab vom weichen Knarzebett, runter in den rot ausgeleuchteten Warteraum der Bar. Durst: Ein Weizen, um herunterzuspülen die erneute Trauer.

Alexandra: „Ich glaube und alles ist nicht mehr so schwer.“

Was sich dann oben bei Alexandra Lowygina (Russin) auf dem Zimmer unterm Stalin-Bild fortsetzt: Das Trinken. Aber auch Wodka-Trinken will gelernt sein. Beim Entrée kann jeder ein Stück Stollen nehmen. Was einen wenig russisch anmutet. Dann gibt es Salzgurken und praktische Winke, wie Wodka zu trinken sei. Mit Nasenscheidewand kurzeitig voll sperren und Luft holen, damit das Kopfweh am nächsten Tage unterbleibt. Ich melde mich – von der bezauberndselbstbewussten Alexandra befragt – mutig als „fortgeschrittener (Wodka-) Trinker“ und erhalte, wie meine Trinker-Kameradinnen und Kameraden, in diesem Sinne ein Pinnchen, später dann noch ein weiteres, „Wässerchen“, der Rest – die Abstinenzler? – Wasser: Gänsewein.

Dann geht es hinein ins volle Russenleben! Die russische Seele zittert durch das kleine Zimmerchen. muss plötzlich daran denken, bzw. frage mich, was dieses Bett, worauf ich wie die andern sitze, schon für Lust erlebt/ erduldet (von wem wohl alles?) haben mag. Der Blick fällt auf den in jedem der Zimmer obligatorisch vorhandenen Papierspender. Für danach oder zwischendurch… Und Alexandra raunzt mit tiefdunkler Seele in der Stimme und mit einem Blick in uns hinein, wie in den Baikalsee: „Ich glaube, und alles ist nicht mehr so schwer.“

Antje – Spielfreudig mit tränenreicher Dramatik

Zum Schluss – die Zeit war weit fortgeschritten – musste ich unbedingt noch Antje Hamer (Deutschland) „haben“. So landete ich bei ihr auf’m Zimmer. Besser: sie mit ihrem Spiel bei mir! Antje, das Mädel, die „Schauspülerin“ vom Friesenlande, und ihr großer Traum von der Filmschauspielerinnen-Karriere. Eine Geschichte von in den Weg gelegten Stolpersteinen und Jammervollem. Einzig der Drang nach oben, fort vom einsam-langweiligen Landleben, hilft all die harten Castings und nervigen ersten Filmdrehs zu ertragen. Das Publikum wurde ins Spiel einbezogen. „Klappe!, Ton und Maz läuft! Bitte!“

Schauspielerinnen-Anfangsjahre sind keine Herrenjahre! Oder doch. Nur andersrum? Antje will doch nur spielen! Was heißt da nur?! Sie spielte durch und durch, mit allem was aus ihr heraus zu holen war. Wenn’s sein müsste auch einen Baum, oder sonstwas! Hauptsache (Schau-) Spielen! Antje, das Mädel vom Lande stellte im kleinen Kabinett großes Drama her. Sogar Tränen nässen des Friesenmädels Augen, ihre Wangen. Welch Talent! Ebenbürtig mit den wie aus der Pistole weinen könnenden großen Film-Kolleginnen der Filmgeschichte. Doch bums: Schon kracht die Zeit mit ihrer Sense wieder dazwischen! Vorbei. Alles nur Spiel. Und das war nun aus. Mir würgte es im Halse. Bei Antjes zum Abschied hingehauchtem „Tschüss!“ musste ich selbst mir eine Träne aus dem Augenwinkel drücken. So berührt, tappte, schlich ich die Treppen wieder hinunter zum Ausgangspunkt des Abends, der Bar.

Dennemanns Idee hatte Pfiff

Welch außergewöhnlicher Abend an ungewöhnlichem Ort! Daran hatte man zu schlucken, aber auch seine helle Freude. Denen, die diesen Abend – wie die Geschaftsführung des Hotel Escort – ermöglichten, ist, wie Rolf Dennemann es nach der Premiere von Herzen tat („Das ist ja keine Selbstverständlichkeit“), wirklich Danke zu sagen. Nebenbei bemerkt: Wo nur mögen die Stammgäste des Etablissements sich eigentlich an diesem Abend verlustiert haben? Zum Ende blieb dem heimwärts streben müssenden Gäste – hochgebrüllt vom nahegehenden Spiel der „Kunsthuren“ nur noch geheimnisvoll elektrisiert und etwas traurig, angefasst, über den Parkplatz hinaus auf die Strasse und zur U-Bahn-Haltestelle zu schleichen, zu schweben.

Um nun selbst den Abgang von dieser Bühne zu machen. Man lernte etwas über und von Kunst. Aber auch – will ich anmerken – über Huren und Das-sich-Verkaufen. Anrührend. Bestechend. Traurig. Schön… Es lohnte sich für ein paar Stunden in diese Welt einzutauchen. Dennemanns Idee hatte wirklich Pfiff und funktionierte in der Praxis. Wo sonst hätte man diese Performance besser darbieten können, als in diesem Hotel-Bordell! In einem Theaterraum wären diese Kabinett-Stückchen verpufft (!!!).

Stattdessen erlebten wir Zimmertheater mit Hintersinn und Seele an authentischem Orte, das diese Bezeichnung im wahrsten Sinne des Wortes mit Leben erfüllte.

artscenico e.V. ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung internationaler kultureller Begegnungen. Der gemeinnützige Verein ist seit 1991 im In- und Ausland tätig. Die Arbeit des Vereins konzentriert sich auf Aktivitäten, die Bereiche der Darstellenden Kunst miteinander zu konfrontieren und in einen neuen Kontext zu stellen, und den theatralischen Dialog zu internationalisieren. artscenico performing arts ist ein nomadisierendes Label ohne festes Haus, das sich auf die Durchführung und Organisation von überwiegend ortsspezifischen Projekten mit meist internationaler Beteiligung spezialisiert, wodurch zahlreiche Kooperationen entstanden sind. Poetische und spektakulär außergewöhnliche Projekte im Bereich der darstellenden Künste die teilweise an Orten wie Friedhöfen und Parks, in Kirchen und Hotels, einer Kleingartenanlage, innerhalb eines Geschäfts- und Wohnblocks stattfanden.

Künstlerischer Leiter ist der Regisseur, Autor, Schauspieler und Festivalleiter Rolf Dennemann, Mitglied des Vorstandes des Verbands Freie Darstellende Künste in NRW. Rolf Dennemann, Regisseur, Schauspieler und Autor. • Spezialist für orts-spezifische Inszenierungen, u.a. auf und in ehemaligen Industrieanlagen, Zechen, Kokereien, historischen Altstädten, Friedhöfen in Liverpool und Dortmund, Parkanlagen, Zoo Dortmund, Kleingartenanlagen, Schrottplätzen und Turnhallen, urbanen Wohn- und Geschäftsblöcken, sakralen Räumen etc. • Seit 1982 ca. 40 Bühnen-Inszenierungen • Kurzfilme: „Fahrerflucht“ und „Sieben Frauen und Elvis“ • Hörspiele, zuletzt für WDR5 (2010)

Ruhe in Frieden, Rolf Dennemann.

Via TAXI Magazin Nr. 90

Beitragsfoto: Rolf Dennemann via artscenico

Gruppenfoto und Ankunft der Damen: C. Stille (Screenshot)

Flyerfoto: C. Stille

… und GAZA und … – Politische Gedichte von Rajani Kanth. Rezension

Bisher sind durch die israelischen Angriffe auf Gaza nach dem Hamas-Überfall auf Israel rund 22.000 Tote zu beklagen. Darunter eine hohe Anzahl von Frauen und Kindern. Die Rede ist von nahezu 8000 Kindern! Viele tote dürften noch unter den Trümmern liegen. Es sind also sehr viele Zivilisten ums Leben gekommen. Ein großes Verbrechen.

Warum ist der Aufschrei über das widerliche Gemetzel nicht viel größer – besonders bei uns hierzulande? Südafrika hat Israel vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt und des Völkermords beschuldigt. Die Anhörungen dazu wurden nun für den 11. und 12. Januar angesetzt.

Für unser Land kann man sich nur schämen. Deutschland macht sich in doppelter Weise mitschuldig am Verbrechen des Völkermordes: durch den geschichtlichen Holocaust seitens Hitlerdeutschlands an den Jüdinnen und Juden, sowie beim gegenwärtigen Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern und der Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat.

Die Menschen in Palästina sind im übertragenen Sinn Opfer der jüdischen Opfer des verbrecherischen NS-Regimes. Das Versprechen einer Zwei-Staaten-Lösung wird von Israel sabotiert. Sie ist – wie Moshe Zuckermann, ein israelisch-deutscher Soziologe und emeritierter Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv, immer wieder anmerkt – inzwischen tot. Zumal ja in den vergangenen Jahren immer mehr israelische Siedler auf dem möglichen palästinensischen Staatsgebiet seßhaft gemacht worden sind. Zuckermann ist sich überdies darin sicher, dass Israel nie einen Frieden mit den Palästinensern gewollt hat. Der Krieg in Gaza ist nicht ein Krieg zwei Staaten, sondern zwischen Besatzern und Besetzten. Die Blockade jeglicher Zufuhr von Energie, Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Gaza, die Zerstörung humanitärer und und lebensnotwendiger Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen sowie Moscheen und Kirchen nimmt bewusst die Zivilbevölkerung ins Visier und verantwortet deren totale Ausrottung. Der Krieg gegen Gaza ist Völkermord. Die Gleichsetzung von Jüdinnen und Juden mit Israel, die Enthistorisierung eines langen schwelenden Konfliktes wird durch das undemokratische Konstrukt von ,,Staatsraison“ und ,,bedingungsloser Solidarität“ zur Teilhabe an Kriegsverbrechen.

Der kleine pad-Verlag aus Bergkamen (hier auf meinem Blog finden Sie übrigens eine Reihe von Rezensionen, welche sich mit dort erschienen interessanten Broschüren beschäftigen) hat zeitnah auf den unmenschlichen Gaza-Krieg Israels gegen die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen reagiert. Er veröffentlicht eine Reihe von politischen Gedichten von des Inders Rajani Kanth. Der Titel: „ … GAZA und … “

Gewidmet ist die Veröffentlichung dem palästinensischen Lyriker Ri`at al-Ar`ir, welcher in Gaza durch einen gezielten Angriff der israelischen Armee am 6. Dezember 2023 zusammen mit seinem Bruder und dessen Sohn sowie seiner Schwester und deren drei Kindern ermordet worden ist.

Im Vorwort zur Broschüre macht Rudolph Bauer darauf aufmerksam, dass ihr Titel an Erich Fried (1921-1988) an dessen Lyrikband und VIETNAM und. Frieds Einundvierzig Gedichte – so der Untertitel seines Buches – sind während des Zweiten Indochina- / Vietnamkriegs (1955-1975) erschienen.

Bauer: „Nach seiner Erstveröffentlichung im September 1966 wurde der Gedichtband von überregionalen Presse totgeschwiegen – insofern auch damals schon im Mainstream. Die Vietnam-Gedichte wurden weder von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) rezensiert, noch von der Zeit oder der Frankfurter Rundschau, weder von der Welt noch von der Süddeutschen Zeitung.“ (S.5)

„In der jetzigen, bedrohlich fortschreitenden Situation der Hochrüstung, Militarisierung, Mobilmachung und Kriegshetze bedeuten die Gedichte von Rajani Kanthmit vollem Namen: Rajani Kannepalli Kanth – ein verzweifeltes Innehalten, eine dramatische Anklage, ein Aufleuchten schriftstellerischer Verantwortung, Bruderworte der antimilitaristischen Solidarität. Sie sind ein nicht zu überhörender Ruf nach Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden.“

(Aus der Einleitung von Rudolph Bauer)

Seinem Gedicht unteilbare schande (S.33) hat Rajani Kanth Worte von Mahatma Gandhi vorangestellt:

Der Westen – in unteilbarer Schande

Was ist das für ein Sieg, wenn der Sieger besiegt bleibt? Macht es für die Toten, die Waisen und die, deren Häuser zerstört wurden, einen Unterschied, ob das wütende Vernichten im Namen des Totalitarismus begründet wurde oder im Namen von Freiheit und Demokratie? Was ist ein Kriegsverbrecher? Ist nicht der Krieg selbst ein Verbrechen gegen Gott und die Menschheit? Sind daher nicht all diejenigen Verbrecher, die Kriege gutheißen, anzetteln und durchführen? Die Schwachen können es nicht vergessen. Vergebung ist das Attribut der Starken. Die Nicht-Kooperation mit dem Bösen ist eine heilige Pflicht.

(Mahatma Gandhi)


unteilbare schande


es gibt keine andere art es festzustellen


der holocaust in Gaza ist ihr letzter strohhalm


nicht-europäer abzuschlachten wie tiere war über vierhundertjahre lang ihr leitmotiv


was bei Gaza den unterschied macht das ist weil alle es sehen unwiderlegbar mit eigenen augen auf breiten bildschirmen ein für alle mal


sicher | sie haben allen ausländischen journalisten den zugang verboten (und wie gewöhnlich das recht der „freien rede“ zelebriert) aber die tapferen palästinenser berichteten ununterbrochen auch wenn sie beschossen und erschossen werden


schulen krankenhäuser bäckereien kirchen moscheen: das neo-faschistische gemetzel ist unaufhörlich und findet kein ende

? haben sie historisch nicht genug blut an ihren händen und warum wünschen sie sich noch mehr reißende sturzbäche davon […] (S.33) (Ausschnitt)

Ein Nachwort von Wolfram Elsner

Das Nachwort zur Broschüre hat Wolfram Elsner geschrieben
Er hatte Rajani Kanth im Jahr 1987 an der University of Utah (UofU) in Salt Lake City (SLC) kennengelernt und in Abständen immer wieder getroffen. „Kanth stammt aus wohlhabender Familie – und Marxist. Mit seiner Herkunftsfamilie hatte er gebrochen.
Er war lebendig, interessiert, diskussionsfreudig, stellte Fragen … und eine mehr als 35-jährige Kollegialität und Freundschaft begann bei diesem Lunch. Wir trafen uns öfter, hatten uns was zu sagen, ich der theoretisch ,,evolutionäre und Institutionen-Ökonom“, er der Marxist „plus“.“
Zwei Jahre später kam er zur Lehre nach Bielefeld. Wäre ich bewusster vorgegangen, hätte ich ihn für ein Sommersemester eingeladen. Aber es wurde ein Wintersemester. Er kam also in einen norddeutschen November. Über norddeutschen Spätherbst und Winter wusste er offenbar nichts.“ […]

Ich schließe mich den Worten Wolfram Elsners betreffs der Beurteilung der Gedichte an und mache sie sozusagen mit Verlaub auch zu meinen: «Spaß beim Lesen kann man nicht wünschen. Es wird sich sicher nicht einstellen, aber Aha-Effekte en masse. Kanth schöpft aus einem großen lebenslangen interkulturellen Wissens-, Erkenntnis- und Erfahrungsfundus und wendet seine wissenschaftlichen Erkenntnisse und Methoden an, in künstlerischer Form. Das ist eine spektakuläre Ergänzung und Erweiterung zum vorhandenen „Konzert“ der aktuellen Nachrichten und Kommentierungen.

Danke, Raj“ Danke, Rudolph! Gut zu wissen, dass es Wissenschaftler und Menschen wie euch gibt. Denkende und mitfühlende Menschen werden Euch las LeserInnen finden.«

Noch ein Hinweis

Und, verehrte Leserinnen und Leser, bitte verabsäumen Sie nicht dem Kapitel „Zeitleiste größerer Kriege der USA Jahr für Jahr (von 1776 – 2011)“ (S.63) intensive Aufmerksamkeit zu widmen. Erschreckend! Diese Daten werden ja von den meisten unserer Politiker und ihnen zum Munde schreibenden und sendenden Mainstream-Medien gern unterschlagen. Sie finden diese der original-Daten-Quelle auch hier.

Und: Bitte empfehlen Sie diese wichtige Broschüre gern weiter.

Der Autor

Rakamı Kanth


Rajani Kannepalli Kanth ist Professor, Wirtschaftswissenschaftler, Philosoph und Gesellschaftstheoretiker. Er ist in Indien geboren und besitzt die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er lehrt auf den Gebieten der Anthropologie, der Soziologie und Politikwissenschaft, der Geschichte, der Wirtschaft und der Philosophie. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Ökonomie, Sozialtheorie und Politik sowie Frauenfragen. Neben seiner weltweiten universitären Lehr- und Forschungstätigkeit war er in New York als Berater für die Vereinten Nationen tätig. Im Jahr 2007 gründete er in Salt Lake City, Utah, den Weltfriedenskongress; siehe https://en.wikipedia.org/wiki/World_Peace_Congress.


Leben und Bildung


Rajani K. Kanth wuchs in Madras, Indien, auf und hat an verschiedenen Institutionen in Indien und im Ausland studiert, darunter am St.George’s College, am Loyola College, an der Delhi School of Economics, der Columbia University und der New School for Social Research. Er hat einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften/Statistik/Politik erworben, sowie je einen Master-Abschluss in Soziologie und Ökonomie. Promoviert hat er 1980 auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften mit ciner Arbeit über,,Politische Ökonomie und Laissez-faire“, die 1986 publiziert wurde.


Akademischer Werdegang


Kanth begann seine akademische Laufbahn als Dozent fir politische Soziologie an der neu eröffneten indischen Jawaharlal Nehru Üniversity in Neu Dehli. 1974 besuchte er die Columbia University, von der er 1975 an die New School for Social Research in New York wechselte.1979 lehrte er an der UN International School in New York, an der St.Jho Oniversity sowie als Teaching Fellow an der New School for Social Research. Im selben Jahr erwarb er seinen zweiten Master in Wirtschaftswissenschaften, während er gleichzeitig als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Columbia University tätig war und 1980 in Wirtschaftswissenschaften promovierte. Seine Doktorarbeit wurde 1986 als Buch mit dem Titel,,Politische Ökonomie und Laissez-faire““ veröffentlicht.


Nach einer Zeit als Wirtschaftsberater der Vereinten Nationen, des UNFPA und des Centre for Transnational Corporations in New York zwischen 1979 und 1981 kehrte er an die Akademie zurück und wech、selte dann an die State University of New York, wo er bis 1985 lehrte.Von da an übernahm er Positionen in einer Vielzahl von Institutionen:u. a. am Providence College der University of Utah, der Oxford University in Großbritannien, an den deutschen Universitäten Bielefeld und Bremen, der Universität Aarhus in Dänemark, der University of New South Wales und der University of Technology in Australien, am Wag ner College in New York, an der National University of Singapore und an der Harvard University. 2012 war er als Fellow am Institute for Advanced Studies der Jawaharlal Nehru University in Indien.
Wissenschaftliche Veröffentlichungen
Political Economy and Laissez-Faire. 1986 – Explorations in Political Economy. 1991 – Capitalism and Social. Theory. 1992 – Paradigms in Economic Development. 1994 – Against Economics: Rethinking Political Economy. 1997 – Breaking with the Enlightenment.1997 – Against Eurocentrism. 2005 – The Challenge of Eurocentrism. 2009
Towards Immediacy in World Peace. 2013 – The Post-Human Society.
2013


Schriftstellerische Publikationen


The ‚Forever Young Regime. 2013 – Revue: A Boutique of Verse.2013. The Matter With Danny. 2013 – The Last Journey: A Voyage to the Center of the Soul. 2013.

Zu Rudolph Bauer

Rudolph Bauer ist Politikwissenschaftler, Schriftsteller und Künstler. Einer der wenigen, die sich in Bild und Schrift auch künstlerischer Ausdrucksmittel bedienen, um ihr fachliches Wissen mit politisch-kritischem und gesellschaftlichem Engagement zu verbinden. Er war Professor für Wohlfahrtspolitik und Soziale Dienstleistungen an der Universität Bremen. Geboren 1939 in Amberg/Oberpfalz, studierte er nach dem Abitur u. a. die Fächer Politologie, Soziologie und Philosophie an den Universitäten in München, Erlangen, Frankfurt am Main und Konstanz. Berufliche Erfahrungen sammelte er u. a. als freier Mitarbeiter und Journalist bei Tageszeitungen und Zeitschriften, bei „konkret“ und der Frankfurter Studentenzeitung „Diskus“; als freiberuflicher Sozialforscher in Offenbach/Main; als Forschungsassistent und Vertretungsprofessor an der Universität Gießen; als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe für das Chinesisch-Deutsche Lexikon am Fremdspracheninstitut Nr. 1 der Universität in Beijing in der VR China; als Fellow in Philanthropy am Institute for Policy Studies der Johns Hopkins University in Baltimore/Mass. in den USA. Bauer ist Autor bzw. Herausgeber einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen.

Zu Wolfram Elsner

Wolfram Elsner: Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen; 2012-2014 und 2014-2016 Präsident European Association for Evolutionary Political Economy – EAEPE ; Lehr- und Forschungsaufenthalte in Europa, USA, Australien, Südafrika, Russland, Mexiko, China; assoziierter Professor der Univ. of Missouri―Kansas City (UMKC), USA, und der Jilin Uni, Changchun, China; Editor-in-Chief des Review of Evolutionary Political Economy – REPE.

Zur Broschüre

INHALT: Vorwort Rudolph Bauer / Das Biest / Was ist das Leben von Nicht-Europäern wert? / Ulima Thule / Das Ende des Imperiums / Die Wurzeln allen Übels / Helfershelfer der Massenmörder /Der Westen in unteilbarer Schande / Wer stoppt den Genozid in Gaza? / Haben 30 Tage die Welt verändert?/Gruß nach Gaza / Brüderlichkeit / von Guernica bis Gaza. Oder: Die endlose Kette des Bösen / Gräueltaten: Guernica, Dresden und Gaza / Wertfrei? / Über die Einzigartigkeit / Zeitleiste größerer Kriege der USA Jahr für Jahr (von 1776 – 2011) / Nachwort von Wolfram Elsner I Zur Person: Der Autor der politischen Gedichte – Der Übersetzer und Bildmonteur – Der Verfasser des Nachwortes

Rajani Kanth
… und GAZA und …
Politische Gedichte
ca. 80 Seiten, 6.– e*
Nachdichtungen und Bildmontagen: Rudolph Bauer
Nachwort: Wolfram Elsner

Redaktion pad-Verlag: Peter Rath-Sangkakorn


*Staffelpreis bei Direktbestellung ab 5 Expl: 5.–/St.
pad-Verlag- Am Schlehdorn 6

59192 Bergkamen /pad-Verlag@gmx.net

Beitragsfoto, Foto Wolfram Elsner: Claus Stille

Foto Rifat El-Arir: Screenshot C.S.

Foto: Rudolph Bauer: via Screenshot weltnetz.tv

Anbei gegeben:

Aufstand in Jerusalem und in Washington Netanjahu vor dem Rücktritt?

Die rechtsradikale Netanjahu Regierung gerät mit Neujahrsbeginn innen wie in Washington nach Wochen dramatischen Streits zwischen Biden und Netanjahu nun massiv unter Feuer. Reduced U.S. Naval Presence in the Region Does Not Bode Well for Israel. Hezbollah leader Nasrallah could interpret the American redeployment as an opportunity to take more risks ■ There has been […]

Aufstand in Jerusalem und in Washington Netanjahu vor dem Rücktritt?

Frohe Weihnachten und ein gesundes neues Jahr

Meinen sehr verehrten Leserinnen und Lesern wünsche ich frohe, gesegnete Weihnachten und ein gesundes neues Jahr.

Ich bedanke mich bei meinen Lesern für die meinem Blog gehaltene Treue. Und danke den in diesem Jahr neu hinzugekommenen Abonnenten für die Wahl meines Blogs.

Verbunden mit meinen Wünschen zu Weihnachten und zum Jahreswechsel möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es im kommenden Jahr friedlicher auf unserer Welt zugehen möge. Ich gebe zu: Meine Hoffnung darauf ist nicht allzu groß. Es deuten eigentlich keine nennenswerten Zeichen darauf hin, dass es so käme.

Schon in der 1970er Jahren – im Kalten Krieg – trieben mich Hoffnungen auf Frieden und Völkerverständigung an Weihnachten und Neujahr um. Und wir wurden tatsächlich Zeugen von politischen Handlungen, die uns ein ums andere Mal optimistischer in die Zukunft blicken ließen.

Sie gingen von Willy Brandt, von seinem Mitstreiter Egon Bahr und anderen sowie der Politik der sozial-liberalen Koalition aus. Große Fortschritte konnten gemacht werden.

Und dann kam das Jahr 1990 und die Chancen, die für die Welt damit verbunden waren. Leider wurden diese Chancen vertan.

Und die mühsam durch die Politik Willy Brandts erreichten Fortschritte auch in den Beziehungen zur Sowjetunion (später Russland), der wir wesentlich die Deutsche Einheit verdanken, wurden letztlich mit aller Wucht und Dummheit durch die jetzige unsägliche Ampel-Regierung fast gänzlich zerstört.

Eine Schande, dass heute selbst die SPD, die nicht mehr sozialdemokratisch ist, die Ost- und Entspannungspolitik von Brandt und Bahr inzwischen diskreditiert und als falsch diffamiert.

Hoffen wir dennoch auf kommende friedliche Zeiten. Und tun wir baldmöglichst etwas dafür. Gemeinsam! Die Doomsday-Uhr steht nämlich auf neunzig Sekunden vor Zwölf …

Foto: C. Stille

Beitragsbild: Claus Stille; Weihnachtsbaum in Dortmund.

Video: Neujahrsmarkt in Izmir.

Treffendes Gedicht von Martin Schwab

NUR SCHURKEN, KEINE HELDEN

Jeder, der hat ferngesehen
Der täglich in die Zeitung blickt
Weiß, auf welcher Seit´ zu stehen
Sich für den braven Bürger schickt.

Die Fahnen weh´n in Gelb und Blau
In Weiß mit blauem Davidstern
Auf dass ein jeder blind vertrau‘
Wer hier für gut ist zu erklär´n.

Jenen, der hier Einspruch wagt
Auf des Konflikts Entstehung zeigt
Die einseitige Sicht beklagt
Als „Friedensschwurbler“ man verschreit.

Wer versucht, uns zu erinnern
Dass Friede im Gespräch gelingt
Und nicht im Feuer und in Trümmern
Riskiert, dass Hetze ihn verschlingt.

Den Krieg befürworten nur jene
Die selbst nicht auf dem Schlachtfeld steh´n
Die nur im Sessel, im bequemen
Das Treiben aus der Ferne seh´n.

Was nun erzählen diese Leute
Den Hinterblieb´nen jener Schar
Die an der Front, als Krieges Beute
Von hier verschied für immerdar?

Töchter, Söhne werden Waisen
Eltern schau´n dem Kind ins Grab!
Stücke aus Beton und Eisen
Von Ruinen fall´n herab.

Dieweil die Kriegsherrn weiter prahlen,
Ihr Kopf aus Holz, ihr Herz aus Stahl.
Die Menschen, die den Preis bezahlen
Sind ihnen gleichgültig, egal.

Für Bomben, Mord, Zerstörung, Leiden
Kann als Entschuldigung nichts gelten.
Kommando führ‘n auf allen Seiten
Ausschließlich Schurken, keine Helden.

Urheber des Gedichts: @Martin Schwab

(Das Beitragsbild (Foto: privat) wurde am 1.11.2023 aufgenommen. Es zeigt das Gebäude des Justizministeriums in NRW, welches in Düsseldorf ansässig ist. Das Foto hat Martin Schwab zu diesem Gedicht inspiriert.)

„Richtigstellung!“ von Michael Ballweg, Ralf Ludwig – Rezension

Erinnern Sie sich noch? Wir Menschen sind ja bekanntlich ziemlich vergesslich. Auch wenn wir alle nicht Olaf Scholz heißen und einen auf Cum und ex machen.

Drum noch einmal, um die Erinnerung(en) wachzurufen:

«Die drei Jahre Corona-Zeit waren düster und beängstigend. Nicht nur weil man uns seitens der Regierung und ihr als servile Komplizen gedient habende Medien – die auch noch Staatsknete (unser Steuergeld!) – dafür kassierten, um uns tagtäglich rund um die Uhr Angst vor einem vermeintlich schlimmen Killervirus zu machen. Das gelang schon deshalb, weil ein Virus nun einmal unsichtbar ist. Da ließen wir uns freilich von sogenannten Experten entsprechende Horrorgeschichten erzählen, die es ja wissen mussten und uns dies glauben machen konnten. Gestandene Fachleute hingegen – etwa ein Professor Sucharit Bhakdi, der in seiner Laufbahn zirka 11 000 Ärzte ausgebildet hat – oder ein frühzeitig kritischer und warnender Wolfgang Wodarg wurden als Schwurbler diffamiert.

Diese Zeit konnte durchaus Anklänge eines möglicherweise heraufziehenden Totalitarismus ahnen lassen. Das schrieb ich in Reaktion auf eine im pad-Verlag erschienene Broschüre mit dem Titel „Corona. Legenden und Wahrheit“ von Klaus-Dieter Rückauer.«

Und weiter: «Menschen, darunter wirkliche Experten, die die teils irren, widersinnigen und wirren, zwecks Bekämpfung dieses Virus und dem angeblichen Schutz davor in Anschlag gebrachten Maßnahmen von Anfang kritisierten (und fachlich wie sachlich begründeten) wurden beiseite geschoben. Manche verloren sogar ihre Stellen.

Man kann es so sehen: Der Staat hatte die grimmige Maske des Leviathans aufgesetzt. Leviathan bezeichnet in der politischen Theorie von Thomas Hobbes (1588–1679) den allmächtigen Staat und Souverän, der in der Lage ist über ein bestimmtes Territorium, Städte und Dörfer und die dortige Bevölkerung zu herrschen.

Angeblich ging es um unseren Schutz. Der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld sagte kürzlich in der Diskussion nach einem seiner Vorträge: „Um Gesundheit ging es nicht.“«

Gesslerhüte!

Doch halt! In unseren momentanen Zeiten müssen immer diverse Gesslerhüte gegrüßt werden. Das gilt, wenn man sich zum völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine äußert und selbstredend galt und gilt es auch, wenn wir uns zur Corona-Krise zu Wort melden.

Also: Klar ist, dass eingangs der Corona-Pandemie (die ja nur hat zur Pandemie hat erklärt werden können, weil die WHO 2009 die Kriterien dafür entsprechend geändert, sprich: verschärft hat) niemand wusste wie gefährlich das Corona-Virus für uns ist.

Somit war zunächst Vorsicht geboten.

Allerdings gab es schon bald Hinweise darauf, dass man, um dem Virus zu begegnen das Kind nicht gleich mit dem Bade ausschütten musste. Doch genau dies geschah mittels der dann von der Bundesregierung auf den Rat sogenannter Experten hin ins Werk gesetzten Maßnahmen gegen die Pandemie. Noch dazu war zu diesem Behufe ein Gremium geschaffen worden, welches in unserem demokratischen Staatswesen gar nicht vorgesehen ist: Die „Ministerpräsidentenrunde“.

Dann trafen uns die ganzen Maßnahmen mit voller Härte. Versammlungsverbote, Maskenpflicht sowie Pflichtabstände und anderes mehr wurden uns verordnet. Unsere Alten in Pflegeheimen durften nicht mehr besucht werden. Auch die Kinder in Kindergärten und Schulen traf es hart. Die Folgen für die Zukunft der Betroffenen können noch gar nicht abgeschätzt werden. Es wurde ein Fall publik wo ein Polizeihubschrauber rodelnde Kinder auseinander trieb und über die Piste jagte. Viele der Verordnungen widersprachen sich sogar, waren. Gastronomen wurden schwer geschädigt, weil sie nicht öffnen durften oder ihre Gäste dahingehend zu überprüfen hatten, ob die die entsprechenden Auflagen erfüllten, um eingelassen werden zu können. Grundrechte waren quasi suspendiert. Auch Demonstrationen waren verboten.

Rechtsanwalt Ralf Ludwig erreichte 2020, dass Demos wieder möglich wurden

Rechtsanwalt Ralf Ludwig erreichte 2020 per Klage, dass wieder Demonstrationen möglich wurden. Allerdings unter Auflagen. Je nach Kommune wurden die Demonstrationen nicht selten erschwert, meist im Vorfeld von der Politik und den Medien übel diffamiert oder manchmal zunächst erlaubt, dann aber mit mehr oder weniger fadenscheinigen Begründungen abgebrochen.

Michael Ballweg wollte eigentlich aus dem Hamsterrad aussteigen

Dann kam Michael Ballweg ins Spiel, den gewiss niemand auf den Zettel hatte. Der selbstständige Software-Entwickler hatte gut verdient, hatte viele Autos, teure Hobbys und teure Urlaube gehabt. Er wollte aus dem Hamsterrad raus. Mit dem Rucksack. (S.17)

„Und zwei Tage vor dem ersten Lockdown 2020 in China waren die Verträge mit Bosch unterzeichnet.“ Ballweg wollte aussteigen und das Produkt verkaufen.

Aus der geplanten Rucksackreise wurde also nichts. „Ja, stimmt“, antwortete Michael Ballweg dem Journalisten Mathias Bröckers, „aber ich hatte viel Zeit, und es kamen die ersten Bilder aus China, wo Leute einfach umfallen, In Wuhan, sehr spooky.“

Ballweg: „Da hab ich mich gefragt: Wie funktioniert denn Demokratie eigentlich, wenn jede Kritik gelöscht wird, und draußen darf ich mich auch nicht mehr versammeln?

Ballweg sah die Videos von Professor Bhakdi, die Ansprache von Bundeskanzlerin Merkel, und Videos von Wolfgang Wodarg und anderen. Erlebte, wie die Widersprüche von wirklichen Fachleuten einfach weggewischt wurden. „Da hab ich mich gefragt: Wie funktioniert denn Demokratie eigentlich, wenn jede Kritik gelöscht wird, und draußen darf ich mich auch nicht mehr versammeln? Dann gab es noch diese Bilder aus Berlin, vor der Volksbühne wurde demonstriert und die Demo wurde aufgelöst, und eine junge Frau stand da mit dem Grundgesetz in der Hand, und der Berliner Polizist sagte, Grundgesetz brauchen wir jetzt nicht mehr.“

Ballweg wollte auf legalem Weg das Demonstrationsrecht durchsetzen

Ballweg wollte auf legalem Weg das Demonstrationsrecht durchsetzen. Er wurde auf den Anwalt Ralf Ludwig aufmerksam und sagte ihm, dass die Stadt Stuttgart seine Anmeldung einer Demonstration einfach nicht annehmen wolle.

Ludwig riet eine weitere Demonstration anzumelden. Aber die Stadt nahm keine Anmeldungen an. Letztlich gingen sie zum Bundesverfassungsgericht. Ralf Ludwig zur Antwort des Verfassungsgerichts: „Eine Versammlung kann man nicht von vornherein verbieten. Das Verfassungsgericht hat 2020 noch das Versammlungsrecht hochgehalten, ein Fundament der Demokratie schlechthin, und gesagt, dass man es nicht einfach aushebeln darf.“

Und erlaubte die relativ kleine Demo in ihrem Sinne. Was Ballweg zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen konnte: Später würde er auf die größte Demo seit Jahrzehnten in der BRD, stattgefunden in Berlin, zurückblicken können.

Michael Ballweg: „Das war meine allererste Demo, also sowohl als Besucher als auch als Veranstalter.“ (S.21) Querdenken 711 bekam dann zahlreiche Ableger in anderen Regionen. Querdenken entwickelte eine Eigendynamik.

Interviewer Bröckers fragt Ballweg: „Wann und wie kamst du dafür auf den Begriff «Querdenken«?

Das gehe, so Ballweg, auf den Arzt Bodo Schiffmann zurück, „der hatte schon die «Querdenkerbommel« erfunden, „eine kleine Alubommel, mit der wir uns lustig darüber gemacht haben, als Aluhut bezeichnet zu werden. Ein Aluhut in klein, als Erkennungszeichen, dass man sich erkennt – mit ebendieser Querdenkerbommel“. (S.26)

Querdenker war Ballweg schon immer

Das war’s! Ballweg: „Und da ich dachte, Querdenker war ich schon immer, ich wurde ja für die Beratungsprojekte bei den Großkonzernen immer gut bezahlt, weil ich Querdenker war und über den Tellerrand der Konzerne hinausschauen konnte. Und weiter dachte ich, das passt doch, wir haben einfach eine andere Meinung zu dem Corona-Narrativ.“

Damals war freilich nicht zu ahnen gewesen, dass der Begriff zur Diffamierung benutzt werden und dazu dienen würde, kritische Menschen, die sich erlaubten eine andere Meinung zu haben als jene die das Corona-Narrativ vertreten, zu beschimpfen.

Dabei galt ja bis dahin der Begriff Querdenker geradezu als Auszeichnung! Kopernikus, Darwin, Freud und Albert Einstein wurden als Querdenker postuliert, bzw. empfanden sich selbst als solche.

Vorwort von Mathias Bröckers

In seinem Vorwort schreibt Journalist und Autor Mathias Bröcker: „Michael Ballweg, IT-Unternehmer und Gründer der Querdenken-Bewegung, wurde im Juni 2022 verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Vorgeworfen wurden ihm Betrug und Geldwäsche: Er hätte Schenkungen, die ihm für Querdenken zugeflossen waren, privat vereinnahmt. Der Nachweis, dass er für die Organisation der Querdenken-Demonstrationen mehr ausgegeben als über Schenkungen eingenommen hat, half ihm genauso wenig wie die Tatsache, dass keiner der über 9 000 Schenker sich geschädigt gefühlt und ihn angezeigt hat. Wegen «untauglichem versuchten Betrug« war er neun Monate in der JVA Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft und wurde Anfang April 2023 entlassen. Kurz zuvor hatte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Stuttgart Klage eingereicht, die aber am 6. Oktober 2023 abgewiesen wurde. Die 10. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart konnte in diesem Fall weder Betrogene noch einen Betrüger erkennen und will kein Strafverfahren eröffnen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Nichteröffnung beim Oberlandesgericht Beschwerde eingelegt.“ Ballwegs Vermögen bleibt bis heute arrestiert.

Bröckers: „Da hat einer die größten Demonstrationen einer außerparlamentarischen Opposition seit Bestehen der Bundesrepublik auf die Beine gebracht, die nicht mehr einforderten als ihre von fragwürdigen Corona-Verordnungen außer Kraft gesetzten Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit – und wandert dafür ins Gefängnis? Das kann eigentlich nicht sein, weshalb offensichtlich mit anderen Mitteln versuchten wurde, Ballweg aus dem Verkehr zu ziehen: mit einer Anklage wegen versuchten Betrugs, die auf «untauglichen versuchten Betrugs« umgetextet wurde, weil es weder Betrogene noch einen Betrüger gibt.“

Zeit für eine Richtigstellung

Es wurde also Zeit für eine „Richtigstellung!“. So heißt das kürzlich erschienene Buch von Michael Ballweg und Ralf Ludwig. Im September 2023 hat sich Mathias Bröckers mit Michael Ballweg und seinem Rechtsanwalt Ralf Ludwig getroffen, um sich diese deren unglaubliche Geschichte anzuhören.

Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden während bei Lektüre des Buches gewiss öfters den Kopf schütteln, mit den Ohren schlackern oder die Faust in der Tasche ballen …

Mathias Bröckers gibt weiter zu bedenken: „Hat sich ein solcher Mensch der «Delegitimierung der Demokratie« schuldig gemacht, wie der Verfassungsschutz wähnt, oder ist er nicht eher einer ihrer vorbildlichen Verteidiger? Ist er einer der «gefährlichsten Anführer« der Querdenken-Bewegung Deutschlands, wie «Die Zeit« im August 2023 schreibt, oder stellen nicht sie und die anderen Großmedien, die unisono die Tödlichkeit des Virus und den Infektionsschutz durch Impfung beschworen, die viel größere Gefahr dar? Braucht eine echte Demokratie, brauchen ihre Medien und ihre Politik, nicht mehr Querdenker wie diesen Michael Ballweg, oder sollen diese – die nächste «Pandemie« kommt bestimmt – am besten schon vorsorglich aus dem Verkehr gezogen und mundtot gemacht werden? Eine neue Normalität dieser Art kann sich niemand wünschen, dem Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit am Herzen liegen?“

Wir Leser erfahren viel über den Lebensweg von Michael Ballweg. Auch über dessen Spiritualität. Und ahnen, dass dessen wirtschaftlicher Erfolg sich auch sein Stück weit dessen Naivität verdankt. Fühlen wir doch einmal in uns hinein: Hätten wir Lösungen wie er für die Wirtschaft zustande gebracht? Ja, Ideen hätten wir womöglich auch entwickelt. Aber diese umsetzen ist schon eine ganze andere Sache. Die meisten von uns hätten doch jedes auf uns zukommende Hindernis bereits vor unserem inneren Auge auf uns zukommen sehen und doch ein ausgedachtes Vorhaben schon nach wenigen Metern aufgegeben.

Wie ist es erst recht mit Demonstrationen. Wie Michael Ballweg zuvor waren die meisten von uns doch auch noch nie auf einer Demonstration – geschweige denn haben eine angemeldet und durchgeführt!

Aufgeben war die Sache Michael Ballwegs nicht. Er hat es als durch die Umstände notwendig gewordene Herausforderung betrachtet. Und eben einfach gemacht. Wie er Softwareentwicklungen einfach in Angriff genommen zur Reife gebracht hatte nach der Methode trial und error.

Querdenken nahm seinen Lauf und erhielt weiter Zulauf von Menschen. Die Presse schoss von Anfang an dagegen. Michael Ballweg: „Es gab von Anfang an den Vorwurf, es wären Reichsbürger, Pegida-Anhänger, Verschwörungstheoretiker, Aluhut-Träger, Irre und Wirrköpfe, die sich auf der Cannstatter Wasen versammeln. Wobei man hinzufügen muss: Die Presse hatte richtig Angst, weil zum einen weiß man ja, was zumindest den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betrifft, dass die keine Informationshoheit mehr haben, bei den jungen Menschen.“ (S.30) Doch Ballweg und Mitstreiter ließen sich nicht beirren.

Ballweg weiter: „Ich habe da auch erstmals verstanden, wie die Mainstream-Medien funktionieren, nämlich gar nicht so, wie die man sich das vorstellt. Eigentlich haben die Mainstream-Medien dadurch, wie sie berichtet haben und wie sie reagiert haben, die Demonstrationen erst groß gemacht. Ich kenne viele Menschen, die auf der Demonstration auf dem Cannstatter Wasen waren und sagten, was das für eine großartige, friedliche Demo war, was für tolle Redner, was für Argumente. Und die haben sich abends ins Auto gesetzt, das Radio angemacht und erwartet, da kommt jetzt ein Bericht darüber, und hören dann: Das sind alles verrückte Nazis.“ (S.31)

Nach Ballwegs Einschätzung ging es da betreffs der Demonstranten kreuz und quer. Die Menschen hätten sich hauptsächlich aus der bürgerlichen Mitte zusammengesetzt. Es seien „ganz normale Menschen“ gewesen.

Die 40 Initiativgruppen oder Querdenkengruppen hätten sich lediglich dem von Michael Ballweg erarbeiteten Manifest unterordnen müssen. Der kleinste gemeinsame Nenner: „die Grundrechte, Überparteilichkeit und Friedlichkeit“. „Und so haben wir die Gruppen massiv unterstützt beim Aufbau, wir haben das Logo vorbereitet, also die grafische Arbeit gemacht, wir haben geholfen, ihre Webseite einzubinden, ihre Telegram-Gruppen anzulegen usw.“ (S.36)

Querdenken 231 selbst erlebt

Als die erste Querdenken-Demo in Dortmund (Querdenken 231) angekündigt worden war, fasste ich – neugierig geworden – den Entschluss – den avisierten Demo-Ort, den Hansaplatz – aufzusuchen.

Querdenken-Demo in Dortmund. Foto: C. Stille

Schon vorher hatte die Lokalpresse verbal gewaltig gegen die Demo geschossen. Was gewiss auch damit zusammenhing, dass auf einer anderen Demo in Dortmund gegen die Corona-Maßnahmen ein paar Neonazis einen Fotografen angerempelt hatten. Entsprechend mit gemischten Gefühlen ging ich hin. Vorher fragte ich noch die Redaktion des Mediums für welches ich damals noch schrieb an, ob ich einen Bericht über die Demo schreiben soll. Nein, nicht nötig, wurde mir beschieden, es sei schon jemand anderes dafür vorgehen. Vertraute man mir also nicht? Als ich dann erfuhr wer den Bericht machen würde war mir alles klar. Es handelte sich um ein WDR-Journalisten, der schon öfters die „richtige“ Haltung bewies. Meinen Bericht schrieb ich dann halt doch und veröffentlichte ihn auf meinem Blog (hier). Daraus ein Ausschnitt:

«Im Vorfeld kündigten einige Medien die Veranstaltung auf dem Hansaplatz in Dortmund dementsprechend – in diffamierender Weise an, damit die Leser*innen gleich wussten, was sie über die Demo zu denken hatten. Im Wesentlichen war davon die Rede, dass sich in Dortmund „Coronaleugner“ treffen wollten. Wie dann die Nachberichterstattung ausfallen würde, konnte man sich auch ausmalen. Und so kam es. Es ist inzwischen auch u.a. hier zu lesen. Auch der hetzerisch tönende Bericht der WDR-Lokalzeit Dortmund (…) folgt dieser Ideologie. Und da beschwert sich der WDR-Mann in seinem Stück darüber, dass die Menschen auf dem Platz so ablehnend gegenüber dem Reporter auftraten? Ich muss schon sehr bitten! Den Vogel schoss mal wieder ein Blogger (…) ab. Er wirft den Demonstranten in dieser WDR-Lokalzeit vor, einen Umsturz im Sinne zu haben, wovon doch nur rechte Kräfte profitieren würden. Wer nur einen Hammer hat, sieht eben überall nur Nägel.«

Ein Wermutstropfen: Der Besuch beim „König von Deutschland“ war allerdings skandalös

Im Buch spricht Mathias Bröckers „den «Skandal«, der in den Medien eine große Rolle gespielt hat“ an. (S.46)

Für mich war das wirklich ein Skandal. Und zwar ganz ohne Anführung.

Da geht es darum, dass sich Michael Ballweg mit dem sogenannten „König von Deutschland“ in dessen Restaurant, «Hacienda Mexicana«, „die irgendwie zu diesem «Königreich« gehörte“ in Saalfeld traf.

Im Buch machen es sich m.E. Michael Ballweg und Ralf Ludwig etwas zu einfach, was die Erklärung zu diesem Treffen angeht.

In alternativen Medien erfuhr ich später, dass die Querdenker, die Ballweg zu einem Arbeitstreffen nach Saalfeld eingeladen hatte, im Vorfeld nicht in Kenntnis gesetzt worden waren, wen sie dort treffen würden.

Ich schrieb einen Beitrag zu dem mich beunruhigt habenden Vorfall und zitierte dort Hermann Ploppa (hier ein Ausschnitt):

Bestürzt nahm ich am gestrigen Abend folgenden Post des Politologen, Aktivisten und Autoren Hermann Ploppa (zuletzt veröffentlichte der dass Buch „Der Griff nach Eurasien“) auf Facebook zur Kenntnis:

«Leute, morgen wird die Mainstreampresse Vernichtendes über unsere Demokratiebewegung berichten. Die führenden Personen von Querdenken haben sich am Sonntag, dem 15.11.2020 mit dem „König von Deutschland“, Peter Fitzek, getroffen. Im thüringischen Ort Wöhlsdorf. Fitzek hat, so heißt es, den Führungsleuten von Querdenken einen zweieinhalbstündigen Vortrag über sein Königreich gehalten. Danach sollen einige Führungspersönlichkeiten von Querdenken die Versammlung empört verlassen haben. Jedoch sind sie in eine Falle getappt: das Haus von Fitzek war von gigantischen Polizeieinheiten umstellt. Das Ganze wurde gefilmt und wird dann zeitnah zum Mittwoch in den Mainstream-Medien als Bombe platzen. „Seht her! Wir hatten doch immer Recht, dass das alles Reichsbürger sind!“

Dummheit oder Perfidie? Unsere Bewegung ist schwer angeschossen.«[…]

Damals richtete ich eine Anfrage an Querdenken 711. Die Pressemitteilung (hier in meinem Beitrag unten nachzulesen), welche mich dann erreichte, befriedigte mich indes nicht.

Fakt ist: Der Besuch beim König, der einst Koch war, schadete der Demokratiebewegung. Da hatte Michael Ballweg dessen ihm sonst durchaus so nützliche Naivität wohl einen bösen Streich gespielt.

Dies nur der Vollständigkeit halber. In meinen Augen schmälert dies das ursprüngliche, richtige Anliegen Michael Ballwegs nur unwesentlich. Aber es bleibt sozusagen ein Wermutstropfen. Besser aber, man hätte auf das Treffen mit einer schillernden Person wie es Peter Fitzek nun einmal ist, verzichtet. Denn so mancher Anhänger von Querdenken zog sich gewiss nach Bekanntwerden des Treffens verschnupft zurück.

Ein hochwichtiges Buch

Das vorliegende Buch, diese unumwunden notwendig gewordene „Richtigstellung!“, ist allerdings hochwichtig. Es sollte von vielen Menschen gelesen werden. Egal, ob man nun Michael Ballweg mag oder nicht. Zeigt der Umgang mit Michael Ballweg doch, dass es Fragen bezüglich unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats gibt, die nach Beantwortung geradezu schreien! Denn wie der Staat und in Komplizenschaft mit ihm ein Großteil der Medien mit Andersdenkenden und Kritikern umging muss jede Bürgerin, jeder Bürger nicht nur beunruhigen sondern heftig empören. Ich beispielsweise hätte das zuvor nicht für möglich gehalten.

Die Vorwürfe seitens Staatsanwälten, Ballweg hätte die Querdenken-Proteste zum Behufe des Profits und des Geldverdienens in eigener Sache ins Werk gesetzt, sind in höchstem Maße absurd. Wie Rechtsanwalt Ralf Ludwig erklärt, wurde Ballweg wegen „versuchter Steuerhinterziehung“ angeklagt. Eine Farce für sich – weil er während der Untersuchungshaft seine Steuererklärung nicht abgegeben hatte! Die Anklage ist noch immer nicht zurückgezogen. (S.191)

Die wird sich wohl dank hervorragender steuerlicher Berater bald erledigt haben.

„Der Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts ist sehr, sehr gut argumentiert, ich kann mir kaum vorstellen, dass das Oberlandesgericht das anders sehen sehen wird“, findet Ludwig.

Und: „Denn wenn das Ganze tatsächlich in ein Hauptsacheverfahren geht und dann möglicherweise am Bundesgerichtshof endet, wird es ein Desaster für das Land Baden-Würrtemberg.“

Ludwig meint, Ballweg habe sicherlich einen Schaden in Millionenhöhe erlitten. „Weil er diese 279 Tage in Haft war, ist seine Firma kaputt. So wie auch eine weitere, an deren Aufbau er arbeitete.“

Die Haftentschädigung werde dann sicherlich nicht die 75 Euro am Tag, wie nach deutschem Strafrechtsentschädigungsgesetz vorgesehen, sondern wohl eine erheblich höhere Summe nach den Maßstäben der Europäischen Menschenrechtskonvention betragen.

Mit einem Dank des Ministerpräsidenten von Baden-Würrtemberg an Michael Ballweg für seinen Einsatz für die Grundrechte rechnet Ralf Ludwig eher nicht.

Von Mathias Bröckers gefragt, ob das Ganze nur ein «normaler« Justizirrtum oder ein politischer Fall ist, antwortet Ballweg: „Ich glaube, dass es politisch motiviert war, weil sich die Querdenken-Bewegung als außerparlamentarische Bewegung so rasant entwickelt hat.“

Bedenkenswerte Worte von Rudolph Bauer

Das Buch schließt ab mit einem bedenkenswerten Text von Rudolph Bauer ab: „Deserteur, Mönch, Digitalaktivist, Igel und Karlspreisträger“ (S.195)

Bauer schreibt. „Inzwischen sind drei bzw. bald vier Jahre vergangen seit Beginn der Querdenken-Bewegung gegen die weitweit inszenierte Hygienediktatur. Zurück liegt ebenso der Zeitpunkt der rechtswidrigen Festnahme und neunmonatige Einkerkerung – beschönigend als Untersuchungshaft bezeichnet – eines medial wohl bekanntesten ihrer Begründer. Vor diesem Hintergrund kommt dem Gespräch von Mathias Broeckers mit Michael Ballweg und seinem Anwalt Ralf Ludwig eine besondere Bedeutung zu. Dieses Gespräch lässt beispielhaft und blitzartig Neues und Überraschendes erkennen.“

Das unterstreiche ich!

Bauer informiert: „Michael Ballweg erhält den nach Karl Marx benannten Karlspreis der Neuen Rheinischen Zeitung. Diese Auszeichnung ist nicht nur ad personam verdient. Sie gilt all jenen, die sich dem Regime des Corona-Terrrors widersetzt haben und sich der aktuellen Kriegshetze widersetzen. Sie soll ein Ansporn sein, dass eine politischen Bewegung wie Querdenken viele weitere Menschen motiviert, sich als digitale Aktivisten mit Mut, Leidenschaft und Ausdauer für die wahre Demokratie, für eine gerechte Gesellschaft und gegen die kriegerischen Militarismus einzusetzen.“

Übrigens geriet Rudolph Bauer ebenfalls in die Mühlen der Justiz. In der soeben erschienen Broschüre schreibt Angelika Gutsche: «Der kleine pad-Verlag hat in seiner Reihe „Edition Kunst“ inzwischen fünf Kunsthefte von Rudolph Bauer veröffentlicht, unter anderem 2023 die pad-Edition Kunst #2 mit dem Titel „Charaktermasken“. Der Autor wurde nun vom Gesundheitsminister Karl Lauterbach wegen Beleidigung angezeigt, woraufhin das Amtsgericht Stuttgart Rudolph Bauer umgehend einen Strafbefehl in Höhe von Euro 3.000 zustellen ließ. Und auch die Verfahrenskosten in nicht angegebener Höhe seien vom Autor zu tragen.

Die Broschüre, die an Michael Ballweg adressiert war, wurde von der JVA Stuttgart-Stammheim an Karl Lauterbach weitergeleitet.“ Zur Causa Bauer hier mein Artikel.

Lesen und weiter empfehlen!

Unbedingte Leseempfehlung! Legen Sie, liebe Leserinnen und Leser dieses Buch auf den weihnachtlichen Gabentisch und empfehlen es bitte weiter. Als Teil der Aufarbeitung der schlimmen Zeit ist es aus meiner Sicht unverzichtbar. Aber es kann nur einer der Anfänge sein, all die in der Corona-Zeit stattgefundenen Skandale samt der mannigfaltigen Einschüchterungen von Menschen ans Tageslicht zu bringen, um daraus zu lernen. Denn sie zeigen, dass wir aus der Vergangenheit offenbar wenig bis nichts gelernt haben.

Diese Zeit konnte durchaus Anklänge eines möglicherweise heraufziehenden Totalitarismus ahnen lassen, schrieb ich eingangs. Bedenkt: Es kann wieder geschehen.

Und liebe Leser, macht euch einmal klar, das, was Michael Ballweg widerfahren ist, geschehe Menschen, die nicht auf eine freundschaftliche Hilfe und anwaltliche Unterstützung pro bono rechnen können. Michael Ballweg besaß ja zwar Vermögen, doch die Justiz hatte es arrestiert. Wie muss es erst Menschen ergehen, die weder das nötige Geld besitzen, um ein langes Verfahren durchzustehen, oder mit einem Pflichtverteidiger vorlieb nehmen müssen, der vielleicht gerade einmal das Nötigste oder nicht einmal dies für sie tut, noch mit solidarischer Hilfe anderer Menschen rechnen können. Da unterschreiben manche Leute vielleicht schon einmal ein Geständnis oder lassen sich auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft ein, in der Hoffnung nach nicht allzu langer Zeit aus dem Gefängnis zu kommen.

Der Verlag zum Buch

Weil er schon immer „Querdenker“ war, wurde Michael Ballweg als selbstständiger Software-Entwickler sehr gut bezahlt. Denn er konnte, wie viele in der Arbeitswelt hoch geschätzte Menschen dieses Typus, die organisatorische Probleme großer Konzernen erkennen und dafür kreative wie interdisziplinäre Lösungen entwickeln. Genau das definiert die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Querdenker“. Doch als er diese Kompetenzen auf die Organisation der Corona-Maßnahmen anwendete, zum „Querdenken“ aufrief und sich für Versammlungs- und Debattenfreiheit einsetzte, wurde Michael Ballweg verhaftet. Und „Querdenker“ zur Diffamierungsvokabel Nr.1. Michael Ballweg hat die wohl größte außerparlamentarische Opposition der Bundesrepublik auf die Straße gebracht: für den Erhalt der Demokratie und des Grundgesetzes, gegen diktatorische Hygieneverordnungen, für die offene Debatte fragwürdiger Maßnahmen und gegen die Total-Desinfizierung des Meinungskorridors. Dafür hat ihn die Staatsanwaltschaft Stuttgart unter der fadenscheinigen Anklage des Betrugs verhaftet, für neun Monaten in Untersuchungshaft gehalten und sein gesamtes Vermögen arrestiert. Es ist dies die Geschichte eines „Unpolitischen“, der noch nie auf einer Demonstration war, bis er die erste seines Lebens selbst anmeldete, eines mündigen Bürgers, der das fundamentale Grundrecht der Versammlungsfreiheit bis zum Verfassungsgericht einklagt und der Millionen ansteckt, ihre demokratischen Grundrechte ebenfalls einzufordern. Und der deshalb zum Staatsfeind Nr. 1, zum „gefährlichsten Querdenker“ (Die Zeit, August 2023) der Republik gemacht wird. Das Landgericht hat Anfang Oktober sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen und will kein Strafverfahren eröffnen. Es gibt keine Betrogenen und keinen Betrüger. Doch nicht nur die Staatsgewalt hat Michael Ballweg mit falschen Vorwürfen schikaniert, auch die Medien haben mit Falschbehauptungen und Diffamierungen operiert. Genug für mehr als nur eine „Richtigstellung“ – und für einigen längere Unterredungen, die Mathias Bröckers mit Michael Ballweg und seinem Anwalt Ralf Ludwig geführt hat.

Michael Ballweg, Mathias Bröckers, Ralf Ludwig

Richtigstellung!

Es war noch nie falsch, quer zu denken!

Softcover

24,00 €*

Michael Ballweg

Michael Ballweg (* 23. November 1974 in Wertheim) ist ein deutscher Unternehmer aus Stuttgart. Er gründete 2001 die Softwarefirma media access GmbH, mit deren Software weltweit agierende Unternehmen hochspezialisierte Fachkräfte im Ruhestand für bestimmte Projekte reaktivieren können. Im Februar 2020 verkaufte er das Hauptprodukt seiner Firma, um eine lang ersehnte Weltreise anzutreten. Die ausgerufene Pandemie kam nicht nur ihm in die Quere – und Ballweg begann Proteste gegen die Einschränkungen der Grundrechte (u. a. Versammlungsverbote) in Deutschland, zuerst in Stuttgart, dann auch in Berlin und anderen deutschen Städten zu organisieren. Dazu gründete er im April 2020 die Gruppe Querdenken-711 und vernetzte sie bundesweit mit gleichartigen Initiativen. Im Juni 2022 nahm die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ballweg mit dem Vorwurf des Betrugs und der Geldwäsche im Zusammenhang mit Querdenken-711 fest. Mehr als 9.000 Menschen hatten Michael Ballweg Geld für ihn und die Querdenken-Bewegung geschenkt; und kein Einziger von ihnen fühlte sich geschädigt. Nach 9 Monaten Haft (davon 6 Wochen in Isolationshaft) wurde Ballweg entlassen, nachdem sich die Vorwürfe seit November 2022 nur noch auf einen „untauglichen versuchten Betrug“ reduzierten und neue Vorwürfe wegen Steuerhinterziehung erfunden wurden – im Oktober 2023 lehnte dann das Landgericht Stuttgart die Eröffnung eines Hauptverfahrens wegen versuchten Betruges und Geldwäsche ab, da kein hinreichender Tatverdacht bestehe. Die Anklage zum Vorwurf der Steuerhinterziehung besteht noch, da Ballweg während seines Haftaufenthaltes keine Steuererklärung machte.


Mathias Bröckers

Mathias Bröckers ist Autor und freier Journalist. Seine Werke „Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.“ (2002) sowie das mit Paul Schreyer verfasste „Wir sind die Guten – Ansichten eines Putinverstehers“ (2014) wurden internationale Bestseller. Zuletzt erschien „Mythos 9/11 – Die Bilanz eines Jahrhundertverbrechens“ (2021) im Westend Verlag. Er lebt in Berlin und Zürich und bloggt auf broeckers.com.

Ralf Ludwig

Ralf Ludwig (geb. 21. Juli 1972 in Osterode am Harz) ist seit 2005 Rechtsanwalt. Er ist spezialisiert auf Sozialrecht, Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht. Seit jeher hat er sich für die Schwachen und Schutzlosen in der Gesellschaft eingesetzt. Er hat zu Beginn der Coronapandemie über das Bundesverfassungsgericht erwirkt, dass Demonstrationen auch in Krisenzeiten nicht pauschal verboten sein dürfen. Er hat die große Querdenkerdemonstration am 29. August 2020 an der Siegessäule vor den Verwaltungsgerichten durchgesetzt. Er gehörte zum Verteidigerteam von Querdenkengründer Michael Ballweg in dessen Haftzeit. Im Juni 2021 hat er das Zentrum zur Aufarbeitung, Aufklärung, juristischen Verfolgung und Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschheit aufgrund der Corona-Maßnahmen (ZAAVV) gegründet.

Hinweis: An diesem Beitrag nahm ich am 17.12.2023 Korrekturen vor.

Walter van Rossum spricht mit Michael Ballweg

Die Erzählung vom „imperialistischen Aggressor“ Russland – Was ist da dran?

Die NATO rüstet auf. Der Grünen-Politiker und frühere Jugoslawien-Krieg-Befürworter Joschka Fischer forderte jüngst sogar noch mehr Atomraketen, um sich gegen Russlands „Imperialismus“ zu wehren. Diese Begründung ist blanker Unfug und soll vom realen westlichen Imperialismus ablenken.

Von Susan Bonath

Der Westen rüstet auf. Immer lauter tönt das Kriegsgeschrei der Herrschenden auch in Deutschland durch die Kanäle der Leitmedien: Mehr und noch mehr Kriegsgerät für die Bundeswehr, die Ukraine, Israel – die Rüstungskonzerne kassieren ab wie nie, bezahlen müssen die kleinen Leute mit immer mehr Sozialabbau. Ganz vorn mit dabei: der Grünen-Veteran Joschka Fischer. In der Zeit plädierte er sogar dafür, Europa möge sein Atomwaffenarsenal aufstocken – als gebe es davon nicht schon genug.

Seine Begründung dafür hat einen sprichwörtlichen langen Bart, denn deutsche Politiker und Medien beten diese Geschichte seit Langem rauf und runter: Man müsse aufrüsten, um allseits lauernde böse Feinde des „friedlichen“ NATO-Wertewestens, als schlimmsten Gegner vorneweg das „imperialistische Russland“, abzuschrecken. Und manch Leser mag bangen: Imperialisten wollen bekanntlich die halbe Welt erobern.

Doch der Imperialismus-Vorwurf ist reine Kriegspropaganda, eine Lüge oder besser: Eine Projektion vom eigenen „Dreck am Stecken“ auf ein Land, über dessen Bodenschätze der NATO-Westen nur allzu gern verfügen würde. Um das zu belegen, soll hier der allgegenwärtige Imperialismus-Begriff beleuchtet werden.

Fischer auf Linie mit Union, AfD, FDP und SPD

Zunächst: Fischer ist schon seit Ende der 1990er-Jahre als fanatischer Kriegstreiber bekannt. Damals stimmte er als Außenminister dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien zu. An vorderster Front wandelte er die Grünen von einer Antiatom- und Friedens- in eine rechte Kriegspartei um.

Damit liegt Grünen-Politiker Fischer auf einer Linie mit dem politischen Establishment. Für noch mehr Aufrüstung plädierten in der jüngeren Vergangenheit auch die CDU und CSU, die AfD, die FDP und sogar die ehemalige Arbeiterpartei SPD zunehmend vehementer. Fischers Forderung nach mehr Atomraketen ist dabei nur das „Sahnehäubchen“ des Wahnsinns obendrauf. Offiziell stehen bereits weltweit immerhin schon mehr als 12.500 Atomsprengköpfe zur planetaren Vernichtung bereit, wahrscheinlich sind es noch viel mehr.

Mehr als 11.000 davon sollen alleine die USA und Russland besitzen, was eine Folge des „Kalten Krieges“ ist. Frankreich verfügt demnach über knapp 300, das Vereinigte Königreich über gut 200. Der Rest befindet sich demnach in China, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea. Das ist Wahnsinn: Laut einer Studie genügen bereits 100 Atombomben, um die Menschheit auszulöschen. Russland – ein „imperialistischer Aggressor“?

Auch Joschka Fischer begründete seine Forderung mit der bekannten Propaganda-Erzählung. Wörtlich sagte er der Zeitung:

„Wir müssen unsere Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen. Solange wir einen Nachbarn Russland haben, der der imperialen Ideologie Putins folgt, können wir nicht darauf verzichten, dieses Russland abzuschrecken. Nur werden wir das nicht mit Schuldenbremse und ausgeglichenen Haushalten erreichen können.“

Mit anderen Worten: Russland agiere als einziges Land imperialistisch gegen den guten Westen, der demnach nicht imperialistisch sei. Deshalb müsse man Russland also bekämpfen, sonst erobere es womöglich noch ganz Europa, wird damit impliziert. Ein Blick auf die Definitionen des Begriffs und die Realität zeigt aber deutlich, wer tatsächlich imperialistisch agiert. Hier findet sich ganz vorn die NATO.

Der bürgerliche Imperialismus-Begriff

Zur Klärung sollen die bürgerliche und die marxistische Erklärung des Begriffs „Imperialismus“ beleuchtet werden. Die bürgerliche Definition, etwa geliefert von der Bundeszentrale für politische Bildung, ist so beschränkt wie banal: Imperialismus sei demnach nur eine kurze Epoche zwischen 1880 und 1918 gewesen, als vor allem europäische Kolonialmächte Asien und Afrika unter sich aufteilten.

Merkwürdigerweise beinhaltet diese Erklärung weder ökonomische Aspekte noch bezieht sie die Eroberung Amerikas durch weiße Europäer ein, inklusive Genozid an den Ureinwohnern und die später folgende brutale Versklavung afrikanischer Menschen. Aber bekanntlich war die herrschende Klasse schon immer sehr bestrebt, sich von ihren Untaten reinzuwaschen.

Bleibt man dennoch bei der bürgerlichen Definition, gilt es zu bewerten: Wer erobert heute Territorien und unterdrückt die Bevölkerungen? So offen wie zur Zeit der Kolonialherrschaft passiert das längst nicht mehr. Heute werden Kriegsbündnisse geschmiedet, die wirtschaftlichen und politischen Druck auf schwächere Länder ausüben, Regimewechsel vorantreiben, um letztlich die Kontrolle und Macht über Märkte auszuüben. Schließlich ist das Elixier des Kapitalismus der Profit für das obere eine Prozent, salopp gesagt.

Dazu fällt einem nun nicht etwa zuerst Russland, sondern die NATO unter Vorherrschaft der USA mit Militärbasen in aller Welt ein. Seit Jahrzehnten rückt sie in Europa stramm nach Osten vor und verleibte sich ein Land nach dem anderen ein. So ein Beitritt erfolgte nicht immer ganz so freiwillig wie es scheint, steht dahinter doch der Druck: Wenn ihr euch eingliedert, bezahlt und tut, was wir euch sagen, dann werden wir euch jedenfalls nicht überfallen. In Mafia-Kreisen nennt man so ein Vorgehen Schutzgelderpressung.

Somit kommt man selbst nach bürgerlicher Interpretation auf die Idee: Das NATO-Bündnis betreibt seit Jahrzehnten ganz klassischen Imperialismus, und das weit rabiater als möglicherweise Russland. Letzteres zog sich zum Beispiel immerhin 1991 freiwillig vom Gebiet der ehemaligen DDR zurück und entließ seine Ex-Sowjetrepubliken auf Wunsch in die Unabhängigkeit.

Darüber hinaus konzentrierte sich Russland nach der Ära Jelzin, die zunächst den Ausverkauf der Wirtschaft des Riesenlandes an den Westen vorangetrieben hatte, weitgehend auf nationale Interessen ohne größere Eroberungsambitionen. Sein Einschreiten in den Ukrainekonflikt, der nicht erst, aber besonders heftig seit 2014 brodelte und vor allem gegen russischsprachige und linke Ukrainer zielte, ist nicht nur, aber eben auch, eine Intervention gegen das NATO-Bestreben, sich noch die Ukraine einzuverleiben und dort gegen Russland in Stellung zu gehen. Es ist im Grunde also eine Intervention gegen den NATO-Imperialismus.

Der marxistische Imperialismus-Begriff

Der marxistische Imperialismus-Begriff ist umfassender und bezieht konkrete ökonomische Machtverhältnisse und -bestrebungen mit ein. Marxisten definieren Imperialismus als „höchstes Stadium des Kapitalismus“, wie es Lenin formulierte. Grundvoraussetzung für Imperialismus ist demnach Kapitalismus und die fortschreitende Monopolisierung des Kapitals: Die Vermögen konzentrieren sich zunehmend bei den mächtigsten Kapitalfraktionen, das Industriekapital verschmilzt mit dem Geldkapital, das daraus hervorgehende Finanzkapital verbündet sich zunehmend mit den Staatsapparaten und ihrer Politik.

Durch das Zusammenwachsen von Monopolkapital und Staatsführungen entstehen dieser Theorie zufolge imperialistische Staaten, die zu konkurrierenden Machtblöcken heranwachsen. Die Konkurrenz findet fortan vor allem zwischen diesen Staaten und Blöcken statt, immer weniger beziehungsweise nur noch sekundär zwischen einzelnen Unternehmen. Die Konkurrenz verschiebt sich demnach, angetrieben durch sich selbst, immer mehr auf diese höhere Ebene.

Kapitalexport, Krieg und Markteroberung

Das vorrangige Merkmal imperialistischer Staaten ist nach Auffassung von Marxisten der sogenannte Kapitalexport in arme Länder, um diese ökonomisch auszubeuten. Denn das Elend in diesen Ländern sorgt für billige Arbeitskräfte, die unter teils erbärmlichen Arbeitsbedingungen für billigen Import von Rohstoffen in die Industrienationen sorgen. Die imperialistischen Akteure eignen sich praktisch die Märkte dieser armen Länder an und schalten sie als Konkurrenz aus.

Diese Entwicklung, so heißt es, trete automatisch ein im Kapitalismus. Und sie schreite stets voran, sofern nicht eine politische Klasse dies entschieden verhindert, etwa durch striktes Reglementieren der Oligarchen und Monopolisten, zum Beispiel über Steuern und Abgaben, um die zunehmende Kapital-, Vermögens- und Machtkonzentration zu bremsen und ausufernde Wirtschaftskriege einzudämmen.

Die Triebkraft für die Entwicklung hin zu Monopolen und Imperialismus ist demzufolge der sogenannte tendenzielle Fall der Profitrate. Vereinfacht gesagt, beschreibt es folgende These: Durch die technologische Entwicklung kann das Kapital mit immer weniger Arbeitern immer billiger immer mehr produzieren, sich also schneller und günstiger verwerten. Dabei verarmen aber immer mehr Menschen durch wachsende Arbeitslosigkeit. Die Kaufkraft sinkt, es kommt zur Überproduktion, der Wert der Einzelware sinkt.

Dem versucht das Kapital entgegenzuwirken, zum Beispiel durch geplante Obsoleszenz (bewusste Verkürzung der „Lebensdauer“ von technischen Geräten, um mehr verkaufen zu können) oder eben Vernichtung riesiger Mengen überproduzierter Waren, darunter Lebensmittel, wie Getreide. Dennoch führe dies unweigerlich und unabhängig von Inflation, kurzen Aufschwungphasen und zuweilen hohen Einzelprofiten dazu, dass die erzielbaren Profitraten für das Kapital im Laufe der Zeit abnehmen.

Die Folgen: Investitionen werden unrentabler, Wirtschaftskrisen rollen immer heftiger über den globalen Markt, der Mittelstand wird in die Pleite getrieben und schrumpft und die Vermögen konzentrieren sich noch schneller ganz oben. Die Monopole wachsen und werden mächtiger. Das ist tatsächlich ein sichtbarer Trend.

Die bislang praktizierten imperialistischen Gegenstrategien sind ebenfalls bekannt: Überausbeutung des Globalen Südens, Wirtschaftskriege und letztlich Kriege mit Waffengewalt, die für Kapitalzerstörung und anschließende Wiederaufbauphasen sorgen, welche die Profitraten kurzzeitig ankurbeln können. Doch diese Strategien haben nicht nur für die Lohnabhängigen in der „Dritten Welt“ ihren Preis: Die Armut wächst auch in den westlichen Industrienationen rasant, die Imperien reagieren darauf mit noch mehr Sozialabbau.

Wie imperialistisch agieren die kapitalistischen Akteure?

Nun lässt sich die Welt nicht einfach in Gut und Böse aufteilen, wie es westliche Propagandisten meist tun. Kein Staat existiert im luftleeren Raum, es bestehen ökonomische Abhängigkeiten, jeder Akteur muss mit den globalen Machtverhältnissen umgehen. Man findet sowohl im kapitalistischen Russland als auch im teilweise kapitalistischen China einzelne imperialistische Elemente, vor allem in Form eines gewissen Kapitalexports.

Allerdings ist auch ersichtlich, dass in beiden Staaten die politischen Führungen das Großkapital stärker kontrollieren, als dies in den westlichen und vielen weiteren Ländern der Fall ist. Beide Mächte agieren weit weniger aggressiv als NATO-Staaten im Umgang mit dem Globalen Süden. Ihre Bestrebungen – siehe etwa BRICS – zielen offenkundig vor allem darauf ab, wirtschaftliche und politische Bündnisse zu schmieden mit Entwicklungsstaaten, um der NATO unter Führung der USA eine ökonomische Macht entgegenzusetzen.

Im globalen Kapitalismus ist eigene wirtschaftliche und politische Stärke eine zentrale Notwendigkeit, um nicht brutaler wirtschaftlicher Erpressung oder gar einem organisierten Regimewechsel zum Opfer zu fallen, den die USA bekanntermaßen bereits notorisch – mal mehr, mal weniger erfolgreich – zu betreiben versuchen, und als Vasall der stärksten imperialistischen Supermächte zu enden.

Verharmlosung imperialistischer Unterdrückung

Die NATO-Staaten verkleiden ihre imperialistischen Ambitionen freilich mit verharmlosenden Floskeln: Ihre Kriege nennen sie „Militärinterventionen“, mit der angeblichen Absicht, den Überfallenen Demokratie zu bringen – was selten gelang und – man blicke etwa nach Libyen oder Afghanistan – regelmäßig in Chaos, Zerrüttung und Verelendung mündete. Ihren massenhaften Kapitalexport, der in Wahrheit dem fortgesetzten Ausplündern der armen Länder dient, verniedlichen sie als „Investitionen“.

So berichtete etwa die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein 2017, dass US-Konzerne ihr „Investment“ in Afrika „deutlich verstärkt“ hätten und fabulierte metaphorisch vom „Investorenland“ USA und „Engagements“ ihrer „Privatwirtschaft“. Das heißt nichts anderes, als dass die USA die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents verschärfen.

Deutschland ist auf demselben Trip: Ende letzten Jahres meldete zum Beispiel das Handelsblatt ähnlich irreführend: „Deutsche Unternehmen wollen mehr in Afrika investieren“. Im Text heißt es: „Vor allem rohstoff- und sonnenreiche Länder sind dabei interessant.“ Das sagt alles: Natürlich geht es darum, noch mehr billige Ressourcen aus dem unter Armut, Elend und politischer Destabilisierung leidenden Süden zu pressen.

Verdrehte Wirklichkeiten

Wie nun Joschka Fischer auf die Implikation kommt, Russland sei ein imperialistischer Aggressor gegen den „guten“ (also nicht imperialistischen?) Westen, bleibt sein Geheimnis. Bei seinen früheren Aktivitäten in einer selbsterklärt linksradikalen militanten Gruppe kann er wohl kaum zu einer solchen, die Realität verkehrenden Auffassung gekommen sein.

Vielleicht hat Joschka Fischer seine Floskeln ja einfach nur beim politischen Establishment abgekupfert, um Pluspunkte für seine Partei bei der kriegswilligen herrschenden Klasse zu sammeln. Man weiß es nicht. Mitregieren ist bekanntlich angesagt, Opposition ist, bis auf hin und wieder ein paar zornige Reden, weitgehend out – von der Linken bis hin zur AfD. Der Weg der Assimilation, den die Grünen nahmen, ist klassisch für aufstrebende deutsche Parteien.

Quelle: RT DE

Beitragsbild via Snapshot You Tube: Joseph Fischer auf dem „Wirtschaftskongress des zweiten Jahrhunderts“ in Izmir 2023: „Lassen Sie uns für die Zukunft arbeiten“

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Neuer Totalitarismus: Deutsche Filmindustrie als Komplize des ukrainischen Faschismus

Die Filmindustrie produziert Traumwelten und setzt primär auf Emotionen der Zuschauer. Das macht sie zu einer Plattform für Propaganda des Kiewer Faschismus, indem sie vor allem auf die Macht der Bilder setzt. Es ist nicht verwunderlich, dass ihre Vertreter die militantesten Unterstützer des Krieges bis zum „ukrainischen Endsieg“ sind.

Von Wladislaw Sankin

„Zum Gedenken an den antifaschistischen Widerstandskämpfer Rudolf Lunau“ – diese Gedenktafel ist im Foyer des Babylon Kinos schwer zu übersehen. Lunau war der Vorführer im Babylon und organisierte in den früheren Jahren des Nationalsozialismus hier einen Stützpunkt für die Untergrundarbeit der KPD. Seit Anfang der 2000er-Jahre gehört das Babylon Kino mit der einzigen Kino-Orgel Deutschlands zu den bekanntesten Programm-Kinos im Land. Hier, im Babylon, ist auch das internationale Filmfestival Berlinale beheimatet. An diesem Tag, am Vorabend des 10. Jahrestags des Beginns des Euromaidans, wird im großen Saal ein ukrainischer Regisseur den Deutschen den Sinn und Zweck des neuen „Antifaschismus“ erklären. Diese bestünden nun darin, Russland, „das neue faschistische Weltübel“, zu besiegen. Die Deutschen könnten ihre historische Schuld wiedergutmachen, indem sie die Ukraine unterstützen und ihr so viel Waffen wie möglich liefern, lehrt der Ukrainer die Versammelten.

Der Filmemacher heißt Pawlo Peleschok, trägt einen Bart, ist wortkarg und im Selenskij-Stil gekleidet. Im Babylon zeigt er seinen Dokumentarfilm „Life at the Limit“, über den Maidan und die Anfänge des Donbass-Krieges, das ist seine Premiere in einem deutschen Kino. Gekommen ist Peleschok aus den USA auf die Einladung des Kulturmanagers Günter Jeschonnek. Jeschonnek ist selbst Autor, Regisseur, Produzent und Mitglied vieler Jurys europaweit: Der 73-Jährige ist im Kulturbetrieb bestens vernetzt und die Ukraine ist seine Leidenschaft. Die Bühne beschmückt er eigenhändig mit der ukrainischen Fahne, sein Gesicht strahlt. In seinem Schlusswort wünscht Jeschonnek der Ukraine den Sieg über „diese Schurken“. „Wunderbares Schlusswort. Amen“, erwidert Peleschok zufrieden und erntet wieder frenetischen Applaus, wie so oft an diesem Abend.

Egal, was Peleschok mit seiner leisen Stimme sagt, die Zuschauer hängen an seinen Lippen. „Wir, die Ukrainer, standen am Ursprung der europäischen Dynastien, der europäischen Kultur. Wir sind in Europa nicht wegzudenken. Wir waren immer Teil Europas, bis Russland uns okkupiert und kolonisiert hat. Wir sind Teil von Euch, Ihr seid Teil von uns“. Der Saal ist begeistert. „Helft uns, bessere Europäer zu werden“, fleht ihn ein älterer Deutscher an. Peleschok ist ehemaliger Rennfahrer und war von 2014 bis 2020 als Offizier der ukrainischen Armee im Frontgebiet des Donbass-Krieges eingesetzt. Er nutzt den Auftritt für Kriegspropaganda und erzählt über eine halbe Million Toter im Krieg und über drei Millionen Ukrainer, die nach Russland „deportiert“ wurden. Die Rede ist offenbar von Rebellen, Exil-Ukrainern, Flüchtlingen und Evakuierten – also von Menschen, die in Russland Schutz und Rettung fanden. Egal, wie dreist seine Lügen sind, in diesem legendären Kinosaal mitten in Berlin, muss er heute keinen Widerspruch befürchten.

Schließlich berichtet der Produzent, dessen Film über den Maidan-Aufstand „Winter on Fire. Ukrainian fight for freedom“ 2016 für einen Oskar nominiert war, über seine Pläne, einen Spielfilm über ein jüdisches Mädchen zu drehen, das mit einem Maschinengewehr „zum ersten Mal in der Geschichte“ Stalin und andere „Schurken von Tscheka“ tötet. Dem Mädchen hilft ein Gangster aus den USA, der aber eigentlich ein aus der Sowjet-Ukraine geflüchteter UPA-Kämpfer ist. „Das ist die ukrainische Aufstandsarmee“, präzisiert der Regisseur stolz die Armeezugehörigkeit seines künftigen Protagonisten. Also kein anderer als ein Banderist, Faschist und Nazi-Kollaborateur. Ein „bad guy“ kann er nicht sein. An diesem Kulturabend im Berliner Mitte-Ost geschieht ein weiteres Wunder der Verwandlung, wie es schon bei dem „Bandera-Musical“ im Gorki-Theater der Fall war.

„Life at the Limit“ war nicht zufällig zum Jahrestag des Euromaidans ausgewählt. Peleschok war der Chronist des Umsturzes, man sieht im Film zum Teil die gleichen Bilder wie im „Winter on Fire“. Zusammen mit seinem Freund, Produzent Juri Iwanischin, hat er in einem Gebäude gegenüber dem Unabhängigkeitsplatz, dem Kiewer „Maidan“, ein Studio für Streamingdienste „Ukr-Stream“ eingerichtet. Später bereiste er die Krim und Gebiete im Südosten – Charkow, Lugansk, Donezk. Ukr-Stream filmte das Geschehen. Aus seiner Perspektive zeigt Peleschok, wie gewaltbereit und ungehobelt die Anhänger der „russischen Welt“ angeblich waren, ganz anders als „Wir“, die Ukrainer, die nach höheren Werten streben.

Das ist dokumentarische Wahrheit eines Filmemachers, der auf allen Etappen der Filmproduktion entscheidet, welche Bilder der Zuschauer sehen muss oder sehen darf. Sein subjektiver Blick auf die Wirklichkeit fällt unter den Schutz der Kunst- und Meinungsfreiheit. Als proeuropäischer Ukrainer genießt der Filmemacher das Privileg, mit offenen Armen der deutschen Filmindustrie empfangen zu werden. Die erste internationale Uraufführung des „Life at the Limit“ fand am 15. Dezember 2022 ebenso in Berlin, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) statt. Laut dem zweiten Produzenten des Films, Juri Iwanischin, hat dieser Film die deutschen Diplomaten und Bundestagsabgeordneten dazu bewegt, der Ukraine offensive Waffen zu liefern – „damit Putins Lügen die Dinge auf der ganzen Welt nicht noch schlimmer machen“.

Wenn ein Film oder ein Kunstwerk in der Politik so viel bewirken kann, dann ist es verständlich, dass die Blockade aller Inhalte aus dem Donbass und Russland, die nicht ins Propaganda-Narrativ des Westens passen, so vehement ist. Ein dokumentarischer Film von der anderen Seite der Front, aus dem russischen Donbass, ist hier im Babylon genauso unmöglich, wie eine Kosmonauten-Landung auf der glühenden Venus. Davon gibt es aber jede Menge, authentisch, eindringlich und propagandafrei (zu nennen ist vor allem Maxim Fadejew und seine berühmte Donbass-Reihe). Aber „die Orks“ haben keine Kunst. „Russland hat keine Werte“, sagt Peleschok in seinem Film. Bis zu einem „wertlosen Leben“ ist es nur ein Schritt. Der Beschuss des Donbass beginnt, während er und sein Freund sich zu einem nationalistischen Freiwilligenbataillon melden, doch darüber ist im Film nichts zu sehen. Laut der ukrainischen Medien bekämpft die Ukraine „Terroristen“, die zahlreiche Mitschnitte aus dem ukrainischen Fernsehen können ja nicht lügen! Peleschok lässt diese natürlich unkommentiert im Film. Ihre einzige „terroristische“ Tat besteht darin, sich dem nationalistischen Diktat der Kiewer Putschisten nicht beugen zu wollen.

Im Film und später im Saal ist immer wieder zu hören, wie die Ukrainer die Freiheit lieben. „Freiheit ist unsere Religion“, lautet die Parole der Maidan-Ukraine. Die Abstraktion „Freiheit“ ist längst zu einem wohlklingenden Fetisch des militanten Transatlantismus geworden. Die ukrainische Art des „Freiseins“ bedeutet konkret – frei von Russen. Die Russen sind lästig, man möchte frei von Russen sein, man will die Geschichte der Ukraine von ihnen bereinigen, was auch seit 2014 (und nicht erst seit Februar 2022) in einem atemberaubenden Tempo geschieht. Denkmäler werden zuerst geschändet, dann gefällt – hundertfach, im besten Fall werden sie in sog. „Besatzungsmuseen“ eingebunkert, im schlimmsten Fall auf den Schrottplatz geworfen. Entrussifiziert sind inzwischen auch die Orts- und Straßennamen, Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Buchhandlungen, Theater und die Musikbranche. Schnell, entschieden und rücksichtslos. Diese Handlungsart erinnert an Diktaturen der 20er- und 30er-Jahre in Europa und nicht an das Europa des 21. Jahrhunderts, zu dem die Ukraine laut dem Maidan-Narrativ gehören will.

Nun wollen aber besorgte ukrainische „Patrioten“ unter den Emigranten, dass Europa ihnen beim „Canceln“ Russlands folgt. Die Aktivisten des Vereins der jungen Ukrainer in Berlin „Vitsche“ verteufeln die Russen bei jeder seiner Straßenaktionen und wollen das Kulturinstitut „Das russische Haus in Berlin“ schließen, weil es angeblich „Propaganda-Viren“ verbreite. Aus der Sicht seiner deutschen Freunde sei aber Vitsche keineswegs ein Hetzer und Spalter, sondern ein humanitärer Verein, eine legitime Vertretung „der Ukrainerinnen“. Nach nur knapp zwei Jahren seines Bestehens steckt er bereits mittendrin im deutschen Establishment. Vitsche-Sprecherin Krista-Marija Läbe schafft es mitunter in Phoenix-Sendungen, und auch heute sitzt sie in der ersten Reihe und hält ein Weinglas in der Hand. Der Name ihres Vereins schmückt die Liste der Förderer mit solchen „Größen“ wie der KAS, der Denkfabrik Think-Tank Zentrum Liberale Moderne (LibMod), der Deutschen Filmakademie, dem Produzentinnenverband e. V., der Produzentenallianz Film und Fernsehen, und einer Reihe weiterer Institutionen der Filmbranche.

Als „Nationalistisches Glamour-Spektakel, ziemlich durchsetzt mit westlicher Kulturindustrie und mit Feuerwerk der Emotionen“, bezeichnete die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Susann Witt-Stahl den Maidan-Aufstand vor zehn Jahren in einem Podcast. Sie hat in dieser Zeit Kiew und den Donbass bereist. Sie merkt weiter an: „Faschismus muss nicht antisemitisch sein“. Totalitäre Propaganda setze auf Emotion und Ästhetisierung und sie verwandele die Kulturschaffenden in seine Geisteswaffen, schreibt sie in Anlehnung an die Texte von Benjamin und Krakauer.

In seinem Film stellt sich Peleschok in einen Raum mit riesigen Videowänden, von denen das übergroße Gesicht des Oskar-Preisträgers Sean Penn die Unterstützung des kollektiven Hollywoods und damit symbolisch aller angeblichen moralischen Größen der „zivilisierten Welt“ verkörpert. Die Aufnahmen stammen aus dem Maidan-Jahr 2014. Im Jahr 2022 wird Penn seine Oskar-Statue an Selenskij übergeben. Die deutsche Filmbranche will natürlich bezüglich der Ukraine-Unterstützung der US-amerikanischen in nichts nachstehen.

Während in der Ukraine die Männer für große und kleine Fleischwölfe des Krieges ausgehen, ruft die „Stahlhelmfraktion“ (Witt-Stahl) der deutschen Kulturindustrie weiter ungehemmt nach Waffen für den Endsieg der Ukraine. „Ihr kämpft für uns und unsere Werte!“, sagen Brüssel, Berlin, Prag und – fast jeder Redner an diesem denkwürdigen Filmabend. Während der Journalist und Autor des Buches „Auf beiden Seiten der Front“, Patrik Baab, über die Bellizisten unter den Journalisten als Schreibtisch-Täter spricht, die, je lauter sie für Waffen und Krieg werben, umso entfernter von der Front sind, bewegen sich spießbürgerliche Ästheten auf sicheren Bühnen und rufen von dort zum Kampf auf. Vom Tod der russischen Ballettregisseurin und Sängerin Polina Menschich während eines Konzerts in einem „Haus für Kultur“ 60 Km von der Frontlinie entfernt, werden sie nie erfahren: Sie und weitere Freiwillige wurden am 19. November von einer HIMARS-Rakete getötet. Ein Video hielt jenen Augenblick fest, als die Rakete in den Zuschauersaal einschlug.

Augenzeugen zufolge „zerschlug eine Rakete die Autos der Freiwilligen, die zweite die Garderobe mit den Künstlern und die Bühne“. Ein RIA-Nowosti-Video zeigt die Folgen des Beschusses:

Es kann darauf gewettet werden, dass wenn eine ukrainische Kunstschaffende während ihres Auftritts direkt auf der Bühne von einer russischen Rakete getötet würde, dann würden deutsche Kulturfunktionäre Russland des „barbarischen Angriffs auf Kunst und Kultur“ beschuldigen. Der Tod einer russischen Künstlerin ist für die deutschen Medien hingegen keine Notiz wert.

Zurück zur Vorführung im Babylon-Kino. In seinem Film versucht Peleschok alle Hinweise auf einen nationalistischen Charakter und die unglaubliche Gewaltbereitschaft des Euromaidans zu vermeiden. Stattdessen rückt Polizeigewalt in den Fokus. Einmal fängt seine Kamera den Ruf aus einer kalten Maidan-Nacht ein: „Ukraine über alles!“. Wir oder die – die Formel des ewigen Krieges, bis eine der Gegenseiten von der Erdoberfläche verschwindet – diese Idee durchdringt die Ideologie des Ukrainismus, das sich als absolutes Anti-Russland versteht. Opfersein, Rachegelüste, Herrensein. Die ukrainische Hymne manifestiert diese Matrix des ukrainischen Nationalismus auf eine eindrückliche Weise:

„Unsere Feinde werden wie Tau in der Sonne zugrunde gehen, wir, Brüder, werden im eigenen Lande herrschen … Brüder, stehen wir auf für eine blutige Schlacht vom San bis zum Don, wir werden niemandem erlauben, in unserem Heimatland zu herrschen.“

Seit je her ist das mit der Hand an der Brust Singen dieser Hymne gewissermaßen zu einer religiösen Zeremonie geworden. Auch dieser deutsch-ukrainische Film-Abend wird mit dem gemeinsamen Singen der Hymne eröffnet. Der Großteil der Gäste steht auf und … schweigt – es sind Nichtukrainer. Die Faschisten-Parole „Slawa Ukraine, Gerojam Slawa“ (Ruhm der Ukraine, den Helden Ruhm) hallt es nach der Hymne dennoch. In diesem Moment verstehe ich – es war ein Gebet und das halb witzige „Amen“ des Regisseurs nach dem Redeschwall seines deutschen Freundes Jeschonnek beendete nicht zufällig die Sitzung.

Der Name der Förderer dieser Vorführung mit einem Banderisten als Film-Regisseur liest sich u. a. wie das Who’s who der deutschen Film- und Fernsehbranche. Produzentenvereinigungen und die Deutsche Filmakademie werden da mit den militantesten und interverntionistischsten deutschen Parteistiftungen und den Think-Tanks KAS und LibMod aufgelistet. Sie predigen Regime-Changes in anderen Ländern und unterstützen den ukrainischen Faschismus, der sich hinter der künstlich-demokratischen Glamour-Fassade zu verstecken versucht. Am 17. Februar hing schon die Berliner Film-Prominenz bei der Eröffnung der Berlinale an Selenskijs Lippen, als er in seiner Videobotschaft Russland als „Stimme des Bösen“, Hort der Sklaverei und Ursache des Welthungers anprangerte – pures Stuck Greuelpropaganda, inhaltlich fast nahtlos an antibolschewistische Propaganda im Dritten Reich angelehnt.

„Die NS-Propaganda schürte während des gesamten Zweiten Weltkrieges permanent Ängste vor dem „Bolschewismus“ als Inbegriff für Mord, Vergewaltigung, Verbrechen, Elend und Hunger“, beschreibt das Bundesarchiv-Online lapidar das hierzu exemplarische Plakat „Sieg oder Bolschewismus“. Selenskij erzeugt mit seiner „emotionalen Rede“ (Handelsblatt, ZDF, NZZ usw.) geradezu hypnotische Wirkung, ergriffene deutsche Film-Stars würdigen ihn mit stehendem Applaus. Er spricht über die Kraft des Kinos und über Emotionen, die Filme auslösen können. Der Goldene Bär ist gelb-blau gefärbt. Und die Filme wie „Superpower“ von Sean Penn oder wie „Life at the Limit“ liefern die nötigen Bilder, die „nötige“ Gefühle erzeugen. Die Bekämpfung der Vernunft durch Emotionen galt für den Faschismus „damals“, und gilt auch für den „totalitären Kapitalismus“ heute (Witt-Stahl).

Die aggressive Parteinahme für Faschisten in der berüchtigten Tradition der deutschen Bandera-Unterstützung und das Hofieren eines ukrainischen Militärs durch einen exaltierten Berliner Kultur-Manager bei gleichzeitiger Nichtzulassung von Gegendarstellungen sind die Zeichen des aufkommenden Totalitarismus. Die Aufführung im Babylon ist Teil der Mobilisierungsstrategie und der Kriegspropaganda – vom NATO-Staat auf die Kulturindustrie ausgelagert. Im Keller des „Babylon“ druckten der Filmvorführer Lunau 1933–1934 und seine Genossen heimlich antifaschistische Flugblätter, auch gegen jene Wirklichkeit des Hitler-Faschismus, die er mit seinem Vorführgerät an die Leinwand projizieren musste. Ein Kino ist nur Raum und Wände, und es sind Menschen, die sie mit Inhalten ausfüllen. Die Gedenktafel an der Wand des Foyers, die an Lunau erinnert, stellt das Kino Babylon in eine schöne Tradition, die Menschen, die heute dessen Bühne betreten, beleben hingegen das Dunkel der Geschichte.

Quelle: RT DE

Beitragsbild: Wladislaw Sankin

„Auf beiden Seiten der Front. Meine Reisen in die Ukraine“ von Patrik Baab. Rezension

Ein Sitzjournalist ist Patrik Baab wahrlich nicht. Und das ist gut so. Als „Sitzjournalisten“ bezeichnet der Politikwissenschaftler, Publizist und last but not least, erfahrene langjährige Journalist Patrik Baab diejenigen Schreibtischtäter, welche in der mehr oder weniger komfortablen Redaktionsstube vorm Computer sitzen und aus dem, was da heraus poppt eine Story zusammenkloppen. Die wird dann ins Netz hochgeladen oder althergebracht in die diversen Blätter gedruckt.

In Sachen Ukraine-Krieg reicht es dann meistens das Monstrum in Bild-Zeitungs-Manier auf die Titelseite zu knallen. Kennen Sie den großartigen Film „Knallt das Monstrum auf die Titelseite!“ von Marco Bellocchio? Das seit Langem im Westen, der vasallenhaft den USA folgt und sei es in den Untergang, gängige Monstrum ist noch immer der russische Staatspräsident Wladimir Putin. Ein angeblich neuer Hitler, den man „Putler“ schimpft. Unter dem macht man es nicht. Da weiß das Publikum Bescheid – ist in der richtige Spur. Vor Putin waren die neuen Hitler Slobodan Milošević, Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi. Meist Staatsführer, die dem Westen in seiner Politik nicht oder nicht mehr folgen wollen.

Das ist Holzhammer-Journalismus. Um nicht zu sagen plumpe Propaganda.

Nicht die Sache des Journalisten Patrik Baab – einer der immer weniger zählenden Vertreter – eines ehrlichen Journalismus, wie er im Buch steht.

Apropos Buch: Patrik Baab hat übrigens ein hervorragendes Buch in Sachen Journalismus zum Zwecke der Ausbildung geschrieben: „Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung“ (Lesen Sie gerne meine Rezension).

Patrik Baabs Anspruch an Journalismus ist hoch

Kurzum: Patrik Baab hat einen hohen Anspruch an Journalismus wie er halt von Hause her verstanden werden muss. So hat Baab es gelernt und dementsprechend verinnerlicht. Das steckt ihm in den Knochen. So tickt sein Herz. So arbeitet sein Hirn. Das gilt für alle seine bisherigen Werke und Veröffentlichungen.

Da nimmt es einen nicht wunder, dass er seinem hier zu besprechenden aktuellen Buch „Auf beiden Seiten der Front. Meine Reisen in die Ukraine“ u.a. das folgende Zitat von Egon Erwin Kisch vorangestellt hat:

Bei aller Künstlerschaft muss er die Wahrheit, nichts als die Wahrheit geben, denn der Anspruch auf wissenschaftliche, überprüfbare Wahrheit ist es, was die Arbeit des Reporters so gefährlich macht, gefährlich nicht nur für die Nutznießer der Welt, sondern auch für ihn selbst, gefährlicher als die Arbeit des Dichters, der keine Desavouierung und kein Dementi zu fürchten braucht.

Und dass das auf sein neues Buch zutrifft, können Sie mir getrost abnehmen. Weshalb ich es meinen Leserinnen und Lesern sehr zur Lektüre anrate. Aber auch Politikerinnen und Politikern und Journalisten – so sie offen dafür sind und gewillt sind für einige Zeit einmal die gängig gemachte Propaganda, die sie in wohl meisten Fällen ohne Ansage von Oben betreiben, außen vor zu lassen. Geht das noch, oder ist all das womöglich schon zu sehr ideologisch betoniert?

Für Patrik Baab eine Verpflichtung stets auch die andere Seite zu hören – audiatur et altera pars

Patrik Baab hat die Ukraine bereist – den Westen vor Beginn des Krieges, den Osten danach. Gemäß der journalistischen Handwerksregel „audiatur et altera pars“ – Ich frage: ist diese Handwerksregel, die ja nicht zuletzt der Juristerei entlehnt ist, überhaupt noch bekannt? Und wenn ja, warum findet sie meinem Empfinden nach kaum noch Anwendung? – auch die andere Seite soll gehört werden – hat er auf beiden Seiten der Front mit Menschen gesprochen und ihre Leben beobachtet. Er hat die Interessen hinter den blutigen Kämpfen recherchiert.

Es entsteht vor uns das Bild eines gespaltenen Landes

So entsteht Stück für Stück das Bild eines gespaltenen Landes namens Ukraine. Ukraine könnte auch mit „am Rande“ oder „Randgebiet“ übersetzt werden.

Um die Ukraine zu verstehen hat sich Patrik Baab u.a. eines alten Reiseführers durch die Sowjetunion von Sándor Radós bedient. Baab: „Es ist ein Buch, das es – wäre es nach den Mächtigen in jedem Landes gegangen – gar nicht hätte geben dürfen und das mich in das «Grenzland« Ukraine und zugleich in die Dämmerung meiner Kindheit führt.“ (S.12)

Und weiter: „Von Sándor Radó und seinem Führer durch die Sowjetunion habe ich 2018 in Chelsea erfahren, in einer Bar names «The Hour Glass« nahe der der Sloane Avenue in der Brompton Road, in die ich den illustren Rest eine Auditoriums entführte, das zuvor Paddy Ashdown gelauscht hatte, dem Mitbegründer der Liberaldemokraten und ehemaligen MI6-Offizier, der in der Buchhandlung Hatchards am Piccadilly wenige Wochen vor seinem Tod aus seinem letzten Buch las.“

Das Kapitel „Ein alter Reiseführer“ ist hochinteressant. Da weht der Leserschaft – um einmal Helmut Kohl zu bemühen – sozusagen der Mantel der Geschichte um die Ohren. Unverzichtbare Zeilen zum Verständnis in Sachen Ukraine.

Patrik teilt uns seine Reiseerlebnisse mit großem Interesse für Land und Leute mit

Patrik Baab erzählt seine Erlebnisse mit großem Interesse für Land sowie mit Empathie für die Leute, die er trifft. Wir lernen eine Ukraine in schwierigen Lebenssituationen und Wirtschaftslage kennen. Die schon vor dem völkerrechtswidrigen Krieg Russland gegen die Ukraine bestanden. Klar, es gibt etliche schwerreiche Oligarchen, die sich Land und Industrien unter den Nagel gerissen haben. Aber auch eine riesige Masse von Menschen, die ziemlich prekär leben. Und quasi jeden Tag sehen müssen wie sie ihre Familien über die Runden bringen. Mit den in der Ukraine gezahlten Hungerlöhne können sie das nicht zumeist nicht. Es gibt etwa Arbeiten, die für Firmen im Westen verrichtet werden. Beispielsweise Kabelbäume für Autos herzustellen.

Oder, schreibt Baab: „Wer ein Auto hat, arbeitet als Fahrer. In einem riesigen Flächenstaat, der fast doppelt so groß ist wie Deutschland, ist Transport ein Problem. Wer sich ein Auto leisten kann, bringt andere zum Ministerium in Kiew, zur Baustelle in Odessa oder liefert Ersatzteile und Computer nach Dnipro. Fahrtkosten und etwas auf die Hand, eine Flasche Wodka dazu, die meisten hier sind auf einen Zuverdienst angewiesen. Auch Wasja.“ Baabs Fahrer in der Westukraine.

Der hat einen alten Mercedes Sprinter, den er zu einem Wohnmobil für sechs Personen ausgebaut hat.

Mit diesen Leuten fährt er manchmal nach Moskau oder Frankfurt am Main, um dort als Schwarzarbeiter Gebäude hochzuziehen. (S.104)

Nicht selten werden die Leute um ihr Lohn betrogen.

Baab „Wasja gehört zu den drei Millionen Ukrainern, die als Arbeitsmigranten mehrmals im Jahr ins Ausland pendeln. Dazu kommen noch einmal zwei Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, die dauerhaft im Ausland arbeiten.“ (…)

In Polen blühen auch die Geschäfte der Vermittlungsagenturen, die Ukrainer als polnische Staatsangehörigen deklarieren und sie als häusliche Pflegekräfte in die Schweiz und nach Deutschland vermitteln. Dort erhalten sie den örtlichen Mindestlohn für eine 40-Stunden-Woche. Doch in der Realität, so steht es im Vertrag mit der polnischen Agentur, müssen Pflegekräfte 24 Stunden in Bereitschaft sein.

In Frankfurt wird Wasja bezahlt nach dem Mindestlohn am Bau, das waren 2021 für Ungelernte 12,85 Euro. Doch oft vereinbart er auch eine Pauschale für seine Bautrupp, die deutlich niedriger ist.“ (S.106)

Baab weiter: „Für viele ukrainische Fahrer wie Wasja ist Litauen die europäische Speditionszentrale. Mithilfe von künstlicher Intelligenz werden billige Lkw-Fahler aus Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine oder Moldau quer durch Europa gelenkt. Sie brauchen keine Sprachkenntnisse; sie erhalten ihre Anweisungen über Smartphones und Navigationsgeräte. Mit Beginn des Kriegs fehlten in Litauen und Polen plötzlich mehr 100 000 LKW-Fahrer aus der Ukraine – sie durften wegen des Militärdienstes nicht mehr ausreisen.“

Die Bezahlung solcher Jobs sei allerdings immer noch viel besser als in ihrer Heimat.

Und Baab bestätigt, was Dr. Werner Rügemer (auf den der Autor auch zurückkommt) in seinem Vortrag dieses Jahr in Dortmund erwähnte: «2015 habe die ukrainische Regierung zum ersten Mal etwas beschlossen, das in der EU zum Standard gehört: Ein gesetzlicher Mindestlohn. Im Jahr 2015 betrug der erste gesetzliche Mindestlohn der Ukraine sage und schreibe 34 (sic!) Cent pro Stunde. Später sei er langsam angehoben worden. (…) Unter Selenskij ist der Mindestlohn der Ukraine bei 1,21 Euro angekommen. Der niedrigste Mindestlohn, den es überhaupt im Umkreis in Europa gibt“, so Werner Rügemer« (dazu hier)

Ukrainische Kleinunternehmen dienten oft als Zulieferer für internationale vernetzte Billigproduzenten in den benachbarten EU-Ländern Polen, Rumänien und Ungarn. „So gehen 41 Prozent der Schuhproduktion als Halbfertigware für Hungerlohn aus der Ukraine in die Fabriken Rumäniens, Ungarns oder Italiens, wo sie dann im Niedriglohnbereich das begehrte Etikett «Made in EU« bekommen.“

Ukraine – eines der Länder mit der höchsten Korruption

Die Ukraine ist eines der Länder in der Welt wo höchste Korruption herrscht. Ein Land, das wenn es u.a. nach der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geht – die nahezu unablässig nach Kiew reist und entsprechende Versprechungen macht – rasch in die Europäische Union geführt werden soll. Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Die früher bezüglich der Aufnahme eines Landes in die EU geforderte Erfüllung der Kopenhagener Kriterien sind auf einmal vergessen? Die Türkische Republik wird schon lange vor der Tür gehalten. Die Ukraine erfüllt diese Kriterien jedenfalls nicht.

Das Land wird ausgebeutet

Große westliche Agrarkonzerne bemächtigen sich mehr und mehr der in der Welt einzigartigen fruchtbaren Schwarzerdeböden.

Das Land wird ausgebeutet wo es nur geht. Für den Wiederaufbau gilt bereits die Vermögensverwaltung BlackRock gesetzt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Der Ukraine-Krieg hat Vorgeschichten

Beim jetzigen Krieg Russlands gegen die Ukraine wird vom Westen und seinen Medien immer gern dessen Vorgeschichte(n) – u.a. die „Orange Revolution 2004“) vergessen. Diese Entwicklung führt Patrik Baab in aller Deutlichkeit aus. Rekapituliert. Gut so, denn der Mensch ist bekanntlich vergesslich. Und die westlichen Medien (in meinen Augen besonders die deutschen) tragen durch Weglassen und Uminterpretationen dazu bei, das zu befördern. Wo sind da die Faktenfüchse?

Nationalismus und faschistische Tendenzen

Es sind ebenfalls die Medien die rechtsnationale und faschistische Tendenzen in der Ukraine kleinreden. Im Parlament seien das höchsten noch zwei Prozent bekommen wir immer zu hören. Dabei wird geflissentlich ausblendet, dass sich Faschisten nicht zuletzt in Bataillonsstärke (auch wenn sie inzwischen in die reguläre Armee eingegliedert sind) plus ausländische Söldner im Lande tummeln und eine tödliche Macht darstellen. Oppositionsmedien sowie kritische Medien sind verboten.

Ein Nationalismus, der in der Sozialistischen Sowjetrepublik Ukraine nie weg gewesen war (er wurde durch die CIA und mithilfe der ukrainischen Diaspora in den USA und Kanada immer – auch über Einschleusung von Agenten am Köcheln gehalten, um gegen die UdSSR zu wirken), hat längst neuen Auftrieb erhalten. Überall werden Straßen und Plätze nach dem Faschistenführer Stepan Bandera, der mit den deutschen Faschisten kollaborierte, benannt. Es lohnt sich das Kapitel „Mukatschewo: Slawa Ukrajini – Herojam Slawa!“ genau zu verfolgen. (S.134)

Baab: „Ruhm der Ukraine – seit 2018 ist dies der offizielle militärische Gruß. «Slawa Ukraini!« und die Erwiderung «Herojam Slawa« waren auch die Grußformeln der ukrainischen Division der Waffen-SS «Galizien«“.

Heutzutage entblöden sich Politiker der BRD nicht einmal, diese Grußformel zu benutzen!

„Ultranationalismus und Faschismus haben in der Ukraine eine lange Tradition. Beide entstanden – wie in fast allen europäischen Ländern – infolge des Ersten Weltkrieges als Reaktion auf den Krieg, die stärker werdende Arbeiterklasse und die revolutionären Bewegungen in Russland, Deutschland, Ungarn und anderen Ländern.“ (S.140)

Einschub: Zusätzlich zu diesem Kapitel empfehle ich meinen Lesern die Videos zu schauen, welche die Tageszeitung junge Welt von der von ihr veranstalteten hochinteressanten Veranstaltung «Der Bandera-Komplex« veröffentlicht hat.

Der Maidan-Putsch

Als absoluter Tiefschlag muss letztlich der Maidan-Putsch 2014 in Kiew (4.5. Kiew: Ein Putsch und die Folgen; S.148) gelten.

Er wurde, wie Victoria Nuland („Fuck the EU“), ausplauderte, mit fünf Milliarden US-Dollar unterstützt und ins Werk gesetzt.

Die Proteste zuvor waren in der Tat zunächst gegen die grassierende Korruption in der Ukraine und viele andere Unzulänglichkeiten gerichtet. Und auch angebracht.

Doch diese Proteste wurden okkupiert und umgedreht, sodass sie letztlich zum Sturz der rechtmäßig gewählten Regierung Janukowitsch führten.

Baab schreibt über Dimitrij Wasilez, der jeden Tag auf dem Maidan in diesen Zeiten gewesen war. Er sagt: „Dieser Volksaufstand war eine perfekt inszenierte Show. Wenn Pressevertreter einen Kommentar von mir wollten und ich habe mich nicht zustimmend zu den Protesten geäußert, dann haben sie die Kamera wieder abgeschaltet und mich weggeschickt: >Verschwinde, Junge, wir haben andere Ziele< Das haben sie offen gesagt.“ Die Protestler wurden bezahlt, wurden mit Bussen herangekarrt und demonstrieren in Schichten.

Unsere in der Mehrzahl inzwischen journalistisch verkommenen deutschen Medien wollen das nicht wahrhaben und sehen den Maidan-Putsch noch immer als Revolution.

Ins Kriegsgebiet im Donbass

Baab war vergangenes Jahr zwecks Fortsetzung seiner Buch-Recherche in das Kriegsgebiet im Donbass gereist. Um dort nun von der anderen Seite der Front zu berichten. Dort leben in der Mehrzahl russischsprachige Menschen.

Auf seiner Fahrt in den Donbass wurde Baab von dem russischsprachigen Journalisten und Blogger Sergey Filbert begleitet. Filbert betreibt unter anderem den YouTube-Kanal „DruschbaFM“. Wo die beiden auch von ihrer Reise ins Kriegsgebiet unter dem Titel „Grenzland“ Video-Berichte einstellten.

Patrik Baab wurde von T-Online zum Wahlbeobachter gemacht

Dass dort zu diesem Zeitpunkt die Referenden für den Beitritt zur Russischen Föderation stattfinden sollten, habe er – schreibt Baab – bei der zeitigen Planung dieser gefährlichen Reise nicht wissen können. Vielmehr habe er davon erst erfahren, als er sich bereits in Russland befand.

Nichtsdestotrotz machte das zum Werbekonzern Ströer gehörende journalistisch nicht selten fragwürdig agierende Portal T-Online, das sich nicht das erste Mal diffamierend betätigte, Patrik Baab zum Wahlbeobachter bei den Referenden im Donbass. Ihm wurde zum Verhängnis gemacht, dass er auf einer Pressekonferenz nach den Referenden auftrat. Baab machte klar, dass er die Referenden lediglich als Journalist bzw. zwecks Recherche für sein Buch verfolgt habe. Baab: „In Luhansk und Donezk habe ich auf Bitte der örtlichen Behörden an zwei Pressekonferenzen teilgenommen. Das habe ich auch bei meinen Recherchen im Kosovo-Krieg 1999 oder in Afghanistan 2002 getan – beides ebenfalls völkerrechtswidrige Angriffskriege. (…) Dennoch hab ich deutsche Soldaten bei ihren Einsätzen begleitet, an militärischen Briefings und Pressekonferenzen teilgenommen, meinen Rechercheauftrag erläutert und über meine Erfahrungen berichtet. Dies ist allein schon deshalb nicht Ungewöhnliches, weil man in einem Kriegsgebiet darauf angewiesen ist, sich etwa darüber auszutauschen, wo Minen noch nicht geräumt wurden oder versprengte Freischärler unterwegs sind.“ (S.224)

Aber T-Online-Redakteur Lars Wienand machte sofort Alarm in Deutschland. „Ein Wahlbeobachter sei ich gewesen bei Putins Scheinreferenden, ein Apologet des Kreml, ein Journalist auf politischen Abwegen.“ (S.223) Für Denunzierungskampagnen ist T-Online indes bekannt. Dieser Journalist Wienand hätte sich, so Baab, durch einfache Recherche bei der zuständigen Zivilkammer der Russischen Föderation in Moskau überzeugen können, dass er dort nicht als Wahlbeobachter geführt wurde.

Aber der Schaden war gemacht. Sollte wohl der Sinn dieser Übung sein. Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und die Hochschule für Medien und Kommunikation in Berlin kündigten Baabs Lehraufträge.

Baab: „Es fallen zwei Dinge auf: Zum einen haben die Akteure kaum Kenntnisse über die Ukraine und Russland, die regionale Kultur und die Konfliktgeschichte. Zum anderen handelt es sich um Sitzredakteure, die den Bildschirm mit der Realität verwechseln. Sie verhalten sich wie journalistische Drohnenpiloten, die aus großer Entfernung ein Ziel anvisieren, ohne die Lage vor Ort überhaupt zu kennen. Klickzahlen sind wichtiger als sauberes Handwerk.“ (S.226)

Wir leben in merkwürdigen Zeiten. In Zeiten der Diffamierung und der Cancel Culture, die mit demokratischer Öffentlichkeit – wie Baab schreibt – nicht zu tun hat.

Baab bringt das so verständlich auf den Punkt: „Niemand wäre auf die Idee gekommen, Peter Scholl-Latour, der 1973 im Vietnamkrieg als Erster auf der Seite des Vietkongs gedreht hat, vorzuwerfen, er verbreite kommunistische Propaganda.“

Patrik Baab hat erfolgreich gegen den Entzug des Lehrauftrags geklagt. Lesen Sie gern dazu den Beitrag von Kollegin Susan Bonath (hier).

Noch im Donbass hatte Baab telefonisch anwaltliche Hilfe erbeten, nachdem er eine Textnachricht von T-Online erhalten hatte. Er stellte gegenüber dem T-Online-Redakteur klar, dass er als Journalist recherchiert hätte. „Offenbar hat er nur pro forma angefragt. Denn mein Dementi interessierte ihn nicht weiter“, so Baab.

Das mit dem Anruf hätte ins Auge gehen können. Denn, benutzt man im Kriegsgebiet ein Smartphones, kann man angepeilt und zum Ziel eines Angriffs werden. In der Tat gab es in der Nähe des Hotels, in welchem Baab und Filbert wohnten, einen Treffer nachdem die Textnachricht von T-Online-Redakteur Lars Wienand erhalten hat. Baab beobachtete, wie eine Artilleriegranate ein Wohnhaus trifft. „800 Meter von mir entfernt kracht ein Teil der Fassade herunter“, berichtet Baab.

Die geschilderten Erlebnisse im Donbass sind spannend, darunter interessante Personenzeichnungen von Menschen, die viel Leid und Zerstörung erfuhren. Aber Baab hat auch Menschen getroffen, die nachdem ihre Stadt von den Russen eingenommen wurde, wieder mit Hoffnung in die Zukunft blicken.

Kurz bevor Baab und Filbert nach getaner Recherche endlich dem Kriegsgebiet entkommen schienen, hielt man sie auf dem Weg zur Krim an und „filtrierte“ sie. Sie hätten ja ukrainische Agenten sein können. Sie mussten einige Zeit in einem Käfig verbringen. Der junge Offizier lässt sie endlich gehen. Vielleicht hatte er Bedenken wegen Baabs deutschen Pass. Was wenn das zu diplomatischen Verwicklungen geführt hätte?

Patrik Baab: „Dieser Krieg in der Ukraine wird am Verhandlungstisch enden – oder wir fliegen alle in die Luft

Aus der Geschichte und nicht zuletzt aus eigenem Erleben weiß Patrik Baab: „Dieser Krieg in der Ukraine wird am Verhandlungstisch enden – oder wir fliegen alle in die Luft. Da darf man sich an den Gedanken gewöhnen, mit Russen zu verhandeln. Seit drei Jahrzehnten spreche ich mit Menschen aus Russland. Darunter sind Mitarbeiter der Regierung genauso wie Oppositionelle. Auf beiden Seiten der Front, in Russland und der Ukraine, habe ich Freunde. Aus Russland bringe ich seit mehr als 20 Jahren Filme mit, die sich kritisch mit Missständen in Putins Staat befassen. Diese Recherchen haben mir zwei unangenehme Begegnungen mit dem Inlandsgeheimdienst FSB beschert. Einmal sind wir der Verhaftung knapp entgangen. Für diese Vorgänge gibt es Zeugen.“ (S.225)

Und, stellt Baab fest: „Es ist einigermaßen dreist, wenn Schreibtischtäter in Universitäten und Sitzredakteure in Online-Medien, die von den Zuständen in Kriegs- und Krisengebieten keine Ahnungen haben und mit eigenständigen Rechercheergebnissen noch nicht weiter aufgefallen sind, mir, der ich für unabhängige Informationsgebung den Kopf hingehalten habe, Propaganda vorwerfen.“

Der Autor sieht die Zukunft düster

Die Zukunft sieht der Autor ziemlich realistisch und ohne rosa Brille. „Deutschland wandelt sich weiter vom Sozial- zum Rüstungsstaat und entwickelt sich damit zu einem militaristischen und postdemokratischen Vasallen Washingtons, geführt von einer antidemokratischen ökolibertären Elite, die ihre eigene Bevölkerung mit Propaganda, Zensur, Digitalüberwachung und Polizei in Schach hält. Dies Elite entstammt zumeist dem gehobenen Bürgertum und akademischen Milieus.“

Haben wir wirklich nichts dazu gelernt? Ich fürchte nein.

„Die Europäische Union wird entweder als eine zerstrittener Staatenbund weiterbestehen oder ganz zerfallen, nachdem es den USA gelungen ist, die Union zu spalten. Übrig bleibt ein Europa sozial degenerierter Vasallenstaaten am Rande der Ukraine, in der fortgesetzte militärische Konflikte drohen, die auch die Nachbarstaaten langsam erschöpfen.“

Trübe Aussichten. Baab sieht die Deindustrialisierung weiter Fahrt aufnehmen. Was „zu bislang ungekannten sozialen Verwerfungen und wahrscheinlich zu einer neuen antidemokratischen Massenbewegung führen, die den Abschied von der Demokratie beschleunigt“.

Und noch mehr Unerfreuliches. Das kommt einen bitter an, liegt aber durchaus im Rahmen des vermutlich Dräuenden: „Das ist die Welt von gestern, die wieder die Welt von morgen sein wird.“ (S.252)

„Neben der Ukraine und der Europäischen Union ist Russland der dritte große Verlierer. Gewinner dieses großen Spiels sind die USA und China. Zwischen ihnen wird sich eine neue Pattsituation ergeben. (…) Doch der Niedergang der USA setzt sich fort.“ (S.253)

Baab resümiert: „All dies war absehbar. Es ist die Chronik einer angekündigten Katastrophe.“

Nach diesem gefährlichen Abenteuer kehrten Sergey Filbert und Patrik Baab im Zug von Simferopol auf der Krim über die Brücken von Kertsch zurück nach Moskau.

Wenige Tage später gibt es ein Explosion auf der Brücke. „Nur eine Fahrbahn bricht zusammen. Vor Moskau schrecke ich auf. Aus dem Schlaf gerissen kehre ich zurück in den Albtraum“, schreibt Patrik Baab gegen Ende des Buches.

Weiter: „Nach unserer Ankunft in Berlin morgens gegen vier stelle ich den Führer durch die Sowjetunion von 1928 wieder in die Vitrine. Sándor Radós Traum von einem Europa der Menschen und Völker ist ausgeträumt. Aber Träume können nicht sterben. Sie leben fort in einer anderen Zeit, Sergey und ich trinken noch ein paar doppelte Whisky. Die helfen uns auch nicht weiter. Sie rufen nur Gedanken wach an die Jahre des Friedens in Europa, die wir nie mehr wiedersehen würden.“

Am Ende sagt Patrik Baab allen Dank denen Dank gebührt. „Meine Gedanken sind bei unserem Fahrer. Sein Tod steht für all die sinnlosen Opfer auf beiden Seiten der Front. Sergey Filbert war mir nicht nur ein verlässlicher Gefährte, sondern hat auch unter Feuer die Nerven bewahrt“, heißt es u.a.

Unbedingte Leseempfehlung! Und bitte, liebe Leserinnen und Leser empfehlen auch sie das Buch weiter.

In Zeiten von teils unerträglicher Propaganda in unseren Medien bis hin zu eklatanten Verdrehungen in Sachen Ukraine-Krieg ist dieses Buch wichtig und sollte deshalb ein hohe Rezeption erfahren.

Patrik Baab

Auf beiden Seiten der Front

Meine Reisen in die Ukraine

Softcover

24,00 €*

lieferbar innerhalb von 3-4 Werktagen

Patrik Baab hat die Ukraine bereist – den Westen vor Beginn des Krieges, den Osten danach. Gemäß der journalistischen Handwerksregel „audiatur et altera pars“ – auch die andere Seite soll gehört werden – hat er auf beiden Seiten der Front mit Menschen gesprochen und ihre Leben beobachtet. Er hat die Interessen hinter den blutigen Kämpfen recherchiert.

Hier schildert er seine Eindrücke. Er analysiert den geostrategischen und wirtschaftlichen Konflikt, um den es in Wahrheit geht. Es ist das neue „Große Spiel“ der Vereinigten Staaten, von Russland und der Europäischen Union unter deutscher Führung; ein Poker am Rande eines Atomkriegs mitten in Europa – ein Tanz auf dem Vulkan.

Zum Quellenverzeichnis mit nur einem Klick

Zum Autor

Patrik Baab ist Politikwissenschaftler und Publizist. Seine Reportagen und Recherchen über Geheim-
dienste und Kriege passen nicht zur Propaganda von Staaten und Konzernmedien. Er berichtete u.a. aus Russland, Großbritannien, dem Balkan, Polen, dem Baltikum und
Afghanistan. In Russland machte er
mehrfach Bekanntschaft mit dem Inlandsgeheimdienst FSB. Auch die Staatsschutzabteilung des Bundesinnenministeriums führt eine
Akte über ihn. Im Westend Verlag publizierte er „Im Spinnennetz der Geheimdienste. Warum wurden Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby ermordet?“ (2017)
und „Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung“ (2022).
Seine Homepage findet Sie hier.

Anbei:

Sabiene Jahn spricht mit Patrik Baab über sein Buch.

Zum Zwanzigjährigen der NachDenkSeiten: Unverzichtbar

Man hat ja so seine Rituale. Zu meinen gehört es seit vielen Jahren gleich nach der Einnahme des Frühstücks hinüber in das kleine Zimmer, das mir als Büro dient, zu gehen und am Laptop im Internet die NachDenkSeiten aufzurufen. Und wenn ich nicht daheim oder in meiner zweiten Heimat im Ausland bin geschieht das übers Smartphone. Sonst würde mir einfach etwas fehlen.

Auch gebe ich zu, dass ich – gebe es dieses Portal nicht – wohl schon längst verzweifelt wäre. Am Weltgeschehen, an der Politik im eigenen Land und deshalb, weil der Journalismus hierzulande in großen Teilen längst auf den Hund gekommen ist und mit den Jahren immer mehr dahin kommt.

Die NachDenkSeiten sind für mich als Informationsmedium deshalb unverzichtbar geworden. Nicht zuletzt deshalb, weil man hier auch auf fundierten ökonomischen Sachverstand trifft. Was in erster Linie dem Herausgeber Albrecht Müller und Chefredakteur Jens Berger – aber auch Gastautoren – zu danken ist.

Jens Berger, hier auf der IALANA-Medienkonferenz in Kassel. Foto: C. Stille

Lesen Sie gerne, wie es zur Gründung der NachDenkSeiten kam:

«Heute vor 20 Jahren erschien der erste Artikel auf den NachDenkSeiten. Es ging dabei um dieses Thema: INSM verbreitert die Öffentlichkeitsarbeit. Die Gründung der PR-Organisation der Wirtschaft, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, im Jahr 2000 war der Zünder für die Idee, eine kritische Internetseite ins Leben zu rufen. Sozusagen als Gegengewicht. Im Januar 2001 wurde die Idee geboren. Da ich dachte, ein solches Projekt könne nur zusammen mit einem potenten Partner gestartet werden, wandte ich mich damals zunächst an IG-Metall und DGB. Ohne Erfolg.«

Lesen Sie Albrecht Müllers Text hier weiter.

Albrecht Müller, Herausgeber der NachDenkSeiten schließt seinen heutigen Text so:

Albrecht Müller, Herausgeber der NachDenkSeiten. Foto: C.-D. Stille

«Wir feiern das 20-Jährige am 9. Dezember. Die Veranstaltung war nach zwei Tagen schon ausgebucht, sodass wir leider keine Anmeldungen mehr annehmen können. Die Veranstaltung wird jedoch aufgenommen und ins Netz gestellt. Wahrscheinlich klappt es auch mit einer Direktübertragung am 9. Dezember ab 18:00 Uhr. Darauf werden wir noch einmal gesondert hinweisen.

So viel zu unserem Jubiläum. Wir werden uns anstrengen, Sie weiter gut zu informieren.«

Den Kollegen gratuliere ich herzlich zum Zwanzigjährigen und ziehe den Hut vor deren – dabei auch Widerständen und Anfeindungen trotzend – journalistischem Engagement, das inzwischen durchaus von beachtlichem Erfolg gekrönt wird, was sich nicht nur an den täglichen Zugriffen auf die Seite der NachDenkSeiten ablesen lässt. Und ich wünsche ihnen weiterhin von Herzen ein glückliches Händchen bei der Gestaltung des so wichtigen Mediums für die kommenden, gewiss nicht einfacher werdenden Jahre.

Update vom 8.12.2023

Morgen 18:00 Uhr Livestream von der 20-Jahr-Feier der Nachdenkseiten

08. Dezember 2023 um 10:23Ein Artikel von: Redaktion

Wir feiern morgen, am Samstag, den 9. Dezember um 18:00 Uhr in Bad Bergzabern das 20-jährige Bestehen der Nachdenkseiten. Die Festrede hält Sahra Wagenknecht. – Geplant ist eine direkte Übertragung ab 18:00 Uhr. Wir hoffen, dass alles klappt. Hier ist der Link. Viel Vergnügen und auch sonst ein schönes Wochenende.

„Das Zeitalter der Idiotie – Wie Europa seine Zukunft verspielt“ von Ramon Schack – Rezension

Der Titel des hier zu besprechenden Buches sprach mich ad hoc an. Und wer in den letzten Jahrzehnten wach durchs Leben gegangen ist, dem müsste es genauso ergehen. Heißt: Wer noch selbst zu denken pflegt und sich nicht von vielen Medien – welche heute statt Journalismus fast nur noch Propaganda liefern – hat weit hinter die Fichte führen lassen.

Der Titel „Das Zeitalter der Idiotie“ hätte besser nicht gewählt werden sein können. Sagt er doch alles!

Die Wahl des Titels wurde durch ein Interview inspiriert, das Ramon Schack mit Peter Scholl-Latour führte

Dazu der Autor Ramon Schack im Vorwort zum Buch: «Diese Titelwahl wurde inspiriert von einem Interview, welches ich mit Peter Scholl-Latour anlässlich seines neunzigsten und letzten Geburtstages geführt habe. Das war am 9. März 2014.

Dieser große Chronist eines Zeitalters sagte damals: „Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung.“ Und weiter meinte er, und das gab dem Interview eine beklemmende Aktualität: „Wenn Sie sich einmal anschauen, wie einseitig die hiesigen Medien, von taz bis Welt über die Ereignisse in der Ukraine berichten, dann kann man wirklich von einer Desinformation im großen Stil sprechen, flankiert von den technischen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters, dann kann man nur feststellen, die Globalisierung hat in der Medienwelt zu einer betrüblichen Provinzialisierung geführt. Ähnliches fand und findet ja bezüglich Syrien und anderen Krisenherden statt.“« Anbei: Interview von Ramon Schack mit Peter Scholl-Latour via Telepolis.

Inzwischen wurde alles noch schlimmer

Ja, dass war schon damals fürchterlich. Und jetzt ist es in Sachen Ukraine noch viel schlimmer geworden. Erst recht im derzeitigen Gaza-Krieg. Da müssen wir von einem „Glossar Berichterstattung Nahostkonflikt. Zur internen Nutzung“ lesen, das dieser Tage den NachDenkSeiten zugespielt worden war: 44 Seiten Sprachregelung der ARD zum Nahostkonflikt – ein unglaublicher Skandal“. Unfassbar. Empörend. Eine Anleitung, wie man zu berichten hat! Es geht also immer noch schlimmer! Peter Scholl-Latour ist dergleichen gottlob erspart geblieben.

Ramon Schack – zuletzt mit Scholl-Latour befreundet – schaute sich vieles von ihm ab

Apropos Peter Scholl-Latour. Der Journalist und Politikwissenschaftler Ramon Schack schreibt in seinem Buch „Begegnungen mit Peter Scholl-Latour“, dass er den großen Journalisten vor vielen Jahren zufällig getroffen hatte und mit ihm ins Gespräch gekommen war. Wenn ich ehrlich bin, beneide ich Schack um dessen persönliche Begegnung mit Peter Scholl-Latour. Von ihrer ersten Begegnung hatten sich beide über die Jahre – bis nahezu zum Tode Scholl-Latours im Jahre 2014 – immer wieder getroffen. Aus der Begegnung erwuchs ein beruflicher Kontakt, eine gute Bekanntschaft und später sogar eine Freundschaft.

Um die Welt zu verstehen, muss man sie auch kennen, sie gesehen und mit den Menschen gesprochen haben

Der Verlag schreibt: «Ramon Schack hat seinerzeit mit Scholl-Latour Gespräche geführt und sich vieles bei ihm abgeschaut. Vor allem aber lernte er von ihm: „Um die Welt zu verstehen, muss man sie auch kennen, sie gesehen und mit den Menschen gesprochen haben. Das ist das A und O des aufklärenden Journalismus. Heutzutage bilden sich Meinungsmacher in der Regel ihre Vorurteile aus den Ansichten anderer. Sie kennen das World Wide Web und meinen, das sei die Welt. Es ist nicht mehr üblich, vor Ort zu recherchieren und zu beschreiben, was dort geschieht.«

Diese Journalisten nennt der Journalist und Autor Patrik Baab „Sitzjournalisten“. Wie treffend!

Zugleich fühlen sich die meisten dieser Schreiberlinge einem fragwürdigen „Haltungsjournalismus“ verpflichtet. (Was wohl bemerkt nicht heißen soll, dass man als Journalist keine Haltung haben soll.)

Diese Art Journalisten haben sich eine Weltanschauung zusammengebastelt, ohne die Welt – wohl in den meisten Fällen – wirklich angeschaut zu haben. Als Vierte Gewalt agieren viele deutsche Medien im Grunde genommen gar nicht mehr.

Ramon Schack zitiert aus einer Aussage von Sabina Lietzmann (1919-1995), der ehemaligen Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: «Den >Gesinnungsjournalismus> bezeichne ich auch als >Müll-Journalismus> nach dem Motto. >Wir wühlen einfach so lange im Müll der anderen, bis wir etwas Verwertbares finden.> Ich betrachte diese Art von Journalismus – neben der Werbung und der Statistik – als die dritte legal betriebene Variante der großen gesellschaftlichen Lügen unserer Zeit. Sie ist jedoch auch die gefährlichste, weil Gesinnungsjournalismus zu einem Machtinstrument geworden ist.« (S.13)

Ramon Schack hat die Welt angeschaut und vermittelt uns ein wahrhaftiges Bild von Ländern und Leuten

Die Welt anzuschauen! Ramon Schack hat das im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen getan. Einige der dabei entstandenen Reportagen sind in diesem lesenswerten und interessantem Buch versammelt.

Schack hat keinen ideologisch vorgefertigten, betonierten Blick auf die Welt. Er schaut vor Ort genau hin. Und er spricht dort mit den Menschen. Seine journalistische Neugier ist erfrischend, weil seine Leser daran teilhaben und letztlich davon profitieren können. So vermittelt er uns wahrhaftiges Bild von Ländern und Leuten. Und er geht seine Reportagen ohne Vorurteile an und indem er sich bemüht, Menschen in ihren Lebenslagen zu verstehen und dementsprechend zu zeichnen.

Für uns Leser ist das wohltuend. Zudem lernen wir so manches dazu. Das tut auch der Autor. Er betätigt sich nicht als Besserwisser aus dem Westen, der die einzig wahre Formel zu glauben besitzt, nach der Menschen auf anderen Kontinenten und in anderen Ländern selig zu machen wären.

Das ist angenehm, weil es davon viel zu wenig bis nichts mehr gibt im derzeitigen Journalismus im „Zeitalter der Massenverblödung“, von welchem Schacks Vorbild Scholl-Latour einst schrieb. Ja, Schack hält sogar das alte Spiegel-Motto hoch, das dessen Gründer Rudolf Augstein postuliert hatte, nämlich „Sagen, was ist“, welches das einst als „Sturmgeschütz der Demokratie“ bezeichnete Nachrichtenmagazin allerdings selbst längst mit Füßen tritt.

Die EU hat die Chance verspielt, als Kontinent des Ausgleichs und der Stabilität zu wirken“

Ramon Schack hat richtig erkannt: „Europa ist heute von schwelenden und offenen geopolitischen Konflikten umrundet – von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten, dem West-Balkan, dem Südkaukasus und der Ukraine. Dazu die Konfrontation mit Russland und wachsend zur Volksrepublik China. Die EU hat die Chance verspielt, als Kontinent des Ausgleichs und der Stabilität zu wirken.“ (S.11)

Schack moniert, dass es Brüssel nicht hinbekam, sich als eigenständiger Akteur zu positionieren. Was es aber seiner Meinung nach gemusst hätte.

Wir merken es doch alle: Stattdessen erleben wir die EU (und besonders Deutschland) als Vasall Washingtons.

„Auch“, streicht Ramon Schack heraus, „wurde die Welt nicht «westlicher« oder «demokratischer«. Stattdessen vermehrten sich die gescheiterten Staaten («failed states«), das Modell des Westens wurde (und wird) immer unattraktiver und inzwischen selbst in seinen Kernländern von den eigenen Bürgern zunehmend in Frage gestellt.“

Schack weiter treffend: „Es besteht zudem kein Zweifel, dass seit Beginn des Bürgerkrieges in der Ukraine 2014, insbesondere aber seit dem Februar 2022, in den etablierten Medien des Westens eine Einseitigkeit vorherrscht, welche vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen ist.“

Nicht zuletzt wird via Ramon Schacks Reportagen auch klar, dass die Menschen in anderen Ländern kaum etwas mit besonders von unserer, m.E. völlig fehl besetzten Außenministerin Baerbock, gebrauchten Begriffen wie „wertegeleitete Außenpolitik“ und „feministische Außenpolitik“ anfangen können.

„In der Tat: Wenn Journalisten darum eifern, die blödsinnigen, leichtfertigen und gefährlichen Äußerungen der höchsten Diplomatin der Republik zu verteidigen anstatt kritisch nachzufragen, dann wird dieses Machtinstrument sichtbar“, schreibt Schack. (S.14)

Schack gelingt es zu erläutern, weshalb wir in diesem Zeitalter der Idiotie leben

Basierend auf seinen Reisen, die Schack „in den vergangenen Jahren an die entferntesten und unterschiedlichsten Schauplätze der Welt geführt haben, auf fünf Kontinenten, flankiert von Beobachtungen, Begegnungen und Analysen im Alltag“, gelingt es ihm meines Erachtens, (…) „zu erläutern, weshalb wir in diesem Zeitalter der Idiotie leben – vor allem aber, weshalb wir aus diesem wieder herauskommen müssen“.

Schack: „Indem ich meine, die Welt so zu beschreiben, wie sie ist, kritisiere ich natürlich jene, die sie so darstellen, wie sie ihrer Meinung nach wäre. Und die sich dann wundern, wenn jene, die ihre Arbeit rezipieren, sich darüber erregen, dass die Realität und Widerspiegelung dieser vermeintlichen Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Woran mag das wohl liegen?“ (S.15)

Reportagen, die in den Jahren 2014 bis 2023 entstanden sind, sind im Buch versammelt

Das Buch hebt mit Reportagen über Sri Lanka (Juli 2023) an, führt uns nach Kasachstan (Juni 2023), Ägypten (Februar 2023), Europa und Asien – Vom Nordirak nach Niedersachsen – (Dezember 2018 bis Oktober 2022), erzählt von einem „Besuch in Bad Oldesloe“ (Mai 2022), berichtet über „Weihnachten bei den Peschmerga“ Irak, Dezember 2018), Indonesien (Mai 2019), Malaysia (Juli 2019), Neuseeland (Mai 2018), Ecuador (Dezember 2017), El Salvador (Oktober 2017), Cleveland/Ohio (Juni 2017), Iran (Juli 2016), Äthiopien (Dezember 2014), Peking, Moskau, Ulan Ude und Irkutsk (Sommer 2014) und schließt mit einer Reportage im Südkaukasus (Armenien und Aserbaidschan, April 2014).

Durch die Bank sind alle Reportagen hochinteressant. Ramon Schack hat mit Passanten und Zufallsbekanntschaften unterwegs oder mit Taxifahrern oder Ladenbesitzern gesprochen und ihnen manch interessante Äußerung oder Erzählung entlockt. Wir erfahren, welche Ansichten die Menschen haben oder welche Erfahrungen sie in ihrem Leben gemacht haben. Wir lesen darüber, wie sich Ländern im Vergleich zu früheren Aufenthalten Schacks dort entwickelt haben.

Und Schacks Reportage fördern auch zutage, wie man in anderen Erdteilen unseren eigenen Kontinent Europa wahrnimmt.

Aufklärender Journalismus vom Feinsten! So etwas müssen wir heute regelrecht mit der Lupe suchen. Bei Ramon Schack finden wir ihn!

Interessante Analysen im Epilog und eine offerierte Lösung dafür, sich aus der Idiotie zu befreien

Im nicht weniger interessantem Epilog zu seinem Buch erinnert Schack u.a. an John Carey, von dem das 1996 erschienene Werk „Hass auf die Massen“ stammt. Carey habe die Auffassung vertreten, „dass durch die Alphabetisierung der Unterschichten die Kunst sich in den Elfenbeinturm zurückgezogen habe, um ihr Alleinstellungsmal zu betonten und zu bewahren“. (S.217)

Er habe damit auch den Beweis dafür geliefert, „dass die Arroganz der britischen Oberschicht jener Zeit ihren Widerhall auch in der Ideologie der extrem völkischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit in Europa fand“. Weiter: „Diese Tatsache wird in der zeitgenössischen (westlichen) Geschichtsschreibung konsequent ignoriert oder verleugnet.“

Haben also „die heutigen Eliten in der westlichen Welt eventuell ebenfalls gewisse Vorbehalte gegenüber der Aufklärung der Massen“, fragt sich Schack.

„Wir wissen ja: Die öffentliche Meinung ist die veröffentlichte Meinung.“

Es folgt eine bedenkenswerte Analyse von welt- und innenpolitischer Erscheinungen in den vergangenen Jahren.

Am Beispiel von Besuchen von Bundeskanzler etwa in Südamerika, um Rohstoffe für die Energiewende zu beschaffen, welche durch Großkonflikte mit Russland und China (durch Berlin selbst verschuldet) ausfallen und ersetzt werden müssen. Schack: „Die Erfahrungen und Rahmenbedingungen, welche den Besuch des deutschen Kanzlers begleiteten, waren Ausdruck einer Idiotie, mit der die Eliten Europas und des transatlantischen Westens operieren.“ (S.224)

Ramon Schack zitiert Außenministerin Baerbock, wie während ihres Besuches in Washington äußerte: «Als Europäer haben wir keine stärkeren Partner als die USA.« Ramon Schacks richtige Beurteilung ihres Sagers: „Da sieht man gleich, wer Koch, wer Kellner ist.“

Die BRICS-Staaten hätten ihrer jeweiligen Erklärung deutlich gemacht, „dass die vom Westen propagierten strategischen Entwürfe, welche unter die Begriffe «Regelbasierte Ordnung« oder «Werteorientierte Außenpolitik« fallen, als das erkannt wurden, was diese sind – nämlich Instrumente zur Aufrechterhaltung der westlichen Hegemonie. Darum werden sie abgelehnt.“

Auch hier wieder spricht Ramon Schack aus, was ist: „Das Zeitalter, in dem Europa der Welt Befehle erteilen konnte, ist schon lange vorbei. Auch die Epoche, wo der Schulterschluss Brüssels mit Washington Sicherheit und Stabilität für den altehrwürdigen Kontinent verhieß, sofern das denn jemals der Fall gewesen sein sollte.“

Genauer: „In den geopolitischen Instituten von Hanoi, Vientiane und Phnom Penh wird die EU kaum noch als eigenständiger weltpolitischer Akteur wahrgenommen, sondern nur noch als Werkzeug Washingtons.“

Was Politiker sich nicht zu sagen wagen, bringt Ramon Schack auf folgende Formel: „Es ist höchste Zeit, dass sich Europa außen- und verteidigungspolitisch von den USA emanzipiert, um den neuen globalen Realitäten und Kräfteverhältnissen gerecht werden zu können. Nur so könnte auch die Idiotie, die unser Zeitalter belastet, überwunden werden.“

Welcher Mensch, der nüchtern und überlegt denkt, würde das bestreiten?

Sehen wir Anhaltspunkte, dass das passieren könnte? Derzeit leider nicht. Der Westen läuft mit sturem Kopf immer wieder gegen Wände.

Ein Weiter-so wäre nicht nur idiotisch, wenn nicht gar selbstmörderisch. Europa verspielt nämlich seine Zukunft. Tacheles geredet: Wir drohen abzusandeln.

Mein Resümee: Ein wichtiges Buch, worin gesagt wird, was ist. Unbedingte Leseempfehlung. Weitersagen!

Ramon Schack

Das Zeitalter der Idiotie

Wie Europa seine Zukunft verspielt

234 Seiten, 12,5 x 21 cm, broschiert
mit Abbildungen

sofort lieferbar

Buch 18,– €

ISBN 978-3-360-02813-6

Ramon Schack

Ramon Schack, Jahrgang 1971, geboren in Kiel, aufgewachsen in Bad Oldesloe, Studium in Hamburg (Politische Wissenschaft und Osteuropastudien). Nach längerem Aufenthalt in London seit 2003 freier Journalist in Berlin, schreibt u. a. für die Neue Zürcher Zeitung, Die Welt, Süddeutsche Zeitung, Berliner Zeitung, neues deutschland, Handelsblatt, Financial Times Deutschland, Das Parlament und den Tages-Anzeiger etc., seit 2018 moderiert er den Video-Podcast Impulsiv TV.

»Das Zeitalter der Idiotie. Wie Europa seine Zukunft verspielt« erscheint im Verlag edition ost, einem Imprint der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

Zum Buch

Peter Scholl-Latour, der Altmeister der journalistischen Reportage, lieferte vor etwa zehn Jahren den Titel für dieses Buch. Der umtriebige, weltläufige Reporter mit dem klaren analytischen Blick ist lange tot, das von ihm so bezeichnete Zeitalter jedoch noch nicht vergangen. Im Gegenteil.

Ramon Schack hat seinerzeit mit Scholl-Latour Gespräche geführt und sich vieles bei ihm abgeschaut. Vor allem aber lernte er von ihm: Um die Welt zu verstehen, muss man sie auch kennen, sie gesehen und mit den Menschen gesprochen haben. Das ist das A und O des aufklärenden Journalismus. Heutzutage bilden sich Meinungsmacher in der Regel ihre Vorurteile aus den Ansichten anderer. Sie kennen das World Wide Web und meinen, das sei die Welt. Es ist nicht mehr üblich, vor Ort zu recherchieren und zu beschreiben, was dort geschieht.

Schack hingegen tut es. Seine hier versammelten Reportagen von allen Erdteilen offenbaren zum einen, wie man dort unseren Kontinent Europa wahrnimmt. Zum anderen: Der Westen hinterließ vielerorts materielle wie moralische Trümmer beim Missionieren. Und darum ist sein Wirtschafts- und Lebensmodell für viele Länder zunehmend uninteressanter. Sie suchen nach neuen Wegen und lassen dabei nicht nur Europa links liegen. Schack hat sie dabei beobachtet.

Ramon Schack liest aus seinem Buch.

„Die Opfer zählen nicht“ – Fesselnder Roman von KJ Weiss. Rezension

In der Danksagung am Ende ihres Buches „Die Opfer zählen nicht“ schreibt Autorin KJ Weiss (Karin Franke): „Mein erster Zukunftsroman!“

Liest man jedoch diesen Roman, so beschleicht einen recht bald das Gefühl, dass wir uns mindestens schon sehr nahe – auf erschreckende Weise seit mindestens drei Jahren – in der Einlaufphase zu dieser im Buch dargestellten Zukunft befinden. Dem Roman ist nicht umsonst folgender Satz vorangestellt: „In nicht allzu ferner Zukunft“

Klug, diese Gesellschaftskritik in einem Roman zu verpacken, anstatt das in einem Sachbuch zu tun

Und wir verstehen aber freilich zugleich auch, warum die Autorin ihren Roman in der Zukunft angesiedelt hat.

Überhaupt ist es ja klug Gesellschaftskritik, die nicht zuletzt auf die Gegenwart zielt, in einem Roman – also fiktional: „Diese Geschichte“, lesen wir dann auch an dessen Ende, „ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt“ – zu äußern, anstatt das in einem Sachbuch zu tun. Was womöglich der Cancel Culture, die leider heutzutage grassiert, zum Opfer fallen könnte.

Apropos Zukunft! Wir haben derzeit die schlechteste Bundesregierung seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Gleichfalls einen Journalismus, welcher auf den Hund gekommen ist. Der vielfach nur noch Propaganda statt Journalismus hervorbringt. Und wir erleben Medien und Presseorgane, welche freiwillige Selbstgleichschaltung betreiben und sich somit letztlich ad absurdum führen. Das ist eine Tatsache. Wir können es jeden Tag erleben.

Die Protagonistin des Romans

Die Protagonistin des Romans ist die Lehrerin Elora Keller, verheiratet, Mutter zweier Söhne. Elora Keller, Elli genannt, lebt mit Mann und Hund Nelly in einem Einfamilienhaus. Man ist relativ gut situiert.

Ein schreckliches Ereignis verändert das Leben von Elli einschneidend

Ein schreckliches Ereignis in der Schule verändert Ellis Leben einschneidend. Ein kleiner Junge, der sich erst noch vor dem Unterricht mit einem anderem Jungen um ein Spielzeugauto gebalgt hatte, schwächelt plötzlich als gefrühstückt werden soll. Leon, wie der Junge heißt, wird zu einem Hausarzt in der Nähe gebracht. Es stellt sich heraus, dass Leon frühmorgens im Keller seines Wohnhauses von einer Ratte gebissen worden war. Der Arzt lässt ihn ins Krankenhaus bringen, wo sich sein Zustand rapide verschlechtert.

«Eine Krankenschwester gefolgt von einem Arzt trat ein. (…) Beide beobachten den Arzt, der den Kleinen gründlich untersuchte. „Es hat keinen Zweck“, gab er schließlich zu. „Die Mittel wirken nicht.“

„Gibt es denn gar nichts, was Sie tun können?“, fragte Elli ohne große Hoffnung. Er schüttelte den Kopf. „Der Sterbeprozess hat begonnen. Wir können ihm den Übergang nur erleichtern.“

Der Junge verstirbt. Ein Schock für Elli.« (S.17)

Leon bleibt nicht der letzte Mensch, welcher nach einem Rattenbiss verstirbt.

Fragen stellen sich

Fragen stellen sich: Warum wirkt bei den von den Nagetieren gebissenen Menschen keine medizinische Behandlung? Wird die Rattenpopulation vor Ort zunehmend aggressiver? Aber es gibt auch Erklärungsversuche aus Ellis Umfeld. Fanden diese Rattenangriffe nicht in der Nordstadt statt, einem sozialen Brennpunkt? Da wohnten doch zahlreiche Migranten, Sozialhilfeempfänger, Alkoholiker und Drogenabhängige. Leute auch, die nicht selten alles vermüllten, gar Unrat vom Fenster auf die Straßen warfen. Weggeworfene Lebensmittelreste in der Umgebung. Na also! Zog all das nicht die Ratten an?

Elli ist getrieben den Dingen auf den Grund zu gehen

Elli beginnt eine Phobie zu entwickeln. Ohne Tierabwehrspray geht sie nicht mehr aus dem Haus.

Sie ist getrieben, der Sache auf den Grund zu gehen. Nicht zuletzt, weil von öffentlicher Seite erst nichts und dann viel zu wenig geschieht. Auch versagen die Medien. Will man die offenbar bedrohliche Entwicklung unter der Decke halten? Warum? So beginnt sie auf eigene Faust nachzuforschen.

Von ihrem Mann kann sie keine Hilfe erwarten. Er ist angepasst. Seine Devise: Bloß nicht anecken. Auch Elli lief jahrelang mit und hinterfragte das System nicht sonderlich. Immerhin hatte sie sich – als sie noch an einem Gymnasium gearbeitet hatte – einmal in einer für die Gesellschaft wichtigen Sache kritisch aus dem Fenster gelehnt. Dabei hatte sie sich die Finger verbrannt. Und geändert an der angesprochenen Misere hatte sich auch nichts.

Im Freundeskreis hat sie es hauptsächlich mit Menschen zu tun, die mit sich selbst beschäftigt sind. Man kennt ja auch selbst solche Mitmenschen, die partout und noch nicht einmal Traum daran denken, Veränderungen anzustoßen und sich dementsprechend zu engagieren. Deren bequeme Sicht: Man kann doch eh nichts ändern.

Obwohl sich ihre Recherche zunehmend auf ihr Privatleben und sogar ihre Ehe auswirkt, muss sie entscheiden, ob sie den Weg zur Aufklärung weitergehen will. Trotz ab und zu in ihr hochkommendem Zweifel fährt sie in ihrem engagierten Tun mutig fort. Was sie ihrem Mann verschweigt. Denn er würde sowieso nicht hinter ihr stehen.

Obgleich allmählich Licht ins Dunkle gebracht werden kann, werden ihr und den wenige Mitstreitern von öffentlicher Seite gleichzeitig immer wieder Steine in den Weg gelegt. Aber es kommt weitaus noch wesentlich schlimmer. Sodass ihre ursprüngliche Überzeugung, noch in einer Demokratie zu leben, wie eine Seifenblase zerplatzt.

Was ihr erst dadurch in Konsequenz aufgegangen ist, weil sie sich durch den schrecklichen Vorfall mit kleinen Leon und der damit verbundenen unmittelbaren persönlichen Betroffenheit dazu aufgerufen sieht, sich zu engagieren und querzustellen.

Mehr soll hier nicht verraten werden. Wir lesen eine spannend erzählte Geschichte. Die sich immer mehr hochschraubt und zuspitzt. Die im Roman vorkommenden Charaktere sind von der Autorin klar und aussagekräftig, auch betreffs ihrer sozialen Lage und psychischen Verfassung gezeichnet. Ihre jeweiligen Lebenswelten, in welche sie durch die gesellschaftlichen Umstände geworfen sind, treten deutlich zutage. In der Gesamtschau wird eine zusehends in arm und reich gespaltene Gesellschaft erkennbar, deren dunklen Seiten offenbar von Politik und auch von Medien entweder nur recht und schlecht übertüncht werden, beziehungsweise an deren aufploppenden Symptomen herumdoktert wird, indem sie allenfalls mit Pflästerchen überklebt werden oder weiße Salbe darüber geschmiert wird. Wenn gar nichts mehr hilft setzen die staatlichen Organe auf Repression. Was freilich alles nur noch schlimmer macht.

Jede gesellschaftliche Seite lebt sozusagen in ihrer Blase. Die einen meinen, es sei so alles gut. Weil sie sich aufgrund ihrer finanziellen Ausstattung privilegiert aussuchen können, wo sie leben.

Die andere Seite weiß, vielmehr spürt tagtäglich mehr oder weniger, dass es nicht so ist. Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sie dazu verdonnert da zu leben, wo sie leben (müssen).

Schaut man von oben wie aus einer Drohnenposition auf die Situation, wird deutlich, dass das nicht auf ewig gut gehen kann.

Im Roman ist die Nordstadt das Problemviertel. Wobei mir ein Abend mit dem Dortmunder Künstler Sascha Bisley einfällt, den ich vor einigen Jahren erlebte. Da wurde eine solche gesellschaftliche Spaltung am Beispiel Dortmund und des wirtschaftlichen Aufschwungs der Stadt verdeutlicht. Wo schon vor über 140 Jahren diese Spaltung sogar geradezu auch eine geografische gewesen war: Die Bahnschienen und der Bahnhof teilten die Stadt. Für das Bürgertum war ein Schritt über die Bahnschienen in die Nordstadt tabu. Diese trennten – so wurde es gesehen – die Stadt in gut und böse. Die Gleise schieden sie in sich anständig dünkende Menschen auf der einen Seite und in die Welt der vermeintliche Gauner und Vergewaltiger unschuldiger Bürgertöchter auf der anderen Seite. (1)

Ein Roman, der von der ersten bis zur letzten Zeile fesselt. Der Leser fiebert förmlich mit der Protagonistin mit. Und immer wieder zwischendurch stellen sich einem Fragen: Wie würde ich in so einer Situation handeln? Wegducken oder den Rücken gerade machen und handeln, auch wenn es Nachteile zur Folge hat?

Orientierung kann uns ein eingangs von der Autorin platziertes Zitat geben:

«Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen.«

Arthur Schopenhauer

Seien wir uns dessen bewusst: Wir leben schon jetzt nicht mehr in der besten aller Welten. Im Gegenteil. Wollen wir eine „nahe Zukunft“, wie sie uns KJ Weiss in ihrem Roman vor Augen führt?

Der Hoffnung der Autorin schließe ich mich an:

«So hoffe ich, einige der mittlerweile Zweifelnden und bisher noch Gutgläubigen zum Nachdenken anregen zu können, denn ich finde es wichtig, dass jeder, der bereits erkannt hat, was geschieht, auf seine Weise einen Beitrag für die Wahrheit leistet.«

Nebenbei bemerkt: Ich halte es durchaus für empfehlenswert auf Grundlage dieses Romans einen Fernsehfilm zu produzieren.

Kj Weiss

Die Opfer zählen nicht

Buch

  • BoD – Books on Demand, 09/2023
  • Einband: Kartoniert / Broschiert, Paperback
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 9783757881252
  • Bestellnummer: 11606227
  • Umfang: 394 Seiten
  • Gewicht: 570 g
  • Maße: 210 x 148 mm
  • Stärke: 28 mm
  • Erscheinungstermin: 19.9.2023

Zur Autorin

Es gibt so vieles, worüber sich zu schreiben lohnt! Unter dem Pseudonym KJ Weiss (2) veröffentlicht sie Einzelgeschichten, hauptsächlich in Romanform, aber mit kriminellen Aspekten, die im Vordergrund stehen. Dabei handelt es sich um in sich abgeschlossene Erzählungen. Die Karin-Franke-Bücher erscheinen als Krimireihen: Die Dortmund-Krimis: Zuerst als Student, später als Schriftsteller wird Alex ohne sein Zutun immer wieder in Verbrechen verwickelt. Die Ermittlungen führt er in seiner Heimatstadt. Die Richie-Krimis: Pastorenfrau Kathi und Geist Richie lösen gemeinsam Kriminalfälle. Sie wohnt mit ihrer Familie und Hund in Dortmund.

(2) https://karinfranke.jimdofree.com/

(1) https://clausstille.blog/2017/07/29/hinter-den-bahngleisen-in-dortmund-gott-an-der-gitarre-und-sascha-aus-bisleyland-nordstadt-pur/

„Das Erste Hilfe-Büchlein gegen Propaganda“ von Caitlin Johnstone. Rezension

Die kleine Streitschrift „Empört euch!“, welche Stéphane Hessel seinerzeit mit 93 Jahren vorlegte, bewegte die Welt. Inzwischen, scheint mir, ist es darum wieder stiller geworden. Dabei gibt es gegenwärtig weitaus mehr Grund zur Empörung wie zur Zeit da die Streitschrift erschien.

Und ja: nicht jeder Mensch hat die Zeit Gründe zu suchen, über die er sich empören könnte (müsste!) beziehungsweise findet den Mut dann tatsächlich zur Empörung zu schreiten. Ein Sprichwort sagt: «Unter jedem Dach wohnt ein Ach«. Will heißen: Jeder Mensch hat irgendwelche Probleme oder Sorgen, welche ihn naturgemäß zunächst selbst beschäftigen und somit binden. Dabei liegen eigentlich doch die Gründe, um sich zu empören auf der Hand!

Stéphane Hessel überschrieb ein Kapitel seiner Streitschrift so: «Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit«

Er gestand allerdings auch zu: „Die Gründe, sich zu empören, sind heutzutage oft nicht so klar auszumachen – die Welt ist zu komplex geworden. Wer befiehlt, wer entscheidet? Es ist nicht immer leicht, zwischen all den Einflüssen zu unterscheiden, denen wir ausgesetzt sind. Wir haben es nicht mehr nur mit einer kleinen Oberschicht zu tun, deren Tun und Treiben wir ohne weiteres verstehen.
Die Welt ist groß, wir spüren die Interdependenzen,
leben in Kreuz- und Querverbindungen wie noch nie. Um wahrzunehmen, dass es in dieser Welt auch unerträglich zugeht, muss man genau hinsehen, muss man suchen. Ich sage den Jungen: Wenn ihr sucht, werdet ihr finden. «Ohne mich» ist das Schlimmste, was man sich und der Welt antun kann.
Den «Ohne mich»-Typen ist eines der absolut konstitutiven Merkmale des Menschen abhanden gekommen: die Fähigkeit zur Empörung und damit zum Engagement.“

Und Hessel urteilte: „Am schlimmsten ist es, wenn man sagt: „Damit habe ich nichts zu tun. Das ist mir egal.«

Wer zu den «Ohne mich»-Typen gehört möge hier aufhören zu lesen und auch das hier zu rezensierende Buch von Caitlin Johnstone nicht in die Hand nehmen. Es könnte Sie verunsichern.

Sie entscheiden sich dann jedoch aus freien Stücken sozusagen hinter der Fichte zu bleiben, wo man Sie hin verleitet hat bzw. Sie selber – aus welchen Gründen auch immer – gingen und fanden, dass es für Sie gut sei.

Caitlin Johnstones „Erste-Hilfe Büchlein“ zur Unterstützung auf dem Weg zum Sapere aude

Wer jedoch frei nach Immanuel Kant wacker die Kraft aufbringen möchte, sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Der möge Johnstones „Erste-Hilfe Büchlein“ als Unterstützung auf dem Weg zur Umsetzung des Sapere aude – »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« zu nutzen.

Um nochmals Stéphane Hessel zu bemühen: „Wer befiehlt, wer entscheidet? Es ist nicht immer leicht, zwischen all den Einflüssen zu unterscheiden, denen wir ausgesetzt sind.“

Eben!

Über das Buch schreibt der Westend Verlag u.a.:

„Sind unsere Demokratien wirklich auf den Willen des Volkes ausgerichtet? Haben wir an der Wahlurne Gestaltungseinfluss, oder werden die wichtigen Entscheidungen nur noch durch Interessengruppen und Lobbys bestimmt?“

Können wir mittels unserer Demokratien – so sie wirklich welche im Sinne der Definition von Demokratie sind und nicht schon längst Postdemokratien (nach Colin Crouch) oder gar nur mehr noch manipulierte Fassadendemokratien sind – tatsächlich via Gang an die Wahlurnen alle vier Jahre etwas zum Wohle einer breiten Gesellschaft bewirken? Es mehrt sich die Anzahl der Menschen, welche diese Fragen inzwischen mit einem Nein beantworten. Sie wechseln aus Frust, Wut sowie aus Mangel an Alternativen die AfD, die allerdings auch keine ist, oder ins Lager der Nichtwähler. Die Parteifarben wechseln – die Politik bleibt dieselbe bzw. verschlimmert sich gar noch. Wie wir es durch das unsägliche Agieren der derzeitigen, schlechtesten Bundesregierung seit Gründung der BRD im Jahr 1949, bitter erfahren müssen.

Wo bleibt der große Aufschrei?

Warum kommt es nicht zum großen Aufschrei, der im Endeffekt imstande ist eine wirkliche Zeitenwende auszulösen? Ganz einfach: Weil wir nicht nur hierzulande sondern weltweit mittels geschickter Desinfornation hinter die Fichte geführt und via ausgeklügelter Propaganda bei der Stange und auf den Geleisen gehalten werden, die die Mächtigen für die breite Masse vorgesehen und ausgelegt haben und weiter auslegen? Allerdings zeichnet sich bei klar und vernünftig denkenden Menschen ab, dass – springen wir nicht ab – der Zug hart gegen die Wand fahren wird.

Da kommen wir der Sache schon näher.

Johnstone: „Westliche Nachrichtenmedien existieren, um Propaganda zu verbreiten“

Die wohl meisten Menschen unterliegen dem Irrtum, dass unsere westlichen Nachrichtenmedien ordentliche, nach journalistischen Maßstäben geprüfte und wahre Informationen verbreiten, auf die wir uns getrost verlassen können.

Diese Nachrichtenmedien beziehen jedoch in der Regel ihre Information über die wenigen Nachrichtenagenturen. Wenn man betrachtet, wem diese gehören bzw. von wem diese abhängig sind, muss man das von ihnen verbreitete Nachrichtenmaterial auch danach gewichten und entsprechend bewerten. Johnstone behauptet im ersten Kapitel: „Westliche Nachrichtenmedien existieren, um Propaganda zu verbreiten“

Propaganda machen nur andere. Dabei in der Mehrheit der Fälle „der Anruf aus dem eigenen Haus kam“

Das sei das „am meisten übersehene und unterschätzte Phänomen in unserer Gesellschaft“, speziell die Art und Weise wie „einheimische Propaganda dazu benutzt wird“, um „die Wahrnehmung und das Denken der westlichen Bevölkerung über ihre Welt zu formen“.

Wir nehmen das nicht als Propaganda wahr. Denn man macht uns weis, dass nur andere Länder dieses Mittel gegenüber ihren Bevölkerungen benutzen oder Teil ausländischer Beeinflussungsoperationen sind. Dabei sei in der Mehrheit der Fälle, in welchen wir in unserem täglichen Leben Propaganda erlebt hätten, so, dass „der Anruf aus dem eigenen Haus kam“.

Und Johnston belegt das mit Beispielen. Wenn das also so ist, dann verbreiten auch unsere Radio- und Fernsehnachrichten Propaganda, denn sie übernehmen heute – in immer größerem Ausmaß Meldungen von den wenigen einschlägigen Nachrichtenagenturen. Diese werden etwas zurechtgeschustert und dann in den Nachrichtensendungen oder Zeitungs- und Internetartikel der einzelnen Medien verwendet. Die Rezipienten nehmen das in der Regel gar nicht als Agenturmaterial wahr.

Als besonders negatives Beispiel nennt die Autorin darüber hinaus noch das sogenannte Recherchenetzwerk Bellingcat, eine, wie sie schreibt imperiale Propagandafirma (vom Imperium finanziert). Elon Musk habe diese Firma beschuldigt „Pyops“, psychologische Kriegsführung zu betreiben. Johnstone nennt Aaron Maté, welcher für The Grayzone erklärt habe, dass diese Anschuldigung „völlig angemessen und richtig ist“.

„Bellingcat wird von westlichen Regierungen dafür bezahlt, das Informationssystem-Ökosystem so zu manipulieren, dass es den Interessen des westlichen Imperiums dient, was genau das ist, was psychologische Kriegsführung ausmacht.“ Dies halte Massenmedien, so Caitlin Johnstone, welche Bellingcat häufig zitieren, nicht davon ab die Institution zu verteidigen.

Das verdeckte Imperium der USA

Kurz vor seinem Tod habe Daniel Ellsberg gesagt, dass die USA ein «verdecktes Imperium« betreiben. Johnstone hält das „für eine herausragende Art, auszudrücken, wie ein riesiger, weltumspannender Haufen von Nationen sich konsequent im Einklang mit dem Diktat Washingtons bewegt, wobei aber alle diese Nationen ihre offiziellen Flaggen und ihre offiziellen Regierungen behalten und das Ganze auf diese Weise nicht wie ein Imperium aussehen lassen, obwohl es in jeder Hinsicht wie eines funktioniert.“

Das ließe sich schon daran ablesen, „dass alle einflussreichen Medienplattformen im Besitz extrem reicher Leuten sind, deren Interesse darin bestehe, unsere Aufmerksamkeit auf Kulturkämpfe und Wahlen umzulenken, um uns von Klassenkämpfen und Protesten fernzuhalten“. Dieser Tatsache schenkten wir „wirklich nicht genug Aufmerksamkeit“, merkt die Autorin an.

Unter 4. schreibt die Autorin: „Das Dümmste, was uns das zentralisierte US-Imperium glauben machen will, ist, dass die militärische Einkreisung seiner beiden größten geopolitischen Rivalen eine Verteidigungsmaßnahme und kein Akt extremer Aggression ist.“ Unschwer werden Sie, liebe Leser, erkennen, dass es dabei um Russland und die VR China geht.

Caitlin Johnstone: „Die Manipulatoren, die über uns herrschen, verlangen von uns, dass wir viele wirklich unsinnige Geschichten glauben, aber ich denke, dass diese hier den Vogel abschießen könnte.“

15 Gründe, aus denen Mitarbeiter der Massenmedien wie Propagandisten handeln“

Johnstone nennt da zunächst einmal die Medienbesitzer. Deren Medien in der Regel „unter Kontrolle von Plutokraten sind, deren Reichtum und Macht auf dem Status quo beruhen, von dem sie profitieren“.

Dazu passen wiederum Journalisten, die heutzutage aus renommierten Universitäten bzw. Elternhäusern kommen – so gut wie nicht mehr aus unteren gesellschaftlichen Schichten stammen -, was sie letztlich schon so denken lässt wie die Eliten. Es dürfte also tatsächlich nicht so sein, dass irgendwer ihnen sagt, was und wie sie schreiben sollen.

Caitlin Johnson erwähnt einen statt gehabten Disput von einem britischen Journalisten mit Noam Chomsky. Der Journalist entgegnete Chomsky: «Woher wollen Sie wissen, dass ich mich selbst zensiere?“«

Chomsky darauf: «Ich sage nicht, dass Sie sich selbst zensieren. Ich bin sicher, Sie glauben alles, was Sie sagen. Aber ich sage, wenn Sie etwas anderes glauben würden, säßen Sie nicht hier.«

Johnstone zitiert aus einem 1997 von Chomsky verfassten Aufsatz, in welchem er hinzugefügt hatte: «Der Punkt ist, dass sie nicht dort wären, wenn Sie nicht schon bewiesen hätten, dass Ihnen niemand sagen muss, was sie schreiben sollen, weil sie sowieso das Richtige sagen werden.«

Lieber Leser, nun brechen Sie das einmal herunter, auf das, was Sie mitunter etwa in bei Interviews von Politikern in ARD und ZDF erleben.

Dazu passt III. «Journalisten lernen das Gruppendenken der Etablierten, ohne dass es ihnen gesagt werden muss«

In IV heißt es dann in logische Konsequenz: «Mitarbeiter der Massenmedien, die sich dem Gruppendenken nicht fügen, werden zermürbt und hinausgedrängt«

Andere „Mitarbeiter der Massenmedien, die zu weit aus der Reihe tanzen, werden entlassen“, lesen wir dann in V.

Daraus ergibt sich schon selbst, was Johnstone unter VI aufgeschrieben hat: «Angestellte der Massenmedien, die sich dem Diktat anpassen, können ihre Karriere vorantreiben«

Des Weiteren sollten Journalisten, die an spezielle Geschichten und Informationen aus Politikkreisen kommen wollen, mit diesen nicht allzu kritisch umgehen, sonst ist da plötzlich der Zugang versperrt oder Einladungen zu bestimmten Veranstaltungen kommen nicht mehr.

Dann ist da noch der Einfluss der Think Tanks, der sogenannten Denkfabriken. Welche nicht selten für eine bestimmte Regierungspolitik oder für Rüstungskonzerne lobbyieren. All das beeinflusst Journalisten im Hintergrund oder sogar direkt, in dem ihnen Artikel zu speziellen Themen zur Veröffentlichung angeboten werden. Nicht zu unterschätzen ist auch das Wirken der Geheimdienste bis in die Redaktionen hinein. Johnstone schreibt: „Zu Carl Bernsteins Zeiten musste die CIA die Massenmedien noch heimlich infiltrieren; heute stellen die Massenmedien offen Geheimdienstinsider ein und lassen sie in ihren Reihen arbeiten.“

Nichts ist unmöglich: „Die Massenmedien lassen auch häufig «Experten« zu Wort kommen, die direkt beim militärisch-industriellen Komplex angestellt sind, ohne ihre Zuschauer jemals über deren massiven Interessenkonflikt aufzuklären.“

So rennt das, würden die Österreicher sagt. Wer da als Journalist nicht mitmacht, muss halt draußen bleiben oder sich einen schlecht oder gar nicht bezahlten Job bei einem Alternativmedium suchen, wenn er etwas veröffentlichen will, das vom Mainstream und der herrschende Politik nicht goutiert wird. Doch wer kann sich das schon leisten?

Und wir Zuschauer sind letztlich betrogen und hinters Licht geführt.

Caitlin Johnstone: «Das größte Problem der westlichen Linken ist, dass es sie nicht gibt«

Ich möchte nicht versäumen auf Kapitel 20 hinzuweisen. Gerade, weil die Partei DIE LINKE in Deutschland aktuell auf den Abgrund zusteuert. Aber es betrifft die Linke als Bewegung im Grunde weltweit. Die Autorin hat erkannt: «Das größte Problem der westlichen Linken ist, dass es sie nicht gibt« (S.124)

Johnstone: „Ich meine echte Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten, die den Kapitalismus und den Imperialismus ablehnten und die drastischen, revolutionären Veränderungen anstreben, die diese Zivilisation dringend braucht. Diejenigen, die verstehen, dass das System nicht kaputt und reparaturbedürftig ist, sondern genauso funktioniert, wie es beabsichtigt ist und vollständig auseinandergenommen werden muss.“

Dieses Buch sollte zwecks Aufklärung von möglichst vielen Menschen gelesen werden und ja: Als „Erste-Hilfe-Büchlein gegen Propaganda“ verstanden und diesbezüglich reichlich Anwendung finden.

Scheuen Sie nicht vor der Lektüre diese Büchleins zurück – auch wenn es wahrlich nicht vergnügungssteuerpflichtig ist, ja geradezu düster daherkommt.

Caitlin Johnston: „Eine effektivere totalitäre Dystopie als die, in der wir uns gerade befinden, kann man nicht entwerfen. Eine, in der jeder durch Propaganda einer Gehirnwäsche unterzogen wird, ohne es zu wissen, in der jeder genauso denkt, handelt, wählt und einkauft, wie seine Herrscher es wollen, und dabei denkt, er sei frei.“

Mit der Autorin des Büchleins stimme ich darin überein, dass wir „durchaus ein glückliches Leben führen (können), mit dem Bewusstsein, was in unserer Welt wirklich vor sich geht“.

Ihr Rat beschließt das Buch:

„Sie müssen nur aufhören zu versuchen, Ihr Glück und Ihre Zufriedenheit dort zu suchen wo unsere Bullshit-Kultur es uns beigebracht hat. Und dann finden Sie sie überall. Überall.“

Der Verlag lässt das Buch mit diesem Tipp enden:

Wir empfehlen zum Schluss: Einen Schnaps zur Verdauung. Hilft bekannterweise nicht, aber was wären wir ohne Illusionen!

Der Verlag dazu: Das Hinzufügen der augenzwinkernden Empfehlungen am Ende eines jeden Textes erfolgte mit ebensolcher Erlaubnis der Autorin.

Das Vorwort zur deutschen Ausgabe hat übrigens Rainer Mausfeld verfasst

Mausfeld lobt die australische Journalistin dafür, dass sie sich mit ihren mutigen und kämpferischen Arbeiten den Propagandisten dieser Welt entgegenstellt.

Ich mache mir Mausfelds letzten Satz zu eigen und unterstreiche ihn: „Lesen Sie gründlich und nehmen Sie diese klugen und scharfsinnigen Texte zum Anlass, mit verstärkter Wachsamkeit und neuer Lust auf Veränderung in die Welt zu treten.“

Über das Buch

Anhand messerscharfer Beobachtungen fühlt Caitlin Johnstone dem Zustand westlicher Gesellschaften auf den Zahn: Sind unsere Demokratien wirklich auf den Willen des Volkes ausgerichtet? Haben wir an der Wahlurne Gestaltungseinfluss, oder werden die wichtigen Entscheidungen nur noch durch Interessengruppen und Lobbys bestimmt? Werden wir von klein auf durch eine breit ausgerichtete Propaganda geformt, die es immer schwieriger macht, sich eine eigene Meinung zu bilden? Durch Johnstones schonungslose Analyse der Methoden und Auswirkungen von Propaganda wird klar: Wir müssen jetzt handeln, bevor es zu spät ist. In Zeiten von Fake News und einer Künstlichen Intelligenz, die jede Information fälschen und für die eigenen Zwecke verändern kann, müssen wir unbedingt unsere Fähigkeiten zum selbstständigen Denken zurückgewinnen!

Hier das Quellenverzeichnis zum Buch herunterladen.

Die Autorin

Caitlin Johnstone ist eine unabhängige Journalistin, die sich auf amerikanische Politik, Finanzen und Außenpolitik spezialisiert hat. Johnstone studierte Journalismus an der Royal Melbourne Institute of Technology. Auf ihrem Blog schreibt sie unermüdlich und furchtlos zu den wichtigen Themen der Zeit und liefert dort scharfsinnige wie scharfzüngige Analysen, die – da ausnahmslos durch ihre Leser finanziert – erfrischend unbeeinflusst von Staat und Industrie sind. Ihre Artikel wurden u. a. in Inquisitr, Zero Hedge, New York Observer, MintPress News, The Real News und International Policy Digest veröffentlicht. Johnstone lebt in Melbourne.

Das Erste Hilfe-Büchlein gegen Propaganda

Erscheinungstermin:04.09.2023
Seitenzahl:144
Ausstattung:Klappenbroschur
Artikelnummer:9783864894282

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Neue Studie der Deutschen Aidshilfe beweist: Nicht die Sexarbeit an sich ist ein Problem – es braucht bessere Arbeitsbedingungen!

BesD e. V. | Berufsverband Sexarbeit

11. April 2024/in Infos vom BesD, POLITIK, Pressemeldungen/von Lilli

Quelle: Pressemitteilung des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen vom 11.04.2024 (PDF-Version).


Donnerstag, 11. April 2024. In dem vom Gesundheitsministerium geförderten Forschungsprojekt untersuchte die Deutsche Aidshilfe die gesundheitlichen Bedarfe von Sexarbeiter*innen in Deutschland – die Ergebnisse wurden nun veröffentlicht: “Was brauchen Sexarbeiter*innen für ihre Gesundheit?”

Die Ergebnisse der Studie sind nicht nur für die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge bei Sexarbeiter*innen wichtig, sondern auch für die Arbeit an politischen Lösungen von großer Bedeutung.

Insbesondere zeigt die Studie die große Bandbreite von Sexarbeit sowie die unterschiedlichen Motivationen von Sexarbeitenden.

“Das Schubladendenken von in der Sexarbeit tätigen Menschen als entweder ‘unfreiwillige Prostituierte’ oder ‘selbstbestimmte Sexarbeiter*in’ wird deutlich als Trugschluss widerlegt. Die Studienergebnisse decken die Komplexität in der Sexarbeit auf und bestätigen somit die Notwendigkeit eines differenzierten Vorgehens in der Problembekämpfung.” (Kolja-André Nolte)

Der BesD begrüßt die partizipative Umsetzung der Studie, in deren Rahmen einer zentralen Forderung der Hurenbewegung – „Redet mit statt über uns“ – nachgekommen wurde: Endlich gibt es eine umfangreiche Untersuchung, die wissenschaftlichen Standards entspricht und Sexarbeitende mit einbezieht.

Positiv hervorzuheben ist außerdem die Auswahl und Diversität der Fokusgruppen.

Die Aidshilfe hat sich bewusst mit jenen Kolleg*innen beschäftigt, die unter teils prekären Bedingungen der Sexarbeit nachgehen und oftmals schwer zu erreichen sind. Es wurden unterschiedliche soziale und ethnische Herkünfte, sowie erstmals in dieser Größenordnung auch Sexarbeitende aller Geschlechter befragt.

Als Kernprobleme wurden von den Betroffenen Gewalterfahrungen und Angst vor Gewalt, finanzielle und existenzielle Not, psychische Belastung in Zusammenhang mit erlebter Stigmatisierung sowie Kriminalisierung und fehlende Legalität identifiziert.Die „elf Empfehlungen zur Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Gesundheitsbedingungen von Sexarbeiter*innen“ unterstützt unser Verband zu 100%.

Die Befragten bewertetem nicht ihre Tätigkeit – die Sexarbeit – als Problem; sie kritisierten aber die teilweise schlechten Bedingungen, unter denen sie arbeiten (müssen).

Die in der Studie beschriebene zunehmende Nachfrage nach Sex ohne Kondom kann der BesD leider bestätigen. Der Zwang zum illegalen Arbeiten sowie eine geringere Nachfrage führten insbesondere während der Corona-Arbeitsverbote dazu, dass auch Kundschaft und Wünsche angenommen werden mussten, die sonst abgelehnt werden. Dies belegt auch eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen: “Nordisches Modell auch in der Mitte Europas? – Auswirkung der Corona-Pandemie im Bereich der Prostitution”

Die Studie weist  nach, dass Illegalisierung sowie Stigmatisierung starke psychische Belastungen auslösen und somit gesundheitsschädigend sind.

Ebenfalls stellte sich heraus, dass Personen außerhalb des mann-männlichen Sexarbeitsspektrums über die Schutzmethoden PreP bzw. Pep nicht ausreichend aufgeklärt sind. Hintergrund sind zum einen die mangelnde Aufklärung und zum anderen die Frage der Kostenübernahme. Die Angebote werden hier nun verstärkt.

Die beiden untersuchten Sondergesetze sieht auch der BesD kritisch: Wir halten die Anmeldepflicht laut Prostituierten Schutz Gesetz für den falschen Ansatz, um Sexarbeitende zu schützen. Wir sprechen uns für eine vollständige Abschaffung der Sperrbezirksverordnungen sowie für eine Vereinfachung der baurechtlichen Genehmigungsverfahren für Prostitutionsstätten aus – es handelt sich dabei um sichere Arbeitsplätze.

 „Wir sehen in dieser Studie eine solide Basis, um die aufgeheizte Diskussion bezüglich neuer Regelungen und Gesetze für die Sexarbeit zu versachlichen.“ (Johanna Weber)


Ihr Kontakt für Nachfragen:
Politische Sprecherin | Johanna Weber | johanna.weber@besd-ev.de | 0151 – 1751 9771
Pressesprecher | Kolja-André Nolte | kolja.nolte@besd-ev.de | +49 1577 7555040

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Beitragsfoto/Repro: Prostituierte in der Dortmunder Linienstraße, gemalt von Bettina Brökelschen

Auf Kriegskurs: Bayern will Unis zur Militärforschung zwingen und Schüler per Gesetz indoktrinieren

Deutsches Bildungswesen auf Kriegskurs: Die bayerische Staatsregierung will die Schulen und Universitäten im Freistaat gesetzlich dazu verpflichten, mit der Bundeswehr und der NATO zu kooperieren. Das untergräbt die Lehrfreiheit und führt das politische Indoktrinationsverbot ad absurdum.

Von Susan Bonath

Deutschlands Kriegstreiber sind offenbar auf der Suche nach Kanonenfutter. Mit systematischer Indoktrination wollen sie Jugendliche fürs Militär begeistern. Bayerns Staatsregierung gibt mal wieder den Vorreiter: Ihr am Mittwoch in erster Lesung beratener Entwurf für ein „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ soll Bildungseinrichtungen zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und der NATO verpflichten sowie Hochschulen zu militärischer Forschung zwingen.

Das Vorhaben sei ein eklatanter Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit und treibe die Militarisierung der Gesellschaft voran, warnen Kritiker. Zudem hebele das Gesetz das politische Überwältigungsverbot gegenüber Schutzbefohlenen aus. Es verstoße damit gegen das Grundgesetz.

„Beitrag zur Zeitenwende“

Bayerns Staatsminister Florian Herrmann (CSU) freute sich zum Auftakt der Debatte darüber, „Rechtsgeschichte zu schreiben“. Der von seiner Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern (FW) eingebrachte Gesetzentwurf sei „unser Beitrag zur Zeitenwende“, frohlockte er. Als erstes Bundesland habe man so ein Gesetz initiiert, „um Soldaten bei der Bündnisverteidigung zu unterstützen“. Denn die Zeitenwende brauche Bewusstsein, so Herrmann.

Das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ soll Herrmann zufolge „die sicherheitspolitische Forschung erleichtern, die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft verankern und bürokratische Hürden reduzieren“.

Der Entwurf sieht nicht nur die Abschaffung, sondern sogar ein Verbot der sogenannten Zivilklausel vor. Darauf konnten sich Schulen und Universitäten freiwillig berufen, um militärische Angebote für Berufswerbung, „Unterricht“ durch Jugendoffiziere oder Forschungsaufträge abzulehnen.

Forschen für Kriegstreiber

Die bayerische Staatsregierung will laut dem Minister unter anderem „die Forschung für rein zivile Zwecke von vornherein gesetzlich ausschließen und Hochschulen zur Kooperation mit der Bundeswehr und der NATO verpflichten“. Denn das Militär sei auf Wissenstransfer und Ausbildung von Fachkräften angewiesen. Herrmann erläuterte:

„Das ist notwendig, wenn man sieht, welche hochmodernen Drohnen von bayrischen Unternehmen in Richtung Ukraine geschickt werden, und die Abhängigkeit und Notwendigkeit, in diesem Bereich topmoderne Produkte liefern zu können, ist ja mittlerweile völlig unbestritten.“

Politisch korrekt indoktrinieren

Überdies sagte Herrmann den politischen Gegnern seiner Partei den Kampf an. Diese dürften die Auftritte von Jugendoffizieren und militärische Berufsberatung in Schulen, wo Jugendliche am besten zu erreichen seien, nicht länger verhindern, betonte er. Seine Regierung werde

„der Gefahr begegnen, dass extreme politische Kräfte und Urheber von Desinformationskampagnen den Informationsbedarf junger Menschen für sich nutzen“.

Anders ausgedrückt: Es geht den Regierenden um die Deutungshoheit, frei nach dem Motto: Über die politischen Lehrinhalte eurer Bildung bestimmen wir und sonst niemand. Schüler sollen also per Gesetz politisch korrekt indoktriniert werden. Der Kriegskurs der Regierung benötigt willfährige Unterstützer.

Schwache Opposition

Die Freien Wähler stehen als Koalitionspartner freilich hinter dem Entwurf. Auch die SPD, die schon vor über 100 Jahren die Arbeiterklasse für die Interessen von Kriegstreibern verraten hatte, pflichtete dem bei. Die AfD hingegen will sich enthalten. Man stehe zwar an der Seite der Streitkräfte, hätte auch gern die Wehrpflicht zurück, sei aber gegen die Kriegstreiberei gegen Russland, bekundete AfD-Mann Dieter Arnold.

Die Grünen indes wetterten in bekannter Manier des nach dem Wind gedrehten Fähnchens: Der Entwurf sei unnötig, da Bayerns Schulen schon weitläufig mit der Bundeswehr kooperierten. Außerdem solle sich die Landesregierung stattdessen auf „echte Probleme im Freistaat“ konzentrieren.

Statt Schulen und Unis zu bevormunden, solle sie lieber dringend benötigte Wohnungen bauen, den Personalmangel in der Pflege bekämpfen sowie die Energiewende voranbringen, hieß es aus dieser Ecke. Insgesamt aber zeigte sich eine politische Opposition, die dieser Bezeichnung mal wieder nicht gerecht wird.

Linke: „Massiver Angriff auf die Freiheit der Forschung“

Das Gesetzesvorhaben rüttelte immerhin den bayerischen Landesverband der Linken wach. Die Partei hat sich selbst mittlerweile durch opportunistische Anbiederung an die Herrschenden ins politische Aus manövriert. Nun aber monierte sie: Die Hochschulen dürften nicht zur Kriegsforschung gezwungen werden. Weiter schrieb sie:

„Was die bayrische Staatsregierung hier vorgelegt hat, ist ein massiver Angriff auf die Freiheit der Forschung.“

Überdies werbe die Bundeswehr schon jetzt immer heftiger an vielen Schulen. Nun wolle die bayerische Staatsregierung auch jene Bildungseinrichtungen, die dies ablehnten, dazu verpflichten. Der Gesetzentwurf diene der Militarisierung. Stattdessen sei die Friedensforschung und Diplomatie zu stärken, so die Linke.

GEW: Verstoß gegen Grundgesetz

Gegen das Vorhaben der Kriegshardliner im Freistaat stellt sich auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaften (GEW). Sie wirft Bayerns Regierung vor, trotz massiver Kritik von Verbänden und Gewerkschaften den Gesetzentwurf unverändert eingereicht zu haben. In Ihrer Stellungnahme bekannte die GEW Bayern zunächst:

„Nach mehr als einem Jahr „Zeitenwende“ in der Politik der Bundesregierung bekräftigen wir als Gewerkschafter unsere Positionen für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung.“

Bayern setze nun den gegenteiligen politischen Kurs fort. Die Regierung hebele die Lehrfreiheit aus und unterwerfe das Bildungswesen zunehmend ökonomischen, militärischen und politischen Interessen, so die GEW. Die geplante Novelle verstoße eklatant gegen das Grundgesetz.

Indoktrinationsverbot ausgehebelt

Zudem hebelt das bayerische Vorhaben laut GEW den sogenannten Beutelsbacher Konsens aus. Diese Richtlinie besagt unter anderem:

„Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern.“

An dieser Stelle, so heißt es darin weiter, „verläuft nämlich die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination“. Letzteres sei „unvereinbar mit der Rolle des Lehrers einer demokratischen Gesellschaft“.

Bereits jetzt nähmen Jugendoffiziere Einfluss auf die politische Willensbildung von Kindern und Jugendlichen, mahnte die GEW. Dies könne niemals neutral verlaufen, da die Bundeswehr keine neutrale Organisation sei. Bayern unterlaufe dies und knüpfe so offenbar an die von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im vergangenen Jahr verkündete „neue Anwerbekampagne“ für das Militär an.

Kriegsgegner wollen demonstrieren

Scharfe Kritik gab es auch aus der Friedensbewegung, so unter anderem vom „Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz“ und vom Verein „Informationsstelle Militarisierung“. „Bayern macht Militarisierung zum Gesetz“, mahnten die Gruppen.

Wie die Berliner Tageszeitung junge Welt berichtete, rufen Gewerkschafter und Friedensaktivisten nun zu weiteren Protesten gegen das bayerische Vorhaben auf. So seien unter anderem am 1. und am 8. Mai Demonstrationen im Freistaat geplant.

Meinungsdrill statt Demokratie

Neu sind solche Vorgänge aber nicht. Politische „Querdenker“ unter Professoren und Lehrbeauftragen in Hochschulen müssen zunehmend um ihren Arbeitsplatz fürchten. So kündigte beispielsweise die Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Kiel ihrem ehemaligen Lehrbeauftragten, dem Journalisten und Buchautor Patrik Baab, im Herbst 2022 den Vertrag wegen seiner Recherchereise in den Donbass.

Auch der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen steht unter dem Druck der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Diese schikaniert ihren Professor, weil er unter anderem zur Corona-Pandemie nicht die erwünschte Mehrheitsmeinung vertreten hatte. Sein Buch „Wie ich meine Uni verlor“ verdeutlicht die schleichende Politisierung und Ökonomisierung der deutschen Hochschulbildung in den letzten 30 Jahren.

Es ist nicht zu leugnen: Der wertewestlich-demokratische Anstrich verblasst. Stattdessen setzt die kriegstreibende Politik auf Konformismus, zunehmend erzeugt durch Zwang und Repression, Meinungsdrill und Indoktrination – notfalls, wie in Bayern, per Gesetz.

Quelle: RT DE

Foto: Normalisierung der Präsenz des Militärs im öffentlichen Raum: Der bayerische Innenminister Florian Herrmann (CSU) während eines Auftritts anlässlich eines öffentlichen Gelöbnisses der Bundeswehr in Nürnberg, 7. März 2024. In seiner Rede bezeichnete sich Herrmann als „bayerischen Bundeswehrminister“.

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

PM Attac: Brutaler Polizeieinsatz bei G20 – Entschädigungen für Attac-Aktive nach fast sieben Jahren durch gerichtlichen Vergleich

Verwaltungsgericht Hamburg kritisiert Polizeigewalt – Stadt Hamburg
zahlt Schadensersatz

Mit Abschluss eines Vergleichs geht ein langjähriges Gerichtsverfahren
rund um einen brutalen Polizeieinsatz im Rahmen der G20-Proteste 2017 zu
Ende: Drei Attac-Aktive hatten gegen die Stadt Hamburg geklagt, weil sie
Opfer von brutaler Polizeigewalt wurden und dabei starke Verletzungen
davontrugen. Das Gericht schätzte dies als unverhältnismäßig ein und
äußerte „erhebliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des Einsatzes. Die
Stadt Hamburg verpflichtete sich im Vergleich zur Zahlung von
Schadensersatz und erkennt dadurch die Rechtswidrigkeit der
willkürlichen Gewaltausübung durch Polizeibeamt*innen indirekt an.

„G20 zeigt systemische Polizeigewalt: Immer wieder setzt sich die
Polizei über das Gesetz hinweg, indem sie Protestierende widerrechtlich
aufhält und verprügelt. So stört und behindert die Polizei
Demonstrationen, die ihr nicht gefallen“, sagt Sabine Lassauer, eine der Kläger*innen und Aktive bei Attac. „Mit dem Vergleich setzt das
Verwaltungsgericht systematischer Polizeigewalt endlich etwas entgegen.
Es ist ein Schuldeingeständnis von Stadt und Polizei Hamburg, sich auf
den Vergleich und die Schadensersatzzahlung einzulassen. Für uns ist der Vergleich daher ein Erfolg!“

Der polizeiliche Übergriff ereignete sich am 7. Juli 2017 gegen den
roten Finger der angekündigten Aktion #BlockG20, in deren Rahmen die
Anreiserouten der G20-Staatschefs blockiert werden sollten. Noch auf dem
Weg zum geplanten Aktionsort griffen Polizist*innen ohne vorherige
Ansprache und Vorwarnung die Demonstration mit Reizgas, Schlagstöcken, Tritten und Fäusten an. Selbst Betroffene, die schon am Boden lagen, wurden noch weiter getreten und geschlagen. Die gewalttätigen
Polizist*innen verletzten so mehrere Personen stark. Sabine Lassauer
trug eine vier Zentimeter lange Platzwunde am Hinterkopf davon, die
genäht werden musste. Ähnliche polizeiliche Übergriffe ereigneten sich
außerdem bei weiteren zeitgleich stattfindenden Demonstrationen im
Rahmen der #BlockG20-Aktion.

Im Laufe des Ermittlungsverfahrens gab die Polizei zu, dass sie die
Versammlung vor ihrem Angriff nicht offiziell aufgelöst hatte. Dies sei
aufgrund der dynamischen Situation unmöglich gewesen, weshalb die
Beamt*innen gezwungen gewesen seien, die Demonstrierenden mit roher
Gewalt „aufzustoppen“. Eine solche Rechtfertigung polizeilicher
Gewaltanwendung wurde bisher noch nie von einem Gericht gebilligt – und
auch das Verwaltungsgericht Hamburg argumentierte in seiner Begründung
zum Vergleichsvorschlag, die Polizei könne sich darauf nur berufen, wenn
kein Organisationsverschulden vorgelegen habe. Die schlichte Behauptung,
„überfordert“ gewesen zu sein, reiche dafür keinesfalls.

„Die Polizei argumentiert, sie müsse eine friedliche Demonstration erst
gewaltsam zusammenknüppeln, bevor sie diese rechtskräftig auflösen und
den Teilnehmenden somit Gelegenheit geben könne, sich freiwillig zu
entfernen. Das ist absurd! Damit wird die verfassungsrechtlich verlangte
Polizeifestigkeit von Versammlungen unterlaufen. Wegen der Vielzahl
ähnlicher Fälle während der G20-Proteste kann hier von einem
systematisch rechtswidrigen Vorgehen der Polizei gesprochen werden“,
sagt Dieter Magsam, Rechtsanwalt der Kläger*innen.

Das Gericht legte daher nahe, dass es den Kläger*innen Recht geben und
den Polizeieinsatz als rechtswidrig werten würde – es jedoch weiterhin
nicht in absehbarer Zeit zu einer Verhandlung käme. Geklagt hatten die
Geschädigten schon Anfang 2018. Staatsanwaltliche Ermittlungen in diesem Fall wurden letztlich eingestellt, weil sich die Polizist*innen
gegenseitig deckten und somit keine Täter*innen identifiziert werden
konnten. Das parallel angerufene Verwaltungsgericht wurde erst tätig,
als die Kläger*innen nach knapp sechs Jahren Verzögerungsrüge einlegten:
Es kam zu einem Erörterungstermin, in dessen Folge das Gericht den
Vergleichsvorschlag mit der vorläufigen Bewertung vorlegte. Angesichts dieses langwierigen, verschleppten Prozesses entschieden sich die Kläger*innen im März 2024 dazu, den Vergleich anzunehmen, anstatt weitere Jahre auf eine Verhandlung zu warten.

/*——————–*/

*Weitere Informationen: *
Stellungnahme Verwaltungsgericht Hamburg:
https://link.attac.de/stellungnahme-vgh-g20
Vergangene Presseaussendungen
•    2017: Attac-Aktive wehren sich gegen Polizeigewalt und
Grundrechtsverletzung bei G-20-Gipfel in Hamburg:
https://www.attac.de/presse/detailansicht/news/attac-aktive-wehren-sich-gegen-polizeigewalt-und-grundrechtsverletzungen-bei-g20-gipfel-in-hamburg
•    2018: Attac-Aktive reichen Klage gegen gewaltsamen Polizeieinsatz
ein:
https://www.attac.de/startseite/detailansicht/news/g20-attac-aktive-reichen-klage-gegen-gewaltsamen-polizeieinsatz-ein

Quelle: PM Lena Zoll
Pressesprecherin
Attac Deutschland

Gemeinsame Erklärung zum Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz in China

Diese Erklärung von Hajo Funke, Harald Kujat, Peter Brandt und Michael von der Schulenburg veröffentliche ich deshalb, weil die Medien in Deutschland einen großen Bogen um Hinweise darauf machen, dass Frieden unteilbar ist und wir zur Lösung der vielen Kriege in der Welt – angefangen mit dem Ukrainekrieg – eine internationale Zusammenarbeit brauchen – eben auch mit China. 

Die gemeinsame Erklärung zum Besuch von Bundeskanzler Scholz in China

Wir begrüßen den Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz in Begleitung einer starken Wirtschaftsdelegation in China. Wir hoffen, dass dieser Besuch nicht nur zu einer Vertiefung unserer für Deutschland so wichtigen Wirtschaftsbeziehungen beiträgt, sondern auch zur Völkerverständigung. In dieser Zeit höchster internationaler Unsicherheiten und geopolitischer Spannungen und Umwälzungen ist ein solcher Dialog der einzige richtige Weg.

So hoffen wir aus tiefer Sorge um die Menschen in der Ukraine und um den Frieden in Europa, dass bei diesem Besuch in der Volksrepublik China auch die Friedensbemühungen Chinas und ihres Sondergesandten Li Hui zur Beendigung des Ukrainekrieges zur Sprache kommen und der Bundeskanzler diese Bemühungen offen begrüßt und unterstützt. Es gibt zurzeit keinen anderen erfolgversprechenden Vermittlungsversuch zwischen der Ukraine und Russland. Wir dürfen die sich hier bietende Möglichkeit, diesen grausamen Krieg zu beenden, nicht wieder ungenutzt verstreichen lassen!

Eine Verlängerung des Krieges wäre sinnlos und unverantwortlich. Der Krieg kann von der Ukraine auch mit mehr Waffen nicht mehr gewonnen werden und so würde er nur zu unermesslich mehr menschlichem Leiden und Zerstörungen des Landes führen. Das einflussreiche amerikanische Quincy Institute for Responsible Statecraft warnte kürzlich sogar, dass nur noch sofortige Verhandlungen einen totalen Zusammenbruch der Ukraine verhindern könnten. Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen. Die Lage ist also ernst und braucht mutige Entscheidungen.

Die Menschen in der Ukraine sehnen sich nach Frieden. Von Umfragen wissen wir, dass eine große Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung eine diplomatische Lösung verlangt. Auch in Deutschland gibt es eine wachsende Mehrheit, die sich für Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen ausspricht. In dieser Situation müssen wir Frieden dem Krieg vorziehen.

Die deutsche Regierung ist in der Verpflichtung, dem Frieden eine Chance und dem ukrainischen Volk positive Zukunftsaussichten zu geben! Der Besuch des Bundeskanzlers in China könnte so ein entscheidendes Signal setzen, durch internationale Zusammenarbeit eine friedliche Lösung zu finden. Das könnte dann auch ein Signal für die vielen ungelösten anderen Kriege in der Welt werden.

Berlin, 11. April 2024

Beitragsfoto: C. Stille

Palästina-Kongress: Veranstalter beklagen öffentliche Diffamierung und staatliche Repression

Aufgrund bloßer Vermutungen und fadenscheiniger Vorwürfe löste die Polizei am Freitag den Palästina-Kongress in Berlin gewaltsam auf. Der jüdische Anmelder kritisiert immer massivere Beschränkungen der Meinungsfreiheit und zunehmende Repressionen in Deutschland.

Von Susan Bonath

Wochenlang tobte in den deutschen Mainstream-Medien eine harte Diffamierungskampagne gegen die Veranstalter des Palästina-Kongresses. Die Polizei schikanierte Mitorganisatoren mit Hausdurchsuchungen, es hagelte Einreiseverbote. Nach einer von der Staatsmacht verursachten Verzögerung startete die von der Polizei zur „Demonstration“ umdefinierte Konferenz am Freitag schließlich doch samt Livestream. Doch keine zwei Stunden später war Schluss damit: Gewaltsam hat die Polizei das Treffen aufgelöst und den Kongress komplett verboten – mit fadenscheinigen Argumenten, die deutschen Gesetzen kaum standhalten.

„Unverhofft von Polizei gestürmt“

Der Anmelder des Kongresses war nicht etwa ein Hamas-Mitglied, wie man aufgrund der Medienkampagne über diese angebliche „Antisemiten-Veranstaltung“ vermuten könnte, sondern der Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Dessen Vorsitzender Wieland Hoban sprach am Samstag auf einer Pressekonferenz von „massiven Repressionen“. Diese zeigten, „dass der deutsche Staat nicht will, dass wir seine Mitschuld am Genozid in Gaza ansprechen und anklagen“, so Hoban. Er fügte an:

„Während die deutsche Regierung schamlos vor den Augen der Welt einen Völkermord unterstützt, werden demokratische Rechte hier in Deutschland ausgehebelt, um Proteste von Jüdinnen und Juden und Palästinenserinnen, die einen Waffenstillstand fordern und für ein Ende der Besatzung Palästinas ihre Stimme erheben, zum Schweigen zu bringen.“

Die Konferenz sei völlig unverhofft „von der Polizei gestürmt“ worden, erläuterte Hoban. Dies müsse „alle alarmieren, die sich für demokratische Freiheiten, Antirassismus und Menschenrechte einsetzen“. Er wies die Argumentation der Polizei zurück. Diese habe erklärt, dass eine Gefahr der Gewaltverherrlichung sowie volksverhetzender und antisemitischer Rufe bestanden habe. Vorgelegen habe all das nicht. Hoban fügte an:

„Statt rechtsstaatlichen Grundsätzen zu folgen und etwas zu bestrafen, wenn eine Tat auch wirklich begangen wurde, reichte hier die Vermutung einer Behörde im Vorfeld für ein Veranstaltungsverbot.“

„Rechtswidrige Beschränkung der Meinungsfreiheit“

Die Polizei griff rabiat ein, als die Veranstalter eine Videobotschaft des palästinensischen Wissenschaftlers Dr. Salman Abu Sitta abspielten. Der 86-jährige Geograf hatte als Kind die sogenannte Nakba erlebt, also die massenhafte Enteignung und Vertreibung Hunderttausender palästinensischer Familien im Jahr 1948. Im Livestream, der wenig später abbrach, waren in der Videobotschaft bis dahin keine strafrechtlich auffälligen Äußerungen von ihm zu hören. Hoban sagte: „Die Polizei handelte in völliger Willkür.“

Die Rechtsanwältin des jüdischen Vereins, Nadija Samour, fühlt sich „überrumpelt“. Der Redner Abu Sitta und der Inhalt seiner Botschaft seien der Polizei genauso vorab zur Kenntnis gebracht worden wie auch die Vorträger aller anderen, die auftreten sollten. In mehreren Sicherheitsgesprächen habe die Ordnungsmacht alles abgesegnet. Diese Gespräche hätten „keinen Anlass gegeben, mit einem Verbot zu rechnen“, betonte Samour. Das Vorgehen stehe im Widerspruch zum Berliner Polizeigesetz.

Demnach stürmte die Polizei den Saal kurz nach dem Beginn des Videos, stellte sich vor die Bühne und verlangte einen sofortigen Abbruch. Begründet habe sie das mit einem „Betätigungsverbot“ des Redners in Deutschland, verhängt wegen angeblicher „Äußerungsdelikte“. „Das war allerdings niemandem zuvor bekannt“, sagte Samour. Ohne weiteres Verhandlungen habe die Polizei im Betriebsraum dann den Strom abgestellt – der Livestream brach ab.

Auf jegliche Kommunikationsversuche der Veranstalter sei die Polizei dabei nicht eingegangen, berichtete die Anwältin weiter. Der jüdische Verein habe angeboten, das Video nicht abzuspielen, wollte schließlich sogar den Livestream abbrechen. Der Einsatzleiter beharrte laut Anwältin auf dem Verbot, weil „er trotz nicht juristisch relevanter Inhalte eine ausreichende Vermutung sah, dass künftig strafbare Äußerungen fallen könnten“. Dies sei eine rechtswidrige Beschränkung der Meinungsfreiheit, betonte Samour.

Palästinensischer Arzt festgenommen

Eine Rednerin erläuterte einen weiteren Vorfall im Zusammenhang mit dem Kongress. Der palästinensische Arzt Dr. Ghassan Abu Sittah (nicht verwandt mit dem oben genannten Wissenschaftler), sei am Berliner Flughaften festgenommen und so an der Einreise in Deutschland gehindert worden. Auch ihm würden „Äußerungsdelikte“ unterstellt, also das öffentliche Kundtun einer der Bundesregierung nicht genehmen Meinung. Dabei habe sich Abu Sittah stets für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern eingesetzt.

Die Rednerin erläuterte, dass der Mediziner im schottischen Glasgow studiert habe. Nachzulesen ist, dass er heute in London lebt und dort 2005 etwa die Opfer der Londoner Bombenanschläge behandelte. Außerdem sei er in vielen Kriegsgebieten als Arzt im Einsatz gewesen, darunter im Irak, im Jemen, in Syrien – und zuletzt 43 Tage im nunmehr völlig zerstören Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt zusammen mit der Vereinigung „Ärzte ohne Grenzen“.

„Als Arzt wollte er nur seine Erfahrungen des brutalen Gaza-Krieges auf dem Kongress teilen“, sagte die Rednerin und kritisierte: Es gebe „einen Generalverdacht des Antisemitismus gegen Palästinenser in Deutschland. Und sogar gegen Juden werde dieser Vorwurf zunehmend erhoben. In diesem Zusammenhang berichtete sie, dass die Polizei bei der Auflösung des Kongresses auch zwei Mitglieder des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ vorübergehend festgenommen habe.

Diffamierende Medienkampagne

Kritik gab es auch an den deutschen Leitmedien. Sie hätten Veranstalter und Teilnehmer nicht nur übel diffamiert und schikaniert, sondern auch Tatsachen verdreht, Sachverhalte hinzugedichtet, eigene Spekulationen nicht als solche gekennzeichnet und Namen vertauscht. Das alles und letztlich das Verbot des Kongresses „markiert eine neue Stufe der politischen Repression in Deutschland“, hieß es.

In der Tat drehten zahlreiche Medien und Organisationen völlig frei. Laut dem Zentralrat der Juden, der den rechtsextremen Zionisten in Israel nahesteht, verurteile sogar ein (vermutlich von ihm selbst gegründetes) „Bündnis gegen antisemitischen Terror“ den Kongress.

Der Berliner Tagesspiegel, für Hetzkampagnen bekannt, berichtet seit Wochen über einen „Kongress der Israelhasser“, Springers Welt – der herausgebende Axel-Springer-Verlag verdient am illegalen Siedlungsbau im Westjordanland mit – fabulierte von „Israel-Hass pur“, die Jüdische Allgemeine trommelte für ein Verbot. Und auch die öffentlich-rechtliche ARD witterte „antisemitische Hetze“, die es zu verhindern gelte.

Westliche Doppelstandards

All dies, während die Besatzungsmacht Israel unter den Fittichen der USA weiterhin wahllos den Gazastreifen bombardiert, Zivilisten ohne Ende tötet, Kinder mittels Blockaden verhungern lässt und im Westjordanland Palästinenser vertreibt und ermordet. Mehr als 13.000 massakrierte Kinder und über 10.000 abgeschlachtete Frauen sind unter den Opfern – mindestens. Das sind mal wieder wertewestliche Doppelstandards mit einer gehörigen Portion Rassismus in Reinform, durchgedrückt mt der plumpen Antisemitismuskeule, die in Wahrheit echten Antisemitismus erst hoffähig macht.

Beigefügt am 16.April 2024:

Dieter Hallervorden/Diether Dehm:

Via Weltnetz/tv
Vera Birkenbihl

Stellungnahme von DiEM25.

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Kindergrundsicherung: Neuer Streit um aufgeblasene Bürokratie-Attrappe ohne Wirkung

Die deutsche Politik streitet weiter um die Kindergrundsicherung. Einmal mehr wird deutlich: Bei den Armen wird geknausert, für die Reichen rollen die Euros. Und: Der deutsche Sozialstaat ist ein repressives Bürokratie-Ungetüm, das nicht für, sondern gegen Bedürftige arbeitet.

Von Susan Bonath

Der deutsche Kriegsetat explodiert, die Rüstungsindustrie kassiert und Reiche scheffeln Milliarden-Subventionen. Doch für die lohnabhängige Masse geht es abwärts. Kinder bleiben Armutsrisiko Nummer eins. Drei Millionen Minderjährige und ihre Familien leben in Deutschland am Existenzminimum. Ihnen versprach die Ampel beim Regierungsantritt Verbesserung. Herausgekommen ist fast nichts, gestritten wird nun um „Peanuts“ und vom versprochenen Bürokratieabbau kann keine Rede sein.

Gebremster Sozialstaat für ungebremste Rüstung

Für die Rüstungsindustrie ist der deutsche Sozialstaat sehr verlässlich. In den Taschen ihrer Aktionäre wird das Steuergeld am Ende landen, das in den wachsenden bundesdeutschen Kriegsetat fließt. Über 70 Milliarden Euro, etwa doppelt so viel wie vor zehn Jahren, sollen es 2024 werden. Hinzu kommen wohl zehn Milliarden Euro nebenher für NATO-Sonderposten.

Das scheint alles kein Problem zu sein. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wird nicht müde, immer neue Vorschläge zu verbreiten, wie aus den 80 Milliarden noch mehr zu machen sei. Gespart wird dafür an anderer Stelle: Für Rente, Sozialhilfe, Bürgergeld und Co. gilt die Schuldenbremse, während Steuermilliarden bei den Großkonzernen versickern.

Wie ernst es Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit der ungebremsten Aufrüstung Deutschlands ist, verdeutlichte er jüngst in einem Interview. Das geht zulasten der Masse, von deren Realität sich Minister und Abgeordnete zunehmend entfernen. Ihre Bezüge erklimmen ebenso ungebremst immer neue Höhen.

„Peanuts“ für arme Kinder

Über Kinderarmut wird in Deutschland zwar gern philosophiert, doch ihre Existenz fiel erst in Coronazeiten so richtig auf – als arme Schüler häufig mangels technischer Ausstattung im verpflichtenden Homeschooling immer weiter zurückblieben. Mit den Bildungslücken wuchsen die psychischen Erkrankungen bei den Minderjährigen. Dass man nun wirklich endlich gegensteuere, versprach die Ampel bei ihrem Antritt Ende 2021.

Zwölf zusätzliche Milliarden Euro sollten von Armut betroffenen Kindern und Jugendlichen adäquate soziale Teilhabe und weiterführende Bildung ermöglichen. Das ist nicht viel, angesichts dieser schätzungsweise drei Millionen Minderjährigen.

Doch das war bald vom Tisch. Im Sommer letzten Jahres einigten sich schließlich die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP auf einen Bruchteil dessen: 2,4 Milliarden Euro insgesamt für alles und dies erst ab 2025. Auch wenn man es hinbekäme, die Hälfte davon tatsächlich den Bedürftigen zukommen zu lassen, bliebe davon pro Kind ein Jahresplus von 400 Euro – macht 33 Euro im Monat.

Aufgeblasene Repressionsbürokratie

Echte Armutsbekämpfung sähe wohl anders aus. Man könnte von einem populistisch aufgeblasenen Täuschungsmanöver sprechen – mit einem weiter aufgeblasenen Bürokratie-Apparat. Obwohl mit diesem Vorstoß eigentlich Leistungen für Kinder gebündelt und der Zugang dazu für Familien erleichtert werden sollte, hielt man es dann wohl doch für zu kompliziert, das derzeitige Bürokratiemonster umfassend zu entflechten. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) beantragte daher 5.000 zusätzliche Behörden-Arbeitsstellen.

Mit anderen Worten: Eine weitere, komplexe Behördenstruktur mit 5.000 neuen Mitarbeitern soll entstehen, um Anträge zu bearbeiten, das Einkommen der Eltern zu prüfen, Bedarfe festzustellen und so weiter. Das klingt nach einem schikanösen Apparat, nach dem bekannten Spießrutenlaufen bei Arbeitsagenturen, Jobcentern, BAföG-Stellen, Wohngeldämtern oder gesetzlichen Krankenkassen.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, scheint die neuerliche Kritik der FDP daran berechtigt zu sein. Nur zielt sie nicht auf wirkliche Verbesserungen ab, im Gegenteil: Parteichef Lindner steht für weitere „Nullrunden“, die angesichts der Inflation tatsächlich Kürzungen wären.

An seiner Seite hat Lindner viele hoch bezahlte „Wirtschafts- und Finanzexperten“, unter anderem den Präsidenten des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, Clemens Fuest. Der sprach kürzlich deutlich aus, was Lindner meint:

„Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht, sondern Kanonen ohne Butter.“

Mit anderen Worten: Der deutsche Staat soll aufrüsten und den Ärmeren dafür das letzte bisschen Butter vom Brot nehmen. Kriegsbereitschaft gebe es nur zu dem Preis eines „kleiner ausfallenden Sozialstaats“. Mindestlohnarbeiter, Alleinerziehende, altersarme Kassenrentner sollen den Gürtel eben noch enger schnallen, während Großindustrielle abkassieren – eine klassisch neoliberale Denkweise.

Milliarden-Subventionen für Profite

Das Schlaraffenland hingegen existiert sehr wohl: für Superreiche, Großaktionäre und Konzernbosse zum Beispiel. Steuerliche Subventionen an diese fließen so reichlich wie nie. 67,1 Milliarden Euro sieht der Bundeshaushalt dieses Jahr für Wirtschaftssubventionen insgesamt vor – fast 2,5-mal so viel wie im Jahr 2020. Der Markt regelt offensichtlich nicht einmal die Profite für Großkonzerne von ganz allein.

Mit den Problemen, die das Stutzen des Sozialstaats so mit sich bringt, soll indes die Masse ganz allein klarkommen. Wo ein wachsender Teil der Bevölkerung ärmer wird und auf soziale Teilhabe verzichten muss, sinkt der gesellschaftliche Zusammenhalt, erblüht der Neid und steigt die Kriminalität. Das Geschrei nach noch mehr Repressionen gegen Arme wird immer lauter, während sich die Superreichen in der sozialen Hängematte aalen. So stabilisiert die Politik vor allem eines: die neoliberale Hackordnung.

Quelle: RT DE

Beitragsfoto: C. Stille

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